Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 135 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Vorbemerkungen. Dieser Psalm hat keine Überschrift. Er ist der Hauptsache nach aus ausgewählten Bibelstellen zusammengefügt; man hat ihn daher ein Mosaik genannt und einem getäfelten Estrich verglichen. Der Anfang ist aus Ps. 113,1 und Ps. 134,1, während V. 2b uns an Ps. 116,19 erinnert und V. 4 auf 5. Mose 7,6 anspielt. Ruft uns V. 5 nicht Ps. 95,3 ins Gedächtnis? V. 6a ist aus Ps. 115,3, während V. 7 mit Jer. 10,13 beinahe gleich lautet. V. 13 finden wir in 2. Mose 3,15, V. 14 in 5. Mose 32,36. Die Vers 15-18 sind fast ganz gleich lautend mit Psalm 115,4-8, und der Schluss V. 19-21 ist von eben dort V. 9-11 nebst 118,2-4 entlehnt. (Die Vers 8-12 unseres Psalms werden wir in Psalm 136 wiederfinden.) Wir könnten noch vieles anführen, wenn wir eine Reihe einzelner Ausdrücke des Psalms auf ihre Grundstellen zurückführen wollten. Das ganze Lied ist eine Zusammensetzung aus vielen Schriftworten. Trotz dieser Art seiner Entstehung gibt der Psalm an festem Zusammenschluss des Inhalts und an Frische einem ursprünglichen Gedicht nichts nach. Der Heilige Geist wiederholt sich zuweilen; nicht als ob es ihm an Gedanken oder Worten mangelte, sondern weil es uns oft nützlich ist, die gleichen Dinge in der gleichen Form zu hören. Wenn unser erhabener Meister sich der Wiederholungen bediente, dann tat er es allerdings zumeist mit lehrreichen Abänderungen, die unsere sorgfältige Beachtung heischen.

Einteilung. Die ersten vierzehn Vers enthalten eine Aufforderung, Jehovah zu preisen, und zwar wegen seiner Güte, V. 3, seiner erwählenden Liebe, V. 4, seiner Erhabenheit, wie sie sich in der Natur offenbart, V. 5-7, seines richtenden und errettenden Waltens in der Geschichte, V. 8-12, der Unveränderlichkeit seines Wesens, V. 13, und seiner Heilsabsichten mit seinem Volke, V. 14. Darauf folgt, um die Größe Jehovahs noch besser ins Licht zu stellen, eine Gegenüberstellung der Götzen, V. 15-18. Den Schluss bildet eine erneute Aufforderung zum Lobe Jehovahs, V. 19-21. Der Psalm ist ein Gesang voll Leben und Kraft, abwechslungsreich und von dem Geiste der Anbetung durchweht.


Auslegung

1. Hallelujah!
Lobet den Namen des HERRN,
lobet, ihr Knechte des HERRN,
2. die ihr stehet im Hause des HERRN,
in den Höfen des Hauses unsers Gottes!
3. Lobet den HERRN, denn der HERR ist freundlich;
lobsinget seinem Namen, denn er ist lieblich!
4. Denn der HERR hat sich Jakob erwählt,
Israel zu seinem Eigentum.
5. Denn ich weiß, dass der HERR groß ist
und unser Herr vor allen Göttern.
6. Alles, was er will, das tut er,
im Himmel und auf Erden,
im Meer und in allen Tiefen;
7. der die Wolken lässt aufsteigen vom Ende der Erde,
der die Blitze samt dem Regen macht,
der den Wind aus seinen Vorratskammern kommen lässt;
8. der die Erstgeburten schlug in Ägypten,
beider, der Menschen und des Viehes,
9. und ließ seine Zeichen und Wunder kommen
über dich, Ägyptenland,
über Pharao und alle seine Knechte;
10. der viele Völker schlug
und tötete mächtige Könige,
11. Sihon, der Amoriter König,
und Og, den König zu Basan,
und alle Königreiche in Kanaan;
12. und gab ihr Land zum Erbe,
zum Erbe seinem Volk Israel.
13. HERR, dein Name währet ewiglich;
dein Gedächtnis, HERR, währet für und für.
14. Denn der HERR wird sein Volk richten
und seinen Knechten gnädig sein.


1. Hallelujah, d. i.: Lobet den HERRN! Mögen alle, die selber von heiligem Lobpreis überströmen, darauf hinwirken, den gleichen Sinn in andern zu erwecken. Es genügt nicht, dass wir selber Gott loben, wir sind der erhabenen Aufgabe von ferne nicht gewachsen; lasst uns alle unsere Freunde und Nachbarn zu Hilfe rufen, und sind sie bisher im Lobe Gottes lässig gewesen, so lasst uns sie mit liebevollem Mahnen dazu anspornen. Lobet den Namen des HERRN. Lobpreiset seine Vollkommenheiten und besinget mit heiligem Liede alles, was er von seinem Wesen geoffenbart hat; denn das ist’s, was mit dem Namen Gottes gemeint ist. In Sonderheit lasst seinen heiligen, unvergleichlich erhabenen Jehovahnamen den Gegenstand eurer Anbetung sein. In diesem Namen verkündigt er ja seine unbeschränkte Selbständigkeit und seine unbeschränkte Beständigkeit, also auch die unbedingte Freiheit seiner Gnade und die Unwandelbarkeit seiner Treue; möge beides euch zum Preis seiner Gottheit erwecken. Gedenkt seiner in Liebe, bewundert ihn innig, und dann rühmt ihn mit Eifer. Preiset den HERRN nicht nur im Allgemeinen, weil er Gott ist, sondern versenkt euch forschend in sein Wesen und sein Walten und bringt ihm also verständiges, seine Vollkommenheiten würdigendes Lob dar. Lobet, ihr Knechte des HERRN. Ob andere schweigen, so dürft ihr das doch nicht; ihr sollt die Ersten sein, seinen Ruhm zu singen. Ihr seid ja seine Diener, und dies ist ein Teil eures Dienstes. Sein Name ist über euch genannt, darum preiset seinen Namen. Ihr wisst, was für ein guter Meister er ist; darum redet wohl von ihm. Wer ihm nicht dienen mag, der wird sicher ihn auch nicht rühmen; da euch aber die Gnade zu seinen persönlichen Dienern erhoben hat, so möge euer Herz euch zu seinen Hofmusikern machen. Wir sehen in unserm Vers den Knecht des HERRN seine Mitknechte anspornen, indem er sie dreimal aufruft, den HERRN zu loben. Sind wir denn so lässig in diesem köstlichen Werk? Oder hat es darin seinen Grund, dass, auch wenn wir unser Äußerstes tun, doch alles zu wenig ist für einen solchen Herrn? Beides ist wahr. Wir preisen unseren Gott nicht genug, und wir können darin nicht zu viel tun. Wir sollten stets darin verharren, dem hier gegebenen Befehle gemäß: Lobet - lobet - lobet! Lasst uns den Dreieinigen mit Geist, Seele und Leib preisen; im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lasst uns ihm ein dreifaches Hallelujah darbringen.

2. Die ihr stehet im Hause des HERRN, in den Höfen des Hauses unseres Gottes. Ihr seid hoch bevorzugt, denn ihr seid das Hausgesinde des Palastes, steht dem Vater der himmlischen Familie am nächsten und dürft in seinem Haufe wohnen; darum müsst ihr auch mehr als alle andern von Dank überfließen. Ihr stehet im Tempel, ihr habt da euren Stand und bewegt euch allezeit in seinen verschiedenen Vorhöfen; darum erwarten wir von euch nimmer aufhörenden Lobpreis. Sollten nicht in der Tat die Diener des HERRN dafür berühmt sein, dass sie den Ruhm des HERRN eifrig treiben? Sollten nicht diejenigen, die in der Gemeinde irgendein Amt haben, alle andern übertreffen in der köstlichen Pflicht, den HERRN anzubeten? Sollten nicht alle, die zum Hause Gottes gehören, ein Hallelujah anstimmen? Sollten nicht auch jene, die in den äußeren Vorhöfen dem HERRN zu Dienst stehen, sich mit vereinigen in seiner Verehrung? Sollten nicht selbst die Geringsten und Schwächsten unter seinem Volk seinen Ruhm verkündigen in Gemeinschaft mit denen, die dem HERRN am nächsten stehen? Ist es nicht angemessen, sie alle an ihre Verpflichtungen zu erinnern? Dann wollen wir es dem Psalmisten danken, dass er dies hier wie an so mancher anderen Stelle tut. Menschenkinder, die Jehovah ihren Gott nennen dürfen, sind reich gesegnete Leute, die ihn immerdar lobpreisen sollten. Dies Wort "unser Gott" ist vielleicht das köstlichste Wort in diesen beiden Versen. Dieser Gott ist unser Gott immer und ewiglich (Ps. 48,15). Unser Gott, das bedeutet: Er hat sich uns zu Eigen gegeben, und wir stehen in Gemeinschaft mit ihm, wir sind uns seiner gewiss, und o wie selig ist dieses traute Verhältnis zu ihm!

3. Lobet den HERRN. Tut es abermals; fahrt darin fort; macht es noch besser, tut es noch inniger und eifriger; tut es in immer wachsendem Chore; tut es sofort. Es gibt der Gründe viel, warum wir den HERRN loben sollten, und einer der vornehmsten ist der: Denn der HERR ist gut (wörtl.). Er ist so gut, dass niemand außer ihm in dem gleichen Sinne gut ist. Er ist so gut, dass alles Gute in ihm erfunden wird, von ihm ausströmt und durch ihn belohnt wird. Unser Wort Gott bezeichnet ihn ja als den Inbegriff alles Guten, und dass Gott gut ist, das erweist sich uns Menschenkindern vor allem auch darin, dass er gütig oder, wie Luther es hier ausdrückt, freundlich ist. Sollten wir seine Güte nicht preisen? Ja, mit unseren besten Gedanken und Worten und Liedern lasst uns ihn erhöhen! Lobsinget seinem Namen, denn er oder es ist lieblich. Wir können das Eigenschaftswort entweder mit Luther nach Ps. 54,8 auf den Namen beziehen oder unter Vergleichung von 147,1 auf das Lobsingen. Das Lob des HERRN in heiligen Liedern zu singen ist eine unserer größten Freuden; das kommt daher, dass wir zu Gottes Preise geschaffen sind. Es ist eine süße, herzerquickende, unseren Geist erhebende Pflicht, den lieblichen Namen unseres Gottes zu rühmen. Das höchste Vergnügen finden wir in der frohlockenden Anbetung Jehovahs; alle Freuden sind in seinem heiligen Namen enthalten, wie Wohlgerüche in einem Garten voller Blumen schlummern. Die Gedanken erweitern sich, die Seele wird emporgehoben, das Herz wird warm, unser ganzes Wesen mit Wonne erfüllt, wenn wir damit beschäftigt sind, das erhabene Lob unseres Vaters, unseres Erlösers und unseres Trösters zu singen. Wenn ein Werk sowohl gut als lieblich ist, dann tun wir wohl, uns ihm ganz hinzugeben; doch lobsingen leider wohl nur wenige von uns auch nur annähernd so viel dem HERRN, wie wir zu den Menschen reden.

4. Denn der HERR hat sich Jakob erwählt. Sollten da nicht die Kinder Jakob Jehovah preisen, der sie in so einzigartiger Weise bevorzugt hat? Die Wahl der Gnade ist einer der kräftigsten Beweggründe zu anbetender Liebe. Erwählt, und erwählt für ihn selbst - wer kann dafür dankbar genug sein, wenn er an diesem Vorrecht Anteil hat? Jakob habe ich geliebt, spricht der HERR (Mal. 1,2), und er gibt keinen anderen Grund an, als dass er es also gewollt hat. Jakob hatte da noch weder Gutes noch Böses getan, aber der HERR fasste den Entschluss, ihn mit seiner erwählenden Gnade zu umfangen. Sagt man, Gott habe diese Wahl auf Grund dessen getroffen, dass er Jakobs Charakter zuvorerkannt habe, so wird die Sache noch wunderbarer; denn an Jakob war wahrlich wenig genug, was solche Bevorzugung verdiente. Er war von Natur keineswegs ein so besonders liebenswürdiger Mensch. Nein, die schlechthin freie Gnade war es, die die Wahl bestimmte. Aber merken wir, diese Wahl hatte nicht das als vornehmsten Zweck, dass Jakobs Nachkommen sich der Wohlfahrt erfreuen möchten; das Volk ward von Gott erwählt für ihn selbst, dass Gottes Plan und Ratschluss, alle Menschen zu segnen, erfüllt werde. Jakobs Geschlecht ward dazu erkoren, Gottes Eigen zu sein, auf dass sie die Wahrer seiner Wahrheit seien, dass seine Anbetung durch sie unter der Menschheit aufrechterhalten werde und seine Gnade sich in ihnen abspiegele. Erwählt waren sie; aber vornehmlich zu dem Zwecke, dass sie ein heiliges Volk des Eigentums seien, ausgesondert zum Dienst des allein wahren Gottes.
  Israel zu seinem (kostbaren) Eigentum. Gottes Wahl erhöht; denn hier wird der Name geändert von Jakob, dem Betrüger, zu Israel, dem Gottesfürsten. Gottes Liebe schenkt einen neuen Namen, und sie verleiht uns auch einen ganz neuen Wert; denn der Vergleich mit einem kostbaren, auserlesenen Gut, einem königlichen Schatze ist überaus ehrenvoll. Das Wort des Grundtextes, welches Luther hier und überall einfach mit Eigentum übersetzt, heißt buchstäblich: "das, was man umschließt", bedeutet also mehr als Eigentum, etwa Schatz. Wie Könige einen fürstlichen Schatz haben und eine auserlesene Sammlung der köstlichsten Edelsteine, so geruht der HERR sein auserwähltes Volk als seinen Reichtum oder Schatz anzusehen, als sein auserlesenes Kleinod, seinen Krondiamanten, seine Freude und das Zeichen seiner Ehre und Herrlichkeit. Welch hohe Ehre für das geistliche Israel, dass es dies alles ist für den HERRN, seinen Gott! Wir sind ihm lieb und wert, und herrlich vor seinen Augen. Wie könnten wir anders als ihm von tiefstem Herzensgrunde in den süßesten Klängen lobsingen? Wenn wir nicht seinen Ruhm verkündigten, so würden die Steine auf den Straßen wider uns schreien.

5. Denn ich weiß, dass der HERR groß ist und unser Herr vor allen Göttern. Gottes Größe ist ein ebenso triftiger Grund zu seiner Anbetung wie seine Güte. Gott ist groß schlechthin, er wird uns größer, wenn wir den Versuch machen, ihn mit anderen Wesen zu vergleichen, ja er ist der Größte - groß über alle Götter. Davon hatte der Psalmist eine feste persönliche Überzeugung. Er sagt bestimmt: Ich weiß das, und vielleicht ist das erste Wort des Verses nicht mit "denn" zu übersetzen, sondern als versichernder Ausruf zu verstehen: Ja ich weiß, dass Jehovah groß ist und alle Götter überragt. Das ist ein Wissen, das des Besitzes wert ist. Er wusste es durch Beobachtung, durch Offenbarung und durch persönliche Erfahrung des Glaubens. Er war kein Mann von dem Schlage unserer modernen Agnostiker, die an allem zweifeln und nichts Gewisses wissen, sondern er hatte eine bestimmte und klare Erkenntnis. Er kannte den großen Gott, und er wusste, dass dieser als der Allherr (Adonai) unendlich erhaben ist über all die eingebildeten Gottheiten der Heiden und alle anderen Großen daneben. Manche haben gemeint, sie könnten Jehovah verehren und neben ihm andere Götter; dieser Mann Gottes aber wollte nichts von solcher Weitherzigkeit wissen. Andere haben ihre Religion mit dem Gehorsam gegen die ungerechten Gesetze tyrannischer Fürsten vereinigen zu können geglaubt; auch dies aber weist der Psalmsänger entschieden von sich, denn er betrachtete den lebendigen Gott als schlechterdings erhaben über alle jene Menschen, die als Amtleute und Fürsten auch etwa Götter genannt wurden. - Übersetzt man den Anfang des Verses mit denn, so ist dies Denn das vierte von den fünf, die in unserem Psalm (V. 3.4.5.14) enthalten sind und deren jedes einen Grund für Gottes Lob einführt. Eine eingehende Betrachtung dieser fünf Gründe könnte sehr fruchtbringend sein.

6. Alles, was er will, das tut er (Jehovah, Grundtext), im Himmel und auf Erden, im Meer und in allen Tiefen. Sein Wille gilt im ganzen unermesslichen Raum. Dieses Königs Befehl läuft in jeden Teil des Weltalls. Die Heiden teilten das große Herrschaftsgebiet unter eine Menge von Göttern; aber Jupiter herrscht nicht im Himmel, noch Neptun im Meer, noch Pluto in der Unterwelt, sondern Jehovah herrscht über alles. Seinen Ratschluss macht niemand zunichte, seine Zwecke werden nicht vereitelt; auch nicht in einem einzigen Stück wird das Wohlgefallen seines Willens umgestoßen. Das "alles" ist wörtlich zu verstehen, ohne alle Einschränkung, und die vier räumlichen Bezeichnungen umfassen den ganzen Umfang des Raumes; also gilt die Aussage des Textes ohne Beschränkung und Ausnahme. Jehovah führt seinen Willen aus; wenn es ihm beliebt, etwas zu tun, so setzt er alsbald sein Wohlgefallen in die Tat um. Niemand vermag seiner Hand zu wehren. Wie verschieden ist er doch darin von den Göttern, die nach den Fabeln der Heiden all den Enttäuschungen, Missgeschicken und Leidenschaften der Menschen unterworfen waren. In welchem Gegensatz steht dies Gottesbild der Schrift aber auch zu jenen christlich genannten Anschauungen von Gott, die ihn dem Willen des Menschen unterordnen und seine ewigen Ratschlüsse zum Spielball menschlicher Willkür machen! Unsere Theologie lehrt uns keine solchen erniedrigenden Begriffe von dem Ewigen, wonach er durch den Menschen am Gängelband geführt oder seine Pläne durchkreuzt werden können. Sein Ratschluss hat Bestand, und er tut alles, was ihm gefällt (Jes. 46,10). Kein Himmelsgebiet ist zu hoch, kein Abgrund zu tief, kein Land zu fern, kein Ozean zu weit für seine Allmacht; sein Wille läuft durch das ganze weite Reich der Natur, und seine Befehle finden Gehorsam.

7. Der die Wolken lässt aufsteigen vom Ende der Erde. Nun lehrt uns der Psalmist die Macht Gottes in der Schöpfung beschauen. Über die Bildung der Wolken denken viele gar nicht nach, weil wir diese Naturerscheinungen alle Tage vor uns haben. Was man zu sehen gewohnt ist, das verliert sein Wunderbares für den, der den Dingen nicht auf den Grund geht; aber für jeden, der sich hineinvertieft, bleibt auch das Tagtägliche ein Gegenstand des Staunens. Wenn wir erwägen, in welch gewaltigem Maße die Verdunstung, die zu der Nebel- und Wolkenbildung führt, beständig vor sich geht und wie notwendig diese für die Erhaltung alles Lebens ist, so mögen wir wohl die Weisheit und Macht bewundern, die sich darin entfalten. Überall um uns her steigen die Dünste auf, verdichten sich zu Wolken und kommen schließlich als Regen wieder hernieder. Wo die Feuchtigkeit ursprünglich aufgestiegen ist, woraus sich der Regen gebildet hat, der die Blumen in deinem Garten erquickt, das würde wohl schwer festzustellen sein; soviel ist gewiss, dass die Hauptmenge derselben im Allgemeinen aus den tropischen Meeren und andern fernen Orten "am Ende der Erde" kommt. Der HERR ist es, der die Dünste aus Meer und Urwald aufsteigen und die Wolken vom Horizont herauffahren lässt, und nicht ein bloßes Naturgesetz; denn was wäre ein Gesetz, wenn nicht eine Kraft dahinterstünde? Der die Blitze samt dem Regen macht. Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen der elektrischen Spannung der Luft, die sich im Gewitter auslöst, und den Wassermassen, die als Regen niederstürzen und das Land befruchten. Der Blitz ist nicht als eine willkürlich sich äußernde Kraft zu betrachten, sondern er ist ein Teil jener wunderbar kunstvollen Einrichtungen, durch die die Erde in dem für das Leben der Geschöpfe dienlichen Zustande gehalten wird. Er ist eine Kraft, die ebenso wie jede andere unter dem Befehle Gottes steht und zu unserer Erhaltung höchst wichtig ist. Luftfeuchtigkeit, Regen, Winde und elektrische Ströme fluten in beständiger Bewegung durch die Welt als deren Herzblut und Lebensodem. Der den Wind aus seinen Vorratskammern kommen lässt. Diese gewaltige Kraft, die scheinbar ganz ihrem eigenen ungestümen Willen überlassen ist, steht in Wahrheit unter der festen Oberhoheit und sorglichen Herrschaft des HERRN. Wie ein Monarch vor allem auch über das, was seine Schatzkammern bergen, Herr ist, so ist unser Gott der Herr über Sturm und Windsbraut. Und wie Fürsten ihre Schätze nicht verschleudern, sondern über die Ausgaben der Krone genau Buch führen, so verschwendet auch der Schöpfer den Wind nicht zwecklos. Alles in der stofflichen Welt steht unter der unmittelbaren Leitung und Aufsicht des Herrn der Welt. Beachten wir, wie der Psalmist das persönliche Handeln Jehovahs hervorhebt: Er führt die Wolken herauf, er schafft die Blitze samt dem Regen, er holt den Wind aus seinen Schatzkammern hervor. Allüberall wirkt alles der HERR, und es gibt keine Gewalt und Kraft, die sich seiner Oberhoheit entziehen könnte. Wie gut ist’s für uns, dass dies die Wahrheit ist! Eine einzige Kraft, die gleichsam als Bandit, Gottes Obermacht trotzend, durch das Reich der Natur streifen würde, würde Furcht und Schrecken über alle Gebiete verbreiten. Lasst uns den Höchsten preisen für die Macht und Weisheit, womit er Wolken und Blitze und Winde und alle anderen macht- und geheimnisvollen Kräfte des Weltalls beherrscht. Nächst der Bibel ist die Natur das beste Erbauungsbuch des Kindes Gottes.

8. Der die Erstgeburten schlug in Ägypten, beider, der Menschen und des Viehes. Nun besingt der Psalm die machtvollen Offenbarungen Gottes in der Heilsgeschichte Israels. Auch für seine Gerichte ist der HERR zu preisen; denn jene tödlichen Streiche in Ägypten waren eine Handlung der Gerechtigkeit gegen die Bedrücker des Gottesvolkes und eine Handlung der erbarmenden Liebe gegen dieses. Aber was für ein Schlag war es! Alle Erstgeborenen im ganzen Lande in einem und demselben Augenblick eine Beute des Todes! Welch ein Entsetzen muss die ganze Nation da erfasst haben! Da wurden auch die kühnsten Feinde Israels alles Mannesmutes beraubt. Die Tiere, zumal die Haustiere, müssen wegen ihrer nahen Beziehung zu dem Menschen, dem Herrn der Erde, in mannigfaltiger Weise mit dem Menschen leiden. Die Erstgeburten des Viehes mussten geradeso wie die erstgeborenen Söhne ihrer Eigentümer sterben, weil der Schlag das ägyptische Volk in Betäubung und Verwirrung setzen sollte, und das Gericht erreichte in der Tat seinen Zweck. Israel, der erstgeborene Sohn Jehovahs, war arg geschlagen und misshandelt worden, und er wurde befreit dadurch, dass der HERR den Unterdrückern mit gleicher Behandlung vergalt.

9. Und ließ seine Zeichen und Wunder kommen über dich, Ägyptenland, über Pharao und alle seine Knechte. Auch in diesem Vers richtet der Psalmist unser Auge auf das persönliche Handeln Gottes. Je deutlicher Gottes Walten erkannt wird, desto besser. Auch in seinen Gerichten ist er zu schauen, so gut wie in seinen Gnadentaten. Die ägyptischen Plagen waren nicht nur entsetzliche Wundertaten, die die Menschen bestürzt machten, sondern auch mächtige Zeichen, die ihnen eindringliche Lehren vor Augen führten. Es kann kein Zweifel sein, dass die Plagen auf die mancherlei Gottheiten der Ägypter zielten und diese in ihrer ganzen erbärmlichen Ohnmacht an den Pranger stellten. Jede der zehn Plagen hatte da ihre besondere Bedeutung. Die Gerichte des HERRN waren keine harmlosen Seitenstöße; sie trafen das Volk ins Herz: Der HERR sandte seine Pfeile "mitten in dich, Ägyptenland" (wörtl.). Diese Wunder geschahen inmitten der stolzen, durch den Kastengeist beherrschten Nation, die sich über andere Völker hoch erhaben dünkte; und viele der Plagen trafen das Volk an den empfindlichsten Punkten seines Stolzes und Ruhmes. Der Psalmsänger redet die hochmütige Nation an: "mitten in dich, o Ägyptenland ", als wollte er es an die demütigenden Zurechtweisungen erinnern, die ihm durch des HERRN rechte Hand zuteil geworden waren. Der befehlshaberische Pharao war der Rädelsführer in der Empörung wider Jehovah gewesen, und er musste persönlich dafür büßen; aber auch seine schmeichlerischen Höflinge entgingen nicht der Strafe, auf jeden von ihnen sauste die göttliche Zuchtrute nieder. Gottes Knechte haben es doch besser als die Knechte Pharaos! Die in den Vorhöfen Jehovahs stehen, erfahren Gottes Heil, während die Hofleute Pharaos samt und sonders von Gottes Gerichten getroffen wurden, weil sie alle sich an seinen bösen Werken mitschuldig gemacht hatten. Preiswürdig ist der HERR, dass er also sein Volk errettet hat, während er dessen grausame Widersacher in des Todes Staub legte. O dass kein Israelit das Lied vom Schilfmeer vergesse! Möge immer wieder neu der Ruf sich hören lassen, der uns zu frohlockendem Lobpreis auffordert: Lasst uns dem HERRN singen, denn er hat eine herrliche Tat getan. (2. Mose 15,21)

10. Der viele Völker schlug und tötete mächtige Könige. Die Völkerschaften Kanaans nahmen teil an dem verzweifelten Widerstande, den ihre Beherrscher Israel und dessen Gott entgegenstellten, und erlitten darum schwere Niederlagen, während ihre Könige, die Anführer in dem Kampfe, getötet wurden. Dass der Völker viele waren und ihre Könige große Macht besaßen, nützte nichts gegenüber dem Allmächtigen. Er ist gerüstet, an allen denen Strafgerechtigkeit zu üben, die sich seinen Ratschlüssen widersetzen; wer da wähnt, der HERR sei zu weichlich, um zuzuschlagen, der täuscht sich in dem Gott Israels! Jehovah hatte die Absicht, die Welt durch sein auserwähltes Volk zu segnen, und von diesem seinem Beschluss ließ er sich nicht abwenden; er war entschlossen, koste es, was es wolle, die Leuchte der Wahrheit, die er angezündet hatte, zu erhalten, und ob auch bei der Verteidigung derselben das Blut von ganzen Völkerschaften vergossen werden musste. Die gegen die kanaanitischen Stämme geführten Kriege waren der Preis, der gezahlt werden musste für die Begründung eines Volkes, das dazu ausersehen war, die Offenbarungen Gottes für die ganze Welt zu bewahren.

11. Sihon, der Amoriter König, und Og, den König zu Basan. Diese beiden Könige waren die ersten, die Widerstand leisteten, und gehörten zu den Angesehensten unter den Widersachern; dass sie geschlagen wurden, ist deshalb ein besonderer Anlass zum Lobpreis für treugesinnte Israeliten. Die Feindschaft dieser beiden Könige war mutwillig und durch keinerlei Reizung begründet; darum war ihr Sturz Israel desto willkommener. Sihon war in seinem Kriege mit Moab siegreich gewesen und gedachte mit Israel schnell fertig zu werden; Og war von dem Geschlecht der Riesen und flößte den Israeliten daher besonderen Schrecken ein; aber der vorhergehende Sieg über Sihon hatte ihren Mut belebt, und bald fiel auch dieser Recke unter ihrem Schwert. Und alle Königreiche in Kanaan. Groß war die Zahl dieser kleinen Herrscherreiche, und etliche von ihnen waren stark bevölkert und hatten mächtige Festungen; aber sie alle fielen unter der erobernden Hand Josuas, denn der HERR war mit ihm. Geradeso, ob auch mit anderen Waffen, werden die Feinde des Volkes des HERRN in unseren Tagen aufs Haupt geschlagen werden; Satan und die widergöttliche Welt werden gestürzt und all die Heere der Sünde vernichtet werden; denn unser Josua, ein größerer denn jener, zieht aus vor unserem Heer, sieghaft und dass er siege (Off. 6,2).
  Achten wir darauf, dass wir in diesem Vers die Einzelheiten von dem vor uns haben, was im vorigen Vers im Allgemeinen erwähnt war. Wenn wir von Gottes Gnadentaten im Großen und Ganzen gesungen haben, tun wir gut, sie einzeln eine nach der andern zu betrachten und jeder Hilfe und jeder Segnung, die wir erfahren haben, einen besonderen Raum in unserem Liede zu geben. Es dient uns zur Stärkung des Glaubens, wenn wir von Gottes Erlösungswerk umfassende Denkschriften bewahren, so dass wir nicht nur im Allgemeinen von mächtigen Königen singen, sondern auch von Sihon, der Amoriter König, und Og, dem König von Basan, im Einzelnen.

12. Und gab ihr Land zum Erbe, zum Erbe seinem Volk Israel. Jehovah ist der Oberlehnsherr der ganzen Welt, der den Völkern ihr Land zu Lehen gibt, und zwar so, dass er die Lehensfrist jederzeit nach seinem Belieben aufhören lassen kann. Die Völkerschaften Kanaans waren durch schändliche Laster dem HERRN unerträglich geworden; darum erging über sie von ihm, dem Richter aller Welt, das Urteil, dass sie ausgerottet werden sollten aus dem Lande, das sie verunreinigten. Die zwölf Stämme wurden beauftragt, als Scharfrichter an ihnen das Urteil zu vollstrecken, und als Entgelt sollten sie Kanaan zum Besitz erhalten. Vor alters schon hatte der HERR dies Land Abraham und seinem Samen verliehen, aber er gestattete den Amoritern und den anderen kanaanitischen Völkern noch darin zu wohnen, bis ihre Missetat voll war; dann befahl er seinem auserwählten Volke, das Land, das diesem gehörte, aus den Händen der Inhaber zu nehmen. Das Land Kanaan war Israels Erbteil, weil Israel des HERRN Erbteil war, und er gab es dem Volke nun tatsächlich, weil er es ihm längst schon durch Verheißung gegeben hatte.
  Die Auserwählten des HERRN haben auch heute noch ein Erbteil, das niemand ihnen vorenthalten kann. Bundessegnungen von unschätzbarem Wert sind ihnen verbürgt, und so wahr Gott ein Volk hat, das ihm zu Eigen gehört, so wahr soll sein Volk auch ein Erbteil haben. Es fällt ihnen zu als Geschenk, wiewohl sie darum zu kämpfen haben. Oft ereignet es sich, dass sie, wenn sie eine Sünde niedergestreckt oder eine Schwierigkeit überwunden haben, mit reicher Beute belohnt werden; ihnen dient auch das Übel zum Guten, und Anfechtungen sind ihnen Vorboten von Siegen. Kein Feind soll so übermächtig werden, dass er ihnen wirklich schaden kann; denn sie werden da ein Erbteil für sich bereitet finden, wo sich ihnen einst "alle Königreiche Kanaans" entgegengestellt hatten.

13. HERR, dein Name währet ewiglich. Gottes geoffenbartes Wesen, seine Denk- und Handlungsweise sind unwandelbar; und auch sein Ruhm und seine Ehre werden bleiben in alle Ewigkeit. Immerdar wird in dem Namen Jesu für uns das Leben sein und Freude und Trost. Und diejenigen, über welchen der Name des HERRN genannt ist, werden durch diesen erhalten werden und bewahrt vor allem Übel, auch dann noch, wenn die gegenwärtige Weltzeit zu Ende ist. Jehovah ist ein Name, der die Jahrtausende überdauert und die Fülle seiner Herrlichkeit und Macht ewiglich behalten wird. Dein Gedächtnis, HERR, währet für und für. Nie werden die Menschen dich, unseren HERRN und Meister, vergessen. Die heiligen Verordnungen deines Hauses werden dich in der Menschen Gedächtnis erhalten, und dein ewiges Evangelium und die Gnade, die es begleitet, werden die Menschenkinder stets an dich erinnern. Für und für werden dankbare Herzen zu deinem Preise schlagen und erleuchtete Gemüter fortfahren, über deine wunderbaren Werke und Taten zu staunen. Die Denksteine der Menschen zerbröckeln, aber des HERRN Gedächtnis bleibt für und für. Was für kräftiger Trost ist das für zaghafte Gemüter, denen das Herz bangt um die Lade Gottes (1. Samuel 4,13). Nein, o du köstlicher Name, du wirst niemals untergehen! Du Ruhm des Ewigen, du wirst niemals erlöschen!
  Dieser Vers ist in seinem Zusammenhang auszulegen; dann führt er uns die Wahrheit vor, dass die Ehre und der Ruhm, die der HERR sich durch den Umsturz der mächtigen Könige erobert hat, niemals ersterben werden. Israel erntete lange Zeit die Früchte von dem Ansehen, das die Siege Jehovahs dem Volke erworben hatten. Und indem der HERR so seinen mit Abraham geschlossenen Bund hielt, darin er versprochen hatte, seinem Samen das Land zu geben, machte er es überdies ganz klar und gewiss, dass sein Bund und seine Verheißungen ihm allezeit vor Augen sein, niemals aus seinem Gedächtnisse schwinden würden. Sein Name währet für und für in all seiner Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit; davon ist Beweis, dass diejenigen, die das Israel gelobte Land innehatten, ausgetrieben wurden, damit die rechtmäßigen Erben desselben darin im Frieden wohnen könnten.

14. Denn der HERR wird sein Volk richten. Er wird persönlich an ihnen Zucht üben und es nicht ihren Feinden überlassen, sie nach Belieben zu misshandeln. Hat die Züchtigung ihren Zweck erreicht, so wird er sich aufmachen und sein Volk rächen an seinen Unterdrückern, die er für eine Weile als Rute gebraucht hat. Es mag ja manchmal scheinen, als vergesse er seines Volks, aber das ist nicht der Fall; er wird die Sache der Seinen führen und sie erretten. Die "Richter" Israels waren ja auch die "Heilande" des Volks, die es erlösten von seinen Unterdrückern (Richter 3,9); darin waren sie die Werkzeuge des HERRN der Heerscharen, der der Heiland Israels ist (1. Samuel 14,39). In diesem Sinne ist es auch hier zu verstehen, dass der HERR sein Volk richten wird: er wird seinem bedrängten Volke Recht schaffen. Und seinen Knechten gnädig sein oder mit ihnen Mitleid haben. Wenn er sie hat züchtigen müssen und sie gedemütigt vor ihm liegen, wird er mit ihnen fühlen, wie ein Vater, den sein Kind erbarmt, denn er betrübt nicht von Herzen. Es geht Gott durchs Herz, wenn er seine Geliebten unter der Bedrückung ihrer Feinde so muss leiden sehen; wiewohl sie alles, was sie leiden, wohl verdient haben, und mehr als das, so kann der HERR sie doch nicht sich in Schmerzen winden sehen, ohne dass es ihm selber nahe geht. Es ist bemerkenswert, dass die Nationen, durch welche Gott Israel gezüchtigt hat, samt und sonders vertilgt worden sind, als könnte das zarte Vaterherz die Werkzeuge nicht mehr sehen, mittelst deren seine Kinder bestraft worden sind. Israel wird hier erst "sein Volk", dann "seine Knechte" genannt: als sein Volk richtet er sie, als seiner Knechte schont er ihrer, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient (Mal. 3,17), denn es rührt ihn, wenn er sieht, wie sie sich bestreben, ihm zu dienen. Sollten die Knechte dieses guten Herrn ihn nicht preisen? Pharaos Knechte plagte er; aber mit seinen Knechten hat er Mitleid und wendet sich ihnen wieder huldvoll zu, nachdem er sie in treuer Liebe um ihrer Missetaten willen gezüchtigt hat. Ja, lobet ihn, ihr Knechte des HERRN!
  Nun kommen wir zu dem Teil des Psalms, worin der heilige Sänger die Götzen an den Pranger stellt. Diese scharfe Satire reiht sich sehr natürlich an das Vorhergehende, wo der Psalmist die Herrlichkeit des allein wahren und lebendigen Gottes gefeiert hatte.


15. Der Heiden Götzen sind Silber und Gold,
von Menschenhänden gemacht.
16. Sie haben Mäuler und reden nicht;
sie haben Augen und sehen nicht;
17. sie haben Ohren und hören nicht;
auch ist kein Odem in ihrem Munde.
18. Die solche machen, sind gleich also,
alle, die auf solche hoffen.


15. Der Heiden Götzen sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. Ihr Wesen ist nicht Geist, sondern totes Metall, ihre Eigenschaften sind nur Beschaffenheiten vernunft- und gefühlloser Stoffe, und was sie an Form und Gestalt ausweisen, das verdanken sie der Kunst und Arbeit derer, die ihnen nun Anbetung darbringen. Es ist der Gipfel des Wahnsinns, Metallfabrikate anzubeten. Wiewohl Silber und Gold uns nützlich sind, wenn wir davon den richtigen Gebrauch machen, ist an ihnen nichts, das ihnen irgendwelchen Anspruch auf Verehrung und Anbetung geben könnte. Wenn wir nicht wüssten, dass die traurige Tatsache unleugbar ist, würde es uns unmöglich dünken, dass sich vernunftbegabte Wesen vor Gebilden niederwerfen könnten, deren Stoff sie selber von den Schlacken reinigen und denen sie mit eigener Hand eine Form geben mussten. Man würde es noch für weniger albern halten, wenn die Menschen ihre eigenen Hände anbeteten, als dass sie das als einen Gott verehren, was jene Hände gemacht haben. Was für große Taten werden diese Scheingottheiten für den Menschen vollbringen, da sie selber das Werk von Menschen sind? Die Götzen eignen sich wahrlich besser als Spielzeug wie die Puppen für die Kinder, denn dass sie von erwachsenen Menschen angebetet werden! Der Mensch gebraucht seine Hände besser dazu, Gegenstände, die zu solch blödsinnigem Gebrauch verwendet werden können, zu zerbrechen, als sie zu verfertigen. Dennoch lieben die Heiden ihre scheußlichen Götzen mehr als Silber und Gold; es wäre gut, wenn wir von manchen, die sich gläubige Christen nennen, sagen könnten, dass ihre Liebe zu ihrem Gott und Heiland dies Maß erreiche!

16. Sie haben Mäuler, denn ihre Bildner haben sie sich selber ähnlich gemacht. Ein Loch ist da, wo sich der Mund befinden sollte, und doch ist es kein Mund, denn sie essen nicht und reden nicht. Sie können mit ihren Anbetern keinerlei Verkehr pflegen; sie sind stumm wie das Grab. Vermögen sie nicht einmal zu sprechen, dann stehen sie ja sogar hinter unseren Abc-Schützen zurück. Jehovah spricht, und es geschieht; aber diese Götzenbilder bringen nie ein Wort heraus. Wahrlich, wenn sie reden könnten, so würden sie ihren Verehrern deren Unsinnigkeit vorhalten. Ist aber ihr Schweigen nicht ein noch eindringlicherer Tadel? Wenn übrigens gewisse gelehrte Leute leugnen, dass Gott sich irgendwie redend geoffenbart habe, so bekennen sie damit, dass auch ihr Gott stumm ist.
  Sie haben Augen und sehen nicht. Wem würde es einfallen, einen blinden Menschen anzubeten? Wie können dann die Heiden so unsinnig sein, sich vor einem blinden Götzenbilde niederzuwerfen? Die Augen der Götzenstatuen sind oft sehr kostbar, man hat Diamanten von seltener Größe dazu verwendet;1 aber was nützen die darauf gewandten Millionen, da die Götzen trotzdem nichts sehen? Wenn sie uns nicht einmal zu sehen vermögen, wie können sie dann unsere Bedürfnisse kennen, unsere Opfer würdigen oder die Mittel entdecken, wie uns geholfen werden kann? Wie erbärmlich ist’s doch, dass ein Mensch, der selber die Sehkraft hat, sich vor einem Götzen niederwirft, der blind ist! Der Götzendiener ist an sinnlichen Fähigkeiten sicher seinem Gott überlegen, doch an Vernunft steht er ihm gleich; denn es ist sonnenklar, dass sein unverständiges Herz verfinstert ist, sonst würde er nicht so närrische Dinge tun.

17. Sie haben Ohren - und gewaltig große, wenn wir z. B. an gewisse Götzen der Hindus denken - und hören nicht. So nützen ihre Ohren also nichts; in Wirklichkeit sind sie nur Nachmachung und Betrug. Ohren, von Menschen gemacht, sind stets taub; das Geheimnis des Hörens ist mit dem Geheimnis des Lebens untrennbar verbunden, und beide haben ihren Ursprung in der unerforschlichen Weisheit des Ewigen. Verstehen wir’s recht, so sind diese heidnischen Götzen also stumm, blind und taub - ein nettes Häufchen von Gebrechen für eine Gottheit! Auch ist kein Odem in ihrem Munde: sie sind tot, kein Zeichen des Lebens ist wahrzunehmen, und das Atmen, diese Hauptäußerung des animalischen Lebens, ist ihnen etwas ganz Unbekanntes. Soll ein Mensch seinen Odem verschwenden, indem er zu einem Götzen ruft, der keinen Odem hat? Soll das Lebendige an das Tote Bitten richten? Das heißt doch wahrlich aller gesunden Vernunft hohnsprechen.

18. Die solche machen, sind gleich also: sie sind ebenso stockdumm, so ohne Verstand und Gefühl wie die Götter, die sie verfertigen, und gleich diesen sind sie Gott ein Abscheu und werden schließlich wie ihre Götzen zermalmt werden. Alle, die auf solche hoffen. Die Götzenanbeter sind ebenso schlecht wie Götzenmacher; denn wenn es keine Menschen gäbe, die solche Gräuel anbeten, so würde sich kein Markt finden für die nichtsnutzige Ware. Die Götzenanbeter sind geistlich tot, auch sie sind nur Schattenbilder von Männern; das Beste am Menschen ist bei ihnen dahin, sie sind nicht, was sie zu sein scheinen. Ihr Mund betet nicht wirklich, ihre Augen sehen nicht die Wahrheit, ihre Ohren hören die Stimme des HERRN nicht, und das Leben aus Gott ist nicht in ihnen. Alle jene, die an ihre selbsterfundene Religion glauben, verraten damit große Torheit und einen völligen Mangel an dem lebendigmachenden Geist. Menschenkinder, in denen die Gnade wirksam ist, vermögen es zu erkennen, wie unsinnig das ist, den wahren Gott zu verlassen und Nebenbuhler von ihm an seine Stelle zu setzen; aber diejenigen, die dies Majestätsverbrechen begehen, sehen die Sache nicht so an, im Gegenteil, sie sind stolz auf ihre große Weisheit und rühmen sich ihrer fortschrittlichen Gedanken und ihrer modernen Bildung. Andere setzen die Sakramente an die Stelle, die ausschließlich dem lebendigen Gott selber zukommt. Der HERR bewahre uns vor allen Nachahmungen dessen, was Gottes Werk allein ist, damit wir nicht den Götzen gleich werden, die wir uns gemacht haben.


19. Das Haus Israel lobe den HERRN;
lobet den HERRN, ihr vom Hause Aaron;
20. ihr vom Hause Levi, lobet den HERRN;
die ihr den HERRN fürchtet, lobet den HERRN!
21. Gelobet sei der HERR aus Zion,
der zu Jerusalem wohnt. Hallelujah!


19. Haus Israel, lobet den HERRN! (Wörtl.) Ihr alle, in allen Stämmen, preiset den einen Preiswürdigen! Jeder Stamm, von Ruben bis zu Benjamin, hat besondere Veranlassung, Jehovah zu lobpreisen, und das Volk als Ganzes hat in seiner Erwählung, seiner Geschichte und seinen Verheißungen starke Gründe, dankend und anbetend den Namen des HERRN zu rühmen. Ihr vom Hause Aaron, lobet den HERRN! Sie waren ja zu hohem Dienst erwählt und durften ganz nahe zu Gottes Gnadenthron dringen; daher hatten sie auch vor allen andern die selige Pflicht, den HERRN zu loben. Diejenigen, die den Vorzug haben, die Gemeinde Gottes zu leiten, sollten auch in der Anbetung Gottes allen vorangehen. In Gottes Hause sollte das Haus Aaron sich verpflichtet fühlen, vor dem ganzen Hause Israel Jehovahs Namen zu rühmen.

20. Ihr vom Hause Levi, lobet den HERRN! Sie, die in so vielen Stücken den Priestern Helferdienste tun durften, mögen auch in diesem köstlichsten Werk ihre Gehilfen sein. Das Haus Israel umfasst den ganzen auserwählten Samen; dann kommen wir zu dem kleinen, aber dem Mittelpunkt nächsten Kreise des Hauses Aaron, und nun erweitert sich dieser auf den ganzen Stamm Levi. Möge die Verehrung und Anbetung Gottes sich von Mensch zu Mensch ausbreiten, bis die ganze Menschheit davon durchdrungen ist. Das Haus Levi hatte wiederum auserlesene Gründe, Jehovah zu lobpreisen. Lesen wir die Geschichte dieses Stammes (vergl. besonders 1. Mose 49,5-7 mit 34,25-30 und 2. Mose 32,26-29 mit 5. Mose 33,8-11, ferner 4. Mose 3,5-51 usw.), so tritt uns das überwältigend entgegen. Gedenken wir daran, dass der ganze Stamm zu heiligem Dienst ausgesondert war und von den ihnen zugeteilten Stämmen erhalten wurde; darum lag auf ihnen die Ehrenpflicht, vor allen andern den HERRN mit Freuden anzubeten.
  Die ihr den HERRN fürchtet, lobet den HERRN! Dies sind die edleren Seelen, die wahrhaft geistlichen; sie gehören dem HERRN nicht nur dem Namen nach an, sondern von Herzen und dienen ihm im Geiste. Der Vater sucht solche, die ihn also anbeten. Wenn beide, Aaron und Levi, ihrer Pflicht vergessen sollten, so werden doch diese nicht säumig sein. Wahrscheinlich beabsichtigt unser Versteil, auch die Gottesfürchtigen, die nicht zu Israel gehörten, in den Chor der dem HERRN Lobsingenden mit einzuschließen; er öffnet ihnen, den Proselyten aus den Heiden, die Tür und bittet sie, einzutreten. Wer Gott wahrhaft fürchtet, braucht auf keine andere Befähigung zu solch heiligem Dienst zu warten; seine Gottesfurcht beweist, dass er mit Israel dem Bunde angehört, mit Aaron dem Priesteramt, mit Levi dem Dienst des HERRN geweiht ist. Die kindliche Ehrfurcht, welche die Gläubigen gegenüber dem HERRN hegen, hindert nicht am Lobe Gottes, sie ist im Gegenteil die vorzüglichste Quelle der Anbetung

21. Gelobet sei der HERR aus Zion, der zu Jerusalem wohnt. Es ziemt sich, dass er daheim vor allem gepriesen werde. Wo er am meisten segnet, da werde er auch am meisten verehrt. Mögen der geliebte Zionsberg und die Stadt Jerusalem, die er erwählt hat, von seinem Preise widerhallen. Er bleibt bei seinem Volke: er ist der Seinen Zuflucht für und für, und sie sind seine Ruhestatt ewiglich; so möge denn diese traute Gemeinschaft bei seinen Auserkorenen immerdar aufs Neue die innigste Dankbarkeit erwecken. Der heilige Tempel des Höchsten, welcher ist Christus, und die Stadt des großen Königs, die da ist die Gemeine, sind die vorzüglichsten Stätten des Lobes Jehovahs, des Gottes Israels. Hallelujah: lobet den HERRN! Amen, Amen!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Dieses Loblied preist in je sieben Versen Jehovah für seine Güte als den Herrn der Schöpfung, für seine Gnade als den Befreier seines Volkes und für sein Wesen als den allein wahren und lebendigen Gott. James G. Murphy 1875.
Der Psalm ist offenbar für den Tempelgottesdienst bestimmt. Liturgische Art ist es allerorten und allerzeiten, sich in festgeprägten, allgemein bekannten und gangbaren und durch das Gewicht des Alters oder der Autorität solenn (feierlich) gewordenen Wendungen zu ergehen. Hieraus erklären sich die zahlreichen Entlehnungen und Anklänge an Thorasprüche, Prophetenworte und ältere Psalmen, die hier vorliegen. Lic. H. Keßler 1899.


V. 1. Hallelujah, d. i. Lobet den HERRN! Wahre, durch den Heiligen Geist gewirkte Freude lässt sich nicht im Herzen verschließen, sondern strebt danach, Genossen zu finden, denen sie sich mitteilen, in die sie sich ergießen kann, dass auch sie mit dieser Freude erfüllet werden, wie auch, damit die Freude sich durch das vereinte Frohlocken vieler begnadigter Herzen mehre und noch heller entbrenne. Thomas Brightman † 1607.
Lobet, ihr Knechte des HERRN, denn ihr werdet damit wahrlich niemals etwas tun, was sich euch nicht gebührt, wenn ihr als Knechte euren Herrn lobet. Und wenn ihr für immer nur Knechte wäret, so solltet ihr den HERRN preisen. Wie viel mehr sollten denn jene Knechte den HERRN loben, denen das Kindesvorrecht zuteil geworden ist! Aurel. Augustinus † 430.


V. 1.3.19-21. Lobet. Um jedem Gefühl der Ermüdung vorzubeugen, das uns bei der so häufigen Wiederholung der Aufforderung, den HERRN zu loben, beschleichen könnte, brauchen wir uns nur daran zu erinnern, dass der HERR an keinem Opfer größeres Wohlgefallen hat als an dem Lobe gottseliger Herzen. So heißt es Ps. 50,14: Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde. Und Ps. 116,12.13: Wie soll ich dem HERRN vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut? Ich will den Kelch des Heils nehmen und des HERRN Namen verkündigen. Besondere Beachtung ist auch denjenigen Schriftstellen zu schenken, die in so hohen Ausdrücken von der geistigen Anbetung Gottes reden; sonst könnten wir in irregeleitetem Eifer versucht sein, unsere Mühe auf nichtige Dinge zu verwenden und in dieser Hinsicht das Beispiel so vieler nachzuahmen, die sich mit lächerlichen Versuchen abquälen, allerlei Zutaten zum Dienste Gottes zu erfinden, während sie das vernachlässigen, was vor allem andern das Wichtigste ist. Das ist der Grund, weshalb der Heilige Geist so oft die Pflicht, Gott zu loben, einschärft. Darin liegt freilich auch mittelbar eine Rüge unserer Lässigkeit; denn er würde die Ermahnung nicht so häufig wiederholen, wenn wir jene Pflicht zu erfüllen willig und eifrig wären. Jean Calvin † 1564.
Gotthold ging an eines Handwerksmannes Haus vorbei und hörte, dass derselbe mit seinen Leuten nach eingenommenem Frühstück einen Dankpsalm freudig und artig sang. Darüber erregte und bewegte sich sein ganzes Herz und sagte bei sich selbst: Ach mein Gott, wie lieblich ist dein Lob in meinen Ohren! Wie erfreulich ist es meiner Seele, dass du für all deine Güte dennoch von etlichen wenigen gepriesen wirst! Die meisten Menschen sind leider fast tierisch geworden und gleichen den Säuen, welche zur Herbstzeit die Eicheln unter dem Baum auflesen und davon fett werden, dem Baum aber, der sie gegeben, keinen Dank wissen, als dass sie sich etwa daran reiben und seinen Boden umwühlen. Sehr wohl haben es etliche gottselige alte Christen gemeint, die solche Klöster und Kirchen gestiftet, darinnen man dich, du heiliger, gütiger Vater, ohne Aufhören Nacht und Tag loben sollte, also dass ein Chor das andere immer ablösete und also das Lob göttlichen Namens immerdar fortgesetzt ward. Was hierbei von Aberglauben und Vertrauen auf Menschenwerk mit untergelaufen, wird billig unter Holz, Heu und Stoppeln gerechnet (1. Kor. 3,12). Indessen muss dein Lob, mein Vater, nicht stille sein, und wo wir Menschen schweigen, so werden die Steine schreien. Wir müssen das ewige Leben in dieser Welt anfangen, nicht allein im Genießen, sondern auch im Loben und Preisen. Unsere Seele muss einer Blume gleichen, welche nicht allein den gütigen Einfluss des Himmels empfäht, sondern auch einen liebreichen Geruch als zur Dankbarkeit stets von sich duftet. Wir müssen wünschen mit jenem frommen Mann, dass unser Herz als ein Weihrauchkörnlein in dem Feuer der göttlichen Liebe zerschmelzen und zerfließen und den süßen Dampf des göttlichen Lobes von sich geben möge, oder mit jenem frommen Märtyrer uns willig erklären, zu Asche verbrannt zu werden, nur dass aus unserm Aschenhaufen ein Blümlein zu Gottes Lob und Preis entsprießen und hervorkommen möchte. Wir müssen willig sein, den Garten der Kirche Gottes mit unserm Blute zu feuchten, nur dass er desto fruchtbarer werde zum Lobe und zum Ruhm unsers Herrn. Nun, mein Gott, ich will dich loben allezeit, dein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Ein jeder Odem, den ich aus der gemeinen Luft schöpfe, ist mit deiner Güte zur Erhaltung meines Lebens gemengt, und ein jedes Hauchen, das aus meinem Munde geht, soll zum wenigsten mit einem herzlichen Verlangen deines Lobes und Preises gemischt sein. Hallelujah, Hallelujah, preiset mit mir, ihr heiligen Engel, ihr Menschen und alle Kreaturen, den HERRN, und lasset uns miteinander seinen Namen erhöhen. Hallelujah! Christian Scriver 1671.


V. 3.5.6. Durch die Gottesoffenbarung an Mose erst ist der zwar schon gekannte, aber noch nicht allgemein gebräuchliche Gottesname Jehovah an die Stelle des alten El Schaddai (d. h. Gott der Allmächtige) getreten, womit man den Gott bezeichnete, der sich dem Stammvater geoffenbart hatte, ja mit dem Gott selbst am häufigsten sich bezeichnet hatte, wenn er sich an die Patriarchen wandte. Dieser Namenwechsel aber bedeutete nichts weniger als eine tiefgehende Umwandlung des religiösen Verhältnisses. Der Name El Schaddai, der Allmächtige, ließ neben Gott noch andere Mächte bestehen, die allerdings seiner Oberhoheit unterworfen waren, aber doch sich in gewisser Weise ihm entgegenstellen konnten. Dieser Name sagt fast das Gleiche wie jene andern. "Wesen der Wesen, höchstes Wesen", die eine gewisse religiöse Richtung so gerne braucht. Jehovah aber bedeutet: Der da ist und der da sein wird, dessen Wesen das Sein ist. Jehovah ist also nicht bloß das mächtigste, sondern geradezu das einzige Wesen, das wirklich existiert, das durch sich selbst besteht und alles Sein in sich beschließt; das Wesen, dem absolutes Sein zukommt, gleichermaßen als Subjekt und als Prädikat: Ich bin, der ich bin. Neben El Schaddai ist noch Raum für andere, untergeordnete Wesen. Außer Jehovah ist nur das Nichts; wenn aber dennoch auch außer ihm noch etwas ist, so ist es allein durch ihn und durch die Tat seines Schöpferwillens. Die Verehrung El Schaddais schloss also den Polytheismus nicht ausdrücklich aus. Die Anbetung Jehovahs dagegen ist prinzipiell, wie sie es auch tatsächlich mehr und mehr geworden ist, die völlige Lossagung des Bewusstseins von dem Heidentum in allen seinen wirklichen und denkbaren Formen. Wir haben im 3. und 6. Kapitel des 2. Buches Mose die einfache und feierliche Darlegung des Gesichtes, durch welches Gott sich dem Mose zum ersten Mal als Jehovah geoffenbart hat. An diesem Tage ist der Grundstein gelegt worden zu dem Monotheismus Israels und zu der endgültigen Religion der Menschheit. Die Jehovahverehrung allein sollte fortan eine unübersteigliche Scheidewand sein nicht bloß gegen den Polytheismus, sondern auch gegen das verborgene Prinzip desselben, gegen den theoretischen und praktischen Materialismus. Wie könnte die Materie dem gegenüber, der das Sein hat aus sich selber, der das selbständige, absolute Ur-Ich ist, seiner selbst vollkommen bewusst und auch völlig mächtig, der ist, was er sein will, ganz ebenso wohl als er sein will, was er ist, wie könnte demgegenüber die Materie noch Anspruch erheben auch nur auf irgendwelche Selbständigkeit! Die ewige Materie, jener dunkle, blind notwendige Urgrund ohne Bewusstsein, der kein Wollen besitzt und der Erkenntnis immer unzugänglich und unerfassbar bleibt, jenes gestaltlose Wesen, jener rohe Stoff, den alle Völker, ja selbst alle Weisen des Altertums neben Gott und, wenn auch nicht der Form, so doch der Substanz nach, als unabhängig von ihm angenommen haben, diese unerschaffene Materie ist auf immer vernichtet durch die Offenbarung Gottes als Jehovah: "Ich werde sein". Nicht bloß kein einzelnes Wesen, auch nicht einmal der Stoff, aus welchem jene gebildet sind, hat Bestand, außer wenn der freie Wille Gottes ihm solchen verleiht. Das ist der Begriff, auf welchen allein das Reich Gottes auf Erden gegründet werden kann. Mit diesem erhabenen Gedanken ist bereits der Grund gelegt zum Reich des Geistes, zur Heiligkeit. Prof. F. Godet 1872.


V. 4. Denn der HERR hat ihm Jakob erwählt usw. Gottes aussondernde Gnade sollte die Seinen veranlassen, ihm gar manchen demütigen, fröhlichen und dankbaren Lobgesang darzubringen. John Trapp † 1669.
Jakob, Israel. Preiset den HERRN, dass er euch dieser auserwählten Gesellschaft einverleibt hat. Um euch zu solchem Lob anzufeuern, bedenkt, wer ihr wart, wie ihr keinerlei Anspruch auf Gottes Gnade hattet; gedenket an eure Vergangenheit. Und dann schaut um euch und sehet, wie viele nie etwas von Christo gehört haben, wie viele andere das Christentum nur als eine leere Form kennen gelernt haben, so dass sie von der Lebenskraft des Evangeliums kaum eine Ahnung haben. Welch ein hohes Vorrecht, dass ich zu dem Volk des Eigentums gehöre, ein lebendiges Glied am Leibe Christi bin. Wie bin ich dazu gekommen? Einzig durch Gottes freie Gnade. Darum preise, meine Seele, den HERRN! Thomas Manton † 1677.
Zu seinem (kostbaren) Eigentum ist Gottes Volk erwählt, zu Gottes köstlichem Schatz, den er für sich bewahrt zu seinem besonderen Dienst und seiner Verherrlichung. Wird nicht ein Mensch, der bei Verstand ist, seine Juwelen bewahren? Wenn es in einem Hause brennt, so wird der Bewohner desselben, nachdem Weib und Kinder gerettet sind, zuerst seine Kostbarkeiten in Sicherheit bringen und erst zuletzt an das Gerümpel denken. Christus bringt vor allem die Seinen in Sicherheit, denn sie sind seine Kleinode; die Welt ist im Vergleich dazu Gerümpel und Plunder. Richard Mayhew 1679.


V. 5. Denn ich weiß usw. Das Wort ich ist im Grundtext mit Nachdruck gesetzt. Wie immer es darin mit andern bestellt sein mag, ich habe persönliche herrliche Erfahrung von Jehovahs Macht und seiner unendlichen Erhabenheit über alle Götter. Henry Cowles 1872.
Auf welch festem Grunde steht der Psalmist: Ich weiß! Wie gerne hört man Männer Gottes mit solch heiterer, gewisser, allen Zweifel ausschließender Zuversicht reden, sei es, dass es sich um Gottes Freundlichkeit und Gnade, sei es, dass es sich um Gottes Größe handelt. Du sagst vielleicht, es habe dazu doch keines besonders großen Glaubens oder eines besonderen Maßes von Erkenntnis oder außerordentlichen Mutes bedurft, um zu bezeugen, dass der HERR groß sei; aber ich halte dafür, dass in den Tagen des Psalmsängers nicht viele Weise oder Mächtige zu dieser Erkenntnis gekommen waren oder dies Bekenntnis abgelegt haben, dass Jehovah, der Gott Israels, groß sei vor allen Göttern. Baal, Kamos, Milkom und Dagon, und wie die Götter alle hießen, machten in den Völkern rings umher Anspruch auf Anbetung, und David würde z. B. am Hofe des Königs Achis mit diesem Zeugnis höchst unwillkommen gewesen sein und erfahren haben, dass man es als eine Lüge zurückweise. Mose brachte einst eine Botschaft von Jehovah an den König von Ägypten, und Pharaos Antwort war: Wer ist Jehovah, dass ich ihm gehorchen sollte? Und selbst in Israel waren nicht alle echte Israeliten. - Es gibt ein Wissen, das wie das St. Elmsfeuer um die Köpfe herumspielt, ohne irgendwelche Wirkung; und es gibt ein Wissen, das wie ein befruchtender Fluss das ganze Herz durchdringt und Früchte der Heiligkeit, der Liebe, des Friedens und der Freude hervorbringt. Barton Bouchier † 1865.
Ich weiß bezieht sich, da es als Begründung der Anforderung zum Preisen Gottes eingeführt wird, auf die durch Erfahrung gesicherte Überzeugung des Psalmisten (Ps. 20,7) von dem Reichtum des für das Loblied vorhandenen Stoffes und der daraus entspringenden Berechtigung zu solchem Aufruf. K. B. Moll 1884.


V. 6. Der HERR schafft, was er macht, nicht weil er dazu durch eine Gewalt oder Notwendigkeit gezwungen ist, sondern alles, was er will, das tut er. Du baust dir ein Haus, weil du sonst ohne Obdach wärest, machst dir ein Kleid, weil du sonst nackend gingest; die Notwendigkeit, nicht dein freier Wille ist die Ursache davon. Du pflanzest einen Weinberg, du säst Samen, alles weil dir sonst fehlen würde, was du bedarfst. Gott bedurfte nichts von dem, was er machte, sondern er machte alles, was er wollte, aus reiner Güte.
Er tut alles, was er will, im Himmel und auf Erden; tust du auch alles, was du willst, auch nur auf deinem Acker? Du willst vieles, aber du kannst in deinem eigenen Hause nicht alles tun, was du wünschest. Dein Weib widerspricht dir zuweilen, deine Kinder hemmen dich, manchmal tritt dir sogar dein Gesinde frech entgegen, und du kannst nicht tun, was du willst. Aber du sagst: Doch, ich tue, was ich will, denn ich strafe die Ungehorsamen und Widersprecher. Nicht einmal dies tust du, wann du willst. Aurel. Augustinus † 430.
Seine Macht ist unbegrenzt. Er kann tun, was er will, im Himmel und auf Erden und überall. Alle Orter sind genannt - außer dem Fegefeuer. Vielleicht kann er dort nichts tun, sondern überlässt da die ganze Arbeit dem Papste! Thomas Adams 1614.
Einer der hervorragendsten Unterschiede zwischen den Berichten der göttlichen Offenbarung und der gewöhnlichen Geschichtsschreibung ist der, dass beim Erzählen der gleichen Ereignisse die Letztere das Handeln der Menschen, die Erstere das Handeln Gottes ausweist. Das Tun des Menschen ist eben das natürliche Gebiet der menschlichen Geschichtsschreibung, sie kann ohne das Licht der Offenbarung nicht weiter gehen. Die Profangeschichte stellt die Mittel und Werkzeuge ins Licht, durch welche der Ewige wirkt; der Finger der göttlichen Offenbarung hingegen weist auf die unsichtbare, aber allmächtige Hand hin, welche das Werkzeug hält und führt. Die Schrift führt uns vor Augen, wie selbst Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und dem Volk Israel tun, was des HERRN Hand und sein Rat zuvor bedacht hat, dass es geschehen sollte (Apg. 4,27.28). George Payne 1850.


V. 7. Der die Wolken lässt aufsteigen vom Ende der Erde usw. Die Wasserschicht, welche in der heißen Zone alljährlich als Dunst in die Atmosphäre aufsteigt, beträgt durchschnittlich 16 Fuß. Wiewohl auch die Regenmenge in der heißen Zone am größten ist, ist die Wassermenge, welche dort in die Luft aufsteigt, doch weit beträchtlicher als die Regenmenge, welche in jenen Gegenden ins Meer zurücksinkt. Eine unsichtbare Hand schöpft alljährlich mehr als zehn Billionen Zentner Wasser aus dem Meere und führt diese Masse tausend Meilen weit durch die Lüfte, um sie allmählich als Regen und Tau auf unsere Wälder, Fruchtfelder, Wiesen und Weinberge herabzuträufeln, wo die Gewächse auf die belebende Kraft des Wassers harren. Die gesamte Regenmenge, welche alljährlich zur Erde niederströmt, würde, wenn sie sich gleichmäßig auf die ganze Erdoberfläche verteilte, eine Wassermasse von drei Fuß Höhe ergeben. - Nach Dr. A. N. Böhner 1878.
Der die Blitze samt dem Regen macht. Wenn die Gewohnheit uns nicht mit dem Schauspiel vertraut machte, so würden wir diese Vermischung von Feuer und Wasser im Gewitter für ein ganz unglaubliches Wunder erklären. Ebenso sind die Winde mit ihren verschiedenen Strömungen ein wunderbares Werk Gottes. Gott ist nicht nur insofern der Urheber von Regen, Blitz und Donner und Wind, als er ursprünglich diese Naturordnungen geschaffen hat, sondern der Psalmist geht noch weiter und behauptet, dass, wenn es regnet, dies geschieht infolge eines Befehles von Gott, dem es beliebt, zu einer Zeit den Himmel mit Wolken zu verdunkeln und zu einer andern ihn wieder durch Sonnenschein zu erhellen. Jean Calvin † 1564.
Es ist ein hervorragendes Beispiel von Gottes Weisheit und Güte, dass die elektrischen Entladungen von Regen begleitet sind, wodurch die elektrische Spannung sich auslöst und die Gefährlichkeit der Blitze gemindert wird. So gedenkt Gott mitten im Gericht seiner Gnade. Die Drohungen des Wortes Gottes gegen die Sünder sind wie Blitze; sie würden uns zermalmen und verbrennen, wenn nicht die einem gnädigen Regen vergleichbaren Verheißungen desselben Wortes für die Bußfertigen die furchtbare Kraft der Drohungen ablenkten und unser erschrockenes Gemüt trösteten. Bischof G. Horne † 1792.


V. 8. Der die Erstgeburten schlug in Ägypten. Nur die Erstgeburten wurden getötet; mit einer Genauigkeit, die auch nicht einen Fehlgriff tat, wurden diese herausgesucht. Der Tod aller dieser Tausende, beider, der Menschen und des Viehes, trat in einem und demselben Augenblick ein - zur Mitternacht (2. Mose 12,29). War Gott darin ungerecht? Nein. Die Ägypter hatten die Knäblein der Israeliten getötet, indem sie sie in den Nil warfen. Nun kommt in gerechter Vergeltung die gleiche Trübsal über sie, die Lust ihrer Augen wird ihnen genommen, und zwar auf Gottes Ankündigung hin. Th. S. Millington 1873.
Und des Viehes. Die Ägypter beteten viele Tiere an, und als die Erstgeburten der heiligen Tiere starben, vertiefte jener Umstand sehr die Eindrücklichkeit der Plage als eines Angriffs auf die Götter Ägyptens. C. H. Spurgeon 1885.


V. 8-12. Preiswürdig ist er, denn er ist der Erlöser aus Ägypten, V. 8 f.; preiswürdig, denn er ist der Eroberer des Verheißungslandes, V. 10-12. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 10. Der viele Völker schlug usw. Lasst uns bedenken, was unser Schicksal und das jedes andern Volkes unter dem Himmel heute wäre, wenn das Schwert der Israeliten sein Werk schonender verrichtet hätte. Selbst trotzdem die Israeliten das Land im Großen und Ganzen eroberten, waren die kleinen Reste der Kanaaniter, die in Israels Grenzen übrigblieben, sowie die umwohnenden Völker durch ihren Götzendienst eine solche Versuchung für die Israeliten, dass wir immer wieder davon lesen, dass das Volk sich von dem Dienst Jehovahs abkehrte. Hätten aber die Heiden in gleicher Stärke mit Israel im Lande gelebt und, vor allem, sich in großer Zahl mit den Israeliten durch Heirat vermengt, wie wäre es dann wohl möglich gewesen, dass sich irgendwelche Strahlen des göttlichen Wahrheitslichtes bis zu dem Kommen Christi erhalten hätten? Würden die Israeliten nicht ihre ganze Eigentümlichkeit verloren haben? Und würden sie nicht, selbst wenn sie Jehovah dem Namen nach als ihren Gott behalten hätten, alle Erkenntnis seiner Heiligkeit verlierend ihn zu einem Götzen erniedrigt und ihm in ebenso scheußlicher Weise gedient haben, wie die Moabiter dem Kamos oder die Philister ihrem Dagon? Aber das durfte nicht geschehen, und darum mussten die Kanaaniter ausgerottet werden. Das Schwert der Israeliten vollzog, so schrecklich die Strafurteile waren, die es ausrichten musste, damit ein Werk der Barmherzigkeit für alle Länder der Erde bis zu den fernsten Enden der Welt. Diese beständigen Kämpfe mit den Amoritern und Kanaanitern und Midianitern und Philistern usw., von denen die Bücher Josua und Richter und Samuelis voll sind, scheinen uns ja von geringer Bedeutung, und wir wundern uns fast darüber, dass Gott sich in diese Streitigkeiten gemischt und gar Wunder vollbracht haben soll, um dem einen Volke den Sieg über die andern zu geben. Aber an diesen Kriegen und an dem Geschick dieses einen Volkes hing das Wohlergehen und das Heil des ganzen Menschengeschlechtes. Die Israeliten fochten nicht nur für sich, sondern auch für uns. Sie bewahrten damit den Samen des ewigen Lebens und waren in Gottes Hand das Mittel, den Segen über alle Geschlechter der Erde zu bringen. Thomas Arnold † 1842.


V. 11. Wiewohl Sihon Moab besiegt hatte und viel mehr zu fürchten war als jene Kanaaniter, vor denen das Volk Israel in Kades den Mut verloren hatte, fiel er dennoch nach leichtem Kampfe, weil Israel im Glauben kämpfte. Es gibt keinen Widersacher, der uns wirklich auf unserem Vormarsch wirksamen Widerstand leisten könnte, wenn wir ihn in der Kraft des HERRN mit fröhlichem Mute angreifen. Og, der König zu Basan, war ein noch gewaltigerer Feind als selbst Sihon; aber aus dem kurzen Bericht über seine Besiegung scheint man schließen zu dürfen, dass er sogar noch leichter überwunden wurde. So gewinnen wir, wenn wir erst eine Schwierigkeit überwunden oder eine böse Gewohnheit besiegt haben, leicht und fast wie selbstverständlich auch andere Kämpfe, an die wir vorher auch nur zu denken nicht hätten wagen dürfen. Gerade im inneren Leben ist es wahr: Siege, so lernst du siegen. R. Winterbotham 1881.
Og, der König von Basan. Die Aufgabe war nicht leicht, denn Edrei (5. Mose 3,1), "die Starke", Ogs Hauptstadt, war unter gewöhnlichen Umständen kaum angreifbar, weil sie in seltsamer Weise in einem Hohlraum erbaut war, den man künstlich in dem oberen Teil eines Berges ausgehöhlt hatte, den die tiefe Schlucht des Jarmuk von der umliegenden Gegend scheidet. Die Straßen dieser unterirdischen Stadt kann man heute noch in allen Richtungen unter der jetzigen Stadt Adraha verfolgen. Kenath aber, in dem jetzt Argob (5. Mose 3,4) genannten Gebiet, war noch stärker, denn es war in den Rissen einer mächtigen Lavamasse erbaut, die beim Erkalten in unzählige Spalten zerborsten war, durch deren Labyrinth kein Feind einzudringen wagen durfte. In diesen Spalten waren die Straßen und Häuser, von welchen etliche aus späterer Zeit noch heute vorhanden sind. Und dies waren nicht die einzigen Festungen. Nicht weniger als sechzig Städte, befestigt mit hohen Mauern, Toren und Riegeln (5. Mose 3,4.5) mussten eingenommen werden; aber sie alle fielen vor den erobernden Israeliten, und noch lange hernach konnte man zu Rabba der Kinder Ammon eine Beute aus dem Siege sehen, das gewaltige eiserne Bett oder, wofür die meisten es jetzt halten, den mächtigen Sarkophag, den der König Og nach der Sitte der kanaanitischen Könige sich hatte herstellen lassen. Cunningham Geikie 1881.


V. 13. Gott ist für seine Gemeinde allezeit derselbe gnadenreiche, treue, Wunder wirkende Gott; und seine Gemeinde wird allezeit ein dankbares, ihn lobendes Volk sein; so währet sein Name ewiglich, und sein Gedächtnis für und für. Matthew Henry † 1714.


V. 15. Der Heiden Götzen. Die Tempel auf den Hügelspitzen waren sehr kunstlose Gehege aus rohen Steinmauern und enthielten elende Götzen - Klötze von verwittertem Holz, alte Steinblöcke und Stücke verrosteten alten Eisens. Die geschnitzten hölzernen Götzen waren von Wind und Wetter so mitgenommen, dass ihre Gestalt ganz entstellt war. Einer, der nicht wie die übrigen aus einem Stück gemacht, sondern zusammengezimmert war, war noch schlechter weggekommen als seine geringeren Kameraden. Er hatte keine Arme mehr, und Brust, Herz und Bauch waren herausgefallen; sonderbarerweise war sein Haupt stehen geblieben, und es war lächerlich, solch eine Spottgestalt mit feierlichen Mienen einen anstarren zu sehen. Die Steingötzen hatten durch manchen Sturz schwer gelitten, und den Göttern aus gegossenem Metall war vielfach der abgebrochene Kopf sorgfältig wieder aufgesetzt, um zu halten, bis der nächste Sturm ihn wieder herunterrollen ließ. - "Unter den Mongolen", von James Gilmour 1883.
Von Menschenhänden gemacht. Darum sollten sie, die Götzen, doch vielmehr, wenn es möglich wäre, den Menschen als ihren Schöpfer und Gebieter anbeten, als von diesem angebetet werden. Mt. Pool † 1679.


V. 15-17. Der Missionar John Thomas in Indien reiste eines Tages allein durchs Land, als er eine große Menschenmenge bei einem Götzentempel versammelt fand. Er ging zu ihnen hinauf, und sobald die Tore des Tempels geöffnet waren, betrat er das Heiligtum. Dort sah er ein Götzenbild hoch aufgerichtet, so dass es das Volk überragte. Er ging kühn darauf zu, erhob seine Hand und bat um Gehör. Dann legte er seine Finger auf die Augen, Ohren usw. des Götzenbildes und sagte: "Es hat Augen und sieht nicht. Es hat Ohren und hört nicht. Es hat eine Nase, riecht aber nichts. Es hat Hände, kann aber nicht greifen. Es hat einen Mund, kann aber nicht reden, und ist kein Odem darin." Statt dem kühnen Missionar ein Leid zuzufügen für die Beleidigung, die er ihrem Götzen und damit ihnen selber angetan, waren die Eingeborenen alle vor Staunen still, und ein alter Brahmane war durch das, was Herr Thomas gesagt hatte, so von der Torheit des Götzendienstes überzeugt worden, dass er ausrief: "Es hat Füße und kann nicht weglaufen!" Die Volksmenge schrie laut auf und verließ dann, ganz beschämt, den Tempel, um nach Hause zu gehen. Illustrative Anecdotes 1873.
Mäuler, Augen, Ohren usw. So viele Glieder die Götzenbilder haben, die ja dazu dienen, die Vollkommenheiten darzustellen, die man ihnen zuschreibt, so viel sind der Lügen. David Dickson † 1662.


V. 18. Die solche machen, sind gleich also, alle, die auf solche hoffen. Die Menschen erheben sich nie über die Höhe, auf der ihre Götzen stehen, denn diese sind ihnen ihr besseres Ich. A. R. Fausset 1866.
Auf wen man hofft, dem wird man unvermerkt gleich und nimmt vieles von seinem Wesen an. So macht einen auch das Vertrauen auf Gott seinem Bilde ähnlich und zieht einen in das Wohlgefallen an Gottes Wegen und Gerichten hinein, woran aller Friede und Ruhe für unsere Seelen hanget. Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 21. Dieser Schluss spielt an auf den Schluss des vorhergehenden Psalms. Dort: Der HERR segne dich aus Zion, hier: Er sei gesegnet aus Zion. Von der Stätte, von der der Segen, geht auch der Lobpreis aus; denn Zion ist die Stätte, wo die Gemeinde des HERRN mit ihm zusammenwohnt. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
Zion und Jerusalem ist Ausgangs- und Endpunkt aller Gnadenoffenbarungen Gottes. Die Tragweite ihrer Bedeutung reicht bis in die Ewigkeit. E. Taube 1858.
Segnen - loben. Das Segnen bezieht sich mehr auf Gottes Wohltaten, das Loben auf Gottes Vollkommenheiten. Wir benedeien ihn für das, was er uns ist, wir preisen ihn für das, was er in sich selber ist. Ob wir ihn aber segnen oder loben, durch beides soll unsere Liebe zu ihm und unsere Wonne an ihm zunehmen; denn Gott rührt kein schmeichlerisches Lob aus liebeleeren Herzen. Thomas Manton † 1677.
Hallelujah! Damit, dass der Lobgesang gesungen, ist die Aufgabe, Gott zu preisen, nicht zu Ende; das Werk muss fortgesetzt, immer wieder neu begonnen und ohne Aufhören getan werden. David Dickson † 1662.


Homiletische Winke

V. 1-4. I. Das selige Werk. Dreimal fordert der Psalm zum Lobe Gottes auf, und zwar 1) mit Rücksicht auf Gott: Preiset nicht nur seine Taten, sondern ihn selbst; 2) mit Rücksicht auf uns: Gott zu loben ist lieblich und förderlich; 3) mit Rücksicht auf andere: Gottes Lob empfiehlt unsere Religion am besten. Alle anderen Religionen sind Religionen der Furcht, die unsere ist eine Religion der Freude und des Lobpreises. II. Wer dies Werk tun soll: Die Knechte, die vor dem HERRN stehen in seinem Hause, bereit, seine Stimme zu hören und seinen Befehlen zu gehorchen. III. Die Beweggründe zu diesem Werk des Lobens: 1) im Allgemeinen: Gott hat Anspruch darauf, denn er ist gut und freundlich, und für uns ist es lieblich (V. 3). 2) Im Besonderen: Diejenigen, die von Gott besonders bevorzugt sind, sollten ihn auch besonders loben (V. 4, vergl. Jes. 43,21). George Rogers 1885.
V. 1. Hallelujah! 1) Der HERR soll gepriesen werden, 2) von euch, 3) jetzt, 4) immerdar.
Lobet, ihr Knechte des HERRN. Preiset ihn 1) für das Vorrecht, dass ihr seine Diener sein dürft; 2) für die Gnade, die er euch zu solchem Dienst darreicht, 3) dafür, dass er eure Dienstleistungen trotz ihrer Unvollkommenheiten annimmt, 4) damit auch andere dadurch bewogen werden, sich ihm zum Dienste hinzugeben. W. H. Page 1885.
V. 2.3. Je näher wir Gott stehen, desto lieblicher wird unser Lobgesang sein, denn desto mehr werden wir erfahren, wie freundlich der HERR ist.
V. 2.5. Unser Gott unser Herr. Ein feines Thema. Vergl. die Auslegung.
V. 4. Da der Psalm ein Loblied ist, ist die Erwählung erwähnt als Beweggrund, Gott zu lobsingen. 1) Die Wahl. Sie geht von Gott aus, ist schlechthin frei, gnadenvoll, unwandelbar. 2) Die Weihung: Ihm erwählt. Dass Jakob den HERRN kenne, seine Wahrheit bewahre, seine Anbetung aufrechterhalte auf Erden; dass seine Gnade sich an diesem Volk entfalte und dass die Hoffnung auf den kommenden Erlöser sich lebendig erhalte. 3) Die Absonderung, eingeschlossen in der besonderen Erwählung; vollzogen durch Berufung in das besondere Bundesverhältnis, durch Zuteilung des Bundeserbes, des gelobten Landes, durch die Erlösung aus Ägypten durch Macht und Blut, durch die Absonderung in der Wüste, durch die Einsetzung in das abgeschlossene Kanaan. 4) Die Erhöhung. Im Namen Jakob - Israel angedeutet. Ferner: Das in Ägypten so verachtete Volk gewinnt hohen Wert als Gottes kostbares Eigentum, dient als solches einem erhabenen Zwecke, wird bewahrt wie ein Schatz und ist Gottes Lust.
V. 5. Ich weiß, dass der HERR groß ist. 1) Aus der Beobachtung der Schöpfung und des Waltens der Vorsehung. 2) Aus Gottes heiligem Buche. 3) Aus meiner eigenen Bekehrung und Beseligung. 4) Aus meiner seitherigen Erfahrung. 5) Aus meiner tiefen Ehrfurcht vor ihm erzeugenden Umgang mit dem HERRN. - Solche Bestimmtheit des Glaubens kann man erlangen, und sie ist köstlich für das eigene Herz und wohltuend für die Gott suchenden Seelen.
V. 6. Gottes freier Wille in dem Werk der Gnade. Er ist zu ersehen nicht in dem Tode der Gottlosen (Hes. 33,11), sondern in der Erwählung des Gottesvolkes (1. Samuel 12,22), in der Auflegung der Strafe auf den Stellvertreter (Jes. 53,10), in der Bereitung aller Fülle für die Seinen in Christo (Kol. 1,19), in der Anordnung des Heils durch den Glauben (Joh. 6,40), in der Einrichtung der Verkündigung als Mittel des Heils (1. Kor. 1,21), in der Annahme der Gläubigen zu Kindern Gottes (Eph. 1,5), in ihrer Heiligung (1. Thess. 4,3), in ihrem endlichen Sieg und Anteil am Reich (Lk. 12,32). Charles A. Davis 1885.
V. 6b. Die Macht Gottes an Stätten der Not, des Wechsels und der Gefahr: im Meer, und in Zuständen von Sünde, Schwachheit, Verzweiflung und Hilflosigkeit: in allen Tiefen.
V. 6-12. Der Wille Jehovahs in seiner unwiderstehlichen Macht. I. Betrachte ihn nach Anleitung der hier vorgeführten Beispiele, wie er 1) die ganze Natur regiert, 2) ein sich wider ihn auflehnendes mächtiges Weltvolk überwältigt, 3) überhaupt mit Königen und Kronen nach Belieben schaltet, 4) seinem Volke ein Land, das von Milch und Honig fließt, zu Füßen legt. II. Darum sei klug in Hinsicht desselben. 1) Unterwirf dich diesem Willen; er gebietet dem Meer und umfasst Himmel und Erde. 2) Denke nicht, du könntest dich vor ihm verbergen oder dich ihm entziehen. Die Enden der Erde und alle Tiefen sind vor ihm offenbar. Dieser Wille ist schneller als die Blitze, die er aussendet. 3) Scheue dich vor seiner Majestät. Gottes Weg ist bestreut mit Königskronen und den Gebeinen von Riesen und Großen der Erde. 4) Suche seinen Schutz: Die machtvollsten Taten dieses Willens geschehen zur Verteidigung derer, welchen sich seine Huld zuwendet. 5) Mögen, alle, die dem HERRN angehören, alle Furcht vor Menschen und aller Kreatur fahren lassen angesichts eines so großen Gottes und seiner unerschöpflichen Rüstkammer. William Bickle Haynes 1885.
V. 13. HERR, dein Name wäret ewiglich: 1) Als Inbegriff aller Vollkommenheit. 2) Als Gegenstand der Verehrung: Heilig und hehr ist sein Name (Ps. 111,9). 3) Als Grund des Heils: Um meines Namens willen. 4) Als Mittelpunkt der Anziehung: Die Heiden werden auf seinen Namen hoffen (Mt. 12,21). Des Herzens Lust steht zu deinem Namen (Jes. 26,8). Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen (Mt. 18,20). 5) Als Stützgrund des Flehens: Um deines Namens willen, HERR, sei gnädig meiner Missetat (Ps. 25,11). Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen (Joh. 16,24). 6) Als Vollmachtsbrief zum Handeln: Alles, was ihr tut, das tut in dem Namen usw. (Kol. 3,17.) 7) Als Zuflucht in Trübsal: Der Name des HERRN ist ein festes Schloss; der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt (Spr. 18,10). Ich erhielt sie in deinem Namen (Joh. 17,12). 8) Als Zeichen der Verherrlichung: Ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes (Off. 3,12). 9) Als Schrecken der Übertreter: Mein Name ist schrecklich unter den Heiden (Mal. 1,14). William Jackson 1885.
V. 14. Die Heil schaffende Gerechtigkeit Gottes zugunsten seines bedrängten Volkes.
1) Die Stellung der Gläubigen zu dem HERRN: sie sind sein Volk, seine Knechte. 2) Die Zucht in Gottes Haushalt. 3) Die zarte, mitleidsvolle Liebe des HERRN gegen die Seinen. 4) Die Sicherheit der Gläubigen: sie sind und bleiben sein.
V. 15. Silber und Gold: Götzen in unserem eigenen Lande, verehrt von den Kindern der Welt, aber auch von manchen, die sich zum Evangelium bekennen. Man zeige die Torheit und Gottlosigkeit der Liebe zum Reichtum und die Übel, die aus ihr hervorgehen.
V. 16.17. Ein Bild von vielen: 1) Sie haben Mäuler und reden nicht - kein Gebet, kein Lob Gottes, kein Bekenntnis seines Namens. 2) Sie haben Augen und sehen nicht - sie unterscheiden nicht, verstehen nicht, lassen sich nicht warnen, blicken nicht auf zu Christo. 3) Sie haben Ohren und hören nicht - kommen nicht unter die Verkündigung des Wortes oder sind zwar anwesend, aber teilnahmslos; hören nicht auf Gottes Stimme. 4) Auch ist kein Odem in ihrem Munde - kein Leben, keine Lebenszeichen, kein Gebet und Lobpreis, die das Atmen des geistlichen Lebens sind.
V. 18. 1) Die Menschen machen sich Götzen, die ihnen gleichen. 2) Die Götzen machen ihre Anbeter sich gleich. Man schildere beide Vorgänge.
V. 19. Das Haus Israel lobe den HERRN. Die große Güte des HERRN gegen sein ganzes Volk sollen wir erkennen und bezeugen und den HERRN dafür loben.
Lobet den HERRN, ihr vom Hause Aaron. Gottes Segen über das Haus Aaron als Vorbild seiner Gnade gegen diejenigen, welche Priester sind vor Gott (Off. 1,6).
V. 19-21. I. Die Ermunterung. 1) Den HERRN zu loben (zu benedeien). 2) Ihn zu loben in seinem Hause. II. An wen sie gerichtet ist. 1) An das Haus Israel oder die ganze Gemeinde des HERRN. 2) An das Haus Aaron, d. i. an die Diener im Heiligtum. 3) An das Haus Levi, an die Gehilfen in dem heiligen Dienst. 4) An alle, die den HERRN fürchten, wer immer und wo immer sie seien. Die Einladung an diese, die im Alten Bunde noch im äußeren Vorhof bleiben mussten, den HERRN zu loben, ist ein sicheres Zeichen, dass der HERR ein Gott aller Gnade ist. George Rogers 1885.
V. 20. Die Leviten, ihre Geschichte, ihre Obliegenheiten, ihr Lohn und ihre Verpflichtung, den HERRN zu loben.
V. 21. I. Die zwiefache Tatsache. 1) Segnender Lobpreis steigt beständig aus Zion zu Gott auf. 2) Gott segnet sein Volk beständig, da er bei ihm in Zion wohnt. II. Die zwiefache Ursache zum Lobe Gottes, die in der genannten zwiefachen Tatsache enthalten ist und jedes Glied der Gemeinde des HERRN betrifft.

Fußnoten

1. So glänzte einst der Kohinor, der "Berg des Lichts", der seit 1850 die englische Krone schmückt, als das Auge eines indischen Götzen.