Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 133 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Wallfahrtslied. Von David. Dies wunderliebliche kleine Gedicht atmet ganz Davids Geist. Dieser Mann mit dem zarten, liebenden und für Liebe so empfänglichen Gemüte kannte aus Erfahrung das Herzeleid, das aus Familienzwistigkeiten entsteht, und war somit aufs Beste dazu zubereitet, in solch lieblichen heiligen Tönen den Segen der Eintracht, nach der sich sein Herz so sehnte, zu besingen. In der Anfechtung hatte er es, wie Luther sagt, gelernt. Unter den Stufenliedern nimmt dieser Psalm ohne Zweifel eine hohe Stelle ein; sogar in der weltlichen Literatur wird er oft angeführt, seines Duftes und der Taufrische wegen, die auf ihm liegt. In diesem erhabenen Stück der hebräischen Poesie kann sicherlich auch der schärfste Kritiker kein unfeines Wort entdecken, alles ist Lieblichkeit und Licht. Wir stehen hier auf einer sehr beträchtlichen Höhe gegenüber Ps. 120, mit dem die Festpilger ihre Wallfahrt begannen. Jener war voll von Krieg und Klagen, dieser singt von Friede und Freude. Die Zionspilger waren nun wohl im Begriff, heimzukehren; da mochte dieser Psalm so recht der Stimmung ihrer Herzen entsprechen, nachdem sie die Eintracht der Bruderstämme an der gemeinsamen Stätte der Anbetung gesehen und ihre Lieblichkeit geschmeckt hatten. Der vorhergehende Psalm, der von Gottes Bundesgnaden singt, hatte ja auch aufs deutlichste enthüllt, worin Israels Einheit ihren Mittelpunkt hatte: in dem Gesalbten des HERRN und den ihm und in und mit ihm Zion besiegelten Verheißungen. Es ist kein Wunder, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen, wenn Gott in ihrer Mitte wohnt und in seiner Gemeinde seine ewige Ruhestatt hat. Die Übersetzer der englischen Bibel haben dem Psalm eine schöne auslegende Überschrift gegeben: Der Segen der Gemeinschaft der Heiligen, wie diese ausgezeichneten Männer es denn überhaupt verstanden haben, den Inhalt eines Schriftabschnittes mit ein paar Worten aufs treffendste anzuzeigen.


Auslegung

1. Siehe, wie fein und lieblich ist’s,
dass Brüder einträchtig beieinander wohnen!
2. Wie der köstliche Balsam ist,
der vom Haupt Aarons herabfließt in seinen ganzen Bart,
der herabfließt in sein Kleid,
3. wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions.
Denn daselbst verheißt der HERR Segen und Leben immer und ewiglich.


1. Siehe. Es handelt sich um ein Wunder, das man selten sieht; darum betrachte es wohl! Man kann es sehen, denn es ist eines der Kennzeichen der Gottbegnadigten; darum versäume nicht, es dir genau zu beschauen! Es ist ein Anblick, der vollen Bewunderung wert; darum stehe still und genieße das liebliche Bild! Sein Zauber wird dich zur Nachahmung reizen; darum nimm es recht zu Herzen! Gott selber schaut darauf mit Wohlgefallen; darum fasse auch du es fest ins Auge! Wie fein (wörtl.: wie gut) und (wie) lieblich ist’s, dass Brüder auch beisammen wohnen! (Grundtext1 Niemand vermag es in Worten zu beschreiben, wie herrlich solch ein Verhältnis ist; darum gebraucht der Psalmist den Ausruf: Wie! Sieh nur, wie gut, wie heilsam es ist, und wie wonnig! Er versucht weder die wohltätigen Wirkungen noch die Lieblichkeit solchen Beisammenwohnens zu messen, sondern ladet uns ein, selber zuzusehen. Die Zusammenfügung der beiden Eigenschaftswörter ist eine Konstellation von zwei Sternen erster Größe. Es will etwas heißen, wenn von irgendetwas hienieden gesagt werden kann, es sei gut; ist es dazu noch lieblich, wonnig, dann ist’s noch besser. Jedermann liebt ja angenehme Dinge; aber oft erweist sich das, was Genuss bereitet, hinterher als schädlich. Hier jedoch erfahren wir von etwas, das ebenso gut wie lieblich, ebenso wonnig wie heilsam ist; denn das gleiche Wie steht (im Grundtext) vor beiden Wörtern.
  Für Brüder nach dem Fleische ist es nicht immer geraten, beisammen zu wohnen. Die Erfahrung lehrt im Gegenteil, dass es in den meisten Fällen besser ist, wenn sie ein wenig voneinander gesondert hausen; in Zwietracht beieinander zu wohnen, wie es leider manchmal geschieht, ist für beide Teile eine Schande. Es wäre viel besser, sie gingen im Frieden auseinander wie Abraham und Lot, als dass sie voll Neid und Eifersucht zusammenwohnen wie die Brüder Josephs. Nur wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen, wie Luther in seiner Übersetzung den Sinn unseres Verses ausgelegt hat, nur dann ist ihre Verbindung etwas, das man sich zu besehen einladen darf, und das da würdig ist, in einem heiligen Liede besungen zu werden. Solch erquickender Anblick sollte in der Welt öfter von Verwandten geboten werden. Sind sie doch Brüder und sollten darum eins sein in Herz und Sinn; sie wohnen beisammen oder sind sonst aufeinander angewiesen, darum hängt ja ihr gegenseitiges Wohlsein davon ab, dass kein Zwist sei. Und doch, ach wie viele Familien sind zerrissen durch heftige Fehden und arge Zerwürfnisse und bieten ein Schauspiel, das wahrlich weder fein noch lieblich ist!
  Was aber die Brüder im Geiste betrifft, die sollen beieinander wohnen in der Gemeinde des Herrn, und für diese ist die Eintracht eine Lebensfrage. Der Einförmigkeit können wir entraten, wenn wir die Einigkeit haben, Einheit des Lebens, Einheit der Wahrheit, Einheit des Weges zum Vater und Vaterhause, kurzum, wenn wir eins sind in Christo Jesu, eins in bezug auf das Ziel, dem wir nachjagen, und eins in dem Geist, der uns regiert. Diese Grundzüge der Einigkeit müssen sich bei uns finden, sonst werden unsere Versammlungen eher lärmenden Judenschulen als Gemeinden Christi gleichen. Je inniger die Eintracht, je geschlossener die Reihen, desto besser; umso feiner und lieblicher wird’s sein. Da wir unvollkommene Leute sind, wird sich sicher je und je allerlei Unfeines und Unliebliches einschleichen; aber es wird immer wieder schnell unschädlich gemacht und ohne allzu große Schwierigkeit ausgeschieden werden durch die Liebe, wo diese wirklich vorhanden ist. Die christliche Einigkeit ist gut an sich, gut, d. i. heilsam, wohltuend, nützlich für die Brüder, für die Neubekehrten, für die Welt um uns her. Und sicherlich ist sie auch lieblich; denn für ein Herz, das voll Liebe ist, muss es ja eine Wonne sein, mit anderen Gemeinschaft zu haben, die darin mit ihm eines Wesens sind, und - es kann nicht anders sein - ein solches Menschenkind wird auch erquickende Wärme, liebliche Freude um sich her verbreiten in dem Geschwisterkreise, darin es steht. So zündet eine glühende Kohle die andere an. Eine Gemeine, die sich Jahr um Jahr in eifrigem Dienst für den HERRN einträchtig erzeigt, ist ein sprudelnder Born des Segens und der Freude für die ganze Gegend, in der sie ihren Sitz hat.

2. Wie der köstliche2 Balsam ist auf dem Haupte. (Wörtl.) Damit wir die brüderliche Eintracht in ihrer Schöne besser beschauen können, führt der Psalmist sie uns in Bildern vor Augen, so dass wir als in einem Spiegel ihre Segensfülle betrachten können. Sie verbreitet einen süßen Wohlgeruch um sich her, vergleichbar der köstlichen Narde (2. Mose 30,22 ff.), womit der Hohepriester bei seiner Einweihung gesalbt wurde. Die brüderliche Eintracht ist etwas Heiliges, und darin ist sie wiederum dem heiligen Salböl gleich, das nur in dem Dienst des HERRN verwendet werden durfte (2. Mose 30,31-33). Welch ein heilig Ding muss es um die Bruderliebe sein, wenn sie jenem Öle verglichen werden kann, das nie auf eines Menschen Haupt kommen durfte, außer auf das des Hohenpriesters (3. Mose 21,10), auf dessen Stirn geschrieben war: Heilig dem HERRN! Die Narde ist ferner etwas, in dessen Natur es liegt, sich zu ergießen, zu verbreiten, mitzuteilen. War das wohlriechende Öl auf Aarons Haupt gegossen, so floss es hinunter über Aarons Haupt in den Bart und tröpfelte von dort hernieder auf seine Kleider, bis auch deren äußerster Saum davon benetzt war. Ebenso verbreitet die Bruderliebe ihre wohltätige Kraft und ihren Segen über alle, die ihrem Einfluss unterworfen sind. Herzliche Eintracht ist ein Gottessegen für alle Beteiligten. Ihren heilsamen Einfluss und die Freude, welche ihre Lieblichkeit verbreitet, bekommen alle, auch die geringsten Glieder des Hauses zu genießen; auch die Dienstboten werden besser und glücklicher, wo liebliche Einigkeit unter den Gliedern einer Familie herrscht. Sie dient zu einem besonderen Zweck nach Gottes Rat; denn wie Aaron durch die Salbung mit dem heiligen Öle zu Jehovahs besonderem Dienste ausgesondert ward, so sind auch diejenigen, die in Liebe beieinander wohnen, am besten geeignet, Gott in seiner Gemeinde zu verherrlichen. Der HERR wird schwerlich solche zu seiner Ehre gebrauchen, denen die Liebe fehlt. Es mangelt ihnen die Salbung, die doch nötig ist, um sie zu Priestern des HERRN zu machen. Der herabfließt in den Bart, den Bart Aarons. (Wörtl.) Das ist ein Hauptvergleichspunkt; so wie das Öl nicht auf den Platz beschränkt blieb, wohin es gegossen ward, sondern über des Hohenpriesters Haar herabfloss und seinen Bart benetzte, so sickert auch die brüderliche Liebe von denen, die das Haupt bilden, herab auf die ganze Gemeinde und benetzt bei diesem Niederträufeln alles, womit sie in Berührung kommt, und erfüllt alles mit Wohlgeruch. Der herabfließt auf seiner Kleider Saum. (Grundtext3 Ist das Öl einmal in Bewegung gesetzt, so hört es nicht auf, immer weiter hinabzurinnen. Es könnte ja angemessener erscheinen, wenn Aarons Kleider gar nicht von dem Öl durchtränkt worden wären; aber das heilige Salböl ließ sich in seinem Fließen nicht aufhalten, es ergoss sich über das priesterliche Gewand. Ebenso fließt auch die Bruderliebe nicht nur über die Herzen derer, über welche sie zuerst ausgegossen ward, sondern träufelt auch nieder zu denen, die ein geringerer, niederer Teil des Leibes Christi sind; ja sie fließt selbst dahin, wo man ihrer nicht begehrt, und fragt nicht um Erlaubnis, ob sie da auch eindringen dürfe. Die christliche Liebe kennt keine Kirchspielgrenzen, keine Schranken der Nationalität oder des besonderen kirchlichen Standpunkts, keine Unterschiede des Alters, des Standes oder der Bildung und dergleichen. Steht der Mann in dem lebendigen Glauben an Christus? Dann gehört er zu dem einen Leibe, und ich kann nicht anders, als ihm herzliche, nimmer aufhörende Liebe entgegenbringen. Ist er einer der Geringsten oder der Schwächsten, noch wenig von dem Geist aus Gott Durchdrungenen, oder der am wenigsten Liebenswürdigen? Dann ist er dem Saume an Aarons Gewand vergleichbar, und die Liebe, die mein Herz erfüllt, muss auch auf ihn niederträufeln. Die Bruderliebe kommt vom Haupte, aber sie ergießt sich bis auf die Füße. Es liegt in ihrer Natur, herabzusteigen. Siehe, wie es zweimal in unserem Vers heißt: der herabfließt. Die Liebe gibt sich herunter zu den Niedrigen (Röm. 12,16); sie bläht sich nicht, sondern ist sanftmütig und demütig. Darin liegt ein nicht geringer Teil ihrer Vortrefflichkeit. Das Öl würde zur Salbung schlechterdings nicht brauchbar sein, wenn es nicht die Eigenschaft hätte, herabzufließen; ebenso würde die brüderliche Liebe ihren Segen nicht verbreiten, wenn sie sich nicht herabließe.

3. Wie der Tau des Hermon, der herabfällt auf die Berge Zions. (Grundtext) Von den Hochgebirgen scheint die feuchte Luft zu den niedrigeren Bergen herübergetragen zu werden; der Tau vom Hermon fällt auf Zion nieder. Die Alpenhöhen des Libanon dienen brüderlich den niedrigeren Hügeln der Stadt Davids auf dem Zion. Geradeso steigt auch die brüderliche Liebe von dem Höheren zu dem Niedrigeren herab, auf ihrem Wege alles erfrischend und belebend. Die heilige Eintracht ist wie der Tau, ein geheimnisvoller Segen, voll lebensspendender, Wachstum und Gedeihen wirkender Kraft für all die Pflanzen im Reich der Gnade. Sie verbreitet eine solche Fülle heiligen Segens, dass der gewöhnliche Tau nicht als Bild genügt, sondern sie dem Hermontau verglichen werden muss, der, wie alte und neuere Reisende berichten, außerordentlich reichlich fällt und von der erhabenen Höhe aus sich weit verbreitet. Denn daselbst hat der HERR verordnet den Segen, Leben in Ewigkeit. (Grundtext) Daselbst: nämlich in Zion, oder da, wo die brüderliche Liebe überfließt. Wo die Liebe herrscht, da herrscht Gott. Wo die Liebe Segen wünscht, da befiehlt Gott den Segen. Er hat nur zu gebieten, so steht es da. Es ist dem HERRN solche Freude, seine geliebten Kinder, eins am andern sich erfreuend, glücklich beisammen zu sehen, dass er nicht versäumt, ihrem gemeinsamen Glück dadurch die Krone aufzusetzen, dass er sie in ihm selbst glücklich macht. Er spendet ihnen vor allem seinen besten Segen, nämlich das ewige Leben; denn Liebe ist Leben. Wohnen wir in Liebe verbunden beieinander, so haben die Freuden der Ewigkeit schon bei uns begonnen, und diese sollen nicht von uns genommen werden. Lasst uns lieben ohne Aufhören, so werden wir auch leben ohne Aufhören. Das macht die christliche Gemeinschaft so fein und lieblich: des HERRN Segen ruht auf ihr, und sie ist ihrer Natur nach heilig wie das köstliche Salböl und stammt vom Himmel wie der Tau des Hermon.
  O hätten wir doch mehr von dieser seltenen Wunderkraft! Nicht eine Liebe, die da kommt und geht, sondern die Liebe, die nimmer aufhört; nicht einen Geist der Zertrennung und Absonderung, sondern des einträchtigen Beisammenwohnens; nicht ein Gemüt, das am Zanken und Hervorheben der Meinungsverschiedenheiten seine Freude hat, sondern dem mit andern in Eintracht zusammengehen zu können eine Lust ist. Wir werden nie die volle Kraft der Salbung erfahren, solange wir nicht ein Herz und eine Seele sind (Apg. 4,32); nie wird der heilige Tau des Geistes in all seiner Fülle auf uns niederkommen, bis wir geschlossen dastehen in einem Sinne und einerlei Denk- und Urteilsweise (1. Kor. 1,10); niemals wird der vom HERRN verheißene und entbotene Segen in vollen Strömen auf uns niederwallen, bis wir der apostolischen Gemeinde wieder gleichen in der innigen Stellung zu dem HERRN und seiner Wahrheit und zu den Brüdern. HERR, führe du uns in diese überaus köstliche geistliche Einigkeit um deines lieben Sohnes willen. Amen!


Erläuterungen und Kernworte

V. 1. Der Satz: "Siehe, wie gut und wie lieblich ist, dass Brüder (Volksgenossen) auch zusammen wohnen " ist nicht eine Verherrlichung der Eintracht unter Brüdern, sondern eine Empfehlung eines festeren äußeren Zusammenschlusses derer, die zusammengehören. Das Zusammensein in den Festzeiten, auf welches die meisten Ausleger deuten, wäre doch kaum durch jaschab, wohnen, ausgedrückt worden. Es will uns scheinen, als wenn der Psalm den Zuzug nach Jerusalem zu fördern beabsichtigt, indem er auf den Segen der brüderlichen Lebensgemeinschaft hinweist. Wie notwendig für das aus seinen Trümmern wiedererstandene Jerusalem die Vermehrung seiner Bürger war und wie Nehemia das Zusammenwohnen in Jerusalem beförderte, zeigt Neh. 11. - Nach Lic. H. Keßler 1899.
  Brüder. Abraham machte dieses Wort zum Friedensvermittler zwischen Lot und ihm: "Sind wir doch Brüder!" spricht er, als wollte er sagen: "Sollen Brüder sich wegen solcher Dinge entzweien wie die Ungläubigen?" Das war genug, um Lot zu gewinnen. Sobald er den Brudernamen hört, ist sein Herz überwunden, und der Zwist ist zu Ende. Dies Wort sollte auch zwischen Christen der Friedensrichter sein, der ihre Streitigkeiten schlichtet. Wie mancher, der sein Vermögen in jahrelangem Rechtsstreit verloren, wünschte wohl, er hätte zu guter Zeit diesen Advokaten genommen! Henry Smith † 1591.
  Einträchtig. Ist nur ein Gott, so sollen auch diejenigen, die ihm dienen, eins sein. Das ist es, worum Jesus noch vor seinem Leiden so herzlich bat. Christen sollen eins sein erstens in der Gesinnung. "Ich ermahne euch, liebe Brüder," sagt Paulus (1. Kor. 1,10), "dass ihr allzumal einerlei Rede führet und lasset nicht Spaltungen unter euch sein usw." Wie traurig ist die Zerrissenheit der Christenheit! Das hat der Feind getan! Erst trennte er den Menschen von Gott und dann die Menschen voneinander. Die Mannigfaltigkeit ist von Gott, die innere Zerspaltung vom Teufel. Die Christen sollten zweitens eins sein in der Liebe. Wie die verschiedenen Saiten eines Instruments harmonisch zusammenklingen, so sollten auch die Christen trotz ihrer persönlichen Verschiedenheiten ein Herz und eine Seele sein, in der Liebe lieblich zusammenstimmen. Nichts würde das Christentum so anziehend machen und dem Evangelium mehr Anhänger zuführen, andererseits freilich auch den Hass der Hölle entzünden, als wenn seine Bekenner allezeit mit dem Band des Friedens, das da ist die Liebe, verbunden wären. Thomas Watson † 1690.
  Die Eintracht der Brüder ist I. gut. Gut ihrem Ursprung nach, denn die Liebe ist von Gott. Gut ihrem Wesen nach, denn die Liebe ist die Frucht des Geistes. Gut in ihren Wirkungen, denn sie ist überaus nützlich und förderlich in jeder Beziehung, nicht zum wenigsten auch in geistlicher Hinsicht. II. Sie ist lieblich. Dass etwas lieblich, wonnig sei, dass es Freude bereite, das schätzen ja viele so hoch, dass sie um eines solchen Dinges willen gerne vieles missen. Wohlan, hier ist etwas, das hat diese Eigenschaft in hohem Grade. Die Eintracht der Brüder ist erstens Gott ein süßer Geruch. Da er selber der Gott des Friedens ist, so hat er auch besondere Freude an solchen Christen, die ihm darin ähnlich sind. Wie freuen sich Eltern an der Eintracht ihrer Kinder! Es tut ihnen wohl bis ins innerste Herz, wenn sie sehen dürfen, dass die Geschwister sich lieben und einander mit Freundlichkeit und Gefälligkeit zuvorkommen. So freut sich Gott an denen, die sich in der Liebe als die Seinen erweisen. Sodann ist die brüderliche Eintracht aber auch eine reiche Freudenquelle für uns, die Brüder, selbst. Und drittens ist sie erfreulich für Dritte, die davon Augenzeugen sind: Siehe, wie lieblich ist es, wenn usw. "Wer darin Christo dient, der ist Gott gefällig und den Menschen wert" (Röm. 14,18). Th. Horton † 1673.
  Beieinander wohnen. Dies Wort deutet darauf hin, dass die brüderliche Liebe und Eintracht etwas Dauerndes, Beständiges sein soll. Das ist ja nicht so schwer, dass Brüder, seien es leibliche Brüder oder Christen, einmal freundlich zusammenkommen oder auch für eine kurze Zeit sich so beherrschen, dass sie ohne Störung des Friedens zusammenbleiben (wiewohl es Leute gibt, die auch dies kaum über sich vermögen); aber in der Eintracht auszuharren, darum handelt es sich, und das ist so vielen unmöglich. Und doch ist es dies gerade, was an uns als Christen und Brüdern gesucht wird. Thomas Horton † 1673.


V. 2. Dass der Psalm gerade das von Aarons Haupt herabfließende Salböl zum Bilde nimmt, hat wohl folgende Gründe: 1) Aarons Söhne und die ihnen nachfolgenden gewöhnlichen Priester sind nur Gehilfen des Hohenpriesters. Dies kam denn auch in der weihenden Salbung zum Ausdruck. Nur dem Aaron goss Mose das heilige Salböl auf das Haupt, weshalb der Hohepriester vorzugsweise der gesalbte Priester heißt, während die andern Priester nur besprengt wurden, d. h. ihre Kleider wurden, wie auch die Kleider Aarons, mit dem heiligen Salböl (und mit Blut von dem Widder des Füllopfers) besprengt (3. Mose 8,12.30). 2) Die nachfolgenden Hohenpriester setzten eigentlich nur das Amt Aarons fort. Ihn selber ließ ja der Tod nicht bleiben. Aber der Idee nach gibt es im Grunde nur einen Hohenpriester auch in dieser Beziehung. 3) Wenn, wie es schon aus sprachlichen Gründen wahrscheinlich ist, der 133. Psalm der nachexilischen Zeit entstammt, so müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es im zweiten Tempel nach den Rabbinen nur "Hohepriester mittelst Einkleidung" gab, die gegenüber den früheren "durch Salbung" in das Amt eingesetzten als von untergeordnetem Range galten. Wie dem zweiten Tempel das Hauptstück, die Bundeslade mit dem Gnadenstuhl, fehlte, so mangelten auch den Hohenpriestern dieser späteren Zeit zwei wesentliche Stücke: das Licht und Recht und die Salbung. Nicht einmal die Art der Zubereitung des heiligen Salböls war im zweiten Tempel mehr bekannt. Da wird es vollends klar, warum der Dichter des Psalms auf Aaron und das durch ihn in der ganzen Fülle seiner göttlichen Weihe (3. Mose 21,10) vertretene Hohepriestertum zurückgreift. - J. M.
  Zwei Tropfen des heiligen Salböls, sagt eine Haggada (auslegende Sage), blieben für immer an Aarons Bart wie zwei Perlen hangen als ein Bild der Versöhnung und des Friedens. Im Salbungsakte selbst wallte das reichlich ausgegossene feine Öl auf seinen Bart, den gemäß 3. Mose 21,5 unverkürzten, hernieder, welcher (nämlich der Bart) herabwallt auf den Kragen seiner Gewandung. (Durch diese Kopföffnung wurde das ärmellose Gewand übergestürzt.) Dieser schließende Relativsatz ist wesentlich für das Bild. Der Vergleichspunkt ist hier wie V. 3 die Einigungsmacht der Brüderlichkeit. Wenn in einträchtiger Liebe verbundene Brüder sich auch örtlich zusammentun, wie das in Israel an hohen Festen geschah, so ist es, wie wenn das heilige, köstliche, den einheitlichen Duft vieler Spezereien aushauchende Chrisma (Salböl) auf Aarons Haupte auf dessen Bart, den weit über die obere Borte seines Talars herabwallenden, hinabträuft - es wird recht fühlbar und auch äußerlich sichtbar, dass Israel nah und fern von einem Geiste durchdrungen und in Einheit des Geistes verbunden ist. Diesen einigenden Geist der Bruderliebe versinnbildet nun auch der Hermontau, der auf die Berge Zions herabträuft. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Der vom Haupte Aarons herabfließt usw. Hochherzige Freigebigkeit, von Geizigen übertriebenes Wesen und Verschwendung genannt, gehört zu den wesentlichen, unveräußerlichen Kennzeichen der echten Liebe; eben darum wählt der Psalmist dies Bild. Auch bei der Salbung Aarons lag Verschwendung vor, gerade wie in der Salbung zu Bethanien (Mt. 26,8). Nicht gesprengt wurde das Öl über das Haupt Aarons, was ja für den Zweck einer bloßen Zeremonie hätte genügen können, sondern das Gefäß ward über dem Haupte Aarons geleert, die Salbe wurde ausgeschüttet über ihn, so dass sie weit hinabfloss. Eben diese "Verschwendung" bildet den Vergleichspunkt. Das Bild musste einen Mann wie David (V. 1) besonders ansprechen, denn auch er war in seiner Weise ein "verschwenderischer" Mann. Er liebte Gott auf eine Art, die ihm den Vorwurf der Überschwänglichkeit und Überspanntheit zuzog (2. Samuel 6,20). Auch 1. Chr. 29,2-5 zeigt ihn uns in seiner überfließenden Liebe zum HERRN, die von der kalten Berechnung der selbstsüchtigen Sparsamkeit nichts weiß. Und als der Geist der Liebe in der apostolischen Gemeinde mächtig war, da floss die Liebe auch über, vergl. Apg. 4,34 ff.; 2. Kor. 8,1-5. - Nach Alex B. Bruce 1877.


V. 3. Wie der Tau vom Hermon usw. Was wir in Ps. 133 vom Tau des Hermon, dem auf die Berge Zions niederfallenden, lesen, ist mir jetzt deutlich geworden. Hier am Fuße des Hermon sitzend begriff ich, wie die Wasserteile, die von seinen mit Wäldern bedeckten Höhen und aus den das ganze Jahr mit Schnee gefüllten höchsten Schluchten aufsteigen, nachdem die Sonnenstrahlen sie verdünnt und den Dunstkreis damit befeuchtet haben, des Abends als starker Tau auf die niedrigeren Berge, die als seine Ausläufer rundum liegen, niederfallen. Ma muss den Hermon mit seiner weißgoldenen, in den blauen Himmel hineinblinkenden Krone gesehen haben, um das Bild recht verstehen zu können. Nirgends im Lande wird ein so starker Tau wahrgenommen wie in den Landschaften nahe dem Hermon. C. W. M. van de Velde 1854.
  Wie reichlich der Tau des Hermon ist, davon hatten wir in Rascheia (am nördlichen Abhang des Hermon) sehr fühlbare Beweise. Ungleich andern Bergen, die allmählich aus schon selbst hochgelegener Umgebung aufsteigen und fern vom Meere liegen, erhebt sich der Hermon plötzlich zu einer Höhe von 2860 m aus einer Ebene, die nur wenig über dem Meeresspiegel erhaben ist. Diese Ebene selbst - das obere Jordantal und das Sumpfgebiet des Meromsees - ist zum größten Teil ein tiefer Morast, in den niemand eindringen kann und von wo die unter den Strahlen der fast tropischen Sonne gleichsam siedenden Dämpfe bei Tage beständig in die höheren Luftschichten aufsteigen. Die Erde hinwiederum kühlt sich des Nachts unter dem Einfluss des den oberen Teil des Hermon fast immer bedeckenden Schnees stark ab, und die feuchtwarme Luft schlägt daher an den Abhängen des Berges so reichlich als Tau nieder, wie wir es sonst nirgends erlebt haben. Der Tau drang überall hinein und sättigte alles mit Feuchtigkeit. Der Boden in unserem Zelt wurde davon aufgeweicht, unser Bett war ganz davon benetzt, unsere Flinten trieften, und allüberall glänzten uns die dicken Tautropfen entgegen. Es ist nicht zu verwundern, dass der Fuß des Hermon mit Obstgärten und andern Pflanzungen von solch erstaunlicher Fruchtbarkeit bekleidet ist - ein seltener Anblick in dem sonst vielfach jetzt so dürren Lande. - Da der Hermon 5. Mose 4,48 Sion heißt, halten etliche dafür, unter den Bergen Zion Ps. 133,3 sei das Gebiet des Hermon zu verstehen. (Jedoch wird jenes Sion anders geschrieben und ist etymologisch gar nicht verwandt.) Henry B. Tristram 1867.
  Was das Gleichnis belanget, halte ich, dass der Prophet nach gemeiner Weise rede. Denn gleichwie uns dünket, wenn wir einen Berg von ferne sehen, dass er den Himmel anrühre, also dünket uns auch, dass der Tau, der vom Himmel herabfällt, von den höchsten Bergen auf die nähesten Hügel komme. Martin Luther 1533.
  Bäthgen versteht den Ausdruck Hermontau als sprichwörtliche Bezeichnung für reichlichen Tau. Seiner Meinung nach denkt der Psalmist also nicht an einen physischen Zusammenhang zwischen der Feuchtigkeit des Hermongebirges und dem auf den Bergen Jerusalems fallenden Tau, sondern der Ausdruck wolle nur besagen: Tau, so reichlich, wie er auf dem Hermon fällt. Die Parallele des ersten Bildes, das die vom Haupte sich niederwärts mitteilende Art des Liebessegens hervorhebt, scheint uns jedoch für die gewöhnliche Auffassung des zweiten Bildes zu sprechen.
  Weil der Tau so erfrischend wirkt und ein Zeichen der Kühle ist, bringen wir ihn leicht in unseren Gedanken mit dem kühlen Luftstrom in Verbindung, und da der Bergstock des Hermon, des "Weißhaarigen Greises", das Land weithin beherrscht mit seinem herrlichen Anblick, ferner der Hermon wie der Libanon durch die außerordentliche Reichlichkeit seines Taues berühmt ist, ist das von dem Psalmisten gewählte Bild wohlverständlich. Naturwissenschaftlich betrachtet hat der Hermon jedoch für den auf die Berge Zions niederfallenden Tau gerade wie für den Regen wohl nur im Allgemeinen und mittelbar insofern Bedeutung, als die Nähe eines Wald- und Schneegebirges für den Feuchtigkeitsgehalt der Luft und die Niederschlagsmenge im Ganzen wichtig ist. Der Tau entsteht bekanntlich dadurch, dass der warme, mit Feuchtigkeit gesättigte, also vom Äquator und vom Meere herkommende Luftstrom mit der des Nachts abgekühlten Erde und Pflanzenwelt in Berührung kommt, wodurch der Luftstrom selber sich abkühlt und demgemäß nicht mehr soviel Feuchtigkeit behalten kann, sodass der Überschuss der Feuchtigkeit der Luft sich nun als Wasser an den Pflanzen niederschlägt. (Bei dem Regen vollzieht sich dasselbe, nur dass die Abkühlung dann schon in höheren Regionen stattfindet.) Die Bildung des Taues können wir ja leicht im Zimmer beobachten, wenn wir z. B. eine kaltes Wasser enthaltende Flasche in die warme, im Sommer mit Feuchtigkeit gesättigte Zimmerluft bringen: die Luft um die Flasche kühlt sich ab, und der Überschuss an Feuchtigkeit schlägt an der Flasche als Tau nieder. Dieser Tau hat mit dem Wasser in der Flasche an sich natürlich nichts zu tun, sondern kommt aus der durch die niedere Temperatur der Flasche sich abkühlenden feuchten Luft ringsum.
  Der Tau ist eine der herrlichen Gottesgaben, in denen wir Gottes Vatergüte und Weisheit bewundern können. Warum gibt es auf dem Mond keinen Tau, dagegen wohl auf der Erde, dem Mars (?), kurzum da, wo Geschöpfe sind, die sein bedürfen? Warum ist der Tau so unvergleichlich viel reichlicher in der heißen Zone, wo in der regenlosen Zeit die Pflanzenwelt ganz von ihm abhängig ist, als in der gemäßigten oder gar der kalten Zone? Warum wird das Gras, die Pflanzenwelt überhaupt, mit dem Tau vom Himmel getränkt, während die Landstraße hart daneben trocken bleibt? Das alles erklärt ja die Naturwissenschaft - immerhin müssen wir, um nur einen einzigen Tropfen Tau zu erklären, die ganze Kette der mannigfaltigen Kräfte und Naturgesetze des Weltalls erforschen und kommen tatsächlich mit nichts weniger aus bei diesem Versuch. Aber wenn wir diese ganze gewaltige Arbeit bewältigt hätten, dann haben wir immer noch nur die mittelbaren Kräfte und Bedingungen unserem Verständnis näher gebracht, und es bleibt das große Geheimnis, das über dem ganzen Weltall waltet und nur in dem Buch, das wir Gottes Wort nennen, dort aber schon in dessen ersten Worten gelüftet wird. - James Millard
  Daselbst, in Jerusalem, muss sich ja alles Gute und Liebe zusammenfinden, denn dort hat Jahve den Segen entboten, d. i. dort ihm seine Sammel- und Ausgangsstätte angewiesen. Leben ist des Segens Inhalt und Ziel, das Gut der Güter. Das Schlusswort "in Ewigkeit" gehört zu "entboten": so ist es Gottes unverbrüchlich ewig währende Ordnung. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


Homiletische Winke

V. 1. Christliche Eintracht. 1) Ihre herrlichen Vorzüge. 2) Die Zeichen ihres Vorhandenseins. 3) Die Ursachen ihres Verfalls. 4) Die Mittel zu ihrer Wiederherstellung.
  Betrachten wir an der Hand des Textes die Glieder des Gottesvolkes 1) in ihrer Eigenschaft als Brüder, 2) in ihrer Eintracht, 3) in ihrem gegenseitigen Glück. W. Jay † 1853.
V. 1-3. Sechs Segnungen, die mit der Eintracht verbunden sind: 1) Wohlfahrt, 2) Freude, 3) die Salbung, 4) der himmlische Tau der Gnade, 5) der Segen Gottes, 6) ewiges Leben.
  I. Beschauen wir uns das einträchtige Beisammenwohnen von Brüdern 1) in der Familie, 2) in der einzelnen Gemeinde des HERRN, 3) mit Brüdern derselben kirchlichen Gemeinschaft, 4) mit Brüdern anderer Kirchengemeinschaften. II. Vernehmen wir aus unserm Psalm das Lob solch einträchtigen Beisammenwohnens. 1) In wörtlicher Beschreibung: Es ist fein (wörtl. gut, heilsam) und lieblich. 2) In bildlicher Darstellung: Es ist von köstlichem Duft wie das hohepriesterliche Salböl, fruchtbar wie der Tau vom Hermon. 3) In geistlicher Redeweise: Es liegt ein besonderer Gottessegen darauf, der Leben schafft und ewig währt. George Rogers 1885.
  Vom einträchtigen Beisammenwohnen der Christen als Gemeinde. I. Die Angemessenheit solchen Beisammenwohnens: sie sind ja Brüder. Die christliche Bruderschaft ist etwas so Einzigartiges, Heiliges und Ewiges, dass der Mangel an Eintracht für jeden Kreis von Gläubigen geradezu eine Schande ist. Wahre Christen sind Brüder: 1) Weil sie von Gott geboren sind. Ihr Anspruch auf die Bruderschaft schließt die Forderung ein, dass sie ihrem Vater, der der Gott des Friedens ist, ähnlich zu werden trachten, vergl. Mt. 5,9. 2) Weil sie mit Christus verbunden sind als ihrem erstgeborenen Bruder, der die Einigkeit will, Joh. 17,21.22. Nach dieser Eintracht nicht zu trachten heißt im Grunde Christum verleugnen. 3) Weil wir durch einen Geist alle zu einem Leibe getauft sind, 1. Kor. 12,13, welche Einigkeit im Geiste fleißig zu halten ist, Eph. 4,3. 4) Weil wir berufen sind, ewig im Himmel beieinander zu wohnen; deshalb sollen wir schon hier nach der Vereinigung streben. II. Die besonderen Vorzüge des einträchtigen Beisammenwohnens: es ist beides, gut und lieblich. 1) Gut für das ganze Wirken und den Einfluss der Gemeinde; gut für die gegenseitige Erbauung und das Wachsen in der Gnade (2. Kor. 13,11); gut für das Gebetsleben der Gemeinde und die Erhörbarkeit der Gebete (Mt. 18,19, vergl. auch 1. Petr. 3,7); gut für die Empfehlung des Evangeliums gegenüber denen, die noch draußen sind (Mt. 5,16; Joh. 17,23). 2) Lieblich; denn es erzeugt glückselige Freude und ist Gott wohlgefällig. III. Wie ist solch einträchtiges Beisammenwohnen zu erhalten und zu fördern? 1) Dadurch, dass man Gottes Ehre sucht; denn das einigt, während das Geizen nach eigener Ehre entzweit. 2) Dadurch, dass man der Liebe Christi das Herz öffnet; denn diese dringende Macht (2. Kor. 5,14) schließt als mächtiges Bindemittel jeden Einzelnen mit dem andern zusammen, ebenso wie sie alle eng an Christum fesselt. 3) Dadurch, dass einer dem andern zu dienen sucht, statt nur den Wunsch zu haben, sich dienen zu lassen. Dabei erkennt man aber immer mehr, wie nötig einem auch die andern sind und wie sehr die Gemeinschaft ein Sich-gegenseitig-Dienen ist, und das bindet wiederum die Herzen zusammen. John Field 1885.
V. 2. Es muss besondere Gründe haben, warum gerade die Priestersalbung als Vergleich gewählt wird, und insbesondere die Salbung Aarons, nicht die irgendeines andern Hohepriesters. Die Gründe scheinen uns vor allem folgende zu sein: I. Das Salböl, womit die Priester geweiht wurden, war heilig; es war nach genauer göttlicher Vorschrift zubereitet und durfte nur zu ganz bestimmten gottesdienstlichen Zwecken gebraucht werden. Auch die christliche Gemeinschaft ist etwas Heiliges. Sie muss hervorquellen aus der Liebe, die der HERR geboten hat, und gegründet sein auf die Grundsätze, die Gott in seinem Worte niedergelegt hat und benutzt werden zu den Zwecken, die Gott verordnet hat. II. Die Salbung war von Gott, vermittelt durch Mose, der in dieser Sache an Gottes Stelle handelte. Die Einheit der Gemeinde ist gewirkt vom Heiligen Geiste (2. Kor. 13,13) durch Jesus als Mittler. III. Durch die Salbung wurde Aaron zum Dienste Gottes geweiht, und durch sie wurde er amtlich befähigt, priesterliche Handlungen zu vollziehen. Durch die Eintracht führt die Gemeinde als Ganzes ein gottgeweihtes Leben und dient sie in wirksamer Weise Gott in dem ihr übertragenen heiligen Priesterdienst. IV. Das heilige Salböl hatte die Eigenschaft, sich zu verbreiten; es blieb nicht auf Aarons Haupt, sondern floss herab auf seinen Bart und sein Gewand. Wo wahre Eintracht ist, ob auch zunächst nur in einem engsten Kreis weniger, da breitet sie sich aus; sie bahnt sich ihren Weg von den wenigen zum Ganzen, namentlich von den führenden Personen einer Gemeinde zu dem übrigen Teil. Darum ist sie auch etwas Persönliches; sie durch Liebe und einen vorsichtigen Wandel zu verbreiten ist eine Aufgabe, an der jeder mitwirken muss. John Field 1885.
V. 2.3. Die Liebe verbreitet ihren Segen, indem sie niederwärts fließt (vergl. V. 2 zweimal herabfließt, V. 3 herabfällt) 1) von Gott zu den Menschen, 2) von einem Gläubigen zum andern, 3) von den Gläubigen zu den noch Ungeretteten.
V. 3. Zion die von Gott erwählte Stätte des Segens. Zion das Bild der Gemeinde des HERRN, einer in Eintracht verbundenen Gemeine, einer vom Heiligen Geist betauten Gemeine. Welch ein Segen ist es für die Welt, dass eine Stätte da ist, wo der HERR den Segen entboten hat!
V. 3a. Der Tau des Hermon, der auf die Berge Zions niederfällt, ein Bild der einträchtigen Liebe in der Gemeinde des HERRN. I. Diese Liebe verachtet nicht die Kleinen, d. h. die Geringen, Armen, weniger Begabten usw. 1) Sie erkennt es an, dass Gott der Vater, Christus der Erlöser aller Gläubigen ohne Unterschied ist. 2) Sie erkennt die Einheit des lebendigen Glaubens als die wahrhafte Grundlage der Gemeinschaft an, nicht die Gleichheit an Reichtum, gesellschaftlicher Stellung, Bildung oder Geistesgaben. 3) Sie ist von der Überzeugung durchdrungen, dass auch das geringste Glied zu der Vollständigkeit des Leibes Christi nötig ist. 4) Sie macht mit der Erkenntnis Ernst, dass alles, was etwa den einen in irgendeiner Weise über den andern stellt, nichts als Gottes Gabe ist. II. Diese Liebe teilt von ihrem Reichtum den andern mit (Apg. 4,32-37): 1) Die an irdischem Gut Vermögenden den Armen (1. Joh. 3,17). 2) Die an Erkenntnis, Erfahrung usw. Reichen den Unwissenden. 3) Die Fröhlichen den Traurigen. 4) Die Starken den Schwachen, Irrenden. III. Diese Liebe bekundet ihren Wert mehr durch ihre so gern mitteilende Freigebigkeit als durch Schaugepränge vor der Welt. Der Hermon war für Zion von größerem Wert durch seinen Tau als durch sein majestätisches Landschaftsbild. 1) Freigebige Liebestätigkeit einer Gemeinde erfordert mehr wirkliche Gnade und ist ein besserer Erweis der Gnade als kunstvolle Kirchengebäude und schmuckvolle Gottesdienste. 2) Durch sie wird die Gottseligkeit besser gefördert als durch steife Vornehmheit oder gar prunkende Großtuerei einer Gemeinde. Zion wurde durch den Tau des Hermon befruchtet, nicht durch die Erhabenheit seines Anblicks. 3) Sie bewegt auch Christi Herz und sichert Lohn von ihm (Mk. 9,41). John Field 1885.

Fußnoten

1. So auch Luther 1524. Der Psalm betont das Beisammen wohnen. Das einträchtig, welches Luther später (als Übers. von dxaya ?) eingefügt hat, liegt zunächst nicht in dxy, wohl aber in dem Sinn des ganzen Satzes. - James Millard

2. Wörtl. Das gute Salböl. Man beachte, dass dies gut ein Wortspiel bildet mit dem gut des Grundtext

3. Dieser Saum ist aber schwerlich, wie Spurgeon und viele annehmen, der untere, sondern der obere Saum, wörtl. der "Mund", die Öffnung, durch die der Hals gesteht wird. Luther, der 1524 richtig, aber wenig poetisch, "aufs Loch seiner Kleider" übersetzte, hat hernach mit gutem Griff schlechtweg Kleid gesagt. - James Millard