Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 137 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dieses Klagelied ist eine der ergreifendsten Dichtungen im ganzen Psalter. Selbst wenn es nicht ein Stück der Heiligen Schrift bildete, würde es unter den Erzeugnissen der Dichtkunst eine hohe Stelle einnehmen, zumal der vordere Teil desselben (V. 1-6), dessen wehmütige Klagetöne so ergreifend wirken und von solch glühender Vaterlandsliebe durchweht sind. In den Schlussversen (V. 7-9) bricht die Entrüstung gegen die Hauptwidersacher Israels in heißem Zorne durch - eine Entrüstung, die zwar sehr heftig zum Ausdruck kommt, aber dennoch gerecht war. Mögen solche sie tadeln, die niemals ihr Heiligtum verbrannt, ihre Stadt zerstört, ihre Frauen geschändet, ihre Kinder erwürgt gesehen haben; vielleicht wären sie nicht ganz so zuckersüß, wenn sie solche Leiden hätten erdulden müssen. Es ist etwas anderes, über die leidenschaftlichen Gefühle zu reden, welche die gefangenen Israeliten in Babylon bewegten, oder aber selber gefangen zu sein in der Gewalt eines Feindes, der kein Erbarmen kannte und seine Lust daran hatte, an den Wehrlosen seine Rohheit auszulassen und Grausamkeiten aller Art zu verüben. Dies Lied ist eines von denen, die dazu geeignet sind, an der Klagemauer der Juden gesungen zu werden. Es ist eine Frucht der babylonischen Gefangenschaft und hat seither oft dazu gedient, Kümmernisse und Herzweh zum Ausdruck zu bringen, die sich sonst nicht hätten aussprechen lassen. Der Psalm ist ein in vielen Farben spielender Opal, in dessen Strahlen, auch den milderen des ersten Teils, ein Feuer glüht, das den Beschauer mit Staunen erfüllt.


Auslegung

1. An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten,
wenn wir an Zion gedachten.
2. Unsere Harfen hängten wir
an die Weiden, die daselbst sind.
3. Denn daselbst hießen uns singen, die uns gefangen hielten,
und in unserm Heulen fröhlich sein:
"Singet uns ein Lied von Zion!"
4. Wie sollten wir des HERRN Lied singen in fremden Landen?
5. Vergesse ich dein, Jerusalem,
so werde meiner Rechten vergessen.
6. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben,
wo ich dein nicht gedenke,
wo ich nicht lasse Jerusalem
meine höchste Freude sein.


1. An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten. Wasserläufe gab es in Babylonien in großer Menge, und zwar sowohl natürliche Ströme als auch künstliche Kanäle. Wie froh waren die gefangenen Israeliten, wenn sie mit ihrem Leid dem Lärm der Straßen entrinnen konnten, und gerne suchten sie die Ufer der Flüsse auf, wo das flutende Wasser zu ihren Tränen stimmte und gleichsam mit ihnen zu empfinden schien. Es war ein wenn auch nur kleiner Trost für sie, für ein Stündchen aus dem Gedränge zu sein und ein wenig freie Luft zu atmen; darum setzten sie sich gerne da nieder, um eine Weile zu ruhen und in ihrem Leid etwas Erquickung zu schöpfen. In kleinen Gruppen saßen sie beisammen und schütteten miteinander ihre Klagen aus, die Bilder der Vergangenheit, die die Erinnerung ihnen vor Augen malte, mit ihren Tränen netzend. Die Flüsse, an denen sie weilten, waren schön genug, aber ach, es waren die Wasser Babylons, und der Grund und Boden, darauf sie saßen, war für sie, die Kinder Israel, fremdes Land; darum weinten sie. Die Leute, die da kamen und ihre Ruhe unterbrachen, waren Bürger jener Stadt, von der das Verderben über Israel gekommen war, und ihre Gesellschaft war den Betrübten darum wenig willkommen. Alles erinnerte die Israeliten daran, dass sie von der Heiligen Stadt verbannt waren, im Schatten des Beltempels in der Knechtschaft schmachteten und hilflos der Gewalt eines unbarmherzigen Feindes preisgegeben waren; darum saßen die Söhne und Töchter Israels in brennendem Schmerze tief gebeugt da.
  Und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Nichts anderes hätte ihr tapferes Herz bezwingen können; aber die Erinnerung an den Tempel ihres Gottes, den Palast ihres Königs und die Stadt, die der Mittelpunkt ihres ganzen Volkslebens war, knickte sie. Zerstörung war über alles hereingebrochen, was ihres Herzens Lust gewesen, darum brachen sie in Tränen aus. Die starken Männer weinten, und die, die vordem so liebliche Gesänge hatten erschallen lassen, konnten jetzt nur schluchzen, klagen, seufzen. Sie weinten nicht über die Grausamkeiten, die man ihnen in Babel zufügte. Nein, wenn sie an die ihnen widerfahrenen Gewalttaten und Beschimpfungen dachten, dann vertrockneten ihre Tränenbäche, und ihr Innerstes entbrannte in Zorn und Entrüstung; aber wenn die geliebte Stadt mit ihrem Heiligtum und allem, was sie sonst an feierlichen Erinnerungen bot, vor ihrem inneren Auge auftauchte, dann vermochten sie die Tränenfluten nicht zurückzuhalten. Gerade so trauern die wahren Gläubigen, wenn sie die Gemeinde des Herrn verwüstet sehen und sich außer Stande finden, ihr zu helfen; alles könnten wir noch eher ertragen als das. In unseren Tagen verheert ein wahres Babel von Irrlehren die Gottesstadt, und die Herzen der Treugesinnten bluten, wenn sie die Wahrheit in den Straßen erschlagen liegen sehen und der Unglaube überhandnimmt unter denen, die sich für Knechte des HERRN ausgeben. Wohl erheben wir Einspruch, aber es scheint ganz umsonst zu sein; die Menge läuft toll ihren Götzen nach. Mögen wir zu denen gehören, die wie ein Jeremia heimlich weinen über das Verderben Zions; es ist das Wenigste, das wir tun können, und vielleicht erweist es sich schließlich als das Beste, das wir tun konnten. Doch dürfen wir uns nicht dem Kummer und der Verzagtheit überlassen; lasst uns auch niedersitzen, um zu sinnen, was wir doch etwa noch nach Gottes Willen unternehmen können, um Zion zu helfen. Lasst uns jedenfalls, mag es uns noch so traurig gehen, die Gemeinde des HERRN immerdar liebend, sorgend, betend, glaubend in Herz und Sinn festhalten. Die Leichtfertigen mögen Zions vergessen können; uns aber ist es ins Herz eingegraben, und seine Wohlfahrt ist unser innigstes, heißestes Begehren.

2. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden, die daselbst sind. Die niederhangenden Zweige dieser Bäume schienen mit uns zu trauern1; so übergaben wir ihnen unsere Zithern. Mochten die Weiden darauf spielen, wenn sie wollten; uns war die Lust zu Sang und Klang vergangen. So hingen denn die Harfen an den Bäumen und hatten gute Ruhe - jene Harfen, die einst in Zions Hallen ihre Saiten so fröhlich hatten klingen lassen. Jedenfalls war es von den Israeliten vernünftiger, dass sie sie an die Weiden hängten, als wenn sie sie in der Auswallung des Gemüts zerschmissen hätten; und besser war es, die Harfen gänzlich schweigen zu lassen, als sie im Dienst der Götzen zu entweihen. Groß muss allerdings der Kummer sein, wenn der Betrübte seine Harfe, aus der er in besseren Tagen so lieblichen Trost zu schöpfen vermochte, nicht mehr zur Hand nehmen mag. Die Musik hat eine wundersame Kraft in sich, das beunruhigte Gemüt zu stillen; doch wenn das Herz allzu tief vom Leide ergriffen ist, dann versagt auch diese Zaubermacht, ja dann ist es der gequälten Seele, als spottete die Musik des Kummers, der zu ihr seine Zuflucht nehmen möchte. Die Menschenkinder legen die Werkzeuge heiterer Muse still beiseite, wenn düstere Wolken ihre Seelen umnachten.

3. Denn daselbst hießen uns singen, die uns gefangen hielten. Es war ein übel Ding, ein Sänger zu sein, wenn verlangt wurde, dass diese edle Kunst sich dem Willen eines Tyrannen zum Sklaven begebe. Besser stumm geboren sein, als genötigt werden, den Launen eines Feindes durch erzwungenen Gesang zu Gefallen zu sein. Welch eine Grausamkeit war es, das Volk erst zum Seufzen und Wehklagen zu bringen, und dann zu verlangen, dass es singe! Mit roher Hand hatte man sie weggeschleppt aus der Heimat, weg von allem, das ihnen teuer war, und nun sollten sie zum Vergnügen ihrer gefühllosen Peiniger heitere Lieder anstimmen! Das ist eine Marter, die nur die abgefeimte Bosheit ausklügeln kann. Ja wahrlich, wehe den Besiegten, wenn sie gezwungen werden, zu singen, um den Triumph ihrer Besieger zu mehren. Hier erreichte die Grausamkeit eine Höhe der Verfeinerung wie selten. Es wundert uns nicht, dass die Gefangenen sich hinsetzten, um zu weinen, da man sie mit so frechem Übermut behandelte. Und in unserem Heulen fröhlich sein, oder: und unsere Peiniger,2 dass wir fröhlich seien. Die Gefangenen sollten nicht nur singen, sondern noch dazu lachen und lustig sein. Einst war der blinde Simson aus seinem Kerker geholt worden, dass er vor den Philistern spiele, und nun erweisen sich die Babylonier als von der gleichen Sinnesart wie jene rohen Menschen dort zu Gaza. Ausgeplündert, verwundet, gefesselt, in die Verbannung und die Not der Armut gestoßen, sollten die Israeliten doch lachen, als ob alles nur ein Scherz wäre, und vor ihren Bedrückern lustig sein, als fühlten sie nichts von Leid und Weh. O das war wahrlich Wermut und Galle für die Herzen derer, die ihren Gott und ihr von ihm ihnen geschenktes Vaterland liebten. "Singet uns ein Lied von Zion!" Nichts anderes passte den Ruchlosen für ihre schändlichen Absichten als ein frommes Lied und eine Melodie, die dem Lobe Jehovahs geweiht war. Nichts Geringeres stellte diese babylonischen Spötter zufrieden als einer jener hehren Psalmen, mit denen Israel einst in seinen glücklichen Tagen den HERRN gepriesen, dessen Güte ewiglich währet: das war ein feiner Spaß für die Zwingherren der armen Gefangenen, die sich dann über deren Gottesdienst lustig machen und ihren Glauben an Jehovah verspotten konnten. Diese Aufforderung enthielt ebenso sehr eine Beleidigung des Gottes der Kinder Israel wie eine Verhöhnung dieser selbst, und das machte die Sache umso grausamer und unmenschlicher. Nichts hätte boshafter und hämischer sein, nichts tiefer die Herzen verwunden können. Die übermütigen Bedrücker waren den Gefangenen an die Stätten nachgegangen, wohin diese sich, die stille Einsamkeit suchend, zurückgezogen, hatten über ihr kummervolles Aussehen ihre Bemerkungen gemacht, und "daselbst" und unter solchen Umständen forderten sie die gequälten Herzen auf, ihnen zur Erheiterung zu singen. Ach, warum konnten sie die Tiefbetrübten nicht allein lassen! Durften die Verbannten denn gar keine Ruhe haben? Die Tochter Babel war offenbar darauf erpicht, den Becher ihrer Schuld dadurch voll zu machen, dass sie des HERRN Volk marterte. Die Gottlosen, welche sich mit solchem Eifer darauf geworfen hatten, Israel ins Unglück zu stürzen, mussten durchaus ihren brutalen Gewalttaten in Spott und Hohn die Krone aufsetzen. Der Gerechte erbarmt sich selbst seines Viehes; aber das Herz der Gottlosen ist grausam (Spr. 12,10). Schlimmer noch als die Ägypter, verlangten sie von den Geknechteten nicht Fronarbeit - die hätten sie ja leisten können -, sondern in teuflischer Bosheit forderten sie von ihren Opfern muntere Fröhlichkeit, die ihnen doch schlechterdings unmöglich war, und heilige Lieder, die sie nie und nimmer solch frevelhafter Entweihung preisgeben durften.

4. Wie sollten wir des HERRN Lied singen in fremden Landen? Wie könnten sie überhaupt jetzt singen, singen in dem Elend der Fremde, Jehovahs Lieder singen zur Belustigung der Götzendiener? Nein, das darf nicht sein und wird nicht geschehen. Einstimmig weisen sie das Ansinnen zurück; doch fassen sie die Weigerung demütig in die Form der Frage. Sind die Männer zu Babel ruchlos genug, ihnen Entweihung des Heiligen zuzumuten zur Befriedigung eitler Neugier oder zum Schaffen eines Zeitvertreibs, so sollen sie wissen, dass die Männer von Zion nicht solch abgestumpfte Herzen haben, dass sie bereit wären, ihnen um solch ungeheuren Preis zu Willen zu sein. Es gibt so manches, was Leute, die keine Gottesfurcht haben, zu tun imstande sind, und was sie tun, ohne sich darüber Gedanken zu machen, worauf gottselige Menschenkinder sich nie und nimmer einlassen können. Die Frage "Wie könnte ich?" oder "Wie sollten wir dies und das tun?" entspringt aus einem zarten Gewissen und zeigt eine Unfähigkeit zu sündigen an, welche sorgsam zu behüten und wohl zu pflegen ist.

5. Vergesse ich dein Jerusalem, so vergesse meine Rechte (ihr Saitenspiel3. Zions Lieder zu singen zur Belustigung von Zions Feinden, das hieße die Heilige Stadt vergessen. Mann für Mann (beachte den Übergang vom Wir zum Ich) erneuern die Gefangenen den Eid der Treue gegen Jerusalem, und jeder von ihnen schwört, dass er eher ganz und für immer der Kunst entsagen wolle, den Saiten seiner Harfe süße Töne zu entlocken, als sie zu gebrauchen zum Ergötzen Babels. Es ist besser, dass die rechte Hand ihrer Kunst ganz vergesse und all ihre Gewandtheit verliere, als dass sie den dem Lob des Herrn geweihten Instrumenten Musik entlocke zum Ohrenschmaus für Verächter Jehovahs oder mit ihrer Kunst ein heiliges Psalmlied begleite, damit die Toren es mit ihrem Gespött und Gelächter entweihen. Nicht einer von ihnen ist gesonnen, Jehovah also zu entehren, um Belus zu verherrlichen und dessen Anbetern zu gefallen. Feierlich sprechen sie es aus, dass furchtbare Strafe über sie kommen möge, wenn sie sich als so falsch, so treulos erweisen sollten.

6. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wo ich dein nicht gedenke. Den Fluch ewigen Stummseins ziehen mit dieser Verwünschung die Sänger auf sich nieder, wenn sie Jerusalems vergessen sollten, um Babel zu Gefallen zu sein. Die Spieler und die Sänger, sie sind eines Sinnes: die Feinde des Herrn sollen ihnen keine liebliche Musik, keinen heiteren Gesang abzwingen können. Wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein. Jerusalem soll allezeit die oberste Stelle in ihrem ganzen Denken haben, es soll die Königin ihrer Herzen sein. Lieber noch wollten sie ewig schweigen müssen, als ihre heiligen Lieder der Entehrung preiszugeben und ihren Unterdrückern Gelegenheit zu geben, ihren Gottesdienst ins Lächerliche zu ziehen. War die Anhänglichkeit eines verbannten Juden an sein Heimatland so groß, wieviel mehr noch sollten wir die Gemeinde des Herrn lieben, deren Kinder und Bürger wir sind. Wie eifersüchtig sollten wir ihre Ehre wahren, mit welchem Eifer ihre Wohlfahrt suchen! Lasst uns niemals Worte der Heiligen Schrift zu Scherzen gebrauchen oder aus heiligen Dingen einen Zeitvertreib machen, damit wir nicht die Schuld auf uns laden, des Herrn und seiner Sache zu vergessen. Ach, wir haben Anlass zu befürchten, dass manche Zunge alle Macht verloren hat, die Versammlungen der Gotteskinder zu erbauen, weil sie das Evangelium aus dem Sinn verloren und in gerechter Vergeltung Gott ihrer vergessen hat.


7. Herr, gedenke den Kindern Edom den Tag Jerusalems,
die da sagten: "Reiß ab, reiß ab bis auf ihren Boden!"
8. Du verstörte Tochter Babel,
wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast!
9. Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt
und zerschmettert sie an dem Stein!


7. Herr, gedenke den Kindern Edom den Tag Jerusalems! Des Allherrn Händen sei die Sache überlassen. Er ist ein Gott der Rache und wird das Recht austeilen mit Gerechtigkeit. Die Edomiter hätten als die nächsten Blutsverwandten an den Israeliten freundlich handeln sollen; aber stattdessen zeigten sie tiefen Hass und grausame Tücke. Dass er, der Ältere, dem Jüngeren dienen sollte, war ihm von Herzen zuwider, und darum war Esau, als über Jakob der Tag der Heimsuchung hereinbrach, hurtig bei der Hand, um sich die Gelegenheit aufs beste zunutze zu machen. Darum fügen nun die gefangenen Israeliten, da sie gramerfüllt ihre Klagen vor Gott ausschütten, auch die Bitte bei, dass der HERR doch das Volk heimsuchen möge, das es so niederträchtig zu ihren Feinden gehalten und diese bei ihrem Einfall in das Land dazu aufgestachelt hatte, sogar noch größere Grausamkeit als gewöhnlich zu üben. Die da sagten: "Reiß ab, reiß ab bis auf ihren Boden!" Sie wünschten das Ende Jerusalems und des jüdischen Staates mit Augen zu sehen; sie begehrten, dass auch nicht ein Stein auf dem andern gelassen werde, und lechzten nach einer völligen Zerstörung und Verheerung von Tempel, Palast, Ringmauern und Behausungen. Es ist abscheulich, wenn Nachbarn Feinde sind, noch trauriger ist es, wenn sie ihre Feindschaft in Zeiten großer Trübsal zeigen, und am allerschlimmsten, wenn sie gar noch andere zu boshaften Taten anstiften. Wer andere Leute als Werkzeug seines Hasses gebrauchen will, der ist verantwortlich für die Sünden dieser. Es ist eine Schande für Menschen, ruchlose Leute zu Taten anzureizen, die man selber nicht ausführen mag oder kann. Die Babylonier waren schon grimmig genug, auch ohne dass sie zu noch größerer Wut angestachelt wurden; aber Edoms Hass war unersättlich. Menschen, die in Unglückszeiten kein Erbarmen fühlen, verdienen es, dass die rächende Gerechtigkeit sich ihrer erinnere; wieviel mehr noch solche, die sich geradezu das Unglück zunutze machen, um an den davon Betroffenen ihren Hass auszulassen! Der Tag kommt, wo Edom vergolten wird.

8. Tochter Babel, du Verstörte (d. i. du der Verwüstung geweihte), oder: du Verwüsterin4. Wir mögen das Wort in der einen oder anderen Weise deuten und werden der Sache nach auch keinen Fehlgriff tun, wenn wir die beiden Deutungen zusammenfassen: Die Verwüsterin soll verwüstet werden, und der Psalmist sah sie mit seinem geistigen Auge bereits verwüstet. Es ist eine geläufige morgenländische Redeweise, von einer Stadt als einer Jungfrau zu sprechen. Babel stand noch in der Blüte der Jugendkraft da; aber schon war ihr um ihrer Frevel willen das Urteil gesprochen, ihr Schicksal besiegelt. Wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast! Der Rächer wird einen rühmlichen Beruf erfüllen, indem er eine so unmenschlich grausame Macht zu Boden stürzt. Die babylonischen Heere hatten sich einen Ruhm daraus gemacht, auf ihren Eroberungszügen mit erbarmungsloser Rohheit vorzugehen; es war angemessen, dass ihr Verhalten ihnen mit gleicher Münze heimgezahlt würde. Kein Strafurteil kann gerechter sein als ein solches, das genau, ja bis auf den Buchstaben genau, der lex talionis, dem Gesetz der Vergeltung, folgt. Babylon muss fallen, wie es Jerusalem zu Fall gebracht hat; und die Zerstörung und das Blutbad, das über sie kommt, muss der Verwüstung und dem Gemetzel entsprechen, die sie über andere Städte heraufbeschworen hat. Der von Vaterlandsliebe glühende Dichter findet bei dem Schmerze, der in ihm brennt, da er und sein Volk in der Verbannung schmachten, einen Trost in der Aussicht, dass die Königsstadt, die ihn in Banden hält, einst besiegt und zu Boden gestürzt werden wird, und er preist den Mann glücklich, der von Gott zu einem solchen Werk der Gerechtigkeit verordnet ist. (Man vergleiche, was im zweiten Teil des Jesaia über Kores als das Werkzeug des Allmächtigen gesagt ist, z. B. Jes. 45,1 ff.) Alle Welt wird den Sieger dafür segnen, dass er die Nationen von einem solchen Tyrannen befreit hat; künftige Geschlechter werden ihm Heil wünschen dafür, dass er es den Menschen ermöglicht, wieder aufzuatmen, und dass Freiheit auf Erden noch einmal herrschen wird.
  Wir dürfen des ganz gewiss sein, dass jeder ungerechten Gewalt das Los der Vernichtung schon bestimmt ist und dass von dem Throne Gottes gerechte Vergeltung allen denen zugemessen werden wird, denen Gewalt vor Recht geht, die ihre Herrschaft zur Selbstsucht missbrauchen und die Bedrückung der Schwachen zur Grundregel ihrer Staatsklugheit machen. Wohl dem Manne aber auch, der irgend dazu beiträgt, dass das geistliche Babylon zerstört wird, das trotz all seiner Reichtümer und seiner Macht durch göttliches Urteil der Verwüstung geweiht ist. Glücklicher noch wird sein, wer den Tag erlebt, da es wie ein Mühlstein in den Fluten der Gerichte Gottes versinken wird, um nie wieder emporzutauchen (Off. 18,21). Was dies geistliche Babel ist, danach frage Luther und Knox oder besser noch die Schrift selbst.

9. Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an dem Stein! In wilder Glut brannte das Herz des Israeliten, der seine geliebte Stadt als den Schauplatz solch schauerlichen Gemetzels, solch erbarmungsloser Gewalttaten gesehen hatte. Seine Entrüstung sprach ein gleiches Urteil über Babel. Die blutdürstige Mörderstadt sollte mit derselben eisernen Rute gezüchtigt werden, die sie einst geschwungen hatte. Solch heftiges Begehren nach gerechter Vergeltung ist mehr dem Geiste des Gesetzes gemäß als dem des Evangeliums. Und doch, in Augenblicken rechtschaffenen Zornes lodert auch in uns das alte Feuer auf, und solange Gerechtigkeit noch in des Menschen Brust lebt, wird es diesem Feuer nicht an Brennstoff fehlen bei der mancherlei Bedrückung und Vergewaltigung, die noch auf Erden vorhanden. Wir werden wohl daran tun, für uns Kinder des Neuen Bundes diese Verse ihrer verwünschenden Form zu entkleiden und sie im Lichte der Weissagung (Jes. 13; 14 und Jer. 51, namentlich Jes. 13,16.18; 14,21.22 und Jer. 51,22.24) zu betrachten. Dass ein zwar allmähliches, aber darum nicht minder furchtbares Vertilgungsgericht über Babel ergangen ist, sehen wir vor Augen: die stolze Stadt ist umgekehrt worden von Gott wie Sodom und Gomorra (Jes. 13,19). So grauenvoll das Trümmerfeld Babylons, im Lichte des göttlichen Strafverhängnisses betrachtet, uns erscheint, so ist dies Ende der Geschichte des schönsten unter den Königreichen, der herrlichen Pracht der Chaldäer, dennoch eine Wendung, darüber man froh sein muss, wenn wir auf die Wohlfahrt der Welt im Ganzen schauen; denn Babel, der gewaltige Räuber, hatte lange Zeit hindurch Völker ohne Erbarmen hingemetzelt, und sein Sturz diente manchem Volke dazu, dass es sich wieder zu Freiheit und Wohlstand erheben konnte. Das Hinmorden unschuldiger Kinder kann nie genug beklagt werden; aber es war ein Stück der in der alten Welt üblichen Kriegsweise, auf das die Babylonier bei den Blutbädern, die sie anrichteten, nicht verzichtet hatten, und eben darum ward es auch ihnen selber nicht erspart. Die Strafheimsuchungen der Vorsehung mögen langsam kommen, aber sie kommen gewiss; auch kann ihr Eintreffen nicht bedauert werden von denen, welche Gottes gerechtes Walten in ihnen erkennen. Es ist überaus traurig, wenn eine ganze Nation so lebt und handelt, dass ein Scharfrichter für sie nötig wird; doch wenn Menschen aufs Morden versessen sind, so ist es geziemender, über ihre Opfer als über die Mörder Tränen zu vergießen. Eine alles umschlingende Liebe ist etwas Schönes, Bewundernswertes; doch darf diese Liebe nicht geschieden werden von strengem Rechtsgefühl, sonst sinkt sie herab zu widrig weichlicher Gefühlsschwärmerei.
  Die in Babel gefangen sitzenden Israeliten entlockten ihren Harfen keine Musik, sondern ließen ihre zornigen Verwünschungen laut werden, und diese harten Worte stimmten wahrlich besser zu ihrer Lage als Gesänge und Reigen. Das Lied, das hier V. 7-9 den grausamen Siegern und deren Helfershelfern gesungen wird, war mehr, als sie nach V. 3 zu hören begehrt hatten. Menschenkinder, die des HERRN Volk verfolgen und höhnen, werden in der Tat stets mehr empfangen, als sie wünschen, so dass ihnen die Spottreden auf den Lippen ersterben werden; es wird wenig genug Anlass vorhanden sein, ihnen zum Zeitvertreib lustig aufzuspielen, und mehr denn genug Gelegenheit für sie selber, über ihr Elend zu jammern. Die Verwünschungen rechtlich gesinnter Menschen sind ein schrecklich Ding, denn sie werden nicht leichthin geäußert und finden im Himmel Erhörung. Ein unverdienter Fluch trifft nicht (Spr. 26,2); aber wie, wenn er überreichlich verdient ist? Sollen Despoten die Tugend unter ihren Füßen zertreten und für immer ungestraft ausgehen? Die Zeit wird’s lehren!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Beachten wir, dass dieser Psalm, der die Frage aufwirft: "Wie könnten wir des HERRN Lied singen?", trotzdem selber ein Lied, eines der Lieder des HERRN ist. Kaum könnten wir uns eine wehmütigere, mehr von bitterem Herzeleid zeugende Sprache denken, als dieser Psalm sie führt - er redet vom Weinen im Andenken an Zion; er spricht von Harfen, an die Weiden gehängt durch arme Verbannte, die es nicht über sich bringen können, sie zur Hand zu nehmen und in ihre Saiten zu greifen - und doch, eben dies Erzählen von Kummer und Leid, dies Aussprechen der Unfähigkeit, ein Lied anzustimmen, wird selber zum Lied, das wir noch jetzt, Hunderte, ja Tausende von Jahren nach seiner Entstehung, als Gemeindepsalm, als eines der Lieder des HERRN in unseren Gottesdiensten singen. So bietet der Psalm uns ein schlagendes Beispiel von der Mannigfaltigkeit der Anliegen, der Gedanken und Gefühle, die die Gemeinde bewegen und die sie betend und singend vor den HERRN bringen darf. Charles J. Vaughan, geb. 1817.
  Zwischen die bisherigen und die noch weiter folgenden Loblieder kommt nun dies Klagelied hinein. Denn die Schrift schreibt, wie sich’s treibt, wie es im menschlichen Leben und in der Erfahrung vorkommen mag, da es oft Abwechslungen von der Freude ins Leid und vom Loben ins Klagen auszuschütten gibt. Karl H. Rieger † 1791.
  Welch ein wunderbares Gemisch von sanfter Wehmut und loderndem Eifer ist in diesem Psalm! Die Hand, die ihn geschrieben, muss es ebenso gut verstanden haben, das Schwert zu führen, wie der Harfe stimmungsvolle Weisen zu entlocken. Die Strophen dieses Liedes sind flammende Worte, einem Herzen entströmend, das ebenso von unauslöschlicher Liebe zu seinem Vaterlande und dem Heiligtum glüht wie von Hass gegen die Feinde seines Volkes und seines Gottes. Dem rechten Dichter dürfen ja weder die Tiefen des Hasses noch die der Liebe fremd sein. J. J. St. Perowne 1868.
  1) Die von Schwermut niedergedrückten Gefangenen können sich nicht vergnügen, V. 1.2. 2) Sie können ihren hochmütigen Bedrückern nicht willfahren, V. 3.4. 3) Sie können Jerusalem nicht vergessen, V. 5.6. 4) Sie können Edom und Babel nicht vergessen, V. 7-9. Matthew Henry † 1714.


V. 1. An den Wassern: am Euphrat und Tigris und den vielen großen und kleinen Kanälen, die das Land durchschnitten. Es war für die Verbannten sehr natürlich, sich an die Ufer der Ströme zurückzuziehen als an schattige, kühle und stille Orte, wo sie sich den Erinnerungen und dem Schmerze überlassen konnten. Die Propheten des Exils schauten ihre Gesichte auch vielfach am Wasser, vergl. Hes. 1,1; Dan. 8,2; 10,4. Bibliotheca Sacra 1848.
  Das Ufer der Flüsse wie des Meeres ist ein Lieblingsaufenthalt solcher, welche tiefer Gram fort vom Gewühle der Menschen in die Einsamkeit treibt. Die Grenzlinie des Flusses gibt der Einsamkeit eine sichere Rückwand, das einförmige Wellengeplätscher unterhält den dumpfen, schwermütigen Gedanken- und Empfindungswechsel, und zugleich übt der Anblick des kühlen frischen Wassers eine besänftigende Einwirkung auf die verzehrende Glut im Herzen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Die eigentümliche Tätigkeit der Kinder Israel beim Sitzen an den Strömen ist das Weinen. Alle Sprachen kennen die Tränenbäche, Tränenströme, vergl. in der Schrift z. B. Klgl. 2,18: "Lass herabfließen gleich dem Bache Tränen Tag und Nacht", ferner 3,48, auch Hiob 28,11, wo umgekehrt das Fließen der Flüsse ihr Weinen genannt wird. Die Kinder Israel setzen sich an die Ströme Babels, weil sie in ihnen das Abbild und Symbol ihrer Tränenströme erblicken. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
  Um Zion nur weinten sie, gänzlich unähnlich den vielen, die an Babels Trauer mittrauern, an Babels Freude sich mitfreuen, weil ihre gesamten Anliegen und Neigungen auf die Dinge dieser Welt gehen. Aurel. Augustinus † 430
  Zion ist freilich auch Bezeichnung für die ganze Stadt Jerusalem; doch deutet die Wahl des Namens vielleicht an, dass Israel vor allem von Heimweh nach der Stätte des Tempels erfüllt war, vergl. Ps. 42,5. Prof. Friedrich Baethgen 1904.
  Es ist sehr der Beachtung wert, dass die Juden, die doch vielerlei Anlass zu Tränen hatten, da die Chaldäer sie ihrer Güter, ihrer Ehren, ihrer Heimstätten, ihrer Freiheit, ihrer Eltern, Kinder und Freunde beraubt hatten, doch vor allem um das Eine trauern, dass sie von Zion fern sein müssen. Wie nahe sollte es uns dann gehen, dass wir von dem Jerusalem, das droben ist, fern sein müssen! Ihr Jerusalem war ein irdisches, altes, ausgeplündertes, verbranntes, ein elender Schutthaufe; unser Jerusalem ist ein himmlisches, ein neues, dahinein kein Pfeil dringen kann und wo kein Hall der Kriegstrompete und kein Feldgeschrei mehr zu hören ist: wer wollte denn nicht trauern, dass er von diesem Zion noch ferne sein muss? Vergl. Ps. 120,5. Walter Balcanqual 1623.
  Hätten sie einst, als sie im Frieden und in der Fülle göttlicher Wohltaten in der Heimat waren, Zion höher geschätzt, so brauchten sie jetzt nicht so viele Tränen um Zion zu weinen. John Whincop 1645.
  Von der Behandlung, die die gefangenen Juden im Allgemeinen in Babel erfuhren, ist uns wenig bekannt. Nach dem Psalm scheint es, dass die Babylonier guten Geschmack genug hatten, um die poetischen und musikalischen Fähigkeiten der Verbannten zu schätzen, und dass diese manchmal aufgefordert wurden, zur Unterhaltung ihrer Zwingherren das eine und andere ihrer Lieder zum Besten zu geben. Im Allgemeinen scheint es, dass man den verbannten Juden gestattete, in größeren Gruppen beisammenzuwohnen, und man sie nicht als Haus-, Leib- oder Feld-Sklaven verkaufte, wenigstens nicht diejenigen der vornehmeren Klassen, denen die nach Babel geschleppten zum größten Teil angehörten. Sie waren eigentlich mehr Kolonisten als Gefangene, und ihrer viele gelangten allmählich zu beträchtlichem Besitz. Sie hatten nach dem Rat des Propheten Jeremia (Jer. 29,5 ff.), der ihnen keine Hoffnung auf baldige Rückkehr hatte machen können, Häuser gebaut, Gärten gepflanzt, geheiratet, Kinder auferzogen und sich als gehorsame Untertanen der Obrigkeit unterworfen, was alles einen gewissen Grad von Freiheit und etwelchen Wohlstand voraussetzt. Auch gewährte ihnen der Staat religiöse Duldung; wir hören nichts von besondern die Allgemeinheit treffenden religiösen Verfolgungen. Henry H. Milman † 1868.
  Schweigend saßen sie da, schweigend gedachten sie an Zion, schweigend weinten sie. J. W. Burgon 1859.
  "Komm", höre ich einen dieser frommen Juden zu einem anderen sagen, "lass uns für ein Weilchen diesem eitlen Treiben der Straßen und Märkte und all der Schlechtigkeit, die sich da breit macht, entrinnen. Komm, wir wollen versuchen, ein stilles Plätzchen zu finden, wo wir ganz unter uns sein können in dem erquickenden Schatten der Weiden am Wasser dort. Lass uns unsre Harfen mitnehmen, dann wollen wir uns an Zions Liedern erfreuen." Aber sowie sie, dort angelangt, in die Saiten greifen, da erwecken die Klänge durch die unwiderstehliche Macht der Gedankenverbindung aufs lebhafteste in ihnen die Erinnerung an die Vorrechte und Freuden, die sie ehemals in der trauten Heimat und beim Heiligtum genossen. Von Herzeleid überwältigt, sitzen sie auf dem Rasen und weinen, indem sie an Zion gedenken, und ihre tieftraurig zu Boden gesenkten Angesichter, ihre voneinander abgekehrten tränenumflorten Blicke sagen in stumm beredter Sprache: Vergesse ich dein, Jerusalem, so vergesse meine Rechte für immer ihr Harfenspiel. Aller Freudenjubel ist dahin, und verstummt sind die Töchter des Gesanges. Melodische Klänge passen nicht zu einem betrübten Geist. Wer einem betrübten Herzen Lieder singt, das ist, wie wenn einer das Kleid ablegt an kaltem Tage und wie Essig auf Laugensalz (der dies unbrauchbar macht), sagt der Spruchdichter (Spr. 25,20). Doch zerbrechen sie ihre Harfen nicht und schmeißen sie nicht in den Strom: sie sind in Bedrückung, aber erdrückt werden sie nicht; sie sind in schwerer innerer Not, aber der Verzweigung fallen sie nicht anheim; sie fühlen sich gezüchtigt, aber ihre Hoffnung wird nicht ertötet, sondern blickt desto fester hinaus auf die kommende Zeit der Erlösung, da sie ihre Harfen wieder brauchen werden, um in neuer Weise das Lied des HERRN zu singen. William Jay † 1853.


V. 2. Unsere Harfen. Es waren auch viele der levitischen Sänger in die Gefangenschaft geführt worden; man vergl. die Liste der Zurückkehrenden Esra 2,41. James Merrick 1768.


V. 3. Singet uns eins von Zions Liedern! Dem Belsazar schmeckt der Wein nicht halb so gut aus anderem Becher wie aus den Gefäßen des Tempels, Dan. 5,2. So gefällt auch den Babyloniern in der Laune des Übermuts nichts so gut wie solch ein Lied von Zion. Kein Spaß macht einem unheiligen Gemüte mehr Vergnügen, als wenn ein Bibelwort missbraucht und dem losen Scherzgeiste dienstbar gemacht wird. Thomas Manton † 1677.
  Wie kränkend diese Aufforderung war, wird uns besonders deutlich, wenn wir bedenken, dass der gewöhnliche Gegenstand dieser Gesänge die Allmacht Jehovahs und seine Liebe zu seinem auserwählten Volke war. W. K. Clay 1839.


V. 4 ff. Chrysostomus weist darauf hin, welch heilsame Frucht der Leiden hier zu Tage trete, da die Juden, die ehedem die Propheten verlacht, ja verfolgt und ihrer etliche getötet hatten, jetzt, da sie als Gefangene im Land der Fremde sind, um keinen Preis ihre heiligen Lieder dem Gespött der Heiden aussetzen wollen. Kardinal R. Bellarmin † 1621.
  Der Sinn des fragenden Ausrufs V. 4 ist nicht, dass das Singen heiliger Lieder im Ausland gesetzwidrig sei, denn die Psalmen sind auch im Exil fortgesungen und durch neue bereichert worden. Aber insofern hatte das Singen im Exil ein Ende, als es aus der Öffentlichkeit, um das Heilige nicht zu entweihen, sich in die Stille der Familiengottesdienste und der Bethäuser zurückziehen musste und, da es nicht wie daheim von levischer Musik begleitet war, aus eigentlichem Singen zu einem mehr rezitierenden wurde und also keine Vorstellung von dem heimatlichen zionitischen Gesänge gewähren konnte. An dem grellen Abstande des Jetzt und Ehedem sollte ja das Volk des Exils zur Erkenntnis seiner Sünden kommen, um auf dem Wege der Buße und der Sehnsucht zu dem Verlorenen zurückzugelangen. Buße und Heimweh waren damals unzertrennlich; denn alle die, in denen das Andenken an Zion erblich, gingen im Heidentum unter und blieben von der Erlösung ausgeschlossen. Darum sagt der Dichter, gegen die Versuchung des Abfalls, die Gefahr der Verleugnung sich wappnend: Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, versage meine Rechte usw. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Vielerlei trübe Gedanken rief die Erinnerung an Zion in den Verbannten wach; aber das bitterste Herzeleid, das mehr als alles andere ihnen den Mund zum Gesange verschloss und die Saiten ihrer Harfe entstimmte, war doch die Erkenntnis der Ursache all ihres gegenwärtigen Unglücks - ihrer Sünde. Paulus und Silas konnten auch im Kerker singen, und viele um des Herrn willen leidende Christen haben bekennen dürfen: "Wir sind überschwänglich in Freuden in aller unserer Trübsal" (2. Kor. 7,4). Es gibt keinen das Herz zernagenden Kummer in irgendwelchen Umständen, wenn wir darin Gemeinschaft mit Gott fühlen; aber wo Sünde auf dem Gewissen lastet und das Leiden nicht Verfolgung um des Namens des HERRN willen ist, sondern sich als göttliches Strafgericht zu fühlen gibt, da ist keine Freude und kann keine sein, und da weigert sich die Seele des Trostes. Der HERR haderte mit Israel um seiner Sünden willen (Jer. 2,9), darum konnte Israel nicht singen an den Wassern zu Babel. William De Burgh 1860.
  Von dem König Johann II. von Frankreich wird aus der langen Zeit, da er in England als Gefangener war (1356-1364), Folgendes erzählt: Einst wohnte er einem großen Ritter-Kampfspiele bei, das ihm zu Ehren veranstaltet worden war. Er aber sah gar traurig drein, und als einige von seiner Umgebung in ihn drangen, doch fröhlich zu sein und das glänzende Schauspiel zu genießen, antwortete er mit einem betrübten Lächeln: "Wie sollten wir des HERRN Lied singen im Lande der Fremde?" Polydor Virgil † 1555.


V. 5. Vergesse ich dein, Jerusalem usw. O Golgatha, o du Ölberg, o du Teich Siloah, wie duftet ihr doch von dem Namen, der über alle Namen ist! Kann ich je der Stätten vergessen, wo er so oft wandelte, wo er solch holdselige Worte redete, wo er für uns Sünder starb? Kann ich es vergessen, dass seine Füße einst stehen werden auf dem Ölberg, der vor Jerusalem liegt gegen Morgen? (Sach. 14,4.) Kann ich vergessen, dass dort in Jerusalem jener schlichte Söller war, wo sich der Pfingstgeist auf die Jünger ergoss? Andrew Alexander Bonar 1859.


V. 5.6. So vergesse meine Rechte, nämlich: des Saitenspiels, denn das zu ergänzende muss durch den Zusammenhang gegeben sein. Dann ist auch die Strafe dem Vergehen entsprechend (wie Hiob 31,22), und V. 6 schließt sich trefflich an. Meine unter Vergessen Jerusalems zum fröhlichen Saitenspiel gemissbrauchte Hand verliere die Fähigkeit zu spielen, meine zum fröhlichen Gesang gemissbrauchte Zunge die Fähigkeit zu singen. Das Kleben der Zunge am Gaumen findet sich als Bezeichnung völligen Verstummens auch Hiob 29,10. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
  Wo ich dein nicht gedenke. Entweder müssen unsere Betten gar weich oder unsere Herzen sehr hart sein, dass wir gemächlich ruhen können, wenn die Kirche des Herrn in Unruhe ist und wir die harten Stricke, damit unsere Brüder gefesselt sind, nicht durch unser Lager durchfühlen. John Trapp † 1669.
  Der "Gipfel der Freude" (wörtl.) ist die höchste Freude, vergl. 2. Mose 30,23 und Hohelied 4,14 im Hebr. K. B. Moll 1884.


V. 7. Die Edomiter waren bei der Zerstörung Jerusalems besonders tätig gewesen (Amos 1,11; Joel 4,19; Obadja 1,10 f.), wofür ihnen mit der göttlichen Rache gedroht wird (Jer. 49,7 f.; Klgl. 4,21 f.; Hes. 25,12 f.; Jes. 34; 63,1 f.). Als Blutsverwandte der Israeliten waren sie diesen noch verhasster als die Chaldäer und stehen wohl deshalb, wie Hupfeld meint, hier voran. K. B. Moll 1884.
  In dem Idumäer Herodes fand hernach Edoms Hass den stärksten Ausdruck. Herodes’ Anschlag ging darauf, den umzubringen, welchen Gott in Zion als auserwählten Eckstein gelegt hatte. William Kay 1871.
  Wir können uns die traurige Bemerkung nicht ersparen, dass die Juden hernachmals der Gemeinde Christi gegenüber dieselbe Rolle gespielt haben wie einst an dem Tage Jerusalems die Edomiter gegen sie, indem sie die Heiden dazu aufstachelten, die Gemeinde des Herrn zu verfolgen und womöglich vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Und Gott gedachte ihnen dies um der Christen willen, gerade wie sie ihn hier bitten, den Kindern Edom den Tag Jerusalems zu gedenken. Lernen wir daraus, welch ein Verbrechen es ist, wenn Christen den gemeinsamen Feind unterstützen oder ihn herbeirufen, dass er ihnen helfe gegen ihre Brüder. Bischof G. Horne † 1792.
  Edoms Hass war der Hass, mit welchem der fleischliche Sinn in seiner angeborenen Feindschaft wider Gott allezeit alles betrachtet, was der auserkorene Gegenstand der göttlichen Huld ist. Jerusalem war die Stadt Gottes. "Reiß ab, reiß ab bis auf ihren Boden ", das ist das unselige Begehren jedes unwiedergeborenen Herzens in Betreff eines jeden Baues, der auf dem auserwählten Steine göttlicher Gründung steht. Denn Gottes Wahl gefällt dem Menschen nie und nimmer, bis sein eigenes Herz durch die Wirkung des Geistes Gottes zum anbetenden Empfänger der Gnade geworden ist, von der er vorher nichts wissen wollte und deren Wirkung an anderen Menschen anzuerkennen er sich weigerte. Diese ernste Wahrheit bewährt sich von Kain an bis zum Antichrist. Arthur Pridham 1869.


V. 8. Der Ausdruck "du verwüstete " ließe sich wohl als prophetische Vergegenwärtigung des im Jahre 516 wirklich eingetroffenen Verwüstungsgerichts verstehen; aber diese prophetische Fassung fällt mit der imprekativen (verwünschenden) zusammen: die Fantasie des verwünschenden Semiten sieht die Zukunft als Tatsache. "Sahst du den Geschlagenen", d. h. den Gott schlagen müsse? So erkundigt sich der Araber nach einer gehassten Persönlichkeit. "Verfolge den Ergriffenen", d. h. den dich Gott ergreifen lassen möge! So sagt man, indem die Fantasie mit der Verfolgung zugleich auch schon die Ergreifung vorausnimmt. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Derselbe Sprachgebrauch ist im Syrischen nachweisbar. Vergl. Julian der Abtrünnige (ed. G. Hoffmann): "Wie urteilst du über das, was unsere Regierung in Betreff des ausgerotteten (d. i. auszurottenden) Volkes der Christen beschlossen hat?" "Gehe aus der zerstörten (d. i. dem Untergang geweihten) Stadt heraus, bis ich die Zeit finde, an ihr zu tun, was ich beabsichtige." Prof. Friedrich Baethgen 1904.


V. 8.9. Zn Beginn des fünften Jahres Darius I. erhoben sich die Babylonier zur Empörung wider das Joch der Perser. Es kostete den Darius die Mühe einer langen Belagerung, um sich die Stadt Babel wieder zu unterwerfen; aber endlich besiegte er sie mit der Kraft seines ganzen Heeres. Als die Babylonier sich von einem solch gewaltigen Heere umschlossen sahen, mit dem sie keinen Kampf in offener Feldschlacht wagen konnten, richteten sie all ihr Sinnen nur darauf, die Belagerung möglichst lange auszuhalten, und zu dem Ende fassten sie einen verzweifelten, unmenschlich grausamen Entschluss, wie er kaum je einem anderen Volke in den Sinn gekommen ist. Damit ihre Mundvorräte länger anhielten, kamen sie überein, sich aller unnötigen Esser zu entledigen; so trieben sie denn die Weiber und Kinder zusammen und erwürgten sie alle miteinander, die Frauen, Schwestern, Töchter und Dienstboten, sowie alle für den Kriegsdienst noch nicht brauchbaren jungen Knaben, nur mit der Ausnahme, dass jeder Mann aus seinen Weibern eine, die er am liebsten hatte, behalten durfte, sowie eine Magd für die Hausarbeit. Humphrey Prideaux † 1724.
  Der dir vergilt, wie du uns getan hast. So wird der Bosheit mit ihrer eigenen Münze vergolten. Wie oft überwältigt ein Frevler den andern, der Dieb beraubt den Dieb, der Verräter verrät den Verräter, wie in Rom so mancher nicht christliche Kaiser und so mancher "christliche" Papst durch Mord und Bestechung auf den Thron gekommen ist und durch Mord und Bestechung den Thron verloren hat. Böse Menschen müssen von ihrem eigenen Gebräu trinken, werden gezüchtigt mit der Rute, die sie selber gebunden, versinken in der Grube, die sie andern gegraben haben, wie Haman an dem Galgen erhängt wurde, den er selber aufgerichtet hatte, oder der athenische Metallkünstler Perillus selbst in den ehernen Stier kriechen musste, den er dem sizilischen Tyrannen Phalaris zuliebe erfunden hatte, um Verurteilte darin zu Tode zu rösten. Thomas Adams † 1784.
  Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an dem Stein, damit nicht ein neues Geschlecht von Bedrückern aufwachse. Vergleiche die Weissagung Jes. 14,21 f. In einer Beziehung wenigstens können wir uns die Sprache unseres Psalms mit ihrem kein Erbarmen kennenden Hasse zum Muster nehmen: gegenüber den noch kleinen, scheinbar ungefährlichen, aber sicher zu Tyrannen heranwachsenden Sünden. Wie die kleinen Knäblein, wenn sie am Leben bleiben, eines Tages erwachsene Männer sein werden, so erstarken die ersten Regungen der Sünde, wenn wir sie gewähren lassen, zu großen, offenbaren, frechen Lastern. Robert South † 1716.
  Es gehört mit unter die Tiefe der Gerichte Gottes, dass, da Gott sonst zu anderer Zeit selbst kleine Kinder als einen Beweggrund zum Verschonen ansieht (Jona 4,11), er hingegen auch, wann die Missetat eines Volks voll ist, es an den Kindern mit unbegreiflicher Schärfe heimsuchen kann. Wie reicht die Verheißung so weit, die Gott dem Abraham gegeben: Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen! Karl H. Rieger † 1791.


V. 7-9. Ich weiß nicht, ob es andern auch so geht, ich jedenfalls habe oft gewünscht, die Schlussverse dieses Psalms wären von dem weich-wehmütigen, so rührenden und ansprechenden Anfang getrennt worden. Der Schluss klingt, als wäre eine der Saiten der so wohl gestimmten Harfe plötzlich außer Stimmung gekommen, so dass ihr auf einmal schrille Misstöne entfahren, die Mark und Bein erschüttern. Wohl weiß ich, dass dieses mein Empfinden nicht durchaus richtig ist, denn der HERR selber hat solch sichtbares Strafgericht der Verwüstung und Entvölkerung über das stolze Babel weissagen lassen, vergl. bes. Jes. 13; 14 und Jer. 51. Doch sehnt das Herz sich viel inbrünstiger nach der Zeit, da die Nationen der Erde hinfort nicht mehr kriegen lernen (Jes. 2,4), und da jede Harfe und jeder Mund, selbst die der Märtyrer unter dem Altar (Off. 6,9-11), und sie am lautesten und lieblichsten von allen, des HERRN Lied, das Lied Moses und des Lammes, singen werden (Off. 15,3) in jenem Wonneland, wo es kein Seufzen und keine Tränen mehr geben wird. Barton Bouchier † 1865.


Homiletische Winke

V. 1. 1) Eine Pflicht, die einst eine Quelle der Freude war: Zions zu gedenken. 2) Umstände, die dieses Gedenken kummervoll machen. 3) Was für Leute jene Freude, diesen Kummer empfinden.
  1) Im Glücke hatte Israel Zions vergessen. Die Gottesdienste auf Zion waren vernachlässigt worden, die Priester Zions waren verweltlicht, der Baals- und Astartendienst usw. war der Anbetung des wahren Gottes vorgezogen worden. 2) Im Unglück gedachte Israel Zions. In. Babel waren die Gedanken des Volkes mehr als einst in Jerusalem selbst bei Zion, an den Ufern des Euphrat mehr als an denen des Jordan; jetzt gedachte man sein mit Weinen, da man es einst hätte mit Wonne tun können. Vergl. Jer. 22,21 und Jes. 26,16. George Rogers 1885.
V. 2. 1) Israels Harfen, oder Mittel und Fähigkeiten, den HERRN zu preisen. 2) Die Harfen an den Weiden, oder verstummter Gesang. 3) Wiedergestimmte Harfen, oder künftige Freuden.
  Die Harfen an den Weiden. 1) Ein Bekenntnis der Israeliten, dass ihre Freude in Traurigkeit verwandelt war. Das Seufzen des Windes in den an den Weiden hangenden Harfen stimmte besser zu den Gefühlen, welche die Israeliten bewegten, als irgendwelche Weisen, die sie zu spielen gewohnt waren. 2) Ein stilles Zeugnis von der Hoffnung, die die Gefangenen beseelte, dass ihre Traurigkeit noch in Freude verwandelt werden würde. G. Rogers 1885.
  Unsere Harfen hängten wir an die Weiden, die daselbst sind: I. In Erinnerung an Freuden, die nun dahin waren. Ihre Harfen waren Zeugen einer glorreichen Vergangenheit. Diese Vergangenheit wollten und durften sie nicht vergessen, denn damit hätten sie alles verloren. Darum bewahrten sie die lieben alten Harfen. Mittel zur Erinnerung sind auch uns stets zur Hand. II. Als Zeichen der traurigen Gegenwart. Sie vermochten nicht auf den Harfen zu spielen 1) wegen des drückenden Gefühls ihrer Sündhaftigkeit, 2) wegen der traurigen Lage, in der sie sich befanden, 3) um den Zustand ihrer Heimat willen. III. Im Ausblick auf künftige Segnungen. Darum zerbrachen sie ihre Harfen nicht. Die Zeit der Verbannung hatte ihre fest bestimmte Grenze, die Rückkehr war ausdrücklich geweissagt. Wir werden unsere Harfen noch brauchen in den Segenszeiten, die da kommen. Jetzt spielen die Gottlosen auf ihren Harfen, aber bald werden sie sie für immer beiseitelegen müssen. William Jackson 1885.
V. 3b. "Singet uns eins von Zions Liedern! " Scheiden wir diese Worte aus dem Zusammenhang aus, so bilden sie eine liebliche und lobenswerte Aufforderung. Warum begehren wir solch ein Lied? 1) Es ist sicher ein reines Lied. 2) Es wird gewiss den Geist erheben. 3) Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch ein frohes Lied sein. 4) Es wird uns trösten und ermutigen. 5) Es wird dazu dienen, unserer Dankbarkeit Ausdruck zu geben.
V. 3.4. I. Das grausame Verlangen. Man fordert von uns 1) ein Lied, da wir doch Gefangene, Verbannte sind; 2) ein Lied zur Ergötzung unserer Bedrücker; 3) ein heiliges Lied zu unheiligen Zwecken. II. Die Beweggründe zu solchem Verlangen. Manchmal die reine Spottlust; ein andermal verfehlte Freundlichkeit, die uns durch Schärfe aus der dumpfen Verzweiflung aufzurütteln sucht; oft auch bloß gedankenloser Leichtsinn. III. Die Antwort auf dies Verlangen: "Wie sollten wir usw.?"
  1) Wenn Gott zur Freude auffordert, sollen wir nicht trauern. Zions Lieder sollen in Zion auch gesungen werden. 2) Wenn Gott zur Trauer auffordert, sollen wir nicht Fröhlichkeit suchen. "Wie sollten wir usw.?" Vergl. Jes. 5,12. George Rogers 1885.
  I. Das unbillige Begehren: "Singet uns ein Lied von Zion! " 1) Es war das allerdings ein beachtenswertes Zeugnis dafür, dass die Verehrung Jehovahs das Gepräge der Freude hatte. Sogar die Heiden hatten von Zions Liedern gehört. 2) Es war aber auch eine harte Probe für die Treue der gefangenen Israeliten. Es hätte ihnen in ihrer gegenwärtigen Lage sehr von Vorteil sein können, wenn sie dem Begehren gewillfahrt hätten. 3) Es war ein grausamer Hohn auf die betrübte, ja verzweifelte Lage der Verbannten. II. Die entrüstete Weigerung: "Wie sollten wir des HERRN Lied singen in fremden Landen? " Rechten Israeliten ist es unmöglich, solche Lieder zu singen: 1) wenn das Herz nicht zum Singen, sondern zum Weinen gestimmt ist, wie es natürlich ist im Land der Fremde; 2) inmitten von Fremden, die in Denken, Gesinnung und Empfinden mit uns nichts Verwandtes haben; 3) zu ungeheiligten Zwecken - um gottlos und weltlich gesinnte Menschen (Heiden) zu unterhalten. Manche so genannte geistliche Konzerte berühren innig fromme Christen ebenso peinlich, wie jene Aufforderung, Zions Lieder zu singen, die echten Israeliten schmerzte. Des HERRN Lied darf nur dem HERRN gesungen werden. W. H. Page 1885.
  1) Die Knechte Gottes befinden sich in einer Welt, die ganz anders empfindet als sie. 2) Diese Welt sucht alles in den Dienst ihres Verlangens nach Ergötzen und Unterhaltung zu stellen. Man will Zionslieder hören, um sich damit die Zeit zu verkürzen. Auch der Geist unserer Zeit tritt vielfach mit solchem Verlangen an uns heran. Die Religion soll dazu herhalten, den Menschen die Ohren zu kitzeln; damit aber wird das Heilige zur Posse gemacht. 3) Alle Treugesinnten geben auf dies Ansinnen die Antwort voll gerechter Entrüstung: "Wie sollten wir usw.?" Den Arbeitern im Reiche Gottes liegen wichtigere, wenn auch weniger beliebte Tätigten ob. William Bickle Haynes 1885.
V. 5. Wer hier zu gedenken gelobt, wessen er eingedenk bleiben will, und der feierliche Schwur.
V. 5.6. 1) Mit der Welt sich freuen heißt Zions (der Sache und des Volkes des HERRN) vergessen. 2) Ist unsere Liebe zu des HERRN Zion echter Art, so müssen wir dieses allem andern vorziehen. 3) Wollen wir dem Zion des HERRN dienen, so müssen wir bereit sein, um seinetwillen alles zu erdulden.
V. 7. Der Hass der Gottlosen gegen Gottes Wahrheit und wirkliche Frömmigkeit. 1) Der Grund dieses Hasses. 2) Der Grad dieses Hasses: "Reiß ab usw.!" 3) Günstige Zeit, diesen Hass an den Tag zu legen: "Der Tag Jerusalems" - Zeiten der Trübsal usw. 4) Die Vergeltung, die diesem Hasse droht: "Herr, gedenke usw."

Fußnoten

1. Nach Delitzsch ist übrigens ’arab nicht eine Weide, sondern eine Pappel (populus Euphratica). Die sogen. babylonische Trauerweide sei weder in Babylonien noch sonstwo in Vorderasien wild anzutreffen.

2. Das Wort bezeichnet jedenfalls Personen, ist aber unsicherer Bedeutung.

3. So deuten schon manche Alte die Worte. Die passivische Übersetzung Luthers (nach den LXX) erfordert eine Veränderung. Will man zu einer solchen übergehen, so empfiehlt sieh jedenfalls mehr diejenige von Grätz: $xak:ti, so schrumpfe meine Rechte ein, vergl.

4. Bei der aktiven Übers. ist hdfOd $Ifxa (oder hdfd$Ifoxa) zu lesen. Zu dem Sinn der passiven masoretischen Lesart vergl. auch die Erläuterungen.