Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 136 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Von wem dieser Psalm verfasst ist, darüber wissen wir nichts. Er lehnt sich dem Inhalt nach an den vorhergehenden an, mit dem er zum Teil sogar wörtlich übereinstimmt. Der Anfang des Psalms mit dem Kehrreim stammt wohl schon aus alter Zeit, denn schon in Salomos Tagen sang man also im Tempel (2. Chr. 5,13; 7,6), und auch das Heer Josaphats sang sich in der Wüste Thekoa mit diesem Lobpreis in den Sieg (2. Chr. 20,21, vergl. V. 26). Wir können uns bei der Eigenart des Liedes gut denken, dass dieser Psalm bei dem alten Volke Gottes sehr beliebt war. Lieder mit einem einfachen, gediegenen Kehrreim bürgern sich meist schnell und dauernd in den Gemeinden ein. Der Psalm enthält nichts als Lobpreis; er ist auf Begeisterung gestimmt und kann nur von wahrhaft dankerfüllten Herzen so recht genossen und würdig gesungen werden.

Einteilung. Der Psalm beginnt mit einer dreifachen Aufforderung zum Lobpreis Jehovahs (V. 1-3). Darauf bringt er sechs kurze Lobpreisungen auf den Schöpfer (V. 4-9), sechs auf die Befreiung aus Ägypten (V. 10-15) und sieben in Bezug auf die Reise durch die Wüste und den Einzug in Kanaan (V. 16-22). Dann kommen zwei Vers frohen Dankes für Gnadenerfahrungen der Gegenwart (V. 23.24), einer, der Gottes allgemeine Fürsorge besingt (V. 25), und zum Schluss nochmals eine Aufforderung, Gott zu preisen (V. 26).


Auslegung

1. Danket dem HERRN, denn er ist freundlich;
denn seine Güte währet ewiglich.
2. Danket dem Gott aller Götter;
denn seine Güte währet ewiglich.
3. Danket dem Herrn aller Herren;
denn seine Güte währet ewiglich.


1. Danket dem HERRN. Die ermunternde Mahnung geschieht mit großem Ernst; dreimal dringt der Psalmist in Gottes Volk, dem HERRN den gebührenden Dank zu opfern. Der Dank ist ja das Mindeste, das wir darbringen können, und damit sollten wir nicht zurückhalten. Der Psalmdichter ruft uns, von dem Geiste Gottes dazu getrieben, auf, Jehovah zu preisen für alle seine Freundlichkeit gegen uns und für all die Größe seiner Macht, die sich in seinem Walten gegen seine Erwählten kundtut. Wir danken unseren Eltern, so lasst uns auch unseren himmlischen Vater ehren; wir sind gegen unsere Wohltäter erkenntlich, so wollen wir gegen den Geber aller guten Gaben nicht undankbar sein. Denn er ist freundlich, wörtl. gut. Er ist seinem Wesen nach die Güte selbst, alles, was er tut, ist gut, und seine Geschöpfe erfahren es immer neu, wie gütig er ist. Lasst uns ihm danken, dass wir geschaut, erprobt, geschmeckt haben, dass er freundlich ist. Er ist die Quelle alles Guten, der Erhalter des Guten, der Vollender des Guten und der Vergelter des Guten. Dafür gebührt ihm nimmer aufhörender Dank seines Volkes. Denn seine Güte währet ewiglich. Diesen Kehrreim werden wir in jedem der sechsundzwanzig Vers des Liedes wiederfinden, doch wird es auch nicht ein einziges Mal zu oft sein. Es ist das Lieblichste, Süßeste, was ein Mensch singen kann. Welche Freude, dass es Gnade gibt, und zwar göttliche, dauernde, ewig währende Gnade. Wir bedürfen ihrer stets, wir stellen sie immer wieder auf die Probe, wir beten stets aufs Neue um Gnade und empfangen immer wieder neue Wohltaten derselben; darum lasst uns auch immerdar von ihr singen.

  Dankt dem HERRN, denn er ist freundlich, gnädig;
  Jede Seele rühm’ und freue sich!
  Sprechet, aller Sorge los und ledig:
  Seine Güte währet ewiglich.

2. Danket dem Gott aller Götter. Gibt es Mächte im Himmel oder auf Erden, denen als bevollmächtigten Werkzeugen Gottes der Name Götter beigelegt werden kann (Ps. 82,1.6; Joh. 10,34; Sach. 12,8), so ist er der Gott dieser Götter; von ihm haben sie ihre Herrschaft, ihre Hoheit leitet sich von ihm ab, ja ihr ganzes Dasein hängt von seinem Willen ab. Nehmen wir ferner für einen Augenblick an, die Götzen der Heiden seien wirkliche Götter, so kann doch keiner von ihnen mit unserem Elohim verglichen werden, der unendlich erhaben ist über alles, was jene den Fabeln der Menschen nach sein sollen. Jehovah ist unser Gott, den wir anbeten sollen, und er ist unserer ehrfürchtigen Verehrung in dem höchsten Maße würdig. Wenn die Heiden sich mit Eifer dem Dienst ihrer Götter hingeben, mit wieviel mehr Inbrunst und Eifer sollten wir die Ehre des Gottes der Götter, des allein wahren und lebendigen Gottes suchen! Törichte Leute haben aus diesem Vers geschlossen, die Israeliten hätten an das wirkliche Vorhandensein vieler Götter geglaubt und dafürgehalten, ihr Jehovah sei der höchste unter diesen Göttern; aber das ist ein Widerspruch in sich selbst, da Götter, die einen Gott über sich haben, schlechterdings nicht selber wirklich göttlichen Wesens sein können. Die Worte sind nach gemein menschlicher Redeweise zu verstehen, nach der man oft von Dingen spricht, nicht wie sie wirklich sind, sondern wie sie zu sein sich den Anschein geben. Dem allerhabenen Gott gebührt als solchem unser innigster Dank, denn seine Güte währet ewiglich. Stellen wir uns vor, der Allmächtige wäre ohne Güte! Dann würde sein Dasein in eben dem unendlichen Maße ein Gegenstand des Schreckens sein, als es jetzt eine Quelle immer neu sprudelnden Dankes ist. Lasst uns den Höchsten aufs höchste preisen, denn fürwahr, sein Wesen und seine Taten haben Anspruch auf die Dankbarkeit aller seiner Geschöpfe.

  Der HERR ist groß! Ihn lasst uns preisen,
  Ihn, den Gütigen, Ihn, den Weisen,
  Ihn lasst uns preisen!

3. Danket dem Herrn aller Herren. Es sind der Herren viel, aber Jehovah ist ihrer aller Herr. Alle Herrschaft ist im Besitze des Ewigen. Er macht und verwaltet die Gesetze des Weltalls im Großen und Kleinen, er beherrscht und regiert Kraft und Stoff, er besitzt in sich selbst alle Hoheit und Macht. Alle Herren zusammengerechnet reichen nicht hinan an diesen einen, seine Würde übertrifft die aller Könige und Kaiser miteinander. Dafür haben wir allen Grund dankbar zu sein; denn wir wissen, dass der höchste Gebieter all die Fehler und Missbräuche der Amtsgewalt richtig stellen wird, die sich die untergeordneten Befehlshaber, die jetzt über die Menschheit die Herren spielen, zu Schulden kommen lassen. Er wird die Machthaber vor seinen Richterstuhl fordern und mit ihnen abrechnen für jede Bedrückung und Ungerechtigkeit, die sie begangen haben. Er ist ebenso wahrhaftig der Herr aller Herren, wie er der Herr der Geringsten im Lande ist, und er herrscht mit einer unbeugsamen Unparteilichkeit, für die jeder gerecht denkende Mensch ihm von ganzem Herzen Dank sagen sollte. Denn seine Güte währet ewiglich. Jawohl, er vereinigt Gnade mit Gerechtigkeit und führt seine Herrschaft zum Wohle seiner Untertanen. Er hat Mitleid mit den Bekümmerten, beschützt die Hilflosen, sorgt für die Bedürftigen und vergibt den Schuldigen; und dies tut er von Geschlecht zu Geschlecht und wird niemals müde, gnädig zu sein, denn er hat Lust an der Barmherzigkeit. Auf, lasst uns unseren glorreichen Herrscher erheben! Zum dritten Mal lasst uns ihm danken, der unser Gott und Herr ist, und möge dieser eine Grund schon uns genügen für drei-, nein für dreitausendfältigen Dank.

  Dankt dem HERRN, gebt Ihm nur Ehr’,
  Er ist aller Herren Herr.
  Seine Güt ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!


4. Der große Wunder tut allein;
denn seine Güte währet ewiglich.
5. Der die Himmel weise gemacht hat;
denn seine Güte währet ewiglich.
6. Der die Erde auf Wasser ausgebreitet hat;
denn seine Güte währet ewiglich.
7. Der große Lichter gemacht hat;
denn seine Güte währet ewiglich;
8. die Sonne, dem Tage vorzustehen;
denn seine Güte währet ewiglich;
9. den Mond und die Sterne, der Nacht vorzustehen;
denn seine Güte währet ewiglich.


4. Der große Wunder tut allein. Jehovah ist der große Thaumaturg, der Wundertäter ohnegleichen. Niemand kann ihm darin an die Seite gestellt werden, er steht allein auf seiner erhabenen Höhe, er, der Erzeuger und Wirker wahrhaftiger Wunder, gegen die alle sonstigen Staunen erregenden Dinge das reine Kinderspiel sind. Seine Werke sind alle voller Wunder, selbst wenn sie an Gestalt nicht groß sind; in der Tat schauen wir in den mikroskopisch kleinen Geschöpfen ebenso große Wunder, wie sie uns selbst das Teleskop enthüllen kann. Alle die Werke seiner unvergleichlichen Kunst wirkt er allein, ohne jemandes Beistand und Mithilfe; deshalb soll auch die Ehre ihm unverkürzt zuteilwerden. Keiner der Götter oder Herren half dem Ewigen bei der Schöpfung, keiner bei der Erlösung seines Volkes; seine Rechte und sein heiliger Arm haben diese großen Taten gewirkt. Was haben die Götter der Heiden überhaupt je getan? Wird nach Taten gefragt, dann steht Jehovah wahrlich allein da. Es ist über alle Maßen verwunderlich, dass es Menschen gibt, welche Götter anbeten, die nichts tun und nichts tun können, und des HERRN vergessen, der allein große Wunder tut. Selbst wenn Gott Menschen als seine Werkzeuge gebraucht, bleibt das Wunderbare an den Werken doch sein allein; darum lasst uns nicht auf Menschen vertrauen oder sie vergöttern oder vor ihnen zittern. Preis dem Ewigen, denn seine Güte währet ewiglich. Die Gnade in den Wundertaten des HERRN ist ein Wunder der Gnade; und das ewig währende Wesen dieser Gnade ist das innerste Wunder dieses Wunders. Wie versinken wir doch oft in anbetendes Staunen, wenn wir beschauen, was seine Gnade für uns gewirkt und bereitet hat! Preis sei seinem hochheiligen Namen,

  Der, sein Heil uns zu verleihn,
  Große Wunder tat allein.
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

5. Der die Himmel weise gemacht hat. Seine Güte tut sich herrlich kund in der Erschaffung der oberen Regionen. Er wandte seine Weisheit daran, das Himmelsgewölbe zu bilden und die Erde mit einem Luftkreis1 zu umgeben, der den Lebensbedürfnissen des Menschen angemessen ist. Welch eine Fülle von Weisheit liegt schon nur in dieser einen schöpferischen Tat verborgen! Die Entdeckungen unserer kühnsten Forscher haben noch lange nicht alle Beweise von Planmäßigkeit herausgefunden, die in diesem Werk der Hände Gottes zusammengehört sind. Das Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menschen ist ja völlig abhängig von dem uns umgebenden Lufthimmel; wäre dieser von anderer Beschaffenheit, so wäre keiner von uns da, um Gott zu preisen. Gottes Fürsorge hat Luft und Wolken nach seinem erhabenen Plane bereitet zum Besten des Menschengeschlechts. Denn seine Güte währet ewiglich. Von diesem Vers an beschreibt der Psalmist die Güte Gottes im Einzelnen. Er beginnt seine Schilderung in den höchsten Regionen und steigt stufenmäßig herab von den Himmeln bis zu unserer Niedrigkeit (V. 23 Grundtext). Dies Herabsteigen ist in Wahrheit ein Aufsteigen, denn die Güte wird umso größer, je geringer die Wesen sind, denen sie sich zuwendet. Gottes Barmherzigkeit reicht weit, währet lang und umfasst alles. Nichts ist für sie zu hoch, dass sie es nicht erreichen könnte, und nichts zu tief für ihre Herablassung.

  Der mit Weisheit, Ordnung, Pracht
  Himmel schuf und - an uns dacht’!
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

6. Der die Erde auf Wasser ausgebreitet hat, indem er sie aus dem Gemisch von festen und flüssigen Bestandteilen aus dem bodenlosen Morast zum Festland gerinnen ließ und zur Wohnstätte für den Menschen bereitete. Wer anders als der HERR hätte dies Wunder zustande bringen können? Wenige denken auch nur je an die göttliche Weisheit und Macht, die alles dies vor alters gewirkt hat; und doch wird, wenn es sich nachweisen lässt, dass ein Weltteil sich innerhalb der geschichtlichen Zeit auch nur um einen Fuß gehoben oder gesenkt hat, diese Entdeckung in den Verhandlungen der gelehrten Gesellschaften berichtet und immer wieder besprochen. Denn seine Güte währet ewiglich. Das erweist sich an dem ursprünglichen Emporheben des bewohnbaren Landes und daran, dass dieses ständig über den Ozean hervorragt, so dass keine Flut unser Geschlecht ersäuft. In seiner Kraft setzt Jehovah die Berge fest (Ps. 65,7) und erhält er den Erdboden, darauf wir wohnen.

7. Der große Lichter gemacht hat. Auch dies ist ein Schöpfungswunder, das unserer wärmsten Danksagungen wert ist. Was hätten die Menschen ohne Licht machen sollen? Wenn sie auch das Himmelsgewölbe über sich gehabt hätten und das trockene Land als Boden unter ihren Füßen, was hätte es ihnen genützt, was hätten sie sehen können und wohin hätten sie gehen sollen ohne Licht? Dank, ewig Dank dem HERRN, dass er uns nicht der Finsternis anheimgegeben hat. Und in großer Güte hat er uns nicht einem ungewissen und undeutlichen Lichtschimmer oder stoßweise ohne Regel und Ordnung umherflutenden Lichtwellen überlassen, sondern das Licht für uns in zwei große Lichtträger vereinigt. Der Psalmdichter hat dies Lied für gewöhnliche Menschenkinder und nicht für die Herren Gelehrten verfasst; darum spricht er von Sonne und Mond so, wie sie uns erscheinen, als die größten Lichter. Sie hat der HERR im Anfang erschaffen (1. Mose 1,1) und für die jetzige Weltzeit zu Lichtträgern für die Erdenwelt gemacht (1. Mose 1,14). Denn seine Güte währet ewiglich. Des Ewigen Güte funkelt uns in jedem Lichtstrahl entgegen, und besonders deutlich ersehen wir sie in der wunderbaren Anordnung, nach welcher das Licht uns so regelmäßig und pünktlich von Sonne und Mond her ausgeteilt wird.

8. Die Sonne, dem Tage vorzustehen. Wir können, wenn wir Gottes Lob singen, nicht zu weit darin gehen, seine Wohltaten einzeln zu nennen. Nach Erwähnung der großen Lichter dürfen wir von jedem derselben singen, ohne zu fürchten, dass uns der Stoff ausgehe. Im Gegenteil, die Einwirkungen der Sonne auf unser Erdenleben sind viel zu mannigfaltig, als dass wir sie alle anführen könnten. Unzählige Wohltaten werden allen Klassen von Geschöpfen zuteil durch das Licht, die Wärme und die anderen Wirkungen dieses Himmelskörpers. So oft wir uns des lieblichen Sonnenscheins erfreuen, sollte unsere Dankbarkeit sich entzünden. Die Sonne ist ein gewaltiger Herrscher,2 aber das Regiment, das sie führt, ist für uns lauter Wohltätigkeit, weil ihre Kraft durch Gottes weise Güte so gemäßigt ist, dass sie sich unserer Schwäche vollkommen anpasst; möchten doch alle Herrscher die Sonne sich zum Vorbild nehmen, die nur herrscht, um zu segnen! Jeden Tag, da uns die Sonne wieder aufgegangen ist, haben wir Anlass, Gott zu danken, weil er uns durch das Licht erfreut. Die Sonne herrscht, weil Gott herrscht; nicht die Sonne sollen wir anbeten wie die Parsen (die alten Feueranbeter Persiens), sondern den Schöpfer der Sonne preisen wir, wie es der Dichter unseres Psalms tut. Denn seine Güte währet ewiglich. Ein Tag übermittelt dem andern die Botschaft von Gottes Güte; jeder Sonnenstrahl ist ein Gnadenerweis, denn er bescheint unwürdige Sünder, die sonst in kläglicher Finsternis sitzen und die Erde schon als eine Hölle empfinden würden.

9. Den Mond und die Sterne, der Nacht vorzustehen. Keine Stunde des Tages wie auch der Nacht entbehrt der sie beherrschenden Ordnung. Gott sei Dank, dass er uns nie der Anarchie (Gesetzlosigkeit) und ihrer Verwirrung überlässt. Die Herrschaft aber, der er die Erde unterworfen hat, ist ein Regiment des Lichtes und des Segens. Der Mond mit seinen anmutigen Wechseln und die Sterne mit ihren festen Bahnen erheitern uns die Nächte. Wenn es um uns dunkel und traurig zu werden beginnt, weil die Sonne uns entschwunden ist, dann kommen alsbald die vielen kleineren Tröster hervor. Die Sonne genügt für sich allein; aber wenn sie von uns gegangen ist, dann reicht eine ganze zahlreiche Schar nicht hin, uns mehr als ein ganz geringes Nachbild ihres Glanzes zu geben. Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit, vermag für sich allein mehr für uns als alle seine Diener zusammengenommen. Ist er da, dann ist’s Tag; verbirgt er sich uns, dann ist es Nacht und bleibt es Nacht für uns, mögen die menschlichen Tröster auch all ihr Licht aufbieten, um uns das Dunkel zu erhellen. - Wie gibt sich uns Gottes Güte zu schauen in den Himmelslampen, die uns die Landschaft bei Nacht erhellen! Und die gleiche Güte erkennen wir in dem Einfluss des Mondes auf Ebbe und Flut, diese mächtigen das Leben erhaltenden Kräfte! Der HERR ist auch der Erschaffer eines jeden der unzähligen Sterne, welcher Art sie auch seien. Er ruft sie alle mit Namen, und auf sein Geheiß erleuchtet jeder dieser Himmelsboten mit seiner Fackel unsere Finsternis. Denn seine Güte währet ewiglich. Mögen unsere Lobgesänge an Zahl mit den Sternen wetteifern, und o dass unser Leben die Güte des HERRN widerspiegele, gerade wie der Mond das Licht der Sonne zurückstrahlt! Die nächtlichen Führer und Erleuchter der Menschen auf deren Fahrten zu Wasser und zu Land halten ihre Wacht nicht je und dann für eine Weile, sondern allezeit. Sie leuchteten schon auf Adam im Paradies, und sie glänzen über uns. So sind sie Wahrzeichen und Unterpfänder der nimmer aufhörenden Gnade des Höchsten gegen die Menschenkinder.

  Himmel, Erd’ und ihre Heere
  Hat Er mir zum Dienst bestellt;
  Was mich nähret, was mich hält,
  Ist, wo ich mein Aug’ hinkehre.
  Alles Ding währt seine Zeit,
  Gottes Lieb’ in Ewigkeit!


10. Der Ägypten schlug an ihren Erstgeburten;
denn seine Güte währet ewiglich;
11. und führte Israel heraus;
denn seine Güte währet ewiglich;
12. durch mächtige Hand und ausgereckten Arm;
denn seine Güte währet ewiglich.
13. Der das Schilfmeer teilte in zwei Teile;
denn seine Güte währet ewiglich;
14. und ließ Israel hindurchgehen;
denn seine Güte währet ewiglich.
15. Der Pharao und sein Heer ins Schilfmeer stieß;
denn seine Güte währet ewiglich.


10. Wir haben von den Wundern der Güte Gottes in der Erschaffung der Welt gesungen; jetzt sollen wir den HERRN preisen für die Wunder seiner Güte, die sich in der Erschaffung des Volkes seiner Wahl und dessen Ausführung aus Ägypten kundgetan haben. Weil der Herrscher Ägyptens den Gnadenratschlüssen des HERRN im Wege stand, wurde es notwendig, mit ihm nach strenger Gerechtigkeit zu verfahren; der eigentliche Zweck dabei aber war, Israel, und durch Israel den kommenden Geschlechtern, ja der ganzen Welt, Gnade zu erweisen. Der Ägypten schlug an ihren Erstgeburten. Die letzte und schwerste der Plagen traf ganz Ägypten ins Herz. Man kann sich den Kummer und das Entsetzen, die dieses Gericht in der ganzen Nation hervorrief, nicht zu groß vorstellen. Vom König bis zum niedrigsten Sklaven waren alle an der empfindlichsten Stelle schwer verwundet. Die Freude und Hoffnung jeder Familie war in einem und demselben Augenblick dahin, und jedes Haus hatte sein besonderes Leid. All die vorhergehenden gewaltigen Hiebe hatten den Lebensnerv nicht getroffen; aber diese Heimsuchung schlug Ägypten. Der erstgeborene Sohn Jehovahs war von den Ägyptern misshandelt und bedrückt worden, und schließlich erfüllte der HERR seine Drohung: "Lass meinen Sohn ziehen, dass er mir diene. Wirst du dich des weigern, so will ich deinen erstgeborenen Sohn erwürgen." (2. Mose 4,22 f.) Denn seine Güte währet ewiglich. Ja, sogar bis zu diesem äußersten Grad, der Rache an einer ganzen Nation, währte Gottes treue Liebe gegen sein Volk. Der HERR ist langsam zum Zorn, und Gericht üben ist ihm ein Werk, das er nur ungerne tut; aber wenn seine Gnadenabsichten, die er gegen die Menschheit hegt, scharfe Eingriffe erheischen, so scheut er als rechter Arzt nicht davor zurück. Was galten alle Erstgeburten Ägyptens, wenn es sich um die Wahl handelte, entweder sie zu schonen oder jene göttlichen Ratschlüsse der Gnade gegen alle Geschlechter der Menschheit auszuführen, die mit der Befreiung des auserwählten Volkes unlöslich verknüpft waren? Lasst uns, selbst wenn Gottes Gerichte über die Erde ziehen, fortfahren, sein Lob zu singen.

  Nun, so jauchzt, ob’s Satan auch verneine:
  Seine Güte währet ewiglich!

11. Und führte Israel heraus (aus ihrer, der Ägypter, Mitte, Grundtext). Wiewohl die Kinder Israel hin und her im Lande mitten unter den Ägyptern zerstreut waren und ihre Unterdrücker sie augenscheinlich mit einem Griff gepackt hatten, der nicht gewillt war, sie je wieder loszulassen, wirkte der HERR doch ihre Befreiung und machte sie los von ihren götzendienerischen Fronvögten. Nicht einer von ihnen blieb in der Sklaverei. Der HERR führte sie aus, sie alle miteinander, und gerade zu der Stunde, da seine Verheißung fällig war (1. Mose 15,13). Er fand sie heraus, wiewohl sie mitten unter den Ägyptern waren, und führte sie aus, um sie nie wieder dahin zurückkehren zu lassen. Seinem Namen lasst uns danken für diesen weiteren Erweis seiner Güte gegen seine Auserwählten, denn seine Güte währet ewiglich. Es hatte eine Zeit gegeben, wo die Israeliten gar keine Lust hatten, auszuziehen, sondern lieber noch das schlimme Los, das jetzt ihr Teil war, tragen wollten, als wer weiß was für neuen Gefahren sich aussetzen; aber die Güte des HERRN bestand auch diese Probe und ließ nicht nach, das Nest so lange zu beunruhigen, bis die Vögel froh waren, ihre Schwingen gebrauchen und sich davon machen zu können. Er wandelte das Vorratshaus, wo ihnen einst in der Teuerung die Fülle gewinkt hatte, in ein Diensthaus, so dass die so hart verfolgte Nation schließlich mit tausend Freuden der Sklaverei entrann. Die unermüdlich treue Gnade des HERRN wird herrlich kund in der Weise, wie er seine Auserwählten aus der Welt ausscheidet. Er führt seine Erlösten aus, und sie sind hinfort ein Volk, das seinen Ruhm verkündigt.

  Israel, du Volk des HERRN, ihm eigen -
  Staune voll des Glaubens über dich!
  Sprich mit sel’gem, demutsvollem Neigen:
  Seine Güte währet ewiglich!

12. Durch mächtige Hand und ausgereckten Arm. Nicht nur die Ziele, sondern auch die Art und Weise der großen Taten des HERRN sollten uns Anlass zum Lobe Gottes sein. In dem Auszug Israels tat sich die große Macht und die Herrlichkeit Jehovahs erstaunlich kund. Er zerschmetterte mit seiner Rechten den Feind. Er führte sein Volk nicht heimlich oder ohne Ehren aus. "Er führte sie aus mit Silber und Gold, und es war kein Gebrechlicher unter ihren Stämmen" (Ps. 105,37). Ägypten war froh, dass sie auszogen. Gott wirkte da mit großer Machtentfaltung und erwies seine Majestät; er reckte seinen Arm aus, wie ein Arbeiter es tut, der mit vollem Eifer an der Arbeit ist, er erhob seine Hand wie jemand, der sich nicht schämt, bei seinem Werk gesehen zu werden. Ganz ähnlich ging es uns, als er uns aus der Tyrannei der Sünde befreite "nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirkt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel" (Eph. 1,19.20). Denn seine Güte währet ewiglich: darum tat sich seine Macht kund zur Rettung der Seinen. Genügt eine Plage nicht, um sie in Freiheit zu versetzen, so mögen deren zehn kommen; aber frei sollen sie werden zur festgesetzten Stunde, auch nicht ein Israelit soll unter Pharaos Gewalt bleiben. Gott gebraucht dazu nicht nur seine Hand, sondern auch seinen Arm - eher lässt er seine Kraft in außergewöhnlicher Weise in Wirksamkeit treten, als dass sein Gnadenratschluss nicht durchgehen sollte.

  Opfert Weihrauch, singet, Hochbeglückte:
  Seine Güte währet ewiglich!

13. Der das Schilfmeer teilte in zwei Teile. Er machte eine Bahn quer über den Meeresgrund, indem er die zerteilten Wasser gleich Mauern zu beiden Seiten aufrecht stehen ließ. Viele leugnen ja die Wunder und suchen an ihnen herumzudeuteln; aber vorausgesetzt, dass es einen Gott gibt, ist es doch leicht, an sie zu glauben. Da ich, um vernünftigerweise das Wunder verwerfen zu können, notwendig erst ein Gottesleugner werden muss, ziehe ich jedenfalls die ungleich geringere Schwierigkeit vor, an die unbeschränkte Macht Gottes zu glauben. Derselbe, der für gewöhnlich die Gewässer des Meeres als eine Masse beisammenbleiben lässt, kann sie mit gleicher Leichtigkeit teilen. Wer einen Stein in der einen Richtung zu werfen vermag, kann mittelst der gleichen Kraft ihn in einer anderen Richtung werfen. Der HERR kann genau das tun, was er will, und sein Wille ist, zu tun, was immer nötig ist, um sein Volk zu befreien. Denn seine Güte währet ewiglich, darum reicht sie durch das Meer hindurch so gut wie über das trockene Land. Ist’s nötig, so tut er etwas Neues, Unerhörtes, um sein altes Verheißungswort zu halten. Sein Weg ist im Meer und sein Pfad in großen Wassern, und er schafft seinem Volke eine ebene Bahn in dem Element, wo noch keines Menschen Fuß einen Pfad gefunden.

  Der sein Israel macht frei
  Von des Feindes Tyrannei,
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

14. Und ließ Israel (mitten) hindurchgehen. Er war es, der dem Volke den Mut gab, den vorgezeichneten Pfad durch den gähnenden Abgrund zu gehen, ein Weg, der wohl ein altes, geübtes Kriegsheer hätte in Schrecken setzen können. Es bedurfte keiner geringen Führerkunst, um einen so gewaltig großen und buntscheckigen, aller Vorübung entbehrenden Haufen Volks einen so völlig neuen und augenscheinlich so gefährlichen Weg zu führen. Aber der HERR vollbrachte das Werk; er leitete sie den noch von keinem Menschenfuße betretenen Pfad, führte sie hinunter in die Tiefe und am andern Ufer wieder hinauf in voller Ordnung, und hielt die ganze Zeit ihre Feinde zurück durch das Dunkel der Wolkensäule. In diesem Vorgang schattete sich die herrliche Befreiung des Volkes Gottes von der Sünde ab. Beim Gläubigwerden geben auch wir alles Vertrauen auf unsere Werke auf und wagen es, einen Weg einzuschlagen, der uns bisher völlig fremd war, nämlich den des Vertrauens auf das sühnende Blut; auf diese Weise werden wir höchst wirksam geschieden von dem Ägypten unseres früheren Zustandes, und unsere Sünden sinken in die Tiefe des Meeres, sie fallen zu Grunde wie die Steine (2. Mose 15,5), um nie wieder sich wider uns zu erheben. Das Volk ging trockenen Fußes mitten durchs Meer. Hallelujah! Denn seine Güte währet ewiglich. Die Gnade bahnte den Weg, die Gnade gab dem Heer den Mut, die Gnade führte sie hinab, und die Gnade brachte sie wieder heraus. Selbst bis zu den Tiefen des Meeres reicht Gottes Barmherzigkeit, für sie gibt es kein Hindernis, und solange sie über Gottes Volk waltet, gibt es für dieses keine Gefahr, denn der HERR ist um sein Volk her. Vorwärts! sei darum unsere Losung wie einst Israels, gehe es durchs Feuer oder durchs Wasser, denn Gottes Güte ist unser Schutz und Schirm.

  Lob und Ehr und Dank gebührt,
  Der sein Volk hindurchgeführt;
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

15. Der Pharao und sein Heer ins Schilfmeer stieß (oder wörtlich: schüttelte). Nun entladet sich das Zorneswetter Jehovahs vollends mit tödlichen Strahlen über den Unterdrückern des Gottesvolkes. Wiewohl wir aber die Gerichte des HERRN Schlag um Schlag krachen hören, sind diese doch, wenn wir sie auf ihren vornehmsten Zweck besehen, nur mit Donnerstimme predigende Gnadenwunder, die den Feind in Verwirrung und Vernichtung donnern, damit Jehovahs Auserwählte vor jenem nicht mehr zittern müssen. Die Wagen werden umgeworfen, die Reiter von den Rossen gestürzt. Der König und seine Krieger, miteinander werden sie von den Wogen verschlungen; sie werden von ihren Kriegswagen geschleudert wie die Heuschrecken, die vom Wind ins Meer geschüttelt werden. Gebrochen ist die Macht Ägyptens, sein Stolz dahin. Jehovah hat den Feind bezwungen. "Bist du nicht der, so das Ungetüm zerhauen und den Drachen (Bezeichnungen Ägyptens und Pharaos) durchbohrt hat?" (Jes. 51,9) Niemand ist für den HERRN zu mächtig, dass er ihn nicht bezwingen, niemand zu erhaben, dass er ihn nicht erniedrigen könnte. Der Feind folgte in der Wut seines Eifers Israel nach ins Meer, aber dort fand sein Grimm einen schrecklichen Lohn in dem Wellengrabe. Denn seine Güte währet ewiglich. Jawohl, Gottes Barmherzigkeit fuhr fort, seine Kinder zu schützen, und rief darum die Gerechtigkeit zu Hilfe, dass sie das Todesurteil an den Widersachern vollstrecke. Auf frischer Tat wurden sie ergriffen, mitten in der Empörung wider den Höchsten ereilte die frechen Angreifer das Geschick, das sie selber über sich herbeigerufen hatten. Wer sich in die Mitte des Meeres begibt, verlangt ersäuft zu werden. Die Sünde ist Selbstmord. Der Frevler geht aus eigener Wahl hinab in die Tiefe, und wenn er dann, wo es zu spät ist, inne wird, dass er aus dem Abgrund nicht mehr heraus kann, kommt dann sein Blut nicht über sein eigenes Haupt? Die beharrlich Unbußfertigen werden, so entsetzlich ihr Los auch sein wird, doch nichts wider die Gnade vorzubringen wissen; vielmehr wird das gerade ihr Elend ihnen noch schrecklicher machen, dass sie ihren Weg der Gnade zum Trotz gegangen sind und sich dem nicht ergeben wollten, dessen Güte ewiglich währet. Wenn die Israeliten diese Verse sangen, dann dachten sie dabei gewiss einzig an die Erlösung ihrer Väter von dem grimmigen Unterdrücker. Wie ein Lamm, das dem Löwen aus den Zähnen genommen wird, waren sie errettet worden; darum hat Israel allen Grund, seinen Retter zu preisen.

  Rühmt, rühmt den HERRN! Schaut, sein Erbarmen
  Bestrahlet uns in trüber Zeit,
  Und seine Gnade trägt uns Armen
  Von Ewigkeit zu Ewigkeit!


16. Der sein Volt führte durch die Wüste;
denn seine Güte währet ewiglich.
17. Der große Könige schlug;
denn seine Güte währet ewiglich;
18. und erwürgte mächtige Könige;
denn seine Güte währet ewiglich;
19. Sihon, der Amoriter König;
denn seine Güte währet ewiglich;
26. und Og, den König zu Basan;
denn seine Güte währet ewiglich;
21. und gab ihr Land zum Erbe;
denn seine Güte währet ewiglich;
22. zum Erbe seinem Knecht Israel;
denn seine Güte währet ewiglich.


16. Der sein Volk führte durch die Wüste. Er hatte sie hineingeführt, darum war es auch seine Sache, sie hindurchzuführen. Sie waren sein Volk, und doch mussten sie in die Wüste, und die Wüste musste so dürr und öde bleiben, wie sie jemals war; aber zuletzt mussten sie doch aus der Wüste in das Gelobte Land kommen. Gottes Walten ist geheimnisvoll, aber es muss dennoch recht sein, einfach weil er es ja ist, der also handelt. Das Volk hatte keine Ahnung von dem Wege, den es zu gehen hatte, aber es wurde geleitet. Sie waren ein großer Haufe, doch umfasste die Führung sie alle. Es gab in der Wüste weder Weg noch Steg, aber weil die nimmer irrende Weisheit sie leitete, verloren sie nie die Richtung. Er, der sie aus Ägyptens Sklaverei erlöst hatte, geleitete sie auch durch die Wüste. Durch Mose und Aaron, durch Jethro und durch die Wolkensäule führte er sie. Welch eine Menge von Erweisungen der Güte sind doch zusammengehäuft in der Führung einer solch ungeheuren Schar durch ein Gebiet, worin nicht einmal für den einzelnen Wanderer Unterhalt zu finden war; doch geleitete der HERR in seiner unendlichen Macht und Weisheit eine ganze Nation vierzig Jahre lang durch die große und grausame Wüste, und zwar so, dass ihre Füße nicht schwollen und ihre Kleider nicht veralteten auf dem ganzen langen Wege. (5. Mose 8,4). Denn seine Güte währet ewiglich. Das Verhalten der Kinder Israel in der Wüste stellte die Güte des HERRN in kaum glaublichem Maße auf die Probe; aber sie hielt stand. Gar oftmals vergab er ihnen, und wiewohl er sie züchtigte um ihrer Übertretungen willen, wartete er doch darauf, ihnen gnädig sein zu können, und wandte sich ihnen eilends wieder zu in seinem Erbarmen. Ihre Treue ging bald in die Brüche, aber nicht die seine. Die Wolken- und Feuersäule, die nicht abließ, dem Heer voranzuziehen, war der sichtbare Erweis seiner unwandelbaren Liebe.

  Der sein Volk durch Wüsten führt
  Und doch väterlich regiert,
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

17. Der große Könige schlug. Im Angesicht seines Erbes hatte Israel mächtigen Feinden die Stirn zu bieten. Könige, die für groß angesehen wurden wegen der Heere, die hinter ihnen standen, versperrten ihnen den Weg. Aber dieses Hindernis verschwand bald, denn der HERR schlug die Widersacher, und ein einziger Streich genügte zu ihrer Vernichtung. Er, der den wirklich mächtigen Herrscher Ägyptens bezwungen hatte, war mit diesen kleinen Königen schnell fertig, so groß sie auch in der Schätzung der Nachbarfürsten waren. Denn seine Güte währet ewiglich. Die Gnade, welche die Auserwählten bis hierhergebracht hatte, ließ sich durch den Widerstand großsprecherischer Feinde nicht zum Wanken bringen. Jehovah, der am Anfang des Wüstenzuges Pharao geschlagen hatte, schlug Sihon und Og am Schluss desselben. Wie konnten diese Könige auf Gelingen hoffen, da die Gnade selber wider sie zu Felde zog?

18. Und erwürgte mächtige (wörtl.: herrliche, gepriesene) Könige. Was nützte ihnen all ihre Berühmtheit? Da sie Gott widerstanden, verwandelte sich ihr Ruhm in Schande, sie wurden berüchtigt statt berühmt. Ihr Ende ließ des HERRN Ruhm groß werden unter den Völkern, während all ihre Macht und Ehre in schmählicher Niederlage endete. Denn seine Güte währet ewiglich. Die rechten Israeliten, die ihr Volk und Vaterland lieb hatten, konnten von solcher Musik nie genug haben. Gott hatte ihr Volk gnädig beschützt, und sie sangen sein Lob immer wieder mit unermüdlichem Eifer.

  Der die Kleinen liebreich trug,
  Große Könige für sie schlug,
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

19. Sihon, der Amoriter König. Sein Name werde erwähnt, damit Gottes Güte desto besser im Gedächtnis bleibe. Sihon hatte Moabs Herrlichkeit zunichte gemacht, aber Israel konnte er nicht schlagen, denn der HERR schlug ihn. Er war ein tapferer und mächtiger Held und war somit beides, groß und berühmt (V. 17.18); aber da er sich eigensinnig weigerte, den Israeliten friedlichen Durchzug durch sein Land zu gestatten (4. Mose 21,21 ff.), und aus Bosheit wider sie stritt, war keine andere Wahl, als ihn in sein Verderben rennen zu lassen. Er wollte den Fluch haben, so kam er über ihn (Ps. 109,17). Sein Sturz geschah schnell, und es war ein Todessturz, und dieses Ereignis machte auf das auserwählte Volk solch einen gewaltigen Eindruck, dass es noch lange davon in seinen Volksliedern sang. Denn seine Güte währet ewiglich. Gottes Barmherzigkeit gegen die Seinen kennt kein Ansehen der Person; weder die Größe noch der Ruhm Sihons konnten diesen schützen, nachdem er sich erfrecht hatte, Israel anzugreifen. Der HERR wird sein Volk nicht deshalb verlassen, weil ein Sihon tobt und poltert.

20. Und Og, den König zu Basan. Er war vom Geschlecht der Riesen, aber er ward in die Flucht geschlagen wie ein Zwerg, als er wider den Gott Israels auf den Kampfplatz trat. An Gottes Volk erging der Ruf, wider ihn zu kämpfen, aber Gott war es, der den Sieg gewann. Die Festen Basans waren keine Schutzwehr gegen den Allmächtigen. Og war aus seinen höhlenreichen Schlupfwinkeln bald vertrieben, als der Fürst über das Heer des HERRN (Jos. 5,13 f.) den Krieg wider ihn anführte. Er musste sein eisernes Bett (5. Mose 3,11) mit einem Lager im Staube vertauschen, denn er fiel auf dem Schlachtfeld. Preis sei dem göttlichen Sieger, denn seine Güte währet ewiglich. Wenn ein Sihon den HERRN nicht hat von seinem erhabenen Ratschlusse abbringen können, dann dürfen wir sicher sein, dass es auch ein Og nicht vermag. Er, der uns aus einer Trübsal errettet, wird uns auch aus einer andern erlösen und alles Wohlgefallen seiner Güte an uns erfüllen.

  Er war seines Volkes Freund,
  So besiegt es jeden Feind.
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

21. Und gab ihr Land zum Erbe. Als der Herr der ganzen Erde übertrug er das Land von einem Lehnsmann auf einen andern. Kanaan ward Eigentum der Israeliten nicht durch ihr Schwert und ihren Bogen (Jos. 24,12), sondern durch eine Schenkung vom Thron. Diese Besitznahme des gelobten Landes war das große Ziel, das der HERR die ganze Zeit von Ägypten an bis zum Überschreiten des Jordans im Auge gehabt hatte. Er, der sein Volk herausgeführt hatte, führte sie auch hinein. Er, der das Land Abraham und seinem Samen verheißen hatte, sorgte dafür, dass die Schenkungsurkunde nicht toter Buchstabe blieb. Sowohl unsere zeitlichen als auch unsere geistlichen Güter werden uns zuteil durch einen königlichen Gnadenbrief. Was Gott uns verleiht, das ist unser kraft des besten Rechtstitels. Ein Erbe, das uns als Gottes Gabe zukommt, ist ein Besitz, den uns auch der Satan nicht streitig machen kann. Denn seine Güte währet ewiglich. Treue Liebe hat kein Ende und führt ihre Pläne durch. "Du bringst sie hinein", so hatte Mose schon in prophetischem Geiste gesungen (2. Mose 15,17), und nun sehen wir die glorreiche Tat vollendet.

22. Zum Erbe seinem Knecht Israel. Wiederholungen sind in Liedern sehr wirkungsvoll, und zumal, wenn sie irgendeine kleine Veränderung enthalten, die einen Punkt heller ins Licht stellt, der sonst der Beachtung entgangen wäre. Die Gebiete der heidnischen Könige wurden Israel gegeben: mit diesem Namen wird der auserwählte Same im Psalme jetzt zum dritten Mal genannt, hier mit dem Beisatz: seinem Knecht. Das Lehensrecht auf Kanaan ward Israel gegeben unter der Bedingung, dass es dem Eigentumsherrn des Grundes und Bodens, der es ihm zu Lehen verlieh, Dienst und Heerfolge leiste. Das Land war es wert, besungen zu werden; seine Vorzüglichkeit rechtfertigte es völlig, dass ihm zwei Strophen unseres Psalms gewidmet wurden. Auch die Austeilung des Landes durchs Los sowie die Gesetze, wodurch die Familiengüter den Eigentümern und deren Nachkommen als beständiges Erbe gesichert waren, gaben Anlass zu fröhlichem Lobpreis. Hätten andere Nationen solch vorzügliche Grundrechtsgesetze, die jeder Familie ein Fleckchen Erde zur Bebauung sicherten, so hätte ein gut Teil der gegenwärtig herrschenden Unzufriedenheit niemals entstehen können, der Bettel würde bald etwas ganz Ungewöhnliches und völlige Armut äußerst selten sein. Denn seine Güte währet ewiglich. Jawohl, des HERRN Güte eroberte das Land, teilte die Beute unter die, welchen seine Huld sich zugewandt hatte, und sicherte jeden in seinem Erbteil. Preis sei dem treuen Gott.

  Jauchz’ Israel, und bring’ ihm Ehre!
  Er zeigte dir es jederzeit
  - Frohlock’-, dass seine Gnade währe
  Von Ewigkeit zu Ewigkeit!


23. Denn er dachte an uns, da wir unterdrückt waren;
denn seine Güte währet ewiglich;
24. und erlöste uns von unseren Feinden;
denn seine Güte währet ewiglich.


23. Er gedachte an uns in unserer Niedrigkeit. (Wörtl.3 Gnadentaten, die wir persönlich erfahren haben, wecken die süßesten Lieder. "Er gedachte an uns!" Unser Flehen ist: "HERR, gedenke an mich", und wir werden dazu ermutigt durch die Tatsache, dass er an uns gedacht hat. Welch erstaunliche Güte ist es, wenn der HERR unser auch nur gedenkt, denn wie tief muss er sich herablassen zu unserer Niedrigkeit! Unsere Lage war in der Tat eine sehr gedrückte; wir waren völlig hilflos. Israel blieb zwar in seinem Erbteil, aber wir waren trotzdem in Sklaverei und seufzten in schrecklicher Gefangenschaft, und der HERR schien uns vergessen zu haben, denn er ließ uns in unserem Elend. Aber so blieb es nicht lange; er kehrte sich wieder zu uns voll Erbarmen, denn er gedachte seiner betrübten Kinder. Wir waren einst so tief heruntergekommen, dass wir uns am Abgrund der Hölle befanden; aber auch seither sind wir oft in schwer bedrückter Lage gewesen durch Armut, Vereinsamung, Krankheit und Herzeleid aller Art, und ach leider auch durch Mangel an Glauben, an Liebe, an Hoffnung. Wir klagten wohl: "Mein ist vergessen im Herzen wie eines Toten" (Ps. 31,13); aber nein, der HERR gedachte unser dennoch mit der ganzen Zartheit seiner Liebe. Wir hielten uns für zu gering und zu unwürdig, als dass der HERR sich um uns bekümmern sollte; aber er übersah uns nicht. Denn seine Güte währet ewiglich. Fürwahr, dies ist einer der klarsten Beweise der Unwandelbarkeit seiner Barmherzigkeit; denn wenn er gegen irgendjemand sich veränderlich erweisen könnte, dann wäre das sicher gegen uns der Fall gewesen, die wir so vielfach an unserem Elend selber schuld waren, im Staube liegen blieben und, wenn es auf uns angekommen wäre, immer tiefer gesunken wären. Das ist in der Tat denkwürdige Gnade, dass er unser gedachte in unserem Elend. So sind wir denn gewiss, dass er uns auch jetzt nicht verlassen noch versäumen wird. Drum lasst uns ihm mit Herz und Mund lobsingen,

  Der auch in der tiefsten Nacht
  Immer huldreich an uns dacht’.
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!

24. Und erlöste uns von unseren Feinden. Die Feinde Israels waren es, die das Volk in solche Niedrigkeit gebracht hatten; aber der HERR trat ins Mittel und wendete das Blatt durch eine große, herrliche Erlösung. Er riss uns los von unseren Bedrängern: der Ausdruck zeigt, dass es sich um eine machtvolle Tat Jehovahs und um Errettung aus der äußersten Gefahr handelte. Was uns selbst betrifft, so ist die Erlösung, in Christo Jesu uns widerfahren, wahrlich auch Anlass genug, dem HERRN Dank zu sagen. Die Sünde ist unser Feind, aber gottlob! wir sind von ihr erlöst durch das kostbare Blut. Der Satan selbst ist unser Feind, aber gottlob! wir sind von ihm errettet durch die Macht unseres Erlösers. Die Welt ist unser Feind, aber gottlob! wir sind von ihr erlöst durch den Heiligen Geist. Wir waren in schrecklicher Sklaverei, aber wir sind befreit; o lasst uns von unserer Freiheit Gebrauch machen! Christus hat unsere Erlösung vollbracht; o lasst uns seinen Namen erhöhen! - Denn seine Güte währet ewiglich:

  Sein Sohn ist ihm nicht zu teuer,
  Nein, er gibt ihn für mich hin,
  Dass er mich vom ewigen Feuer
  Durch sein teures Blut gewinn.
  O du unergründter Brunnen,
  Wie will doch mein schwacher Geist,
  Ob er sich gleich hoch befleißt,
  Deine Tief ergründen können?
  Alles Ding währt seine Zeit,
  Gottes Lieb in Ewigkeit!


25. Der allem Fleisch Speise gibt;
denn seine Güte währet ewiglich.


25. Der allem Fleisch Speise gibt. Gottes allwaltende Vorsehung ist unseres innigsten Dankes wert. Denken wir an die Himmelsspeise, durch die alle Gläubigen erhalten werden, so wird unser Lobpreis auf eine noch höhere Tonart gestimmt; doch ist auch die allgemeine Güte Gottes, in der er alle seine Geschöpfe speist, ebenso des Preises würdig wie die besonderen Gnadenerweisungen, die er seinem auserwählten Volke angedeihen lässt. Weil der HERR alles, was Leben hat, so gütig erhält, darum erwarten wir bestimmt, dass er für die Seinen, für die, welche ihm am nächsten am Herzen liegen, in besonderer Liebe sorgen wird. Denn seine Güte währet ewiglich. Reicht sie sogar hinunter zu den Tieren und dem Gewürm, dann ist sie wahrlich schrankenlose Güte, die in der Niedrigkeit derer, die ihrer bedürfen, kein Hindernis findet.

  Dankt dem HERRN mit frohem Mut,
  Er ist freundlich, er ist gut!
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!


26. Danket dem Gott des Himmels;
denn seine Güte währet ewiglich.


26. Danket dem Gott des Himmels. Das ist ein Name, hoch an Ehren. Der HERR ist Gott in den höchsten Höhen, ihn beten die himmlischen Wesen an. Sein Thron steht in erhabener Herrlichkeit, hoch über allem, außer dem Bereich aller Feinde, und an einer Stätte, von wo aus alles zu übersehen ist. Er, der sich herablässt, den Raben und den Sperlingen Speise zu geben, ist und bleibt dennoch der hocherhabene Gott des Himmels. Die Engel rechnen es sich zur höchsten Ehre, seinen Ruhm kundzutun in allen Regionen des Himmels. Lasst uns daran erkennen die Erhabenheit seines Wesens, die Tiefe seiner Herablassung, die Länge und Breite seiner Liebe. Beachten wir, was der alleinige Grund all seiner freigebigen Wohltaten ist: Denn seine Güte währet ewiglich. Alles, was er tut, geschieht aus Liebe und Barmherzigkeit; und weil seine Güte nimmer aufhört, wird er fortfahren, seine Liebestaten zu vervielfältigen ein Menschenalter ums andere, eine Ewigkeit um die andere. Und wir sollten aufhören, seinen hochheiligen Namen zu preisen? Nein,

  Bringt dem Gott des Himmels Dank;
  Schweige nie, mein Lobgesang!
  Seine Güt’ ermüdet nie,
  Ewig, ewig währet sie!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Die griechische Kirche nennt diesen Psalm Polyeleos wegen seiner beständigen Hinweisung auf die Güte Gottes. James Millard Neale † 1866.
  In der liturgischen Sprache heißt vorzugsweise dieser Psalm das große Hallel; denn seinem weitesten Umfange nach befasst das große Hallel Psalm 120 bis Psalm 136, während das Hallel schlechtweg von Psalm 113 bis Psalm 118 reicht. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Preiset den HERRN für das, was er ist (V. 1-3), für das, was er zu tun vermag (V. 4), für das, was er in der Erschaffung getan (V. 5-9), für das, was er in der Erlösung Israels aus der Knechtschaft getan (V. 10-15), für das, was er in seiner Fürsorge für Israel getan (V. 16-22), für seine Gnade in Zeiten des Unglücks (V. 23.24), für seine Güte gegen alles Fleisch (V. 25). Preiset diesen Gott als den Gott des Himmels (V. 26). Andrew Alexander Bonar 1859.
  Als zur Zeit des Kaisers Konstantius der Bischof Athanasius i. J. 356 von den kaiserlichen Truppen des Nachts in seiner Kirche zu Alexandrien angegriffen und viele Gläubige verwundet und getötet wurden, blieb der Bischof in seinem Stuhle und befahl dem Diakonen, diesen Psalm anzuheben, und die Gemeinde antwortete pünktlich mit dem Wechselgesang: Denn seine Güte währet ewiglich. Christ. Wordsworth † 1885.
  Wie der vorige Psalm schließt sich dieser dem Deuteronomium an. Die Vordersätze von V. 2.3 sind aus 5. Mose 10,17; V. 12a aus 5. Mose 4,34; 5,15 usw. (vergl. Jer. 32,21); V. 16a wie 5. Mose 8,15. Ebenso sind V. 19-22 (vergl. Ps. 135,10-12) deuteronomisch, siehe 5. Mose 3,21; 4,38; 7,1; 9,1; 11,23 usw. - Nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Zum Kehrreim. Nicht alle Wiederholungen sind müßig, und nicht alle langen Gebete fallen unter das Urteil des Viele-Worte-Machens. Wiederholungen dürfen wir gebrauchen: 1) Wenn sie der Ausdruck der Inbrunst und des Eifers sind. So lesen wir von Christus selbst: Er betete zum dritten Mal und redete dieselben Worte (Mt. 26,44). Ein anderer Evangelist deutet uns an, dass er dies aus besonderer Inbrunst des Geistes tat: Und es kam, dass er mit dem Tode rang, und betete heftiger (Lk. 22,44). 2) Wiederholungen darf man ferner nicht abfällig beurteilen, wenn dieselben zu kräftiger Hervorhebung einer großen Wahrheit dienen und von besonderer innerer Schönheit sind, wie hier in Ps. 136. Da wird das "Denn seine Güte währet ewiglich " sechsundzwanzigmal wiederholt, weil der Psalmist die Unermüdlichkeit der göttlichen Güte ins Licht stellen will und deren unerschöpflichen Reichtum, da Gott trotz all der Gnadenwunder, die er gewirkt, noch immer so reich ist an Güte wie je. Wir geben uns schnell aus, unser Tröpflein Güte ist bald verbraucht; Gottes Güte aber ist immer wieder aufs Neue zum Wohltun bereit. Thomas Manton † 1677.
  Denn seine Güte währet ewiglich. Sollen wir dsexe mit Güte oder Gnade übersetzen? Die LXX haben es bekanntlich meist mit e}leoj wiedergegeben, und dies Wort steht z. B. auch Lk. 1,54 dafür, während der eigentliche neutestamentliche an die Stelle von dsx getretene Ausdruck ca)rij ist. dsx = e}leoj = Güte ist (vergl. Cremer, Neutestamentl. Gräcität) die in heiligem Affekt wallende Liebe Gottes, die sich dem menschlichen Elend, der menschlichen Hilfsbedürftigkeit (und besonders auch dem Elend und der Hilfsbedürftigkeit des auserwählten Volkes) als mitleidende Barmherzigkeit heilvoll zuwendet, es ist die sich gebunden wissende und sich bindende Liebe Gottes gegen die Bedrängten und Elenden. In dsx = ca)rij = Gnade hingegen tritt einerseits die Freiwilligkeit der sich dem Menschen zuneigenden Liebe Gottes, die Souveränität der Gnade hervor, andererseits die Beziehung derselben nicht nur auf das Elend im Allgemeinen, sondern insbesondere auf die Sündenschuld. Danach richtet sich auch die Wahl des deutschen Ausdrucks. Luther hat sich auch hierin als Meister erwiesen, dass er z. B. in unserem Psalm chesed mit Güte übersetzt, hingegen in den "paulinischen" Psalmen, z. B. Ps. 103,17; 130,7, für das gleiche Wort, sich von den LXX losmachend, Gnade sagt. Aber auch bei einem und demselben alttestamentlichen Ausspruch über die göttliche chesed werden wir je nach der Färbung der Bedeutung, in welcher wir ihn verwenden, bald besser Güte, bald besser Gnade sagen. - James Millard
  Viel liebliche, köstliche Dinge sind in Gottes Wort, aber das Wort Gnade ist doch das süßeste in der ganzen Heiligen Schrift. Kein Wunder, dass es den Psalmsänger dazu bewegt, in diesem Liede sechsundzwanzigmal in die Saiten seiner Harfe zu greifen, um sie, die ewig währende, zu besingen. Wie die Lerche, wenn sie so recht in der Sangeslust ist, schmetternd und trillernd ihre Kreise immer höher zieht, so der Psalmist hier. Henry Smith † 1591.


V. 1. Denn er ist gut. (Wörtl.) Beachten wir, wofür wir danken sollen: nicht wie der Pharisäer Lk. 18, dessen Dankgebet seine Spitze in dem Ruhm der Vortrefflichkeit des Betenden hatte - "Ich danke dir, Gott, dass ich usw." -, sondern so, dass alle unsere Danksagungen auf Gottes Ehre zielen. Matthew Henry † 1714.


V. 4. Der große Wunder tut allein. Dreierlei wird hier über Gott bezeugt, dass er Wunder tut, dass die Wunder, welche er wirkt, groß sind und dass er allein sie tut. Aurel. Augustinus † 430.
  Er hat keinen, der ihm die Gedanken eingibt, und keinen, der ihm bei der Ausführung hilft. Ganz aus eigenem Antrieb geht er ans Werk, und alles, was er wirkt, ist Gottes würdig. So haben wir also sonst niemand nötig, wir sind von allen andern unabhängig; alle unsere Quellen sind in ihm (vergl. Ps. 87,7 Grundtext). Andrew Alexander Bonar 1859.
  Es geziemt dem großen Gott, große Dinge zu gewähren. Wenn du Großes von ihm erbittest, so begehrst du eben solches, was zu geben Gott wohl ansteht, dessen Güte bis an den Himmel reicht. Nichts unter dem Himmel kann für ihn zum Geben zu groß sein. Je größere Dinge er gewährt, desto größere Herrlichkeit fällt auf seinen Namen zurück. David Clarkson † 1686.
  Christen sollten sich der Geheimnisse und Wunder ihrer Religion nicht schämen. In den letzten Jahren tritt einem bei manchen eine Neigung entgegen, von der Verteidigung des Übernatürlichen im Christentum abzustehen. Das ist ein großer Missgriff. Gibt man das Wunderbare auf, das in der wahren Religion enthalten ist, so bleibt keine Macht übrig, die imstande wäre, ein Herz zur Anbetung zu bewegen, und ohne Anbetung gibt es keine Frömmigkeit. William Swan Plumer † 1880.
  Je länger ich lebe, desto mehr staune ich, o mein Gott, über all die Werke deiner Hände. Ich schaue solch bewundernswerte Kunst in den allergeringsten und scheinbar verächtlichsten deiner Geschöpfe, dass ich bei der Beobachtung derselben Tag für Tag mehr staunen muss. Ich brauche dazu gar nicht meine Blicke zum Himmel schweifen zu lassen, wiewohl du dich da vollends als der unendlich Herrliche erweisest; aber selbst wenn ich nur eine Spinne an meinem Fenster, eine Biene im Garten oder ein Käferchen zu meinen Füßen betrachte, so werde ich schon von Staunen überwältigt; und doch sehe ich nichts als ihr Äußeres, in die innere Gestalt derselben, in den Herd ihres Lebens und Wirkens vermag ich nicht hineinzuspähen. Bischof Joseph Hall † 1656.


V. 7. Der große Lichter gemacht hat. Durch sie werden Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Sommer und Winter beständig geregelt, so dass Gottes Bund, die gegenwärtige Weltzeit betreffend, durch ihre Vermittlung aufrechterhalten wird. So erweist sich denn in ihrem Wirken auch sonderlich die Beständigkeit der göttlichen Güte. John Morison 1829.


V. 7-9. Licht ist das Leben und die Seele des Weltalls, das edelste Abbild und Sinnbild von der Macht und Herrlichkeit des großen Gottes, der uns auch in der Nacht nicht ohne solche Zeugen lässt, sondern uns dann einen Teil des Lichtes, das wir bei Tage aus der großen Lichtquelle im Herzen des Himmels hervorströmen sehen, als Widerschein leuchten lässt. - Deine Gemeinde und deine Heiligen, o HERR, sind der Mond und die Sterne, die durch Übermittlung der Wahrheit und durch das Licht des Beispiels unseren Füßen ein Licht sind, während wir in der Nacht, die uns befallen hat, harrend auf das Anbrechen des ewigen Tages, vorwärts wandern. Dann werden wir deine Herrlichkeit erblicken und dich sehen, wie du bist. Bischof G. Horne † 1792.
  Ohne Licht wäre das Weltall eine ungeheure Totengruft. Das Sonnenlicht ist das große Mittel in der Hand des Schöpfers, die ganze irdische Schöpfung zu beleben. Eintauchend in die Feuchtigkeit des Auges bewirkt das Licht die Empfindung des Sehens; eindringend in den Saft der Pflanzen bewirkt es das Wachstum der Zellen, das Grün der Blätter, den Duft der Blüten, das Reifwerden der Früchte, die Pracht der Farben. Alle die lieblichen Farbentöne, welche den Himmel und die Erde schmücken, der Glanz der Sterne, das Blau des Himmels, die Pracht des Regenbogens, das Feuer des Diamanten, der Glanz des Goldes, das Schillern des Brillantkäfers, die Pracht der Blumen, - sie sind ein Zauber des Lichts.
  Eindringend in die unteren dichteren Schichten der Atmosphäre und in die Oberfläche der Erde bewirkt das Licht die Erwärmung der Luft und des Bodens, durch welche alle Strömungen der Luft und der Gewässer, alle Entwicklung der Pflanzen und Tiere, kurz alles Leben der Erde bedingt wird. Eindringend in den Wasserdunst der Wolken entwickelt das Licht die Elektrizität des Blitzes. Es erzeugt in der gesamten Erdoberfläche die Strömungen des Erdmagnetismus. Es verwandelt sich in Wärme und bedingt als solche alle chemischen und physikalischen Bewegungen, ja die Kraft des Lichtes setzt sogar die Himmelskörper in Bewegung und hält sie im Gleichgewichte ihrer Bahnen.
  Alles, was Gott erschaffen hat, zeugt von seiner Allmacht, Weisheit und Güte; aber die Wunder des Lichts stehen unter den Zeugen seiner Majestät obenan. Der Leben weckende Lichtstrahl, welcher die Nacht in Tag, Tod in Leben, die Grabesruhe des Winterfrostes in die Wonne des Frühlings umwandelt, ist zugleich der Gottesbote, welcher uns Kunde bringt von den Gliedern des unermesslichen Vaterhauses, von den Welten, die Millionen von Sonnenweiten von uns entfernt sind; er ist der Herold der ewigen Liebe, welche mit ihren unsichtbaren Banden Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, Geist und Leib in Verbindung setzt. Die Schwingen des Lichts durcheilen den Weltraum bis an den Markstein der irdischen Schöpfung, um Leben zu wecken, Segen zu spenden, jede empfindende Seele aus dem Schlummer zur Freude in Gott zu erheben. Dr. A. N. Böhner 1878.


V. 9. Sterne. Als der erste Napoleon auf seinem Zuge nach Ägypten über das Mittelländische Meer fuhr, hatte er eine Schar von Gelehrten bei sich, die sich in mancher Hinsicht sehr nützlich erwiesen. Unter ihnen waren jedoch, wie in jener Zeit nicht anders zu erwarten, nicht wenige von der Schule Voltaire-Diderots. Napoleon begünstigte zu seiner eigenen Belehrung und Unterhaltung während der Fahrt Disputationen dieser Herren untereinander. Bei einer Gelegenheit unterfingen sie sich, beweisen zu wollen, dass es keinen Gott gebe, und nach ihrer Meinung gelang es ihnen auch, durch unwidersprechliche Sätze der Logik das klipp und klar zu beweisen. Bonaparte, der im innersten Grunde aller spekulativen Philosophie, allem abstrakten Denken und logischen Demonstrationen, einerlei um was es sich dabei handeln mochte, abhold war, ließ sich mit den spitzfindigen Meistern der Disputierkunst diesmal in kein Gefecht ein, sondern führte sie einfach auf Deck und sagte, auf die Sterne am klaren Nachthimmel weisend: "Ganz gut, meine Herren, aber wer hat diese alle gemacht?" George Wilson 1862.


V. 10. Auch dann waltete die Gnade über Israel, als Gericht über andere kam. Sollte das unserem Lobpreis nicht besondere Kraft verleihen? Der dunkle Hintergrund lässt die Gestalten im Vordergrunde umso deutlicher hervortreten. Andrew Alexander Bonar 1859.


V. 11. Und führte Israel heraus. Eine Auswanderung wie diese hat die Welt nie gesehen. Nach der niedrigsten Schätzung muss die gesamte Volksmenge sich auf zwei Millionen belaufen haben. (Vergl. 2. Mose 12,37 f.) Ob die Bibelleser sich von der Größe dieser Massenbewegung für gewöhnlich wohl einen Begriff machen? Denken wir uns eine Menschenmasse, die der Bevölkerung einer ganzen Provinz gleichkommt, ausziehen mit all ihrem Hab und Gut und ihrem gesamten Viehstand! Das Zusammenbringen einer so ungeheuren Menge in einer Nacht, das Anordnen des Heereszuges, die Beschaffung der nötigen Nahrung auch nur für wenige Tage, das alles wäre unter den obwaltenden Umständen ganz unmöglich gewesen, wenn nicht ein ganz besonderes Eingreifen der göttlichen Vorsehung alle Schwierigkeiten beseitigt hätte. Kaum erscheint eins der Wunder, welche die göttliche Macht in Ägypten gewirkt hatte, dem nachdenkenden Leser größer als dieser Auszug des Volkes. George Smith 1850.


V. 12. Die Bildrede von dem ausgereckten Arm ist durchaus passend. Wir strecken den Arm aus, wenn eine besondere Kraftanstrengung erforderlich ist, und eben dies will der Ausdruck besagen, dass Gott eine außerordentliche, nicht eine gewöhnliche oder kleine Erweisung seiner Macht geoffenbart habe, da er sein Volk erlöste. Jean Calvin † 1564.


V. 14. Und machte, dass Israel mitten hindurch hinüberging. (Andere Übers.) Nicht minder gütig und machtvoll als die Vorbereitung der Befreiung selbst war jenes Werk Gottes in den Herzen, da er den Seinen die Gnade gab, von dem dargebotenen Mittel der Befreiung Gebrauch zu machen, so dass sie willig und mutig hindurch gingen. Und auch nicht einer ging bei dem Übergang verloren. David Dickson † 1662.
  Gar manchmal erfahren die Gerechten Heil, während es den Gottlosen übel geht (vergl. Jes. 3,10). Abraham sieht von dem Berge Sodom in Flammen. John Trapp † 1669.


V. 15. Der Pharao und sein Heer ins Schilfmeer stieß, wörtlich ausschüttelte, wie ein Baum sein Laub abwirft (Jes. 33,9). Das gleiche Wort ist 2. Mose 14,27 von der Katastrophe am Schilfmeer gebraucht. Vergl. auch Neh. 5,13. Gott schüttelte die Ägypter von sich; er war es müde, sie zu tragen, und überließ sie dem Verderben. Albert Barnes † 1870.
  Ich weiß, dass die Bibel das Buch von Gottes Gnade ist, dass die Propheten viele Verheißungen der Gnade haben und sogar in den zehn Geboten ausdrücklich die Gnade erwähnt wird (2. Mose 20,6). Doch, ob auch auf jedem Blatt der Bibel Gottes Gnade verkündigt wird, so nützt diese doch den vermessenen, unbußfertigen Sünder nichts. Ist Gott von großer Langmut, so bleibt er doch der Heilige und Allmächtige. Beachte in diesem Psalm, der sechsundzwanzigmal die ewige Gnade des HERRN besingt, den krachenden Donnerschlag des vorliegenden Verses. Abraham Wright † 1690.


V. 16. Der sein Volk führte durch die Wüste. Es ist eine überaus tröstliche Wahrheit in diesem Vers enthalten, die wir uns recht zu Gemüt führen sollten. Sein Volk, sein Volk des Eigentums, seine Auserwählten und Geliebten, diese Hochbevorzugten, die er wert hielt wie seinen Augapfel, die ihm in die Hände gezeichnet waren und die er mit ewiger Liebe liebte, sie führte er durch die Wüste - denn seine Güte währet ewiglich! In einem anderen Psalm heißt es: Er leitet mich auf grüner Aue und führet mich zum frischen Wasser; die unfruchtbare Wüste hat aber keine grünen Auen, die sengend heiße, dürre Öde keine frischen Wasser. Und doch sollen Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Land, und es wird daselbst eine Bahn sein, und die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen, ewige Freude wird über ihrem Haupte sein (Jes. 35,6-10). Es ist eine jener köstlichen Gotteswahrheiten, die die, welche draußen sind, so in Verlegenheit bringen, Gottes Kindern aber so reichen Trost darreichen, dass die "Wüste" und die "Gnade" in unserem Vers und überhaupt in Gottes Führungen untrennbar verbunden sind. "Siehe, ich will sie locken und will sie in eine Wüste führen und freundlich mit ihr reden" (Hos. 2,16). Barton Bouchier † 1865.
  Beachte, wie in diesem Vers mit dem, was vorausgeht und nachfolgt, drei Stücke der göttlichen Führung hervortreten. Er führt aus, er führt hindurch, und er führt ein: aus Ägypten durch die Wüste ins gelobte Kanaan - aus der Sünde durch die Welt in den Himmel. Er führt aus durch den Glauben, hindurch mittelst der Hoffnung, hinein durch die Liebe. Michael Ayguan † 1416.


V. 17. Dass es auch über die Vertilgung der Feinde heißt: "Seine Güte währet ewiglich ", ist so anzusehen, wie wenn ein Kind von einem Tier angefallen worden wäre, und man erlegt dem Kind zuliebe das Tier, so wäre das eigentlich ein Werk der Liebe. Ebenso erweist Gott seine Güte, wenn er den Seinigen zuliebe die Feinde erlegt. Seine Rache ist Eifer, und sein Eifer ist Liebe, und daraus fließen alle seine Werke. Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 19. Sihon hatte das ganze Gebiet zwischen dem Arnon und dem Jabbok inne, durch welches man hindurch musste, wenn man zum Jordan wollte. Er hatte das Land dem Vorgänger Balaks abgewonnen und seine Residenz nicht in Ar, der alten Hauptstadt Moabs, aufgeschlagen, sondern in Hesbon, der noch heute durch ihre weite Aussicht und ausgedehnten Ruinen den Reisenden auffallenden Stadt. Die Erinnerung an jenen Sieg Sihons über Moab lebte in der Nachwelt fort in einem wilden Kriegsgesang (4. Mose 21,27-29, wiederholt in Jer. 48,45 f.):

  Kommt nach Hesbon!
   Aufgebaut und befestigt werde die Stadt Sihons!
  Ja, ein Feuer ging aus von Hesbon,
   eine Flamme von der Stadt Sihons;
  Die verzehrte Ar Moab,
   die Bewohner der Anhöhen des Arnon.
  Weh dir, Moab!
   Du bist verloren, Volk des Kamos!
  Er ließ seine Söhne Flüchtlinge werden,
   seine Töchter Gefangene Sihons, des Königs der Amoriter.

  Die entscheidende Schlacht zwischen Sihon und seinen neuen selbsterwählten Feinden, den Israeliten, fand bei Jahza, wohl an der Grenze zwischen den üppigen Weiden des Moabiterlandes und der Wüste, aus der die Israeliten herkamen, statt. Es war das erste Gefecht, in welchem diese sich den künftigen Feinden ihres Volkes gegenübergestellt sahen. Die hernach so berühmt gewordenen Schleuderer und Bogenschützen Israels zeigten hier zum ersten Mal ihre Kunst. Sihon fiel, sein Heer ward in die Flucht geschlagen, und, wie Josephus nach der Überlieferung erzählt, vom Durst überwältigt an dem Bett eines der Bergströme hingemetzelt. Das Andenken an diese Schlacht wurde in einem Triumphlied gefeiert, in welchem zunächst der soeben angeführte Gesang auf den Sieg der Amoriter über Moab mit beißendem Spott wiederholt wurde, dann aber im triumphierenden Gegensatz zu der vormaligen Größe Sihons und seines Reiches dessen nunmehriger Fall besungen wurde:

  Wir beschossen sie, verloren war Hesbon bis Dibon;
   wir verwüsteten bis Nophah, mit Feuer bis Medeba.

(4. Mose 21,27-29 nach der Übers. von Kautzsch.) A. P. Stanley † 1891.


V. 20. Gottes Volk erlangt einen Sieg nach dem andern. Die zweite Schwierigkeit verschwindet wie die erste. Og, dem König zu Basan, dem letzten von dem Geschlechte der Riesen (5. Mose 3,11), erging es trotz all seiner Stärke nicht besser als Sihon. Es war nicht irgendeine besondere Schwäche, welche Sihon den Untergang bereitet hatte. Alle Widersacher Gottes, mögen sie gegen einander betrachtet an Kraft und Hilfsmitteln noch so verschieden sein, sind einer wie der andere ohnmächtig gegenüber denen, die in der Kraft des HERRN wider sie zu Felde ziehen. Die Macht, in welcher der Christ den einen Feind überwindet, wird ihn befähigen, sie alle zu überwältigen. Weil jedoch Og dem Volke Israel als ein furchtbarerer Feind erschien als Sihon, gewährte Gott seinem Volke eine besondere Ermutigung vor dem Kampf gegen ihn, 4. Mose 21,34. Der HERR ist dessen wohl eingedenk, dass auch die treuesten und eifrigsten seiner Kinder und Knechte sich so schwer ganz von der Betrüglichkeit der äußeren Erscheinung losmachen können. The Pulpit Commentary 1891.


V. 23. Er gedachte an uns. Das ist ein Wort von tiefer, vielfältiger Bedeutung mit einer ganzen Stufenleiter von Gnaden. Gedenken heißt sich jemandes erinnern, im Gegensatz zum Vergessen. Bei Menschen mag es je nachdem von wenig Belang für uns sein, ob sie unser gedenken; bei Gott aber ist es nie nutzlos. Gedenken heißt zweitens an jemand oder etwas denken im Gegensatz zu Vernachlässigung (z. B. Gedenke des Sabbattages); so hat Gott von uns und unserer Lage Kenntnis genommen. Drittens heißt es, mit vollem Mitgefühl jemandes gedenken, sich seine Lage erbarmend zu Herzen nehmen. Das gehört so recht zu Gottes Wesen, vergl. Jer. 31,20. Sodann wird das Wort auch von wohlgefälligem Ansehen gebraucht, wie z. B. Ps. 20,4: Er gedenke deines Speisopfers. Fünftens bedeutet es das Erfüllen einer Bitte und Verheißung: Der HERR gedachte an Hanna, 1. Samuel 1,19.20. Endlich heißt es jemandem helfen aus der Not, wie Gal. 2,10: Allein, dass wir der Armen gedächten. Das war tatkräftiges, hilfreiches Gedenken. So hat Gott in rettender Liebe Israels gedacht, wie es im folgenden Psalmverse heißt: Und erlöste uns von unseren Feinden. Ralph Venning † 1673.


V. 24. Und. Wenn das Ende einer Gnadenerweisung nicht der Anfang einer neuen wäre, so wäre es schnell um uns geschehen. Phil. Henry † 1696.


V. 25. Der allem Fleisch Speise gibt. Die Luft, die wir einatmen, das Brot, das wir essen, die alltäglichen Lebensgüter, auch die kleinsten, wir empfangen sie alle von Gottes Güte. Beachten wir, dass der Psalmdichter nicht nur die gewaltigen Siege Israels und andere sonderlich in die Augen fallende Erweise der Liebe und Macht Gottes dessen ewigwährender Güte zuschreibt, sondern unser täglich Brot auf dieselbe Quelle zurückführt. In hervorragenden Errettungen der Kirche Gottes erkennen wir ja natürlich die Gnade an; doch sollten wir sie ebenso erkennen in jedem Bissen Brots, den wir genießen. Die Gnade nur hat uns Christum und das Heil in ihm gegeben, und ihr nur haben wir die herrlichen Triumphe über die Feinde des Volkes Gottes und die Errettungen aus deren Hand zu verdanken; aber dieselbe Gnade ist es auch, die uns den Tisch deckt, uns kleidet und unzählige scheinbar kleine Wohltaten erweist. Es ist bemerkenswert, dass der Herr Jesus, als nur fünf Gerstenbrote und zwei Fische vorhanden waren, gen Himmel aufsah und dankte (Mk. 6,41). Mag unser Mahl noch so schlicht sein, Gottes Güte sollen wir dabei anerkennen. Thomas Manton † 1677.
  Allem Fleisch. Man könnte denken, dass Leute, die von so viel Gutem, ihnen selber erwiesen, zu singen haben, für andere keine Gedanken übrig haben werden. Aber dem ist nicht so. Wem das Herz für die Liebe Gottes, die er in seinem eigenen Leben erfahren hat, aufgegangen ist, dem geht auch das Herz für andere Menschen, ja für die ganze Kreatur auf. Darum können auch die Sänger unseres Psalms ihr Lied nicht schließen ohne die Aufforderung: Preiset den, der allem Fleisch Speise gibt. Nicht Israel allein gewährt er Segnungen. Israel hatte sein Manna; aber zu gleicher Zeit empfängt die Gesamtheit der Geschöpfe ihre Speise. Andrew A. Bonar 1859.
  Von Edward Taylor, dem Matrosenprediger in Boston, besser unter dem Namen Vater Taylor bekannt, sagt man, seine Gebete hätten in ihrer Bildersprache viel mehr der Ausdrucksweise eines Morgenländers als derjenigen eines Sohnes unseres kühleren westlichen Klimas geglichen. An dem Sonntag vor seiner Einschiffung nach Europa flehte er zum HERRN, er möchte seine Gemeinde während seiner Abwesenheit wohl versorgen. Plötzlich hielt er inne und rief aus. "Was hab ich getan? Das heißt ja der Vorsehung des Himmels misstrauen! Der Gott, der dem Walfisch eine Tonne Heringe zum Frühstück gibt, sollte der nicht für meine Kinder sorgen?" Excentrische Prediger, von C. H. Spurgeon 1880.


V. 26. Der Gott des Himmels. Dieser Ausdruck findet sich in den älteren Teilen der Heiligen Schrift nicht. Wir begegnen ihm in den Psalmen nirgendwo außer an unserer Stelle, dagegen 2. Chr. 36,23; Esra 1,2; 5,11; 6,9; 7,12.23; Neh. 1,4; 2,4; Dan. 2,18.20.44; Jona 1,9. Zweimal kommt er auch in der Offenbarung vor, Kap. 11,13; 16,11. Es ist dieser Name eine hehre, wohl angemessene Bezeichnung des wahren Gottes, welche seine glorreiche Erhabenheit über die Leidenschaften und Wirren der Erde zum Ausdruck bringt. Ihm sollte alles Fleisch Dank sagen, denn alle erfahren seine Güte in mancherlei Art und Weise. Seine Wohltaten kommen nieder auf ein Geschlecht nach dem andern, und seinem in willigem Gehorsam ihm dienenden Volke werden sie durch ewige Zeiten zuströmen. William Swan Plumer † 1880.


Homiletische Winke

V. 1-26. I. Viele Gründe, den HERRN zu preisen. 1) Für seine Vollkommenheit: "denn er ist gut", V. 1. 2) Für seine Allerhabenheit: "Gott aller Götter, Herr aller Herren", V. 2.3. 3) Für seine Wundertaten im Allgemeinen, V. 4. 4) Für seine Schöpfungswerke im Besonderen, V. 5-9. 5) Für seine Taten der Vorsehung, V. 10-26. II. Der vornehmste Grund für uns, den HERRN zu preisen. "Denn seine Güte (Gnade) währet ewiglich." 1) Für Gnade: Diese ist das vornehmste Bedürfnis des Sünders. 2) Für Gnade als Wesenseigenschaft Gottes. In dieser Eigenschaft, die ihm ebenso wesentlich eigen ist wie seine Gerechtigkeit, kehrt Gott sich zum Sünder und ermöglicht es diesem, sich in Buße und Glauben zu ihm zu kehren. 3) Für ewig währende Gnade. Bedürfen diejenigen, welche gesündigt haben, ewig währender Gnade, so beweist das, dass ihr Dasein ewig währt und ihre Schuld unendlich ist. George Rogers 1885.
  Denn seine Güte währet ewiglich. Ein Loblied, ein Trostlied, eine inhaltsreiche Predigt, ein erwecklicher Aufruf.
V. 1-3. 1) Die Dreizahl von Namen: Jehovah, Gott der Götter, Herr der Herren. 2) Der dreifache Aufruf: Danket ihm. 3) Die immer wiederkehrende Begründung: Denn seine Güte usw. William Bickle Haynes 1885.
V. 4. 1) Der HERR tut große Wunder der Güte und Gnade. 2) Er tut sie ohne jemandes Hilfe. 3) Er tut sie, wie es sonst niemand kann. 4) Er soll auch allein dafür das Lob haben.
  Der große Wunder tut allein: 1) im Werk der Schöpfung, 1. Mose 1; 2) in dem Werk der Erlösung, Jes. 63,5; 3) in den Taten der Vorsehung, Ps. 104,27 f.; 4) in dem Werk der Heiligung, 1. Thess. 5,23 f.; 5) in dem abschließenden großen Triumph über alle feindlichen Mächte, 1. Kor. 15,25; Charles A. Davis 1885.
  Gottes Güte in seinen Wundern, und das Wunderbare in der Gnade.
V. 7. Die Güte Gottes in der Erschaffung und Austeilung des Lichtes.
V. 7-9. 1) Herrschaft bei Tag und Nacht. 2) Die Verbindung von Licht und Herrschaft. 3) Das immerwährende Walten der Güte in dieser Ordnung der Dinge.
V. 8.9. 1) Der Lichtglanz am Tag der Freude. 2) Die Tröstungen in der Nacht des Leides. 3) Gottes Hand in beidem.
V. 10. Gnade und Gericht. In dem Schlage, der Ägypten mit Weh erfüllte, waltete dennoch sichtlich Gnade. 1) Sogar gegen Ägypten. Noch ward es nicht gar vernichtet, und der herbe Schlag hätte Buße wirken sollen. So ringt Gott noch heute mit den Menschen. 2) Augenscheinlich gegen Israel, da ihre Erstgeburten verschont und sie eben durch jenes Gericht von Ägyptens Tyrannei befreit wurden. 3) Vorzüglich aber gegen die ganze Welt, indem Gott seine Macht kundtat, das zukünftige Gericht und die zukünftige Erlösung darin abgeschattet wurden und der ganze Vorgang ein hervorragend wichtiges Glied in der Kette der Heilsgeschichte war. William Bickle Haynes 1885.
V. 11. Die Herausführung der Erwählten aus ihrem Naturzustand, aus ihrem Elend und aus der Vermischung mit den Gottlosen ein großes Wunder der ewig währenden Gnade.
  Wirksame Berufung. Das wunderbare Eingreifen der aus der Ewigkeit stammenden, in die Ewigkeit währenden Gnade in dem bestimmten Augenblick. William Bickle Haynes 1885.
V. 12. Die Offenbarungen der göttlichen Macht in der Geschichte der Heiligen als unerschöpfliches Thema zu Lobgesängen.
V. 13.14. Gott ist zu preisen nicht nur 1) dafür, dass er uns den Weg bahnt, sondern auch 2) wenn er uns Glauben schenkt, ihn zu gehen. Das Letztere ist eine ebenso große Gnade wie das Erstere.
V. 13-15. Die Gnade als die königliche Herrscherin bei dem Auszug des Volkes Gottes. 1) Ihr Zepter waltete über dem Meer. Was vermag die göttliche Liebe für ihre Auserkorenen nicht alles zu bezwingen! 2) Ihr Banner leitete Israel den Weg. Wohin sollten Gottes Heilige diesem Banner zu folgen sich wohl fürchten? 3) Ihr zorniger Blick auf die Verfolger der Auserwählten (2. Mose 14,24). Dasselbe Antlitz, dessen Leuchten für die Geliebten Leben bedeutete, blitzte Schrecken und Tod auf den Feind. 4) Ihr sei denn auch geweiht der endlose Kranz unserer Lobgesänge. William Bickle Haynes 1885.
V. 15. Der endgültige Sieg. 1) Die Heere des Bösen sind vernichtet. 2) Die Liebe erhebt sich unverletzt als unsterblich über die zusammenschlagenden Wogen (V. 15b). 3) Der Himmel hallt wider von dem Lobgesang Moses und des Lammes (Danket dem HERRN, V. 1). William Bickle Haynes 1885.
V. 16. 1) Persönliche Fürsorge: Der ... führte. 2) Besondere Liebe: sein Volk. 3) Ausdauernde Güte. durch die Wüste.
  Geführt durch die Wüste. 1) Gottes Volk muss in die Wüste, zur Erprobung, zur Erlangung von Selbsterkenntnis, zur Entfaltung von Tugenden, zur Vorbereitung für Kanaan. 2) Gott führt die Seinen, während sie in der Wüste sind. Ihr Weg, ihre Versorgung, ihre Züchtigung, ihre Bewahrung. 3) Gott wird sein Volk aus der Wüste herausbringen. C. A. Davis 1885.
V. 21. 1) Unser Gut ist ein Erbe. 2) Unser Besitztitel ist eine königliche Schenkung: "und gab". 3) Unser Dank gebührt der ewig währenden Güte.
V. 23.24. Gnadenreiches Gedenken und eine herrliche Erlösung.
V. 24. Unsere Feinde, unsere vollbrachte Erlösung, der Urheber derselben und der Grund, warum er sie bewirkt hat.
  Die mannigfaltigen Erweisungen der Erlösungsmacht im Leben der Kinder Gottes und der unerschöpfliche Urquell derselben.
V. 25. 1) Das königliche Proviantamt. 2) Sein geistliches Gegenstück: Gottes Fürsorge für unsere unsterbliche Natur. 3) Die königliche Gnade, die den Schlüssel von beiden führt. William Bickle Haynes 1885.
  Gottes offene Tafel 1) im Leiblichen, 2) im Geistlichen (Lk. 14,21-23).
V. 26. Lasst uns betrachten, 1) wie Gott im Himmel regiert, 2) wie er vom Himmel auf die Erde regiert, 3) wie die Gnade das ewige Element dieser Herrschaft ist, 4) wie der Gott des Himmels darum der ewige Gegenstand des Lobpreises ist.

Fußnoten

1. Wahrscheinlicher ist doch wohl, dass der Psalmist bei Himmel und Erde V. 5.6 an 1. Mose 1,1 gedacht und also damit hat das Weltall bezeichnen wollen. - James Millard

2. Etliche Sonnenstrahlen, in einem Brennglas von einem Fuß Durchmesser gesammelt, erzeugen, obwohl sie ja aus einer Entfernung von 20 Millionen Meilen kommen, eine Hitze, die Gold und fast alle Metalle schmilzt, und zwar in einem Augenblick. Wie groß muss dann die Menge der Wärme sein, die das Sonnenlicht auf der ganzen Oberfläche der Erde jährlich erzeugt! Und doch sind die ungeheuren Ströme von Licht und Wärme, welche die Sonne unaufhörlich der Erde zusendet, nur ein ganz winziger Teil derer, welche die Sonne ebenso unaufhörlich in den Weltraum hinausstrahlt. - James Millard

3. Unter der Niedrigkeit ist jedenfalls hier die gedrückte Lage der Gemeinde zu verstehen. Luthers Übers.: Da wir unterdrückt waren, ist daher nicht unrichtig, hebt aber nur eine Seite hervor.