Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 111 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Dieser Psalm trägt keine Überschrift. Er ist wie der nächste alphabetisch, d. h. seine 22 Zeilen tragen je einen der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets der Reihe nach an der Spitze. Dem Inhalt nach ist er ein Lobgesang auf des HERRN Werke in der Schöpfung, Vorsehung und Erlösung. Ein Grundgedanke zieht sich hindurch: Dass des HERRN Volk seinen Gott erkennen sollte und dass diese Gotteserkenntnis, in tätige Frömmigkeit umgesetzt, des Menschen wahre Weisheit und eine nie versiegende Quelle der Anbetung ist. Viele leben in trauriger Unwissenheit über das, was ihr Schöpfer getan hat, dahin; darum sind sie Toren nach der Gesinnung ihres Herzens und stumm, was das Lob Gottes betrifft. Dem kann nur abgeholfen werden, wenn sie sich Gottes Werke und Taten vergegenwärtigen und sie mit Fleiß erforschen; und dazu eben will uns der Psalm erwecken. Man kann ihn das Lied von Gottes Werken nennen, das den Zweck hat, uns zum Werk des dankbaren Lobes anzureizen.

Einteilung. Der Psalmdichter beginnt mit einer Aufforderung, den HERRN zu preisen, V. 1. Dann geht er dazu über, uns aus Gottes Werken und den Führungen seines Volkes zu zeigen, wie reichen Anlass wir zur Anbetung haben, V. 2-9. Der Psalm schließt mit einer Empfehlung tätiger Frömmigkeit.


Auslegung

1. Hallelujah!
Ich danke dem HERRN von ganzem Herzen
im Rat der Frommen und in der Gemeinde.


1. Hallelujah, d. i. Preist den HERRN. Ihr seine Heiligen alle, vereinigt euch in der Anbetung Jehovahs, dessen Wirken so ruhmwürdig ist. Lobt ihn jetzt und allezeit, tut es von Herzen und einmütig, schon hienieden wie einst ewig. Lassen andere es daran fehlen, so sorgt doch, dass ihr stets ein Lied für euren Gott habt. Tut alles Zweifeln und misstrauische Fragen, alles Murren und Widerstreben von euch und gebt euch ganz dem einen hin, den HERRN zu preisen, und zwar mit Herz und Lied, mit Leib und Leben. Ich will den HERRN preisen von ganzem Herzen. (Grundtext) Der begnadete Sänger stimmt selbst das Loblied an, denn sein Herz ist ganz in Flammen. Mögen andere mittun oder nicht, er will alsbald damit beginnen und nicht so bald wieder aufhören. Was wir andern predigen, sollten wir vor allem selbst tun. Die beste Weise, eine Ermahnung wirksam zu machen, ist die, dass wir mit dem eigenen Beispiel vorangehen. Das Vorbild, das wir geben, sollte aber auch von der besten Art sein, wir möchten sonst die andern anleiten, ihr Werk lässig zu tun. Der Dichter dieses Psalms weihte der seligen Aufgabe sein ganzes Herz, nichts weniger. Alle seine Liebe strömte aus gegen Gott, und nicht nur seine Gefühle, sondern auch den ganzen Eifer seines Wollens und alle seine Gaben stellte er Gott zu Dienst. Jehovah, den einen und ungeteilten Gott, kann man mit geteiltem Herzen nicht würdig preisen, und niemand sollte es wagen, ihn so zu entehren; ist doch unser ganzes Herz wahrlich klein genug für seinen Ruhm, auch gibt es keinen Grund, warum es sich nicht völlig seinem Preise hingeben sollte. Alle seine Werke sind des Preisens würdig; drum wollen wir ihn mit unserem ganzen Wesen anbeten. Im Rat (im vertraulichen Beisammensein) der Frommen und in der Gemeinde. Ob er im engeren Kreis ist oder in der großen Gemeine, ob auserlesene Geister ihn umgeben oder die Masse des Volks, unter allen Umständen soll sich sein ganzes Herz in Lob und Preis ergießen. Für die gewählteste Gesellschaft kann es keine bessere Verwendung der kostbaren Zeit geben und für die große Versammlung des Volks nichts geeigneter sein. Für den engen Kreis der Gläubigen am Tisch des HERRN wie für die große Schar, die sich unter dem Schall des Wortes versammelt, für die Familie wie für die Bürgerversammlung, für das verschwiegene Stübchen gottseliger Freunde wie für die breite Öffentlichkeit passt ein Lied zu Gottes Preis; wenigstens sollte, wer es treulich meint, allüberall sein Hallelujah singen. Warum sollten wir uns vor Menschen scheuen? Die Edelsten werden in unser Lied mit einstimmen, und wenn andere von gemeinerem Schlage es nicht tun, mag unser Beispiel ihnen ein sehr nötiger Tadel sein. Und du, lieber Leser? Der diese Worte der Auslegung schreibt, erhebt dabei in seinem Herzen den HERRN; willst du nicht auch einen Augenblick innehalten und dich mit ihm in diesem seligen Werk vereinigen?


2. Groß sind die Werke des HERRN;
wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran.
3. Was er ordnet, das ist löblich und herrlich,
und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich.
4. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder,
der gnädige und barmherzige HERR.
5. Er gibt Speise denen, so ihn fürchten;
er gedenkt ewiglich an seinen Bund.
6. Er lässt verkündigen seine gewaltigen Taten seinem Volk,
dass er ihnen gebe das Erbe der Heiden.
7. Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht;
alle seine Gebote sind rechtschaffen.
8. Sie werden erhalten immer und ewiglich
und geschehen treulich und redlich.
9. Er sendet eine Erlösung seinem Volk;
er verheißt, dass sein Bund ewiglich bleiben soll.
Heilig und hehr ist sein Name.


2. Groß sind die Werke des HERRN. Ja, groß sind alle Werke des HERRN in jeder Beziehung, nach ihrer Anlage, ihrem Umfang, ihrer Zahl und ihrer Vortrefflichkeit. Selbst das Kleinste, das Gott tut und schafft, ist groß. In der einen oder andern Hinsicht wird jede der Schöpfungen seiner Macht wie der Taten seiner Weisheit dem, der verständigen Herzens ist, groß erscheinen. Wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran, oder: durchforscht (und der Erforschung wert) von allen, die ihre Lust daran haben. Wer seinen Schöpfer liebt, der hat auch Freude an seiner Hände Werken. Solche merken, dass mehr darin verborgen liegt, als sich an der Oberfläche zeigt; darum legen sie sich mit Fleiß darauf, sie zu erforschen und verstehen zu lernen. Der gläubige Naturforscher durchsucht die Natur, der Geschichtsforscher sucht das Dunkel der Geschichte aufzuhellen und spürt dem verborgenen Zusammenhang der Ereignisse nach, und der Schriftforscher gräbt in dem Bergwerk der biblischen Offenbarung und sammelt all die Goldkörner der göttlichen Wahrheit. Gottes Werke sind unserer Durchforschung wert, sie gewähren uns Belehrung und Vergnügen in wundervollem Verein, und sie wachsen zusehends vor unseren Augen, denn sie erscheinen uns, je mehr wir sie erforschen, viel größer als zuvor. Der Menschen Werke sehen großartig aus, wenn man sie aus der Entfernung betrachtet; Gottes Werke sind wahrhaft groß, wenn man sie genau besieht. Groß sind die Werke und Taten Gottes namentlich auch nach ihren Zwecken und Zielen (wie Delitzsch früher unseren Vers auffasste). Gottes Absichten bei allem, was er schafft und tut, sind gleich bewundernswert wie die Werke selbst. Das Herrlichste an Gottes Werken ist die darin verborgene geheime Weisheit Gottes; darum kommen Leute, deren Blick an der Oberfläche hängen bleibt, um das Beste von dem, was er uns lehren will. Weil die Werke so groß sind, lassen sie sich nicht mit einem Blick übersehen, sondern wollen mit Sorgfalt genau betrachtet werden, und dieses Erforschen ist uns von großem Vorteil, indem es unsere Fähigkeiten ausbildet und unser Geistesauge immer mehr stärkt, das Licht der göttlichen Herrlichkeit zu ertragen. Es ist uns gut, dass wir nicht alles auf den ersten Blick sehen können; denn die Übung, in die Geheimnisse der Werke Gottes einzudringen, ist uns ebenso nützlich wie das Wissen selbst, das wir dadurch erlangen. Sonderlich ist die Geschichte der Wege Gottes mit seinem Volke ein trefflicher Gegenstand des Nachsinnens für empfängliche, von Ehrfurcht vor Gott erfüllte Gemüter; sie werden darin süßen Trost und eine unversiegbare Quelle der Freude finden.

3. Majestät und Herrlichkeit ist sein Tun. (Grundtext) Gilt dies von all seinem Tun, so sonderlich von seinem vornehmsten Werk auf Erden, dem Heilswerk an seiner Gemeinde. Im hellsten Glanze erstrahlt darin seine königliche Herrlichkeit. Darum ist es auch billig der Gegenstand des höchsten Lobpreises; wer es versteht und an sich selbst erfährt, der kann nicht anders, als Gott alle Ehre und allen Ruhm zuzuschreiben. Der Plan dieses Heilswerkes, die sicheren Grundlagen, auf denen es ruht, sein gnadenreicher Zweck, die weisen Vorbereitungen, die Gabe, die es uns bringt, Jesus als Erlöser, die Zueignung der Erlösung durch den Heiligen Geist in Wiedergeburt und Heiligung und was sonst noch zu dem herrlichen Ganzen gehört, alles gereicht zu nimmer endendem Ruhme ihm, der solch erstaunlichen Plan zu unserem Heil erfand und ausführte. Kein anderes Werk kann damit verglichen werden; es ehrt den Retter und bringt auch die Geretteten zu Ehren, dient zu Gottes Verherrlichung und führt uns zur Herrlichkeit. Es ist kein Gott wie der Gott Jesuruns, und nichts kommt der Erlösung gleich, die er für sein Volk gewirkt hat. Und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich. Bei dem Werk der Gnade ist die Gerechtigkeit nicht außer Acht gelassen noch wird sie ihrer Krone beraubt, sondern im Gegenteil, sie wird gerade durch dasselbe vor den gesamten Intelligenzen des Weltalls zu den höchsten Ehren gebracht. Dass unser Stellvertreter unsere Schuld tragen musste, beweist, dass Gott nicht einmal, um seine Gnadenabsichten zu verwirklichen, die Gerechtigkeit hintansetzt. Nie kann Gottes Gerechtigkeit auf eine härtere Probe gestellt werden, als diejenige war, die sie bereits in der Dahingabe seines geliebten Sohnes bestanden hat; hinfort wird sie wahrlich ewiglich bleiben, für immer bestehen. Noch mehr: es kann nun nie ein Zweifel aufkommen, ob Gottes Gerechtigkeit in seinem ganzen Ratschluss wohl zu ihrem Recht kommen werde; denn alles, was sie verlangt, ist bereits erfüllt, ihre Forderungen sind befriedigt durch die zwiefache Tat unseres Herrn, da er sowohl die gebührende Strafe trug, als auch dem Gesetz völligen Gehorsam leistete. Willkür schleicht sich in Gottes Regierung nicht ein, die Rechtschaffenheit derselben ist für immer über allen Zweifel erhoben. In keiner einzigen Handlung Gottes ist Ungerechtigkeit zu finden noch wird je davon eine Spur zu entdecken sein; das ist der höchste Ruhm seines Tuns, und selbst seine Widersacher können das nicht abstreiten. Darum mögen die Gläubigen ihn immerdar preisen und sich niemals schämen, von dem so löblichen und herrlichen Tun ihres Gottes zu sprechen.

4. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder. Er wollte, dass diese bei seinem Volk stets in frischem Andenken bleiben; und das ist in der Tat der Fall, teils, weil sie an sich denkwürdig sind, und teils, weil er für ihre Aufzeichnung durch inspirierte Federn Sorge getragen und sie durch den Heiligen Geist seinen Kindern ins Herz geschrieben hat. Durch die Anordnungen des mosaischen Gesetzes wurden der Auszug aus Ägypten, der Aufenthalt in der Wüste und andere Denkwürdigkeiten der Geschichte Israels dem Volke immer wieder vergegenwärtigt, und das junge Geschlecht ward auf diese Weise über die Wunder unterwiesen, die Gott in alten Zeiten getan hatte. Taten solcher Art, wie Gott sie vollbracht hat, sind nicht dazu da, eine kurze Weile bewundert und dann vergessen zu werden, sondern sind zu dauernden Denkmalen und lehrreichen Wahrzeichen für alle kommenden Geschlechter hingestellt; und vor allem sind sie dazu bestimmt, das Volk des HERRN in dem Vertrauen auf Gottes Liebe zu befestigen und es sie tief erkennen zu lassen, dass ihr Bundesgott der gnädige und barmherzige HERR ist. Sie können ohne Furcht für die Zukunft seiner Gnade trauen, denn sie kennen sie aus der Vergangenheit. Die Gnade gibt sich in Gottes Walten ebenso klar zu erkennen wie seine Gerechtigkeit; ja, eine Fülle zärtlicher Liebe sehen wir in allem, was er getan hat. Er behandelt die Seinen voller Rücksicht auf ihre Schwächen und Gebrechen; hat er doch für sie dasselbe Mitgefühl wie ein Vater für seine Kinder. Sollten wir ihn dafür nicht preisen? Ein silberner Faden herzlicher Barmherzigkeit zieht sich durch das ganze Gewebe der göttlichen Weltregierung wie der Erlösung ununterbrochen hindurch. Mögen seine Auserwählten diese Tatsache stets im Gedächtnis behalten und mit dankbarer Freude davon Zeugnis ablegen!

5. Er gibt (wörtl.: hat gegeben) Speise denen, so ihn fürchten. Da das gewählte Wort eigentlich Beute bedeutet, dachten ältere Ausleger an die Schätze, die die Kinder Israel bei dem Auszug aus dem Diensthause auf ihr Verlangen von den bedrängten Ägyptern erhielten, wie auch sonst Israel jeweils sich von seinen Feinden bereicherte. Allein die Wahl des Wortes ist durch die alphabetische Anordnung des Psalms bedingt und wird auch Spr. 31,25 für Speise gebraucht. Wie der HERR in der Wüste sein Volk mit Manna speiste, so sorgt er auch sonst durch die Mittel seiner Vorsehung dafür, dass die Bedürfnisse der Seinen gestillt werden. Irgendwo und irgendwie haben sie noch stets Nahrung gefunden, wie sie sie brauchten, und das selbst in Zeiten drückenden Mangels. Mit geistlicher Speise sind sie vollends reichlich versehen in Christo Jesu; da werden sie mit dem besten Weizen gespeist und dürfen allezeit an des Königs Tische Festmahl halten. Sein Wort ist für die Seele so nahrhaft wie Brot für den Leib, und von diesem Manna ist eine solche Fülle vorhanden, dass keiner der nach dem himmlischen Kanaan Wandernden jemals Hunger leiden braucht. Wahrlich, die Furcht des HERRN ist Weisheit, denn sie verbürgt einem Menschen die Versorgung mit allem, was er bedarf für Seele und Leib. Er gedenkt ewiglich an seinen Bund. Er konnte es seinem Volke nicht an Speise fehlen lassen, weil er mit ihm einen Bund gemacht hatte; und seine Auserwählten werden auch in Zukunft nie Mangel leiden, weil er nach wie vor nach den Satzungen dieses Bundes handeln wird. Keine Verheißung des HERRN wird dahinfallen, noch wird je irgendein Teil der feierlichen Übereinkunft, die die ewige Liebe geschlossen, widerrufen werden oder in Vergessenheit geraten. Der Gnadenbund ist der Grundriss des gewaltigen Werkes, das Gott zum Besten seines Volkes ausführt, und niemals wird Gott von diesem Plane abweichen. Er hat ihn unterzeichnet und sein Siegel darunter gesetzt, sein Ruhm ist damit unlöslich verknüpft, ja die Ehre seines Namens hängt daran; so wird er sein eingedenk bleiben selbst bis auf den kleinsten Buchstaben und Tüttel. Des ist die Ernährung seines Volkes ein Unterpfands: er würde nicht so fort und fort für ihre Bedürfnisse sorgen, wenn er dennoch sie schließlich verderben zu lassen gedächte. Lasst uns auf dies so tröstliche Unterpfand und Angeld achten; wir wollen auf die Treue Gottes zählen und ihn jedesmal, wenn wir irdische Speise genießen oder uns an seinem Worte laben, von ganzem Herzen preisen.

6. Er hat kundgetan (wörtl.) seine gewaltigen Taten seinem Volk. Sie haben mit Augen gesehen, was er zu tun vermag und welche gewaltige Kraft er ihrethalben aufzubieten bereit ist. Diese Macht schaute Israel in den großen Taten, die Gott auf dem Gebiet der Natur wirkte, und wir schauen sie in Geisteswundern, denn wir nehmen die unvergleichliche Wirkenskraft des Heiligen Geistes wahr und erfahren sie an dem eigenen Herzen. In Zeiten tiefster Not hat der HERR uns seine Gnade so machtvoll erleben lassen, dass wir die Größe seiner Kraft anbeten mussten; und das war gerade einer der Gründe, warum er uns in solche Umstände führte, damit er uns seinen starken Arm offenbaren könnte. Hätten wir je seine Kraft so herrlich kennen lernen können, wenn wir nicht in Lagen gewesen wären, wo wir Hilfe so dringend bedurften? Wir können diesen Vers trefflich in die Bitte umwandeln, dass uns gegeben werde, die Macht des HERRN in diesen letzten Zeiten immer mehr am Werk zu schauen. Ja, HERR, lass uns jetzt sehen, wie mächtig du wirken kannst, sowohl in der Errettung von Sündern als in der Bewahrung und Erlösung der Deinen. Indem er ihnen gab das Erbe der Heiden. (Grundtext) Er bot alle seine Macht auf, die Kanaaniter zu vertreiben und sein Volk ins gelobte Land zu bringen. Möge es ebenso seiner unendlichen Weisheit gefallen, seiner Gemeinde die Heiden zum Erbe zu geben in dem Namen Jesu. Nur große Kraft kann dies zustande bringen; aber zu seiner Zeit wird es gewisslich vollführt werden.

7. Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht. In allem, was Jehovah tut, leuchten seine Wahrhaftigkeit oder Verheißungstreue und seine Gerechtigkeit durch. Nichts von Arglist oder Winkelzügen ist je an seinem Walten wahrzunehmen; er handelt treulich und redlich an seinem Volke, gerecht und unparteiisch an allen Menschen. Auch dies sollte uns bewegen, ihn zu preisen, da es uns zum höchsten Vorteil dient, unter einem königlichen Herrn zu leben, dessen Ratschlüsse, Gesetze, Rechtssprüche, Verfügungen und Handlungen ganz und gar Wahrheit und Recht sind. Alle seine Gebote sind rechtschaffen oder zuverlässig. Alles, was er bestimmt und beschlossen hat, wird sicheren Bestand haben, und die Befehle, die er erlassen hat, werden sich unseres Gehorsams würdig erweisen; denn Gerechtigkeit ist ihr fester Grund und ihr Zweck unser Wohlergehen, ja ewiges Heil. Er ist kein wankelmütiger, launischer Tyrann, der heute dies und morgen etwas ganz anderes befiehlt, sondern seine Gebote bleiben schlechthin unverändert, ihre Notwendigkeit erweist sich stets gleich unanfechtbar, ihre Vortrefflichkeit über allen Zweifel erhaben, ihr Lohn ewig sicher. Mag man unter den Verordnungen des HERRN, von denen der Vers redet, Gottes Ratschlüsse oder seine Befehle verstehen, in beiden Fällen haben die Worte einen wichtigen Sinn. Der Zusammenhang, besonders der nächste Vers legt es nahe, sie in der ersteren Bedeutung aufzufassen, also an die Verordnungen, Entscheidungen oder Verfügungen des Königs der Könige zu denken.

8. Sie werden erhalten (wörtl.: sind gestützt, d. i. fest, wohlbegründet) immer und ewiglich, nämlich seine erhabenen Ratschlüsse, Befehle und Handlungsweisen. Der HERR wird nicht von vorübergehenden Eindrücken bestimmt noch lässt er sich von den Umständen des Augenblicks bewegen. Unabänderliche Grundsätze herrschen in seiner Regierung, und er verfolgt seine ewigen Ziele ohne einen Schatten von Veränderlichkeit. Unsere Werke gleichen, ach wie oft, einem Bau von Holz, Heu und Stoppeln; seine Taten sind lauter Gold, Silber, edle Steine. Wir verfolgen ein Ziel eine Weile und verlassen es, um dann wieder einem andern nachzujagen; er aber ist immer gleichen Sinnes, und niemand vermag ihn von seinem Vorsatz abzubringen. All sein Tun geschieht in der Ewigkeit und für die Ewigkeit; darum bleibt, was er wirkt, für immer bestehen. Dass seine Willensäußerungen solch dauernden Bestand haben, beruht zum großen Teil auf der nun zunächst erwähnten Tatsache, dass sie geschehen treulich und redlich. Nur Redlichkeit hat Bestand. Falschheit vergeht bald, denn sie ist nur Schein; die Wahrheit aber hat Salz bei sich, das sie vor dem Verfall bewahrt. Gott handelt stets nach den erhabenen Grundsätzen der Wahrheit und Rechtschaffenheit, darum bedarf es bei ihm nie einer Änderung oder des Widerrufs und überdauern seine Taten und Worte die Zeit.

9. Er sendet (Grundtext hat gesendet) eine Erlösung seinem Volk. Als die Erben der Verheißung in Ägypten waren, sandte er ihnen einen Retter und führte die Befreiung auch wirklich durch. Eine herrliche, in ihrer Art vollkommene Erlösung ward ihnen zuteil. Das Gleiche hat er in höherer, geistlicher Weise für sein Volk des Neuen Bundes getan, indem er die Seinen erst mit Blut erkaufte aus der Hand des Feindes und sie dann mit Macht errettete aus den Banden der Sünde. Wir dürfen von der Erlösung als einer vollendeten Tatsache singen: sie ist für uns vollbracht, uns angeboten und freudig von uns angenommen worden, so sind wir in der Tat und Wahrheit des HERRN Erlöste. Hat auf ewig seinen Bund bestellt. (Grundtext) Sein göttlicher Ratschluss hat den Bund seiner Gnade zu einer feststehenden, ewigen Einrichtung gemacht. Dass die Erlösung durch Blut geschehen, beweist, dass der Bund keine Veränderung erleiden kann; denn das Blut versiegelt ihn als rechtskräftig und unwiderruflich. Auch dies gibt Grund zu fröhlichem Lobpreis. Die Erlösung ist es würdig, in den herzinnigsten Tönen besungen zu werden; und vollends, wenn wir sie verbunden sehen mit heiligen Verbindlichkeiten, die der HERR in seiner Gnade auf sich genommen hat und von denen er nach seiner Wahrhaftigkeit nicht abgehen kann, dann mag dieser Gegenstand wohl die Seele zu begeistertster Dankbarkeit entflammen. Die Erlösung und der Gnadenbund reichen wahrlich hin, selbst den Stummen den Mund zu Lobliedern zu öffnen! Heilig und hehr (ehrwürdig) ist sein Name. Wohl mag der Psalmist also sagen. Das ganze geoffenbarte Wesen Gottes ist in jeder Hinsicht unserer tiefsten Ehrfurcht würdig, weil es vollkommen und ohne Fehl ist, von vollendeter Heiligkeit. Nie sollten wir darum den Namen Gottes gedankenlos und leichtfertig aussprechen, nie ihn ohne tiefe Ehrerbietung hören. Ja sein Name mag uns wohl zum Erbeben bringen, er ist furchtbar in seiner Heiligkeit; selbst die Gott am besten kennen, freuen sich vor ihm mit Zittern. Wie fromme Männer es sich gefallen lassen können, Ehrwürden1 genannt zu werden, vermögen wir nicht zu verstehen. Da wir keinen Grund entdecken können, warum unsere Mitmenschen uns so besonderer Ehren würdig halten sollten, sind wir geneigt zu vermuten, dass auch bei andern nicht sehr viel zu finden sein wird, das sie berechtigte, sich Ehrwürden, Hochehrwürden, Hochwürden usw. nennen zu lassen. Es mag das eine geringfügige Sache scheinen; aber eben deshalb möchten wir darauf hinwirken, dass man die törichte Sitte außer Brauch kommen lasse.


10. Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang;
das ist eine feine Klugheit, wer danach tut; des Lob bleibt ewiglich.


10. Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang. Sie ist die erste Grundlage dazu, aber auch ihre Krone und ihr Hauptgewinn. Das hier mit Anfang übersetzte Wort kann auch das dem Wert nach erste, das Obenanstehende, Kostbarste bezeichnen. Echte Frömmigkeit ist in der Tat beides, das Grundelement der Weisheit und ihre köstlichste Frucht. Gott also zu erkennen, dass man aufrichtig vor ihm wandelt, ist die größte aller angewandten Wissenschaften. Heilige Ehrfurcht vor Gott führt uns von selbst dazu, Gott zu preisen, und dies ist das Ziel, auf das der Psalm hinsteuert, denn das ist weise getan von dem Geschöpf gegenüber seinem Schöpfer. Das ist eine feine Klugheit, wer danach tut. Gehorsam gegen Gott beweist, dass wir ein gesundes Urteil haben. Welcher Grund könnte auch dagegen gefunden werden? Fordert nicht unsere Vernunft selber, dass dem, der der Herr über alles ist, Gehorsam geleistet werde? Nur ein Mensch, dessen Vernunft verfinstert ist, kann jemals die Empörung wider den heiligen Gott rechtfertigen wollen. Tatsächlich ausgeübte Gottseligkeit ist die Probe wahrer Weisheit. Man mag Wissen besitzen und sehr rechtgläubig sein, man mag von den göttlichen Dingen reden und sogar große Beredsamkeit entfalten, man mag eine zum Forschen veranlagte Natur haben und sogar ein tiefer Denker sein; der beste Beweis von wahrer Einsicht und tiefem Verständnis ist doch in dem tatsächlichen Gehorsam gegen Gottes Willen zu finden. Der vorhergehende Teil des Psalms lehrte uns durch die Beschreibung der Werke Gottes seine Natur und sein Wesen erkennen; dieser Vers bringt die praktische Anwendung der Lehre durch die Schlussfolgerung, dass diesen Gott zu ehren und ihm zu gehorchen die Forderung echter Weisheit sei. Mit Freuden bekennen wir uns dazu. Sein (Jehovahs) Lob bleibt ewiglich. Das Lob Gottes wird nie ein Ende nehmen, denn seine Taten werden stets Anbetung hervorrufen, und der Menschen beste Weisheit wird stets darin bestehen, den Gott, der solch herrliche Taten vollbringt, zu erheben. Luther hat mit manchen Alten den Satz so aufgefasst, als beziehe er sich auf die, welche den HERRN fürchten; und wenn wir diese Auffassung auch mit fast sämtlichen neueren Auslegern als dem Zusammenhang und der ganzen Gedankenrichtung des Psalms nicht entsprechend ansehen müssen, so ist es doch wahr - und der nächste Psalm wird diesen Gedanken durchführen - dass die, welche ein Leben des Gehorsams führen, von Gott Ehre und Ruhm erlangen, die ewiglich bleiben. Und ein Wort der Anerkennung aus dem Munde Gottes ist eine Ehrung, die alle Auszeichnungen überstrahlt, welche Könige und Kaiser verleihen können.
  HERR, hilf uns deine Werke und Taten erforschen und hinfort unser Leben lang dich mit jedem Atemzug preisen!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Mit diesem Psalm beginnt eine Trilogie von Hallelujah-Psalmen. Der 111. reiht Lob an Lob der Taten Jahves und seiner Stiftungen. In engster Verwandtschaft steht er zu Psalm 112. "Während Ps. 111", sagt Hitzig richtig, "im Kreise der Frommen die Herrlichkeit, Macht und Gnade Jahves preist, preist Ps. 112 die daraus fließende Herrlichkeit und Glückseligkeit der Frommen selbst, der Jahveverehrer". Die zwei Psalmen sind Zwillinge in Form und Inhalt. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Die beiden Psalmen 111; 112 gleichen einander in dem ganzen Bau, der regelmäßigen alphabetischen Anordnung, dem spruchartigen Charakter und überhaupt in ihrem Ton. Der Inhalt des einen ist das Gegenstück des andern; Ps. 111 legt die Größe, Güte und Gerechtigkeit Gottes dar, Ps. 112 die Abspiegelung dieser Eigenschaften in der Größe (V. 2), der Barmherzigkeit (V. 5) und der Gerechtigkeit (V. 4 und V. 9) seiner Auserwählten. Diese Übereinstimmung des Inhalts der beiden Psalmen ist wichtig für das richtige Verständnis einiger Stellen in dem zweiten. The Speaker’s Commentary 1873.
  Der Psalm ist ein reiner Lobpsalm, in streng alphabetischer Ordnung der: 22 Verszeilen nach den 22 hebräischen Buchstaben. Daraus mögen wir mancherlei lernen. 1) Oft ist es gut, dass wir alles andere beiseite setzen und uns absichtlich und ausschließlich dem Lobe Gottes zuwenden, wie es in diesem Psalm geschieht. 2) Das Lob Gottes vermag alle Buchstaben in allen ihren möglichen Zusammensetzungen zu Wörtern zu füllen. Er ist das A und das O samt den dazwischenliegenden Buchstaben des Alphabets des Lobpreises. 3) Das Lob des HERRN ist es wert, im Gedächtnis behalten zu werden. Ohne Zweifel ist der Psalm ja eben dazu, um besser behalten werden zu können, alphabetisch verfasst. David Dickson † 1662.
  Dieser Psalm siehet mich an, als sei er aufs Osterfest gemacht und gebraucht worden, beim Osterlamm dem HERRN zu danken für alle seine Werke. Aber nun gehet dieser Dankpsalm durch die ganze Welt, und ist nicht mehr in dem engen Lande Kanaan als in einem kleinen Winkel der Welt; er ist nun größer worden, so viel höher und größer die Erlösung ist, die unser Osterlamm erworben, und klinget weiter. Und fängt an: Hallelujah, lasset uns den HERRN rühmen. Das ist die Drommete des Heiligen Geistes, damit er die Christen erweckt und vermahnet, Gott zu danken mit solchem Psalm. Martin Luther 1530.


V. 1. Von ganzem Herzen. Der Mangel solch ganzen Herzens ist ein Krebsschaden für alle Gottseligkeit. Die Menschen versuchen immer wieder zu vereinigen, was das Wort Gottes als schlechterdings unvereinbar erklärt, die Liebe zur Welt und die Liebe zu Gott. Darum ist vieler Leben so unglücklich, weil sie ihre kostbaren Kräfte in diesem vergeblichen Bemühen verzehren, halb der Welt und halb Gott zu leben. Sieh, mit welcher Lust und Tatkraft ein Mann die Arbeit anfasst, der sein Herz gehört, wie er all seine Gedanken, Empfindungen und Kräfte darauf richtet. Wir sagen mit Recht: Er gibt sich ganz dem hin, er legt sein ganzes Herz darein. Versuche es, ihn zu bewegen, seine Zeit und Kraft zugleich an etwas anderes zu wenden; er wird sich wundern, dass es so törichte und unwissende Leute gibt, die ihm solch schlechten Rat erteilen können. Nimm dir am Teufel eine Lehre: sieh, wie er all seine Kräfte auf den einzelnen Menschen richtet, als gäbe es nur diesen einen und hätte er nichts anderes zu tun, als diese eine Seele zu verderben. Mit solch völliger Entschlossenheit suche du deinen Gott zu verherrlichen! Barton Bouchier 1856.
  Im Rat der Aufrichtigen, das ist, derer Frommen und Heiligen. Da zeiget er, wo und an welchem Orte dieser Psalm solle gesungen werden; wie die Kinder Israel am Osterfeste zusammenkamen in den Häusern, und musste kein Heide dabei sein; auf dass sei eine züchtige, feine, ehrliche Versammlung, an sonderlichen Orten. Denn das Wort, das ich Rat verdeutschet habe, heißt ein heimlich Gespräch und Rat, so etliche an sondern Orten halten, wie die Ratsherrn auf dem Rathause, die Fürsten in der Ratsstube. Da ist kein Winkel noch Meuchelrotten; denn man weiß öffentlich wohl, wo sie miteinander sind, und ist doch der Handel soferne heimlich, dass nicht jedermann dabei sein muss, sondern allein, die dazu gehören. Martin Luther 1530.
  Welch eine Wohltat, wenn man noch immer einige zusammenbringen kann, mit denen man von Gottes Werken reden und sein Lob besingen kann! Sonst geht man aus Gewohnheit und Unachtsamkeit an vielem vorbei, woraus man eine Stärkung des Glaubens ziehen könnte. Karl Heinr. Rieger † 1791.


V. 2. Gottes Werke und Taten sind zwar so groß, dass sie weit hinausgehen über den Bereich dessen, was Menschen von ihnen entdecken können; doch werden sie mit Lust durchforscht von allen, die den Gott lieben, der sich in Natur und Geschichte offenbart. Denn wenn sie auch vielfach zu groß sind, um verstanden zu werden, so sind sie auch zu groß, als dass sie vergessen werden könnten. Edw. G. Marsh 1832.
  Gott in den Werken seiner Hände zu schauen, ihn zu lieben und mit ihm zu verkehren, war die Beschäftigung des Menschen vor dem Fall. Dies hat so wenig aufgehört, unsre Pflicht zu sein, dass es vielmehr Christi Werk ist, durch den Glauben, uns dazu zu erneuern. Darum sind die heiligsten Menschen am vortrefflichsten geeignet, Gottes Werke zu erforschen. Und alles Studium der Naturwissenschaften, der Geschichte oder irgendwelcher Wissenschaften entbehrt seiner Krone, seines wahren Zweckes und Wertes, wenn man mittelst ihrer nicht Gott sucht. Dann wird die Weisheit zur Narrheit, Röm. 1,22; Ps. 14,1. Richard Baxter † 1691.
  Durchforscht von allen, die sie lieb haben. (Andere Übers.) Die Philosophie sucht die Wahrheit, die Theologie findet sie, aber die Religion besitzt sie. Menschliche Dinge muss man erkennen, um sie zu lieben; die göttlichen Dinge hingegen muss man lieben, um sie zu erkennen. Blaise Pascal † 1662.


V. 2-4. Dass der HERR gnädig und barmherzig ist, das ist die große Entdeckung aller, die die Werke und Taten des HERRN im rechten Lichte erforschen, und wie herrlich ist dieses Ergebnis! Gleichwie in der Erforschung der Natur für diejenigen, die sich diesem Studium mit Liebe hingeben, ein nie endender Genuss liegt, so gibt es auch für den, der an Gottes heilsgeschichtlichem Wirken seine Lust hat und sich der Aufgabe widmet, Gottes Güte darin auszukundschaften, nichts Erquickenderes, als die Entdeckung neuer Seiten der Gnade, die die Majestät und Herrlichkeit des göttlichen Tuns in neues Licht stellen. Darum bemühe dich, im Verstehen des göttlichen Tuns an den Menschenkindern recht geschickt zu werden und erforsche sorgfältig das Verhalten deines himmlischen Freundes gegen dich. Eben dazu hat er dich geschaffen und dich zum Freundschaftsbund mit ihm zugelassen, damit er an dir zeige, wie innig er dich zu lieben vermag. Thomas Goodwin † 1679.


V. 4.5. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder. Das deutet auf die Feste, besonders auf das Passahfest, dieses Gedächtnis (2. Mose 12,14) an das in Ägypten erlebte bundestreue Verschonen. Denn V. 5 will doch wohl an die wundersame Speisung und Tränkung in der Wüste nach dem Auszug (besonders Manna und Felsenwasser, Ps. 105,40-43) erinnern. Schon seit Theodoret und Augustin verbindet sich mit V. 5 der Gedanke an die Eucharistie; Ps 111 ist der kirchliche Abendmahlspsalm geworden. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Die wohlriechenden Spezereien der göttlichen Taten müssen durch das Nachsinnen zerstoßen und dann im Schrein unseres Gedächtnisses aufbewahrt werden. Gott gibt uns die Perlen der Heilsgeschichte nicht, um sie, wie es einst die Römerinnen mit den Juwelen machten, an den Füßen zu tragen, oder gar sie mit den Füßen zu zertreten, sondern dass wir sie, zu einer kostbaren Kette verbunden, uns um den Hals knüpfen und aufs Herz binden. (Spr. 6,21) Abraham Wright 1661.
  Die erstaunliche Verkehrtheit des Menschen erweist sich darin, dass er an Ereignisse und göttliche Taten nicht gedenkt, die Gott so gewirkt hat, dass sie zu vergessen unmöglich erscheinen sollte. William Swan Plumer 1867.


V. 5. Er hat Speise gegeben usw.; er gedenkt ewiglich an seinen Bund. (Grundtext) Indem der Psalmist die Wohltaten betrachtet, die Gott Israel vormals erwiesen, freut er sich des Gedankens, dass sie nur einzelne Erfüllungen einer Bundesverheißung waren, die noch besteht und ewig bestehen wird. James H. Vidal 1863.


V. 6. Er hat kundgetan (Grundtext) seine gewaltigen Taten seinem Volk. Ihnen ist es gegeben zu sehen, den andern aber nicht, über die vielmehr Blindheit verhängt ist. "Rufe mir, so will ich dir antworten und will dir anzeigen große und gewaltige Dinge, die du nicht weißt." (Jer. 33,3) John Trapp † 1669.


V. 7. Die Taten Gottes sind Ausprägungen seiner Wahrheiten. Wie jede Handlung eines Christen eine Ausführung göttlicher Wahrheit und göttlichen Rechtes sein sollte, so ist es tatsächlich bei Gott. Wenn wir nicht recht verstehen können, was Gott mit dem einen oder andern seiner Worte meint, so mag es sein, dass uns das Verständnis an seinen Taten aufgeht; denn seine Werke sind ein unfehlbarer Kommentar zu seinen Worten. Joseph Caryl † 1673.


V. 7.8. Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht, denn sie sind die Verwirklichung des währenden, sich erwahrenden Wahren und des sich siegreich behauptenden Rechten. Seine Anordnungen sind gefestigt, bewährt, zu festem Vertrauen auf ihre Heilsamkeit in sich und ihren Folgen berechtigend; gestützt, nämlich nicht von außen, sondern in sich selber, also unerschütterlich; vollführt, hinausgeführt, nämlich von Seiten Gottes, in Wahrheit und gerade. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 9. Heilig und hehr ist sein Name: ehrwürdig allen, die ihn lieben, schrecklich denen, die trotz aller Gnadenmittel unheilig bleiben. Bischof G. Horne † 1792.
  Weil sein Name heilig und hehr ist, sollten wir nicht uns vermessen, ihn gedankenlos zu brauchen. Die Juden sprachen den Jehovah-Namen bekanntlich gar nicht aus. Suidas teilt mit, dass die Griechen, wenn sie bei Jupiter schwören wollten, es unterließen, ihn zu nennen. Das sollte vor der unter uns üblichen leichtfertigen Art, den Namen Gottes zu gebrauchen, zurückschrecken. Und mögen diejenigen, welche wünschen, dass ihr Name als ehrwürdig behandelt werde, danach ringen, heilig zu sein, wie Gott heilig ist. John Trapp † 1669.


V. 10. Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang. Das ist ein überaus wichtiger Hauptgrundsatz der Schrift. Hiob wirft die Frage auf: Die Weisheit, woher kommt sie, und wo ist der Ort, da man die Erkenntnis findet? Er durchsucht die ganze Natur, aber nirgends kann er sie finden. Mit Gold aus Ophir ist sie nicht zu kaufen, und ihr Preis geht über Perlen. Gott allein kennt den Weg zu ihr, und er hat zum Menschen gesprochen: Siehe, Furcht des HERRN, das ist Weisheit. (Hiob 28.) Salomo, der weiseste unter allen Menschen, fängt seine Weisheitssprüche mit dem gleichen Lebensgrundsatz an, Spr. 1,7, und wiederholt ihn Spr. 9,10. Die Furcht des HERRN bezeichnet in der Schrift nicht nur die kindlich ehrfürchtige Gesinnung gegen unseren anbetungswürdigen himmlischen Vater, sondern ist oft der Ausdruck für die Summe der praktischen Frömmigkeit, so auch in unserm Psalmvers. Nach der ewigen Glückseligkeit zu streben, mit Heiligkeit als dem Mittel dazu, das ist wahre Weisheit, eine feine Klugheit, außer der es überhaupt keine wahre Klugheit gibt. Samuel Davies † 1761.
  So frage ich denn dich Weltkind: Was ist die höchste und tiefste Weisheit? Besteht sie darin, ein großes Vermögen zu erwerben? Ist das der Inbegriff der Weisheit, ein Millionär zu werden? Siehe, Paulus sagt, Gottseligkeit sei ein großer Erwerb, und Clemens von Alexandrien, der Christ sei der einzige Reiche auf Erden. Oder ist ein "lustiges" Leben die Krone der Klugheit? Siehe, Freude kennen nur die frommen Herzen (Vergl. Ps. 97,11.) Oder strebst du nach Ehre? Siehe, unser Psalm sagt: Wer danach tut (nämlich nach der Furcht des HERRN), des Lob bleibet ewiglich. Wie manche berühmte Männer der Welt sind jetzt höchst unglücklich, weil sie gerühmt werden, wo sie nicht sind, und gequält, wo sie sind; die Hölle hallt von ihren Schmerzensseufzern wieder, während auf Erden ihr Lob ertönt. Gesegnet aber ist der Mann, der den HERRN fürchtet (Ps. 112,1), denn in dieser Welt ist er geehrt bei den besten Menschen, und in der zukünftigen wird er seinen Lohn empfangen unter Heiligen und Engeln in dem Reich der Herrlichkeit. John Boys † 1625.
  Die Furcht des HERRN ist nicht nur der Weisheit Anfang, sondern auch ihr Mittel und Ende. Sie ist in der Tat das A und O, der Leib und die Seele, die Summe und der Kern. Sicherlich ist es weise, zu lieben, was am liebenswertesten ist, und unsre Herzen mit dem zu beschäftigen, was es am meisten verdient, dass wir unser Herz daran hängen, und am besten geeignet ist, unser Innerstes zu befriedigen. Daniel de Superville 1700.
  Wer danach tut. Furcht ist also nicht alles. Der faule Knecht, der sein Pfund im Schweißtuch vergrub, wusste zwar auch von Furcht vor seinem Herrn zu reden, aber diese war bei ihm nicht der Weisheit Anfang. Sie führte nicht zu fruchtbaren Taten. Darum ward er samt seiner Furcht hinausgetan in die äußerste Finsternis. Bischof Lancelot Andrewes † 1626.
  Ist denn die nichtchristliche Welt ohne Weisheit? Hat sie nicht einen Aristoteles, einen Sokrates, Tacitus, Goethe, Gibbon usw.? Lasst uns wohl verstehen, was Weisheit ist. Ein Haufe von Wissen, und wäre er noch so groß, macht noch nicht Weisheit aus. Es handelt sich vor allem auch darum, dass die Kenntnisse, die jemand hat, seinem Lebenszweck angemessen und nützlich seien. Ein Mensch, der sich selbst in seiner Beziehung zu Gott und zu seinen Mitmenschen nicht kennt, der über seine Pflichten, seine Gefahren, seine wahren Bedürfnisse usw. falsch berichtet ist, der ist, auch wenn er unzählige Werke von erhabener Art geschrieben hätte, doch nicht als ein weiser Mensch zu bezeichnen. Was gibst du darum, dass dein Knecht in der Mathematik bewandert ist, wenn er unwissend ist in Bezug auf das, was dein Wille ist, und wie er ihn tun könne? Die glänzenden Gaben eines Voltaire, eines Spinoza, eines Byron lassen ihre Torheit nur in desto grellerem Licht hervortreten. Ihre Lebensarbeit kommt uns gerade so vor, wie wenn jemand, der eilends den Niagarafällen zugetrieben würde, sich damit abgeben wollte, ein bewundernswertes Gemälde der herrlichen Naturumgebung zu zeichnen. Männer, die bei der Welt in der höchsten Schätzung stehen, haben die ausfallendsten Missgriffe gemacht betreffs der allerwichtigsten Dinge; und nur weil die Welt diese Dinge nicht als wichtig betrachtet, bleibt das Ansehen dieser Männer bestehen. George Bowen 1873.
  Wie es Stufen der Weisheit gibt, so auch der Furcht des HERRN. Aber auch die niederste Stufe der wahren Furcht des HERRN ist schon ein Anfang wenigstens der Weisheit. Und es gibt keine Stufe der Weisheit, so hoch oder vollkommen sie sei, die nicht ihre Wurzel, ihren Ursprung in der Furcht des HERRN habe. Joseph Caryl † 1673.
  Das ist eine feine Klugheit, wer danach tut. Nicht wer von Gottes Geboten redet, schreibt, predigt, sondern wer sie tut. Die andern haben eine falsche, eitle Klugheit, eine Klugheit gleich derjenigen der Schriftgelehrten und Pharisäer, die sie wohl verdammen, aber nicht retten konnte. Henry Smith † 1591.
  Des Lob bleibt ewiglich. Manche Ausleger beziehen das auf Gott, weil das im Grundtexte gebrauchte Wort fast ausschließlich von dem Gott gebührenden Lobe gebraucht wird. Andre beziehen es auf den Gottesfürchtigen, aber in verschiedenem Sinn. Während die meisten es von dem bleibendem Andenken des Gerechten verstehen, vergl. Ps. 112,6, legt Augustin die Worte folgendermaßen aus: Sein (des Gerechten) Lob des HERRN bleibt ewiglich, da er zu denen gehört, welche Ps. 84,5 selig gepriesen werden, weil sie in Gottes Haus wohnen, wo sie Gott immerdar preisen. John Boys † 1625.


Homiletische Winke

V. 1. Preiset den HERRN: da haben wir eine Ermahnung. Ich will den HERRN preisen: ein Gelübde. Es soll von ganzem Herzen geschehen: hier sehen wir praktische Frömmigkeit. Im Kreise der Frommen: da tritt uns die Stellung des Gläubigen in der Gemeinde Gottes entgegen. Joseph Irons † 1852.
  Von ganzem Herzen: d.h. geistlich (nicht in totem, fleischlichem Formendienst), einfältig, inbrünstig. J. Irons † 1852.
  1) Was sind das für Leute, die Frommen, von denen hier die Rede ist? 2) Was ist ihre liebste Beschäftigung? Den HERRN zu preisen. 3) Was werde ich tun, wenn ich das Vorrecht habe, zu ihnen zu gehören? Ich will den HERRN preisen von ganzem Herzen usw.
  Wo ich am liebsten bin, und was ich am liebsten tue.
V. 2. Der christliche Naturforscher. 1) Sein Forschungsgebiet: die Werke des HERRN. 2) Seine Arbeit: erforschen. 3) Seine Freude. 4) Zweck und Ziel seiner Arbeit: Gottes Preis.
V. 2-9. Lob Gottes aus den Werken und Taten Gottes. Sie sind 1) groß und herrlich, 2) gerecht, 3) gnädig, 4) gewaltig, 5) in Übereinstimmung mit Gottes Verheißungen, 6) von ewigem Bestand. Matthew Henry † 1714.
V. 3b. Seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich: als Eigenschaft des göttlichen Wesens, ferner als in der Vorsehung enthüllt, als in der Erlösung behauptet, als in mancherlei Strafheimsuchungen erwiesen, endlich als von den Gläubigen angeeignet.
V. 4. Wie sich die Herablassung des HERRN darin erweist, dass er dem Gedächtnis seiner Kinder zu Hilfe kommt.
V. 4.5. 1) Es ist Gottes Wille, dass seine Wunder im Gedächtnis bleiben. Darum hat er a) sie so groß gemacht, b) sie gewirkt für Leute, die sie nicht verdienten, c) sie zu denkwürdigen Zeiten vollbracht d) sie aufzeichnen lassen, e) besondere Erinnerungszeichen gestiftet, f) seinem Volke befohlen, sie ihren Kindern einzuschärfen, g) je und je durch sein Tun ihr Gedächtnis aufgefrischt. 2) Es ist unser eigener Nutzen, wenn wir der Wunder des HERRN gedenken, denn a) wir werden dadurch seines Erbarmens gewiss, b) sie veranlassen uns, seine Großmut zu erwägen, c) sie bestätigen uns seine Treue, d) sie erwecken uns zum Lobe Gottes.
V. 5. 1) Ermutigung aus der Vergangenheit: Er hat Speise gegeben usw. 2) Zuversicht für die Zukunft: Er gedenkt ewiglich an seinen Bund. George Rogers 1878.
V. 6. Die Macht Gottes eine Ermutigung zur Heidenmission.
V. 9. Die Erlösung. Von Gott geplant, vorbereitet, ausgeführt und zugeeignet. Um einen teuren Preis, durch große Macht. Von Sünde und Tod. Damit wir frei, des HERRN eigentümlich Volk, des HERRN Ruhm seien.
  Die Erlösung. 1) Ihr Urheber: Er sandte usw. 2) Wem sie gilt: seinem Volk. 3) Was sie uns verbürgt: Er hat auf ewig seinen Bund bestellt. 4) Der Lobpreis, den sie in uns erweckt: Heilig und hehr ist sein Name.
V. 9c. Heilig usw. 1) Die Heiligkeit Gottes ist Gegenstand unserer Ehrfurcht. 2) Solche Ehrfurcht ist von heilsamem Einfluss auf uns. 3) Sie sollte stets unseren Glauben an die Erlösung und Gottes ewigen Gnadenbund begleiten, siehe V. 9a und
V. 10. Eine Predigt für Studenten. 1) Der Anfänger in des HERRN Schule. 2) Der Gereiftere, der einen Grad erworben ("Das ist eine feine Klugheit"), und welcher Art die Prüfung ("Wer danach tut"). 3) Der Lehrer, der das Lob empfängt: Sein (des HERRN) Lob bleibt ewiglich.
  1) Der Anfang der Weisheit: die Furcht des HERRN. 2) Der Fortschritt in der Weisheit: wenn die Furcht des HERRN, die im Herzen ist, sich im Leben entfaltet. 3) Ihr Ziel: Gott zu preisen immerdar. George Rogers 1878.

Fußnoten

1. Die englische Bibel hat für hehr hier reverend, dasselbe Wort, das in England stets dem Namen der Träger des geistlichen Amtes vorgesetzt wird. Spurgeon durchbrach diese alteingewurzelte Sitte, er nannte sich nie Reverend, sondern suchte durch sein Beispiel das in England ungebräuchliche biblische Wort Pastor (Hirte) in den Freikirchen in Aufnahme zu bringen.