Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 18 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

(Ein Psalm,) vorzusingen, Davids, des Herrn Knechts, welcher hat dem Herrn die Worte dieses Lieds geredet zur Zeit, da ihn der Herr errettet hatte von der Hand aller seiner Feinde und von der Hand Sauls. Wir haben diesen Psalm noch einmal in der Sammlung heiliger Schriften (2. Samuel 22) mit einigen Verschiedenheiten. Auch David selbst wird das Lied zu verschiedenen Zeiten gesungen haben, wenn er seine merkwürdige Lebensgeschichte überblickte und die gnädige Hand Gottes in all seinen Schicksalen beobachtete. Gleich unserem schönen Choral "Womit soll ich dich wohl loben" und andern ähnlichen Dankliedern ist dieser Psalm der Lobgesang eines dankbaren Herzens, das bei dem Rückblick auf die mannigfachen wunderbaren Gnadenerweisungen Gottes von heiliger Freude und Liebe zum Herrn überwältigt wird. Wir wollen den Psalm überschreiben: Der dankbare Rückblick. - Die alte Überschrift fordert Beachtung. Wiewohl David zu der Zeit die Königskrone trug, nennt er sich den Knecht Jahwes und erwähnt seine königliche Würde mit keiner Silbe. Daraus entnehmen wir, dass er es für eine höhere Ehre achtete, des Herrn Knecht, als der König von Juda zu sein, und er urteilte darin sehr weise. Da Gott ihm die Dichtergabe verliehen hatte, suchte er dem Herrn damit zu dienen, dass er diesen Psalm zur Verwendung in Gottes Haus abfasste. Es ist fürwahr nichts Geringes, die Lobpreisung Gottes, diesen köstlichen Teil des öffentlichen Gottesdienstes zu leiten oder zu heben. Wollte Gott, dass die dichterischen und musikalischen Fähigkeiten mehr dem Herrn geweiht würden, und dass alle unsere Musikmeister solche Leute wären, denen man wahrhaft erbaulichen und geistlichen Gesang anvertrauen könnte. Man beachte, dass die Worte dieses Liedes nicht gedichtet wurden, um dem Geschmack der Menschen zu gefallen, sondern dass sie dem Herrn geredet wurden. O dass unser Auge beim Gesang und bei allen andern heiligen Handlungen einfältiger auf die Ehre Gottes gerichtet wäre! Ein Loblied, das nicht einzig und von Herzensgrund dem Herrn gedichtet und gesungen wird, hat wenig Wert. David hatte wohl Ursache, seinen Dank so unmittelbar dem Herrn zu weihen; seinem Gott hatte er ja alles zu verdanken. Ihm, dessen Macht ihn erhalten hatte, gebührte allein der Lobpreis zur Zeit, da ihn der Herr errettet hatte. Dieselbe Empfindung, dass wir Gott, und Gott allein, Ehre und Dank schulden, sollte auch uns beseelen. Diese Schuld werden wir nie abtragen können.
  Wenn wir dessen eingedenk sind, dass der 3. und der 50. Vers im neuen Testament (Hebr. 2,13; Röm. 15,9) als Worte des Herrn Jesus angeführt werden, wird es uns klar sein, dass auch dieser Psalm auf einen Größeren als David zielt. Der Leser wird unserer Hilfe in dieser Hinsicht nicht bedürfen. Wer Jesus kennt, wird ihn in seinen Leiden, seiner Errettung und seinem Triumph überall in diesem herrlichen Lied finden.

Einteilung. Die Vers 2-4 sind das Eingangswort, worin der Sänger seiner inbrünstigen Liebe zu dem Herrn beredten Ausdruck gibt. In Vers 5-20 wird die rettende Gnade mit höchstem dichterischem Schwung gepriesen. Darauf beteuert der glückerfüllte Sänger V. 21-29, dass Gott gerecht gehandelt habe, indem er ihm solche Gunst erwiesen. Voll dankerfüllter Freude schildert er V. 30-46 aufs Neue die ihm widerfahrene Errettung und feiert zum voraus künftige Siege. Zum Schluss redet er in offenbar prophetischem Ausblick von den herrlichen Triumphen des Messias, des Samens Davids und des Gesalbten des Herrn.


Auslegung

2. Herzlich lieb habe ich dich, Herr, meine Stärke;
3. Herr, mein Fels, meine Burg. mein Erretter,
mein Gott, mein Hort, auf den ich traue,
mein Schild und Horn meines Heils und mein Schutz!
4. Ich rufe an den Herrn, den Hochgelobten,
so werde ich von meinen Feinden erlöset.


2. Herzlich lieb habe ich dich, Herr. Mit starker und zugleich herzinnig zarter Liebe umklammert David seinen Bundesgott, wie das Kind den Vater, das Weib den Mann ihres Herzens. Das hebräische Zeitwort racham, das (im piel) so häufig vom zärtlichen Erbarmen, besonders Gottes, gegen Hilfsbedürftige gebraucht wird, finden wir nur hier (im kal) auf die Liebe zu Gott angewandt. Es ist von großer Kraft und Zartheit zugleich und bezeichnet die tiefste, seelenvollste Liebesempfindung. Die gebrauchte Zeitform schließt zugleich den festen Entschluss Davids ein, in solch trautester Liebesgemeinschaft mit dem Höchsten zu verbleiben. (Manche übersetzen geradezu: Ich will dich lieben: doch ziehen wir die Übersetzung Luther s vor.) Der dreieinige Gott verdient die inbrünstigste Liebe unser aller Herzen; Vater, Sohn und Heiliger Geist haben jeder ein Anrecht auf unsere Liebe. Der feierliche Vorsatz, nie von der Liebe zu lassen, entspringt ganz natürlich aus der gegenwärtigen Inbrunst der Zuneigung. Es ist verkehrt, vorschnell Entschlüsse zu fassen; wer aber diesen Vorsatz in der Kraft Gottes fasst, handelt überaus weise und schicklich. Meine Stärke. Unser Gott ist die Stärke unseres Lebens, unseres Charakters, unserer Werke, unserer Hoffnungen, unserer Kämpfe und unserer Siege. - Dieser Vers fehlt in 2. Samuel 22. Es ist ein überaus köstlicher Satz, an die Spitze gestellt, um die Zinne des Tempels, den Gipfel der Pyramide zu bilden. Die Liebe ist noch heute die Krone aller Gnaden.

3. Herr, mein Fels, meine Burg. David war der Bosheit Sauls entgangen, indem er sich in den Klüften und Felsenfestungen Judäas verborgen hatte; und hier vergleicht er nun seinen Gott solch einem Ort der Bergung und Sicherheit. Gott birgt die Seinen oft heimlich bei sich vor dem Wüten der Menschen und verdeckt sie da vor dem Hader der Zungen und dem Toben der Trübsalsstürme. (Vergl. Ps. 31,21) Die Klüfte des ewigen Felsen sind sichere Zufluchtsstätten. Mein Erretter, der in der Stunde der Gefahr ins Mittel tritt. Die dem Herrn angehören, werden oft, wenn sie beinahe gefangen genommen sind, von der Hand des Starken durch den noch Stärkeren errettet. Dieser Name Gottes, der Erretter, fasst viele Predigten in sich und ist der eindringenden Aufmerksamkeit aller durch Erfahrung gereiften Gläubigen wert. Mein Gott; das sind alle guten Dinge in einem. In diesem Ausdruck ist ein unermesslicher Reichtum enthalten; er bedeutet: mein beständiges, unwandelbares, unendliches und ewiges Gut. Wer in Wahrheit sagen kann; mein Gott, kann mit Recht hinzufügen: mein Himmel, mein alles. Mein Hort: meine sichere und ewig unwandelbare Zuflucht. Fels und Hort sind sinnverwandt, und doch bieten sie keine matte Wiederholung desselben Gedankens; denn nach dem Grundtext bedeutet das erste Wort den zerklüfteten Fels, die Felsenkluft als Bergungsort, während das andere den Fels nach seiner Festigkeit, Unwandelbarkeit und Unnahbarkeit bezeichnet. Auf den ich traue, oder bei dem ich Zuflucht suche und habe. Der Glaube muss geübt und erprobt werden, wenn anders die Vortrefflichkeit Gottes uns wahrhaft bekannt werden soll; und Gott muss der Gegenstand unseres Vertrauens sein, sonst ist, was wir Glauben nennen, nur Vermessenheit. Mein Schild, der die Streiche des Feindes abwehrt und mich vor Pfeil und Schwert deckt. Der Herr rüstet seine Krieger sowohl mit Schutz- als Trutzwaffen aus. Unser Waffenlager ist wohl versehen, so dass keiner ungewappnet in den Kampf zu gehen braucht. Und Horn meines Heils, das mich befähigt, meine Feinde niederzustoßen und mit heiligem Frohlocken über sie zu triumphieren. Und mein Schutz, wörtlich: meine steile Höhe, meine Hochburg, wo kein Feind mich erreicht und von wo ich auf ihr Wüten ohne irgendwelche Besorgnis und Angst niederblicke und weit umher ins gute Land hinausschaue. Es sind der Worte viel, mit denen David hier feinen Bundesgott preist und doch ist nicht eins zu viel. Wir könnten in heiliger Muße bei jedem einzelnen verweilen und aus der eingehenden Betrachtung reichen Gewinn ziehen. Wir müssen uns aber mit dem Hinweis begnügen, welch vollkommener Schutz der Herr den Seinen ist.

4. (Als) den Preiswürdigen rufe ich (Hilfe suchend) an den Herrn, so werde ich von allen meinen Feinden errettet. (Wörtl.1 Der Psalmist preist aus seiner Erfahrung die Gebet erhörende Gnade Jahwes. Er mag mit den Worten zugleich seinen Vorsatz bekunden, den Herrn auch ferner mit freudigem Lobpreis anzurufen, in der Überzeugung, dass sein Gott sich in allen noch bevorstehenden Kämpfen eben so herrlich an ihm erweisen werde. Es ist gut, wenn wir den Herrn als Hochgelobten, als Vielgepriesenen und der Lobpreisung Würdigen (Grundtext) anrufen; denn dann beten wir in fröhlichem und zuversichtlichem Geist. Dankbarkeit für die bisherigen Gnadenerweisungen Gottes macht uns kühn, große Dinge von dem Herrn zu erbitten. In dem Wörtlein so, d. h. in der inneren Verbindung der beiden Versglieder, liegt viel. Lobpreisend errettet werden, das heißt in der Tat errettet werden. Viele werden trauernd und zagend errettet; David aber hatte solchen Glauben, dass er singend kämpfen und mit Lobpreis auf den Lippen die Schlacht gewinnen konnte. Wie beseligend ist es, neue Gnaden zu empfangen mit einem Herzen, das schon von Freude über erfahrene Huld erfüllt ist, und neuen Trübsalen auf Grund der bisherigen Erfahrungen der göttlichen Liebe mit fester Zuversicht entgegengehen zu können.


5. Es umfingen mich des Todes Bande,
und die Bäche Belials erschwerten mich.
6. Der Hölle Bande umfingen mich,
und des Todes Stricke überwältigten mich.
7. Da mir angst war, rief ich den Herrn an,
und schrie zu meinem Gott;
da erhörte er meine Stimme von seinem Tempel,
und mein Schreien kam vor ihn zu seinen Ohren.
8. Die Erde bebete und wurde beweget,
und die Grundfesten der Berge regten sich
und bebeten, da er zornig war.
9. Dampf ging auf von seiner Nase
und verzehrend Feuer von seinem Munde,
dass es davon blitzte.
10. Er neigte den Himmel und fuhr herab,
und Dunkel war unter seinen Füßen.
11. Und er fuhr auf dem Cherub und flog daher;
er schwebte auf den Fittichen des Windes.
12. Sein Gezelt um ihn her war finster
und schwarze, dicke Wolken, darin er verborgen war.
13. Vom Glanz vor ihm trennten sich die Wolken
mit Hagel und Blitzen.
14. Und der Herr donnerte im Himmel,
und der Höchste ließ seinen Donner aus
mit Hagel und Blitzen.
15. Er schoss seine Strahlen und zerstreute sie;
er ließ sehr blitzen und schreckte sie.
16. Da sah man das Bette der Wasser,
und des Erdbodens Grund ward aufgedeckt,
Herr, von deinem Schelten,
von dem Odem und Schnauben deiner Nase.
17. Er steckte seine Hand aus von der Hohe und holte mich,
und zog mich aus großen Wassern.
18. Er errettete mich von meinen starken Feinden,
von meinen Hassern, die mir zu mächtig waren,
19. die mich überwältigten zur Zeit meines Unglücks;
und der Herr wurde meine Zuversicht.
20. Und er führte mich aus ins Weite,
er riss mich heraus; denn er hatte Lust zu mir.

In hochdichterischer Sprache schildert der Psalmsänger nun seine Erfahrung von Jahwes rettender Macht. Die Poesie hat in allen ihren Schätzen keinen funkelnderen Edelstein als dieses klangvolle Lied der uns jetzt vorliegenden Verse. Die Not, der Hilferuf, das Herabfahren Gottes und die Rettung des Bedrängten sind hier zu einem Klanggebilde vereinigt, das der goldenen Harfen würdig ist. Beim Durchforschen dieses Gesanges hat es sich uns mit immer größerer Gewissheit aufgedrängt, dass neben David oder irgendeinem andern Gläubigen, und über diese hinaus, der Messias die Hauptperson dieses Liedes ist und dass jede Zeile in ihm ihre tiefste und höchste Erfüllung gefunden hat. Da wir unsere Erklärung in gemessenen Grenzen zu halten wünschen, müssen wir es dem andächtigen Leser überlassen, die überaus leicht sich ergebende Anwendung auf unseren einst so schwer bedrängten, jetzt erhöhten Herrn und Heiland selber zu machen.

5. Es umfingen mich des Todes Bande. Es war, als legte der Tod, gleich einem grausamen Sieger, seine Fesseln um ihn. Um und um war er von Schrecken des Todes umgeben, dass er deswegen erbleichte. Er glich einem Seefahrer, der mit zerschmettertem Steuer durch die schreckliche, todesweiße Brandung auf die Felsen getrieben wird. Welch traurige Lage des Mannes nach dem Herzen Gottes! Aber so macht es der Herr gerade mit seinen geliebten Kindern. Die Bäche Belials, das ist, der Nichtswürdigkeit und Bosheit, 2 erschreckten mich. Sturzbäche der Gottlosigkeit drohten alle Frömmigkeit hinwegzuschwemmen und die Hoffnung des Gerechten durch Spott und Verachtung mit sich fortzureißen. Diese Drohung war schon so weit ausgeführt, dass sogar der Held, der einst den Goliath erschlagen hatte, von Schrecken erfasst wurde. Selbst die durchaus seetüchtige Barke kracht manchmal in allen Fugen, wenn die Sturmesfurie rings um sie tobt. Auch der Mutigste, der für gewöhnlich das Beste hofft, kann in Umstände kommen, wo er das Schlimmste befürchtet. Teurer Leser: Der, der diese Zeilen schreibt, versteht den Vers besser als die große Mehrzahl der Menschen und fühlt sich geneigt zu weinen, und doch dabei zu singen, während er über einen Text schreibt, der seine eigene Erfahrung so getreu schildert. An jenem Abend des beklagenswerten Unglücks in der Surrey-Musikhalle 3, da brachen die Fluten Belials los, und die darauf folgenden Bemerkungen eines großen Teils der Presse waren äußerst boshaft und ruchlos. Da war meine Seele in großer Drangsal, denn ich war umringt von Weh des Todes und den Lästerungen unbarmherziger Menschen. Aber o, wie viel Gnade war dennoch in dem allem, und welch süßen Honig göttlicher Güte reichte der Herr mir aus diesem Löwen der Trübsal (Richter 14,8). Fürwahr, mein Gott hat mich erhört! Bist du in übler Lage? Teurer Freund, lerne aus unserer Erfahrung, dem Herrn zu trauen, der seine Erwählten nicht verlässt.

6. Der Hölle, d. i. der Unterwelt, Bande (oder nach anderer Übersetzung: Wehen 4 umfingen mich. Von allen Seiten bellten die Höllenhunde wütend. Eine Kette von Teufeln umzingelte den gejagten Mann Gottes. Nirgends war ein Entrinnen. Der Satan versteht es, unsere Küsten mit den Panzerschiffen der Sorgen und Schmerzen zu blockieren; aber gottlob! Der Hafen des Gebots ist allezeit offen, und die Gnade bahnt sich den Weg durch alle Feinde; sie trägt die Kunde unserer Drangsale von der Erde zum Himmel und bringt Segnungen vom Himmel zur Erde zurück. Des Todes Stricke überwältigten mich. Der alte böse Feind macht Jagd auf seine Beute, nicht nur mit der wilden Meute des höllischen Abgrunds, sondern auch mit den Schlingen der grausamsten List. Enger und enger ward das Netz um den armen Gefangenen gezogen, bis es, festgeschlossen, ihm jede Möglichkeit des Entschlüpfens nahm. Seine Lage war so hoffnungslos, wie es nur irgend sein konnte, so verzweifelt, dass nur der Arm der Allmacht noch Hilfe schaffen konnte. Er war gefesselt gleich einem Übeltäter, der zur Hinrichtung geschleppt wird, umzingelt gleich einem gejagten Wild, in einem Netz gefangen gleich einem zitternden Vöglein. Wäre es möglich, dass sich mehr Schrecken und Not auf ein armes, wehrloses Haupt zusammendrängen könnte?

7. Da mir angst war, rief ich den Herrn an, und schrie zu meinem Gott. Das Gebet ist das Hinterpförtchen, das offen bleibt, ob die Stadt auch rings vom Feind umlagert ist; es ist der Ausweg aus der Grube der Verzweiflung, zu dem der geistliche Bergknapp alsbald flüchtet, wenn die Fluten des Verderbens aus der Tiefe über ihn hereinbrechen. Man beachte; erst ruft, dann schreit er; das Gebet wird dringlicher. Man übersehe auch nicht, dass er Gott erst mit dem Namen Jahwe anruft, alsbald aber das traute Wörtlein mein anwendet: mein Gott. So wächst der Glaube durch die Übung und hält sich immer fester an den treuen Bundesgott. Es gibt keine Unzeit für das Beten; keine Angst und Drangsal sollte uns abhalten, das göttliche Hilfsmittel des Flehens zu benutzen. Trotz des Tobens und Tosens der Wogen des Todes, trotz des Wütens der höllischen Mächte dringt der leiseste Ruf einer wahrhaft gläubigen Seele gen Himmel. Da erhörte er meine Stimme von seinem Tempel (oder Palast), und mein Schreien kam vor ihn zu seinen Ohren. Hoch droben, inmitten der mit Edelsteinen geschmückten Mauern und Perlentore (Off. 21), ward der Notschrei vernommen. All die Musik der Engelsheere und das Lobgetön der Seraphim konnten den Laut des Flehens nicht übertönen oder auch nur abschwächen. Der König hörte es in seinem Palast des unnahbaren Lichts und lieh dem Schreien seines geliebten Kindes gnädig sein Ohr. O der unerkannten Macht von der Heil’gen Beten, das also, um unseres Mittlers willen, durch Ohr und Herz des großen Gottes dringt! Der Ruf und Schrei der bedrängten Seele gelangt unmittelbar zum Herrn selbst; er geht nicht durch Vermittlung der Heiligen oder anderer Fürsprecher zu Gott: mein Schreien kam vor ihn. Wir dürfen mit Zuversicht, ja mit kühnem Freimut beten, weil unser Vater selbst auf unser Flehen horcht.

8. Es dauerte nicht lange, bis auf den Notschrei die Antwort kam. Der Herr verzieht nicht die Verheißung, er eilt seinen bedrängten Kindern schnell zu Hilfe. Vor Davids Geistesauge stehen die majestätischen Erscheinungen des Herrn in Ägypten, am Sinai und bei verschiedenen Gelegenheiten zur Zeit Josuas und der Richter, und es scheint ihm, es sei in seinen eignen Erlebnissen dieselbe Herrlichkeit der Macht und Güte Gottes hervorgetreten, und er dürfe daher die Darstellung der in seiner Errettung zu Tage getretenen Herrlichkeit den Schilderungen früherer Entfaltungen der göttlichen Majestät anpassen und diese in seinen Lobgesang verweben. Die Erde bebte und wurde beweget. Beachte, wie die festesten und unbeweglichsten Dinge die Macht des Gebets empfinden. Das Gebet hat die massivsten Gebäude erschüttert, Kerkertor geöffnet und steinerne Herzen zum Zittern gebracht. Das Gebet läutet die Sturmglocke; der Herr des Hauses steht auf, um zu Hilfe zu eilen, und unter seinem Tritt erzittert alles. Die Grundfesten der Berge regten sich und bebten, da er zornig war. Er, der die Säulen der Erde befestigt hat, kann sie in ihren Grundfesten erzittern und die Eckpfeiler der Schöpfung hüpfen lassen. Die Erde wankt und schwankt, die gewaltigen Gründe der Berge erbeben und bewegen einander (wörtl.), wenn Jahwe sich im Zorn aufmacht, die Feinde seines Volkes zu zerschmettern. Wie wird der winzige Mensch vor Gott standhalten können, wenn selbst die Berge vor Furcht erbeben? Möge er nicht in seinem Dünkel sich träumen lassen, dass die falsche Zuversicht, die er jetzt hegt, ihn an dem schrecklichen Tag des Zornes aufrecht halten werde.

9. Dampf (oder: Rauch) ging auf von seiner Nase: ein feuriger morgenländischer Ausdruck zur Bezeichnung heftigen Zornes. Der Hauch der Nüstern wird durch starke innere Erregungen heiß und sprüht mächtig hervor. Das Bild stellt den allmächtigen Erretter in der Hitze seines Zornes und dem heiligen Ungestüm seines Eifers dar. Die ganze Beschreibung ist die erhabene Schilderung eines Gewitters. Die schweren Wolken werden als der Rauch des göttlichen Zornes dargestellt. Nichts erzürnt Gott so wie Unrecht, das seinen Kindern zugefügt wird. Wer sie antastet, der tastet seinen Augapfel an (Sach. 2,12). Gott ist nicht den Leidenschaften unterworfen, die uns seit dem Sündenfall beherrschen; sein Zorn ist stets ein heiliger, die Ruhe des Alleinseligen wird durch nichts gestört. Da wir aber die Tatkraft und Eilfertigkeit, womit er handelt, bei Zürnenden zu sehen gewohnt sind, werden jene Eigenschaften durch dies dichterische Bild unserm Verständnis in passender Weise nahe gebracht. Der Hauch seiner Lippen genügt, seine Feinde zu vernichten: Und verzehrend Feuer ging aus von seinem Munde. Ehe sich aber dies Zornesfeuer ganz entlädt, kündigt es sich im Wetterleuchten an: Glutkohlen loderten von ihm (Gott) aus. (Grundtext) Das Ganze schildert das Herannahen Gottes, der im Wetter herniederfährt, um seinem Kinde zu Hilfe zu eilen. Bei seinem majestätischen Erscheinen bebt die Erde, die Wolken fliegen auf wie Rauch, und die noch fernen Blitze setzen den ganzen Horizont in Flammen.

10. Mitten in dem die ganze Schöpfung erschauern lassenden Sturme fährt Jahwe als Rächer und Retter hernieder. Der Wolkenhimmel senkt sich unter seinen Füßen. Er neigte den Himmel und fuhr herab. Er kam in Eile und stieß gleichsam alles weg, was ihn am schnellen Herabfahren hinderte. Düsterschwarzes Gewölk verhüllte seinen Glanz: Dunkel war unter seinen Füßen. Er kämpfte inmitten der dichten Gewitterwolken, wie ein Krieger, der von Rauch und Staub eingehüllt ist; und doch traf er das Herz seiner Feinde mit dem scharfen Schlachtschwert seiner Rache. Das Dunkel ist kein Hindernis für Gott. Die dichteste Finsternis macht er zu seiner Hülle, zu seinem heimlichen Gezelt. Sieh, wie das Gebet Himmel und Erde bewegt und Stürme erregt, die in einem Nu die Feinde der Auserwählten Gottes niederwerfen. Es stand schlimm um David, ehe er betete; aber die Dinge wandten sich, sowie sein Flehen gen Himmel stieg, und nun stand es schlimm, viel schlimmer um seine Feinde, während er jauchzen konnte. Der Glaube zieht die göttliche Hilfe herbei und wendet das Blatt wider den Feind. Muss ich einen Feind haben, - dass er nur nicht ein Mann des Gebets sei; sonst wird er bald die Oberhand über mich gewinnen, indem er seinen Gott zum Kampf herbeiruft.

11. Dieser Vers ist von unnachahmlicher Erhabenheit. Auch bei Hesekiel finden wir die Cherubim als den Thron der göttlichen Majestät tragend und mit Blitzesschnelle überall hinführend, gleichsam als den Thronwagen Gottes dargestellt. Wir wollen uns hier nicht in Erörterungen über das geheimnisvolle Wesen der Cherubim verlieren; es genüge die Bemerkung, dass, wie die Engel uns ohne Zweifel als Beschützer und diensteifrige Freunde zur Seite stehen, so auch die ganze Macht dieser heiligen, Gott allezeit schauenden Geschöpfe dazu angeworben ist, die Befreiung des gefährdeten Knechtes des Herrn zu beschleunigen. Er fuhr auf dem Cherub und flog daher. Auch die Natur bietet alle ihre Kräfte uns zur Hilfe dar, sogar die Gewalten der Luft sind dienstbereit: Er schwebte auf den Fittichen des Windes. Der Herr kommt mit Windeseile, wenn es gilt, Barmherzigkeit zu erweisen; dagegen zögert er lange mit seinem Einschreiten, wenn ein Sünder auf diese Weise zur Buße gelockt werden soll. Das Daherfahren Jahwes ist hier sowohl in seiner Erhabenheit als Schnelligkeit geschildert. Wie der Adler in majestätischer Ruhe mit weit ausgebreiteten Schwingen einherschwebt, ohne heftigen Flügelschlag, ohne auffällige Kraftanstrengung, so kommt der Herr in der Majestät der Allmacht, den Seinen zu helfen.

12. Er machte Finsternis zu seiner Hülle, rings um sich zu seinem Zelte Wasserdunkel, Wolkendickicht. (Wörtl.) Immer dicker wird die Finsternis des Unwetters und die Wolken schütten den Regen in Sturzbächen herab. Beides bildet das heimliche Gezelt des unsichtbaren, aber Wunder wirkenden Gottes. Er hüllt sich in undurchdringliche Finsternis. Der Glaube zwar sieht ihn; aber kein anderes Auge vermag ihn im Wasserdunkel und Dunstgewölk zu schauen. Gesegnetes Dunkel, das meinen Gott verbirgt! Darf ich ihn nicht sehen, so ist es doch köstlich, zu wissen, dass er im Verborgenen für mein ewiges Heil wirkt. Auch Toren können glauben, dass Gott da ist, wenn die Sonne lieblich scheint und die Luft klar und heiter ist; aber der Glaube ist scharfsichtig und entdeckt seinen Gott auch im schrecklichen Dunkel und tobenden Sturm.

13. Plötzlich brach das nun herangezogene Gewitter los. Vor dem Glanze vor ihm fuhren seine Wolken dahin; Hagel und Feuerkohlen! (Wörtl.5 Des Ewigen Glanz erleuchtete die Wolken und ließ sie in dem Abglanz seiner Herrlichkeit erstrahlen, die im Wolkengezelt verborgen war; und Salven von Hagel und von Feuerkohlen, d. i. funkelnden und zündenden Blitzen, wurden auf den Feind geschleudert. Erst war es, als hingen die Blitze an den Wolken, die dadurch in ein Flammenmeer verwandelt schienen, und dann brach der Hagel los, und Feuerfunken und Flammen von entsetzlicher Majestät erschreckten die Erdensöhne.

14. Zu all der Feuerpracht des Gewitters kam das furchtbare Krachen des Donners. Der Herr donnerte im Himmel und der Höchste ließ seinen Donner (wörtl. seine Stimme) aus. Fürwahr, eine passende Musikbegleitung zu den Flammen der Rache. Wie werden die Menschen es ertragen können, Gottes Stimme am jüngsten Tage zu hören, wenn diese ihr Schicksal verkündet, da ihnen schon jetzt das Herz entfällt, wenn sie sie nur von ferne rollen hören? Für David aber ward dies schreckliche Schauspiel ein Anlass zum Gesang. So findet jeder Gläubige selbst in den Schrecken Gottes ein Thema zu heiliger Lobpreisung. Hagel und Feuerkohlen! (Wörtl.) Dieser nochmalige Ausruf des Staunens vergegenwärtigt uns lebhaft die Furchtbarkeit des Gewitters. Bischof Horne († 1792) sagt, jeder Gewittersturm solle uns an den Sturm der Ruche erinnern, der einst die Auferstehung der Toten begleiten wird. Aber sollen wir nicht auch dessen eingedenk sein, dass der sich so machtvoll im Gewitter offenbarende Gott unser Vater und Freund ist, und sollen wir dadurch nicht in der Gewissheit bestärkt werden, dass wir trotz allen Gefahren sicher sind, weil er für uns den Kampf ausficht? Der Fürst, der in der Luft herrscht, ist bald vertrieben, wenn der feurige Cherubwagen durch sein Reich fährt. Darum sollen die Legionen der Hölle uns nicht schrecken. Er, der mit uns ist, ist größer denn alle, die wider uns sind.

15. Er schoss seine Blitze wie scharfe Strahlen, d. i. Pfeile, in die Heere der Feinde und zerstreute sie, er ließ sehr blitzen und schreckte (verwirrte) sie. Die Gottlosen, die sonst so gern trotzen und prahlen, erweisen sich als Feiglinge, sobald Jahwe ihnen auf dem Kampfplatz gegenübertritt. Sie verachten sein Wort und haben ein großes Maul; aber wenn es zum Treffen kommt, ergreifen sie das Hasenpanier. Die zuckenden Flammen und Donnerkeile schreckten und verwirrten sie. Gott ist um Waffen nie verlegen. Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert! (Jes. 45, 9) Des Allmächtigen Pfeile verfehlen nie ihr Ziel; sie sind mit Blitzen gefiedert und mit Widerhaken ewigen Verderbens gerüstet. Sünder, fliehe zu der Felsenkluft, da du Zuflucht findest, ehe diese Pfeile dir im Herzen sitzen.

16. So schrecklich war der Ansturm Gottes wider seine Feinde, dass die ganze Ordnung der Natur dadurch geändert wurde und die Gründe der Ströme und Meere bloßgelegt wurden. Da sah man das Bett der Wasser. Und die tiefen Höhlen im Innern der Erde wurden emporgehoben, bis des Erdbodens Grund aufgedeckt ward. Wie allgewaltig ist doch dein Schelten, Herr! Wenn schon das Schnauben des Odems deiner Nase (oder das Schnauben deines Zornhauches) so schrecklich ist, was muss es sein, wenn dein Arm sich regt! Vergeblich sind die Versuche der Menschen, etwas vor dem zu verbergen, dessen Wort die verborgensten Tiefen entriegelt und die Tore der Erde aus ihren Angeln hebt. Vergeblich ist jede Hoffnung, ihm Widerstand leisten zu können, da ein Flüstern seiner Stimme den Erdkreis vor Schrecken vergehen lässt.

17. Nun kommt die Errettung. Der Urheber derselben ist göttlich: Er streckte (seine Hand) aus; die Tat ist himmlisch: von der Höhe; und die Errettung ist wunderbar: er zog mich aus großen Wassern. Hier ward David gleichsam ein anderer Mose, "aus dem Wasser gezogen". (2. Mose 2,10 ist die einzige Stelle, wo das betreffende Wort des Grundtextes noch vorkommt.) So sind auch alle Gläubigen ihrem Herrn gleich, dessen Taufe in großen Wassern der Angst und in seinem eigenen Blut uns von dem zukünftigen Zorn errettet hat. Alle Sturzseen des Übels können den nicht ersäufen, dessen Gott über den Fluten thront und ihre Wut zurückhält.

18. Er errettete mich von meinem starken (oder grimmen) Feinde und von meinen Hassern, denn sie waren mir zu mächtig. (Wörtl.) Haben wir göttliche Errettung erfahren, so gilt es wohl darauf zu achten, dass wir alle Ehre dem Herrn zuschreiben, indem wir unsere Ohnmacht bekennen und an die Macht und den Grimm des von Gott besiegten Feindes gedenken. Gottes Allmacht empfängt Ehre aus all den Ereignissen des Kampfes. Unser großer geistlicher Widersacher ist ein starker und grimmer Feind, in der Tat viel zu mächtig für arme, schwache Geschöpfe wie unsereins; aber wir sind bisher errettet worden und werden dieselbe Macht Gottes erfahren bis ans Ende. Gerade unsere Schwäche ist ein Grund für das Eingreifen der göttlichen Hilfe. Man beachte die Kraft des Wörtleins denn im Grundtext: denn sie waren mir zu mächtig.

19. Die sich mir entgegenwarfen an meinem Unglückstag. (Wörtl.) Den bösen Tag machten sich die boshaften Feinde in ihrer Grausamkeit wohl zunutze, um David mit List völlig zu verderben. Aber er konnte sagen: Der Herr ward meine Zuversicht, wörtlich: ward mir zum Stab (vergl. 23,4), auf den gestützt ich mich aufrecht hielt. Wir setzen statt des Und besser ein Aber oder Da: Da ward der Herr meine Stütze. Welch ein köstliches Aber, das den gordischen Knoten zerhaut und die hundertköpfige Hydra erschlägt. Es hat fürwahr keine Not, wenn Jahwe unser Stab und Stecken ist.

20. Und er führte mich aus ins Weite. Als Joseph eine Weile im Kerker geschmachtet hatte, gelangte er in den Palast, und David stieg von der Höhle Adullam auf den Thron. Wie süß ist die Freude nach dem Leid! Die Freiheit ist umso köstlicher nach einer Zeit kummervoller Gefangenschaft und beklemmender Not. Bedrängte Seelen ergötzen sich auf dem weiten Feld der Verheißung, wenn Gott den Feind vertreibt und die Tore der umzingelten Stadt öffnet. Der Herr lässt sein Werk nicht halb vollendet liegen; nachdem er den Feind in die Flucht geschlagen hat, führt er den Gefangenen in die Freiheit. Ein weites Land fällt in der Tat dem Gläubigen als Besitz zu. Sein Friede kann ohne Grenzen sein, denn es gibt keine Schranke für seine Vorrechte. Er riss mich heraus, denn er hatte Lust zu mir. Freie Gnade war der Grund der göttlichen Errettung. Wir mögen ganz gewiss sein, dass wir, wenn wir nur tief genug gehen, das in unbeschränkter Freiheit waltende Erbarmen als den Untergrund entdecken werden, woraus all die Quellwasser der Gnade hervorsprudeln. Wer sein Netz ins tiefe Meer der göttlichen Güte senkt, bringt stets die Perlen der erwählenden, aussondernden Liebe zu Tage. Warum Jahwe Lust zu uns hat, ist eine Frage, auf die wir keine Antwort geben können, ein Geheimnis, das selbst die Engel nicht zu lösen vermögen; aber dass Gott an seinen Geliebten Wohlgefallen hat, ist gewiss und ist die fruchtbare Wurzel von eben so zahlreichen wie kostbaren Wohltaten. Kind Gottes, geh ein wenig in die Stille und verarbeite innerlich das lehrreiche Wort, das vor uns liegt; lerne die jedes in uns liegenden Grundes entbehrende Liebe Gottes als den Grund all der Güte ansehen, die wir genießen.


21. Der Herr tut wohl an mir nach meiner Gerechtigkeit;
er vergilt mir nach der Reinigkeit meiner Hände.
22. Denn ich halte die Wege des Herrn,
und bin nicht gottlos wider meinen Gott.
23. Denn alle seine Rechte hab ich vor Augen,
und seine Gebote werfe ich nicht von mir,
24. sondern ich bin ohne Tadel vor ihm,
und hüte mich vor Sünden.
25. Darum vergilt mir der Herr nach meiner Gerechtigkeit,
nach der Reinigkeit meiner Hände vor seinen Augen.
26. Bei den Heiligen bist du heilig,
und bei den Frommen bist du fromm,
27. und bei den Reinen bist du rein,
und bei den Verkehrten bist du verkehret.
28. Denn Du hilfst dem elenden Volk,
und die hohen Augen erniedrigst du.
29. Denn Du erleuchtest meine Leuchte;
der Herr, mein Gott, macht meine Finsternis licht.


21. Der Inhalt der nun folgenden Verse ist die Ausführung des "Denn er hatte Lust (oder Gefallen) an mir" V. 20. Der Herr tut (oder tat 6 mir nach meiner Gerechtigkeit; er vergilt (vergalt) mir nach der Reinigkeit meiner Hände. Wenn wir unseren Psalm als im letzten Grunde messianisch fassen, sind diese starken Beteuerungen der Gerechtigkeit leicht verständlich, denn das Gewand unseres Herrn war weiß wie der Schnee; dagegen haben sie, als Aussage Davids über sich selbst gefasst, manchen verblüfft. Doch ist die Sachlage klar, und wenn man die Worte nicht zu straff spannt, über den von David beabsichtigten Sinn hinaus, so braucht sich gar keine Schwierigkeit zu erheben. Wiewohl die Austeilung der göttlichen Gnade in vollkommenster Freiheit und ohne Rücksicht auf menschliches Verdienst geschieht, so ist doch im Walten der Vorsehung oft eine Regel der Gerechtigkeit erkennbar, nach der denen, welche Unrecht leiden, zuletzt ihr Recht wird, und die Gottseligen schließlich errettet werden. Die Trübsale, die David in seinen jungen Jahren durchmachte, erwuchsen aus der gottlosen Bosheit des neiderfüllten Saul, der seine Verfolgungen ohne Zweifel mit Beschuldigungen, die er und andere gegen den Charakter des Mannes nach dem Herzen Gottes vorbrachten, zu decken suchte. Da bezeugt David nun, dass diese Anklagen völlig erlogen gewesen seien, und versichert, dass er, dank der göttlichen Gnade, in Gerechtigkeit gewandelt habe, welche der Herr, all jenen Schmähern zum Trotz, gnädig belohnt habe. Vor dem Höchsten beugte sich der Mann nach Gottes Herzen als ein Sünder, der nur von Gnade lebte: aber vor seinen Verleumdern konnte er, ohne zu erröten, von der Reinigkeit seiner Hände und der Gerechtigkeit seines Lebens sprechen. Wer sich vor dem Urteil der Menschen nicht auf seine Unschuld berufen darf, der kennt die heiligende Macht der Gnade noch wenig. Es liegt keine dünkelhafte Selbstgerechtigkeit darin, dass ein redlicher Mann sich dessen bewusst ist, dass er redlich ist, noch auch darin, dass er glaubt, Gott vergelte ihm Gutes in den Führungen der Vorsehung eben wegen seiner Lauterkeit; denn das ist eine oft ganz unwiderlegbar all den Tag tretende Tatsache. Aber es würde allerdings Selbstgerechtigkeit sein, wenn wir solche Gedanken aus dem Gebiet der providentiellen Weltregierung auf das des geistlichen Reiches der himmlischen Gnadengüter übertragen würden; denn auf diesem Gebiet waltet die Gnade unumschränkt frei, und nur die Gnade. Es ist durchaus kein Gegensatz gegen die Lehre, dass das Heil allein aus der Gnade kommt, und nicht im Mindesten ein Erweis pharisäischer Gesinnung, wenn ein begnadigter Mensch gegenüber der Verleumdung seine Unschuld nachdrücklich behauptet und seinen guten Namen männlich verteidigt. Der Gottesfürchtige hat ein unbeflecktes Gewissen und ist sich seiner Aufrichtigkeit bewusst. Soll er das Zeugnis seines Gewissens verleugnen und das Werk des Heiligen Geistes in ihm verachten, dadurch, dass er sich heuchlerisch schlechter macht, als er ist? Der gottselige Mensch legt auf seine Lauterkeit hohen Wert, sonst wäre sein Wandel gar nicht ein Wandel vor Gott und mit Gott. Sollen wir ihn stolz nennen, weil er das Juwel eines achtbaren Namens nicht leichthin verlieren will? Der Fromme sieht, wie Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, ob auch erst nach langer Zeit, dank der göttlichen Vorsehung ganz gewiss ihren Lohn bringen. Darf er nicht, wenn er sieht, wie solcher Lohn ihm selber zuteil wird, den Herrn dafür preisen? Ja vielmehr, muss er nicht die Treue und Güte seines Gottes verkündigen? Man lese doch die Aussagen dieses und der folgenden Verse als den Lobgesang, den ein Mann von gutem Gewissen anstimmt, nachdem er einen gewaltigen Sturm von üblen Nachreden, Schmähungen und Verfolgungen ohne Schaden überstanden hat, so wird keine Gefahr sein, dass wir den Sänger beschuldigen, als habe er auf seine sittliche Unantastbarkeit zu großen Wert gelegt.

22. In diesem Vers wiederholt David die Versicherung seiner Lauterkeit, und zwar in bejahender und verneinender Form. Denn ich hielt inne die Wege des Herrn und wich nicht frevelnd von meinem Gott. (Wörtl.) Das Tun des Guten und das Meiden des Bösen müssen in einem wahrhaft geheiligten Leben miteinander verbunden sein. Dieselbe Gnade nötigt zu dem einen und hält zurück von dem andern. Die Worte unseres Verses stellen den Gottesfürchtigen als einen Wanderer dar, der sorgsam die Wege des Herrn beobachtet, um sie einzuhalten, und der nicht freventlich, das ist vorsätzlich, hartnäckig und trotzig, den verordneten Weg verlässt, auf dem Gott die Pilger auf Erden mit seiner Gegenwart erfreut. Man beachte, dass in dem Ausdruck: "und wich nicht freventlich von meinem Gott" zwischen den Zeilen zu lesen ist, dass David es gewohnt war, in Gemeinschaft mit Gott zu leben, so dass er von ihm sagen durfte: mein Gott. Der Herr weicht nicht von den Seinen; mögen sie sich hüten, dass sie nicht von ihm weichen.

23. Denn alle seine Rechte hatte ich vor Augen. Gottes Wort, sein Wesen und seine Taten sollten allezeit vor unseren Augen sein. Wir sollten sie kennen zu lernen suchen, sie betrachten und verehren. Die Menschen vergessen in der Regel das, woran sie nicht gern denken; für den Gläubigen sind aber die erhabenen Rechte des Allerhöchsten ein Gegenstand liebender und freudiger Bewunderung. Wir sollten Gottes Bild so beständig vor uns haben, dass wir, nach unserm Maße, darin umgestaltet werden. Diese tiefinnerliche Liebe zu Gottes Rechten muss der Ursprung unserer christlichen Redlichkeit im öffentlichen Wandel sein. Die Quelle muss voll sein von Liebe zur Heiligkeit; dann werden die Ströme, die von ihr ausgehen, lauter und klar sein. Und seine Gebote warf ich nicht von mir, ich schob sie nicht beiseite. Gottes Wort innerlich von sich abzuweisen, ist der sichere Weg zu grober Sünde. Wer nicht mehr mit dem Sinn des Herzens in der Schrift forscht, nimmt ihr den Einfluss auf den äußeren Wandel. Erst bedeckt sich die Bibel mit Staub; dann gibt es einen befleckten Rock.

24. Sondern ich war ohne Tadel vor ihm. David nimmt volle Redlichkeit hier für sich in Anspruch, eine Redlichkeit, die vor Gottes Urteil echt erfunden wird. Was immer Menschen Böses von ihm denken mochten, er wusste, dass er im Wandel mit Gott () vollkommen gewesen war, sich Gott völlig hingegeben hatte. (Über tamim vergl. die 1. Anm.) Überdies wagt er es auch, sorgsame Wachsamkeit gegenüber seiner, d. h. der ihm anhangenden, und zumal gegenüber seiner vornehmsten, ihn besonders bedrängenden und belauernden Sünde zu behaupten: Und hütete mich vor meiner Sünde (wörtlich). Es ist ein besonderes Zeichen von der Wirksamkeit der Gnade im Herzen, wenn die ungestümsten Seiten unserer Natur wohl behütet sind. Wenn das schwächste Glied der Kette nicht gebrochen ist, werden die stärkeren Glieder sicher genug sein. Davids heftiges Temperament hätte ihn verleiten können Saul zu töten, als er ihn in seiner Gewalt hatte; aber die Gnade befähigte ihn, seine Hände von dem Blut des Feindes rein zu halten. Doch welches Wunder war das, und wie sehr war es wert, dankbaren Herzens erwähnt zu werden, wie es in diesen Worten geschieht. Es mag auch uns je und je eine rechte Herzstärkung sein, solcher Ereignisse zu gedenken, wo wir unser Ich verleugnet haben, und Gott zu danken, dass wir dazu fähig waren.

25. Und so vergalt mir der Herr nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinigkeit meiner Hände vor seinen Augen. Erst schenkt uns Gott Heiligkeit, und dann belohnt er uns für dieselbe. Wir sind sein Werk, Gefäße, bereitet zu Ehren, und wenn das Gefäß geformt ist, wird ihm die Ehre nicht versagt, wiewohl tatsächlich alle Ehre dem Töpfer gebührt, auf dessen Scheibe es gebildet worden ist. Der Preis wird am Tage der Schaustellung der Blume zuerkannt, aber der Gärtner hat sie aufgezogen. Das Kind empfängt den Preis aus der Hand des Lehrers, aber die wirkliche Ehre gebührt dem Schulmeister, wiewohl er die Belohnung darreicht, statt sie zu empfangen.

26. Die Art, wie der Herr gegen den Sänger gehandelt hat, bringt diesem die allgemeine Regel der sittlichen Weltregierung Gottes in Erinnerung. Gott ist gerecht in seinem Walten mit den Menschenkindern und misst jedem das Seine zu. Gegen den Frommen (den Liebreichen) erzeigst du dich fromm (liebreich), gegen den Redlichen (eigentlich: gegen den Mann, der sich ungeteilten Herzens an Gott hingibt), erweist du dich redlich (von ungeteilter Liebe). (Grundtext) Jedem wird das Korn mit seinem eigenen Scheffel zugemessen, das Land mit seiner eigenen Messrute zugeteilt. Keine Regel kann mehr der Billigkeit entsprechen, keine für gottlose Menschen schrecklicher, für edelmütige ehrenvoller sein. Wie würden doch die Leute ihre zu leichten Gewichte wegwerfen und ihre zu kurzen Ellen zerbrechen, wenn sie das nur glauben würden, dass sie selber durch ihre betrügerischen Kniffe schließlich am meisten verlieren! Man beachte, dass sogar die Gütigen der göttlichen Güte bedürfen. Kein Grad von Freigebigkeit gegen die Armen oder Versöhnlichkeit gegen die Feinde kann uns über die Abhängigkeit von Gottes gnädiger Huld erheben. Gott, sei mir Sünder gnädig!

27. Gegen den Lauteren (den, der sich reinigt oder rein bewahrt), erweist du dich lauter (rein), und gegen den Verdrehten lässt du dich verkehrt finden (Grundtext). Die Verkehrtheit und Falschheit des Gottlosen ist sündlich und strafwürdig und der einzige Sinn, in dem der Ausdruck auf den dreimal heiligen Gott angewandt werden kann, ist der, dass der Richter aller Welt sich gegen den widerspenstigen Sünder ebenfalls von unbeugsamer Strenge finden lässt, ihn in seine Verkehrtheit dahingibt, und den, der selber die krummen Wege für sich erwählt hat, kreuz und quer zur Verdammnis führt. Calvin drückt sich darüber sehr stark aus: "Die tierische und ungeheuerliche Stumpfsinnigkeit des Menschen nötigt Gott, ganz neue, ungewöhnliche Ausdrücke zu gebrauchen und sich gleichsam mit ganz anderen, seinem Wesen fremden Eigenschaften zu bekleiden. In 3. Mose 26,21-24.28 finden wir eine ähnliche Stelle. Dort sagt Gott: Wo ihr mir entgegen wandelt, so will ich euch auch entgegen wandeln. Als wollte er sagen, dass ihre Halsstarrigkeit und Widerspenstigkeit ihn zwingen werde, in seinem Teil seine gewohnte Langmut und Milde zu vergessen und ohne Erbarmen von allen Seiten auf sie loszustürmen. So sehen wir denn, was die Halsstarrigen auf die Länge durch ihre Verstockung gewinnen, nämlich, dass Gott sich auch gegen sie immer mehr verhärtet, um sie zu zerschmettern; sind sie hart wie Stein, so lässt er sie fühlen, dass er die Härte des Eisens hat. " Die jüdische Überlieferung sagt, dass das Manna einem jeden je nach seinem Gaumen geschmeckt habe; sicher ist, dass Gott sich jedem Menschen nach dessen eigentümlichem Wesen erzeigt.

28. Denn Du hilfst dem elenden Volk. Eine gar tröstliche Versicherung für die geistlich Armen, deren tiefe Kümmernisse jeden andern Trost außer solchem, der von Gott stammt, als ungenügend zurückweisen. Sie selbst können sich nicht helfen, auch können andere es nicht; aber Gott hilft ihnen. Und die hohen Augen erniedrigst du. Die auf andere mit Hohn hinabschauen, werden bald verächtliche Blicke auf sich selber gerichtet sehen. Der Herr verabscheut ein stolzes Angesicht. Welch ein Grund zu Buße und Beugung! Wie viel besser ist es, demütig zu sein, als Gott herauszufordern, dass er uns in seinem Zorn demütige!

29. Denn Du erleuchtest meine Leuchte. Auch die Kinder des Tages (1. Thess. 5,5) bedürfen manchmal der Leuchte. Mitten in der dunkelsten Stunde geht uns ein Licht auf. Eine Leuchte wird angezündet und ist uns ein Trost, dessen wir mit Ehren brauchen dürfen. Es ist unsere Leuchte; das heilige Feuer aber, durch das sie leuchtet, stammt von Gott. Unsere Schlüsse und Beweisgründe sind unser eigen; aber das tröstliche Licht, das sie verbreiten, ist von oben. Eine Leuchte, die Gott angezündet hat, kann kein Teufel ausblasen. Das Bild des ganzen Verses ist darauf gegründet, dass die Finsternis das Gemüt niederdrückt und das Licht eine wunderbar erhebende Wirkung hat. Es ist das Licht süß und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen (Pred. 11,7); und ebenso vertreibt die Gegenwart des Herrn alle Düsternis des Leides und erfüllt den Gläubigen mit überströmender Freude. Es ist allemal ein froher Augenblick, wenn am Winterabend die Lampe angezündet wird; aber unvergleichlich beglückender ist es, wenn der Herr das Licht seines Antlitzes über uns erhebt. Man sagt, dass die armen Leute in Ägypten sich sogar die nötigste Nahrung entzögen, um Öl für ihre Lampen kaufen zu können und nicht im Finstern sitzen zu müssen; auch wir könnten aller irdischen Annehmlichkeiten entbehren, wenn nur das Licht der Liebe Gottes beständig unsere Herzen erfreut.


30. Denn mit dir kann ich Kriegsvolk zerschlagen
und mit meinem Gott über die Mauer springen.
31. Gottes Wege sind vollkommen;
die Reden des Herrn sind durchläutert. Er ist ein Schild allen, die ihm vertrauen.
32. Denn wo ist ein Gott, ohne der Herr?
oder ein Hort, ohne unser Gott?
33. Gott rüstet mich mit Kraft,
und macht meine Wege ohne Tadel.
34. Er macht meine Füße gleich den Hirschen,
und stellet mich auf meine Höhen.
35. Er lehret meine Hand streiten,
und lehret meinen Arm einen ehernen Bogen spannen.
36. Du gibst mir den Schild deines Heils,
und deine Rechte stärkt mich;
und wenn du mich demütigest, machst du mich groß.
37. Du machst unter mir Raum, zu gehen,
dass meine Knöchel nicht wanken.
38. Ich will meinen Feinden nachjagen und sie ergreifen,
und nicht umkehren, bis ich sie umgebracht habe.
39. Ich will sie zerschmettern, und sollen mir nicht widerstehen;
sie müssen unter meine Füße fallen.
40. Du kannst mich rüsten mit Stärke zum Streit;
du kannst unter mich werfen, die sich wider mich setzen.
41. Du gibst mir meine Feinde in die Flucht,
dass ich meine Hasser verstöre.
42. Sie rufen, aber da ist kein Helfer;
zum Herrn, aber er antwortet ihnen nicht.
43. Ich will sie zerstoßen wie Staub vor dem Winde;
ich will sie wegräumen wie den Kot auf der Gasse.
44. Du hilfst mir von dem zänkischen Volk,
und machest mich ein Haupt unter den Heiden;
ein Volk, das ich nicht kannte, dienet mir.
45. Es gehorchet mir mit gehorsamen Ohren;
in den Kindern der Fremde hat’s wider mich gefehlt.
46. Die Kinder der Fremde verschmachten,
und kommen mit Zittern aus ihren Burgen.

Manche Wiederholungen sind kein leerer Wortschwall. Nachgedanken über Gottes Güte sollten die besten sein und sind es oft. Gleich Wein, der auf den Hefen liegt, gewinnt unsere Dankbarkeit an Kraft und Anmut, wenn wir über Gottes freundliches Walten nachsinnen. Die Verse, die uns nun zur Betrachtung vorliegen, sind die reife Frucht eines dankbaren Gemütes; es sind goldene Äpfel in silbernen Schalen. Sie beschreiben den Siegeslauf des Gläubigen und die Zerstreuung seiner Widersacher.

30. Denn mit dir (wörtl.: durch dich) kann ich Kriegsvolk zerschlagen (nach andern: anlaufen7 und mit meinem Gott über die Mauer(n) springen. Ob wir dem Feind auf offenem Feld begegnen oder ihn im Hinterhalt der Mauern und Wälle antreffen, wir werden ihn in jedem Fall mit Gottes Hilfe überwinden. Ob sie uns mit lebendigen Mauern von Kriegerlegionen oder mit Steinwällen umringen, es ist dennoch unzweifelhaft, dass wir die Freiheit erringen werden. Gottes Krieger müssen sich darauf gefasst machen, von jeder Art des Kampfes etwas zu schmecken, und sie sollen in der Kraft des Glaubens entschlossen sein, sich als Männer zu zeigen. Aber es geziemt ihnen, sorgsam darauf bedacht zu sein, dass sie alle ihre Lorbeeren zu Jahwes Füßen niederlegen, indem ein jeglicher mit David spricht: Mit meinem Gott, durch seine Kraft, habe ich solche Heldentat vollbracht. Auch wir weihen hiermit unsere spolia optima, die Trophäen unserer Siege, dem Gott der Schlachten und schreiben ihm alle Ehre und alle Kraft zu.

31. Gott, - sein Weg ist vollkommen. (Wörtl.) Gottes Wege mit seinen Kindern sind fern von allem Makel und Irrtum; alle seine Taten erstrahlen im Glanz der Gerechtigkeit, Wahrheit, Milde, Barmherzigkeit und Heiligkeit. Alles, was Gott tut, ist vollkommen in sich, und alle seine Wege miteinander sind tadellos in Harmonie und Vortrefflichkeit. Ist es nicht sehr tröstlich, zu glauben, dass er, der uns zu segnen angefangen hat, sein Werk tadellos hinausführen wird, weil sein Weg fehlerlos ist? Auch darf das göttliche Wort nicht ohne Lob bleiben: Die Rede des Herrn ist durchläutert, wie Silber, das im Schmelzofen erprobt und lauter erfunden ist. Die Lehren des göttlichen Wortes sind erhaben und ruhmwürdig, seine Vorschriften rein und klar, seine Verheißungen glaubwürdig, und die ganze Offenbarung Gottes im Wort ist im höchsten Maße voller Gnade und Wahrheit. David hat das Wort des Herrn erprobt, Tausende haben es getan, wir haben es getan, und es hat die Probe nie schlecht bestanden. - Es ist schicklich, dass nach dem Rühmen des göttlichen Weges und Wortes der Herr selbst gepriesen werde; darum fügt David hinzu: Er ist ein Schild allen, die auf ihn trauen. Kein stich- und hiebfester Harnisch, kein eherner Schild sichert den Krieger so vollkommen, wie der Bundesgott Israels sein streitendes Volk beschützt. Er selber ist der Schild allen, die sich bei ihm bergen. Welch erhabener Gedanke! Wie großen Frieden kann darum jede auf den Herrn trauende Seele genießen!

32. Der Psalmist hat seinen Gott erwähnt; deswegen entbrennt sein Herz aufs Neue und seine Worte sprühen Funken. Er fordert Himmel und Erde heraus, ein anderes Wesen zu finden, das der Anbetung oder des Vertrauens gleich Jahwe würdig wäre. Er ist Gott und keiner mehr. Die Götzen der Heiden sind David zu verächtlich, sie auch nur zu erwähnen; er rümpft die Nase über sie alle, die in ihrem armseligen Nichts verschwinden, wo von Gott die Rede ist. Denn wer ist Gott, ohne der Herr? (Wörtl.) Wer anders schafft, erhält, versieht und regiert alles? Wer anders als er ist vollkommen in all seinem Wesen und herrlich in all seinem Tun? Vor wem als vor Jahwe allein sollte alle Kreatur sich anbetend neigen? Wer sonst hat auf ihren Dienst und ihre Liebe Anspruch? Und wer ist ein Hort, ohne unser Gott? Wo gibt’s sonst noch einen Felsen, darauf sich unerschütterliches Vertrauen gründen kann? Wo kann die Seele Ruhe finden? Wo ist Beständigkeit, wo Kraft? Fürwahr, bei dem Ewigen allein können wir Ruhe und Zuflucht finden.

33. Indem der frohlockende Sieger die Waffenrüstung überblickt, worin er gekämpft und den Sieg errungen hat, preist er den Herrn für jedes Stück der Rüstung. Dem Lendengurt ist die erste Strophe gewidmet: Der Gott, der mich mit Kraft umgürtet und macht unanstößig (vergl. V. 31) meinen Weg. (Grundtext) Weil ihm die Lenden mit Stärke von oben gegürtet waren, war der Krieger voller Heldenkraft, aller kreatürlichen Kraft weit überlegen; und während er, ohne diesen wunderbar wirksamen Gurt, schwach und schlaff, ohne Energie des Willens und Sammlung der Kräfte, gewesen wäre, war er nun, da er den Gurt der Wahrheit um die Lenden hatte, in seinem ganzen Handeln so zielbewusst, so innerlich gesammelt, dass sein Lauf vollkommen war, sein Weg geradeaus zum gottgewollten Ziele führte und schlechthin unanstößig war. Ist uns Kraft gegeben worden über die Sünde zu triumphieren und hat unser Wandel bisher das Evangelium geziert? Dann lasst uns alle Ehre ihm zuschreiben, der uns mit seiner unerschöpflichen Kraft gegürtet hat, damit wir im Kampfe unbesiegbar und in unserer Pilgerschaft unermüdlich seien.

34. Der meine Füße gleich macht den Hirschkühen (Grundtext) und stellet mich auf meine Höhen. David war in der Verfolgung seiner Feinde schnellfüßig gewesen wie eine Hirschkuh; aber statt an eines Mannes Beinen Gefallen zu haben (Ps. 147,10), erkannte er seine Schnelligkeit und Behändigkeit als Gabe der göttlichen Güte. Sind unsere Gedanken rasch und unsere Geisteskräfte behände, so lasst uns nicht vergessen, dass die Hand unseres besten Freundes uns solch auserlesene Gunst gewährt hat. David hatte in der Verfolgungszeit unbezwingliche Felsenfestungen erklimmen müssen; aber er war bewahrt worden vor dem Gleiten und hatte festen Stand nehmen können, wo kaum die wilde Bergziege Fuß zu fassen vermochte. Darin hatte sich die bewahrende Gnade herrlich kundgetan. Auch wir sind auf Höhen der Ehre, des Dienstes, der Versuchungen und Gefahren gestellt worden; doch sind wir bisher vor dem Fallen bewahrt worden. Langt die Harfe her, lasst uns mit dem Psalmisten in frohlockendem Dank wetteifern. Wären wir gestürzt, so hätte unser Wehklagen bitter sein müssen; da wir festgestanden, lasst unsere Dankbarkeit inbrünstig sein.

35. Der meine Hände zum Kriegen übt. (Wörtl.) Unser Held erkennt dankerfüllten Herzens an, dass er seine kriegerische Tapferkeit und seine Geschicklichkeit im Gebrauch der Waffen der göttlichen Unterweisung und Schulung zu danken hat. Er opfert keinen Weihrauch auf dem Altar der Selbstanbetung, dass er seine natürliche Gewandtheit oder seine durch Übung erlangte Geschicklichkeit rühmte. Vielmehr betrachtet er alle seine kriegerische Tüchtigkeit als eine Gabe himmlischer Gunst und opfert dem Geber seinen Dank. Der Heilige Geist ist der große Exerziermeister der Streiter im heiligen Krieg. Dass meine Arme den ehernen Bogen niederdrücken. (Grundtext) Die ehernen Bogen waren die stärksten, daher am schwersten zu spannen. In der Regel wurden sie mit dem Fuße niedergetreten; so heißt auch das gewöhnliche Wort für spannen: treten. Hier aber ist ein anderes Wort gebraucht, das auf die Art der Helden hinweist, den Bogen, dessen eines Ende auf der Erde steht, mit der Hand niederzudrücken und so zu spannen, wozu besonders viel Kraft gehört. Vermutlich war David von Natur mit großer Kraft ausgerüstet; es ist aber noch wahrscheinlicher, dass er, ähnlich dem Simson, zuzeiten mit mehr als gewöhnlicher Stärke gegürtet ward. Auf jeden Fall misst er die Ehre seiner Heldentaten einzig und völlig seinem Gott bei. Lasst uns niemals so gottlos sein, den Herrn dessen zu berauben, was ihm zukommt; lasst uns seinem Namen treulich die Ehre geben, die ihm gebührt.

36. Du gibst mir (Grundtext) den Schild deines Heils. Vor allen Dingen gilt es, den Schild des Glaubens zu ergreifen (Eph. 6,16), denn nichts anderes kann die feurigen Pfeile Satans auslöschen. Dieser Schild ist himmlischen Ursprungs, ist in allen Fällen eine unmittelbare Gabe Gottes. Er ist das Mittel, das Zeichen, die Bürgschaft und das Pfand des vollkommenen Heils. Und deine Rechte stützte mich. Die erhaltende Gnade Gottes lässt uns verborgenen Beistand zukommen und zu derselben Zeit gewährt uns die gütige Vorsehung offenbare Hilfe. Wir sind schwache Kindlein, die nicht allein stehen können; aber wenn des Herrn rechte Hand uns stützt, dann sind wir unbeweglich gleich ehernen Säulen (Jer. 1,18). Und deine Herablassung machte mich groß. (Grundtext*) Wie sehr hatte David diese Herablassung Gottes in seinem Leben erfahren! Er, der auf das Niedrige sieht, hatte sich den unbedeutenden Hirtenknaben zum Gefäß seiner Barmherzigkeit ausersehen. Und wie viel sanftmütige Milde und gnädige Herablassung hatte David auch als König erfahren, da Gott ihn trotz seinen Sünden nicht verwarf. Dass Gott sich klein macht, ist der Grund, dass wir groß werden. Wir sind so klein, dass wir, wenn Gott seine Größe ohne Herablassung zu unserer Schwachheit offenbaren würde, unter seinen Füßen zertreten würden. Aber der große Gott, der sich neigen muss, um die Himmel zu sehen, und sich bücken muss, um zu bemerken, was die Engel tun, der sieht auf die Geringen und Demütigen und macht sie groß, hebt sie empor. Lasst auch uns, gleich David, alles, was etwa Gutes und Großes an uns ist, der herablassenden Güte und Größe unseres himmlischen Vaters zuschreiben und unsere Krone ihm zu Füßen legen.

37. Du machtest unter mir Raum, zu gehen, und meine Knöchel wankten nicht. (Grundtext) Gott räumte ihm alle Hindernisse aus dem Wege, dass er auf wohl gebahntem Pfad wandeln konnte. Statt sich durch enge Bergpfade zu winden und sich in den Ritzen und Höhlen der Felsen zu verbergen, konnte er die weiten Ebenen im Siegeslauf durchziehen. Es ist keine geringe Gnade, zur vollen christlichen Freiheit und Weite des Herzens zu kommen; aber es ist noch größere Gnade, befähigt zu sein, in solcher Freiheit würdig zu wandeln, ohne dass die Knöchel wanken und die Füße gleiten. Auf den Felsspitzen der Anfechtung aufrecht stehen kann keiner, ohne dass Gottes Gnade ihn stützt; aber Hilfe von oben ist uns gerade so nötig, wenn unser Weg durch die üppigen Ebenen des Wohlergehens führt.

38. Die Bewahrung der Heiligen ist von schlimmer Vorbedeutung für deren Widersacher. Ich jagte meinen Feinden nach und ergriff sie und kehrte nicht um, bis ich sie vernichtet hatte. (Wörtl.) Die Amalekiter wähnten sich sicher mit ihrem Raube; aber als David nach der Weisung seines Gottes ihnen nachjagte, waren sie bald eingeholt und umgebracht (1. Samuel 30). Ist Gott mit uns, so müssen Sunde und Sorge fliehen, und jegliche Art des Bösen wird ausgerottet durch die Macht der Gnade. Welch ein herrliches Bild geben uns dieser und die folgenden Verse von den Siegen unseres glorreichen Herrn und Heilandes!

39. Ich, zerschmetterte sie, dass sie nicht wieder aufkommen konnten; sie stürzten unter meine Füße. (Wörtl.) Die Vernichtung unserer geistlichen Feinde ist eine vollkommene. Wir dürfen über Sünde, Tod und Hölle triumphieren als über Feinde, die durch unseren siegreichen Herrn für uns entwaffnet und aller Macht beraubt sind; gebe der Herr, dass sie in gleicher Weise in uns ausgerottet werden!

40-41. (Denn) Du gürtetest mich mit Stärke zum Streit, beugtest (krümmtest) meine Gegner nieder unter mich. Du ließest meine Feinde vor mir fliehen (dass sie mir den Nacken zukehrten), und meine Hasser, die rottete ich aus. (Grundtext) Es ist unmöglich, im Erfüllen der Pflicht, alle unsre Siege dem Gott unseres Heils zuzuschreiben, zuviel zu tun. Wahr ist, dass wir mit unseren geistlichen Gegnern selber ringen müssen; aber der Sieg ist weit mehr des Herrn als unser. Wir dürfen nicht gleich denen, deren Götze die eine Ehrsucht ist, uns selber rühmen; doch haben wir wohl ein Recht zu frohlocken, wo wir die großen Pläne des Herrn als willige und treue Werkzeuge in seiner Hand ausführen dürfen.

42. Sie schrien, aber da war kein Helfer; zum Herrn, aber er antwortete ihnen nicht. (Grundtext) Das Gebet ist eine so mächtige und berühmte Waffe, dass sogar die Gottlosen in ihren Verzweiflungsanfällen dazu greifen. Böse Menschen haben je und dann Gott wider seine eigenen Knechte angerufen, aber ganz umsonst. Das Königreich der Himmel ist nicht mit sich selber uneins (vergl. Mt. 12,26), und Gott eilt nie seinen Feinden auf Kosten seiner Freunde zu Hilfe. Es gibt Gebete, die nicht besser als Lästerungen sind und daher keine tröstliche Antwort erlangen, vielmehr Gott zu desto heftigerem Zorne reizen. Soll ich jemand auffordern, sein eigenes Kind zu verwunden oder zu töten, um meine Bosheit zu befriedigen? Würde er nicht solche Beleidigung seiner Menschlichkeit ahnden? Wie viel weniger wird der Höchste die grausamen Wünsche der Feinde seiner Gemeinde beachten, die es wagen, Gebete um ihre Vernichtung zu ihm emporzusenden, indem sie ihr Dasein als ein Schisma (als eine Glaubensspaltung) und ihre Lehre als Ketzerei bezeichnen!

43. Und ich zermalmte sie (so dass sie) wie Staub (wurden) vor dem Winde, wie Gassenkot schüttete ich sie hin. Die Niederlage der heidnischen Völker, die sich wider den König David erhoben, war eine so völlige, dass sie wie Staub wurden, der im Mörser zermalmt ist. Ihre Kraft war zerbrochen, sie wurden so schwach wie der Staub vor dem Winde, so verächtlich wie der Kot auf den Gassen. So ohnmächtig und verächtlich sind die Feinde Gottes jetzt geworden durch den Sieg, den der Davidssohn am Kreuz errungen hat. Auf, meine Seele, tritt deinen Feinden kühn entgegen; denn sie sind tödlich verwundet und werden vor deinem mutigen Angriff ohnmächtig hinsinken.

44. Du rettetest mich aus Volksfehden. (Grundtext) Kämpfe innerhalb des eigenen Volkes sind überaus schwer beizulegen. Der Bürgerkrieg ist von allen Kriegen der elendste. Es ist der wärmsten Dankbarkeit wert, wenn Eintracht im Lande regiert. Unser Dichter preist Jahwe für die Einigkeit und den Frieden, die in seinem weiten Reich herrschen, und wenn wir in den drei Reichen von Geist, Seele und Leib Frieden haben, so ist es unsere Pflicht, den Herrn dafür zu loben. Einigkeit innerhalb einer Gemeinde sollte wahrlich zu gleicher Dankbarkeit anfeuern. Du machtest mich ein Haupt unter den Heiden; Volk (- Leute), das ich nicht kannte, diente mir. Die umliegenden Nationen, wie die Philister, Syrer und Ammoniter, neigten sich vor dem Zepter des Fürsten von Juda. O wann werden alle Lande unseren König anbeten und ihm mit heiliger Freude dienen? Fürwahr, diese Worte haben prophetischen Klang. Die Boten des Evangeliums unter den Heiden mögen daraus kräftige Ermutigung schöpfen. Ja, die Heiden werden noch den Gekreuzigten als ihr Haupt erkennen.

45. Aufs Gerücht von meinen Siegen gehorchen sie mir, die Söhne der Fremde schmeicheln mir in Unterwürfigkeit. (Grundtext) So leichten Kaufs ward der einst so bedrängte Held ein weithin berühmter Sieger, und so leicht werden unser Triumph sein. Doch lasst uns lieber von Jesus reden. In wie vielen Fällen findet das Evangelium bereitwillige Aufnahme in Herzen, die allem Anschein nach nicht dafür vorbereitet waren! Solche, die nie die frohe Botschaft vernommen hatten, sind durch die erste Kunde davon gefesselt worden und haben sich dem Evangelium gehorsam ergeben, während, leider! andere, die an seinen lieblichen Klang gewöhnt sind, durch die Predigt eher verhärtet als erweicht werden. Gottes Gnade ergreift manchmal die Herzen, wie das Feuer durch die Stoppeln läuft; ganze Nationen werden gleichsam an einem Tage zum geistlichen Leben geboren. Liebe beim ersten Anblick ist nichts Unerhörtes, wo Jesus als Freier auftritt. Er kann Cäsars Botschaft veni vidi vici (Ich kam, sah, siegte) ohne Prahlen senden! Sein Evangelium hören ist in etlichen Fällen so viel als es glauben. Welcher Ansporn liegt darin, die Lehre vom Kreuz überall auszubreiten.

46. Die Söhne der Fremde schmachten dahin. Gleich dürrem Laub und welken Bäumen, über die der Glutwind dahingefahren, werden unsere und Christi Feinde saft- und kraftlos, matt und mutlos werden. Wer dem Herrn Jesus fremd gegenübersteht, dem ist auch alle wahre Glückseligkeit fremd. Wer sich weigert, aus dem Strom des Lebens bewässert zu werden, muss schnell dahinwelken und verschmachten. Und kommen mit Zittern aus ihren Burgen. Die Heidenvölker krochen zitternd aus ihren Bergfesten hervor, um Israels König zu huldigen; gerade so kommen arme Sünder aus den Burgen des Selbstvertrauens und den Höhlen fleischlicher Sicherheit, um sich vor dem Heiland, dem Herrn Christus, zu beugen. Unsere Sünden, die sich in unserm Fleisch, und Blut als in unbezwinglichen Festungen verschanzt haben, werden doch noch herausgetrieben werden durch die heiligende Kraft des göttlichen Geistes, dass wir dem Herrn in Einfalt des Herzens dienen.
  So schließt der liebliche Sänger Israels seine dichterische Schilderung, in der er der Kämpfe der Vergangenheit gedacht und die noch zukünftigen Siege in freudigem Glauben vorweggenommen hat, und nun geht er zu mehr unmittelbarer Anbetung seines gnadenreichen Gottes über.


47. Der Herr lebt, und gelobet sei mein Hort;
und erhoben werde der Gott meines Heils,
48. der Gott, der mir Rache gibt.
und zwingt die Völker unter mich;
49. der mich errettet von meinen Feinden,
und erhöht mich aus denen, die sich wider mich setzen;
du hilfst mir von den Frevlern.
50. Darum will ich dir danken, Herr, unter den Heiden,
und deinem Namen lobsingen,
51. der seinem Könige großes Heil beweist,
und wohl tut seinem Gesalbten,
David, und seinem Samen ewiglich.


47. Der Herr lebt! Sein ist das ursprüngliche, das wesenhafte, das freie und ewige Leben. Wir dienen nicht einem leblosen, einem eingebildeten oder dem Tode verfallenden Gott. Er allein hat Unsterblichkeit. Als treue Untertanen lasst uns rufen: Es lebe Jahwe (wie denn einige Ausleger, aber schwerlich richtig, übersetzen). Lang lebe der König aller Könige. In Kraft deiner Unsterblichkeit, die du uns einhauchst, weihen wir uns dir aufs Neue zum Dienst. Der Herr, unser Gott, lebt; lasst uns in ihm leben. Und gelobt (wörtl.: gesegnet, gebenedeit) sei mein Hort. Er ist der unerschütterliche Felsengrund unserer Hoffnung; er sei denn auch unser Lobgesang. Ja, unsere Herzen benedeien Jahwe, mit heiliger Liebe lobpreisen wir ihn. Und erhoben werde der Gott meines Heils. Fürwahr, es geziemt sich, dass der Herr als unser Heiland je mehr und mehr von uns verherrlicht werde. Überall sollten wir die selige Kunde von seinem Bund und seinem Kreuz ausbreiten, die Botschaft von dem Liebesrat des Vaters, der Erlösungstat des Sohnes und dem Erneuerungswerk des Geistes. Sollte er uns nicht teuer sein, der uns vom wohlverdienten Untergang errettet? Im Himmel singen sie dem, der uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut (Off. 1,5; 5,9), und die gleiche liebliche Musik sollte in den Versammlungen der Gotteskinder hienieden fort und fort ertönen.

48. Der Gott, der mir Rache gibt und zwinget die Völker unter mich. Sich an persönlicher Rache zu ergötzen, ist unheilig und ruchlos. Aber David sah sich als das Werkzeug der göttlichen Strafgerechtigkeit über die Feinde Gottes und seines Volkes an; hätte er sich da nicht über das Gelingen, das Gott ihm gegeben hatte, gefreut, so wäre er tadelnswert gewesen. Dass die Gottlosen umkommen, ist an sich überaus schmerzlich; aber dass das Gesetz des Herrn an denen gerechte Vergeltung übt, die es brechen, das ist dem frommen Gemüt ein Anlass des Dankes. Es gilt immerhin, stets dessen eingedenk zu sein, dass die Rache nicht unser, sondern des Herrn ist, und er ist in der Ausübung derselben so gerecht und langmütig zugleich, dass wir sie getrost seinen Händen überlassen dürfen.

49. Mein Befreier von meinen Feinden; ja über meine Widersacher erhöhtest du mich, von dem gewalttätigen Mann errettetest du mich. (Grundtext) Von allen seinen Feinden und namentlich von dem einen, der an Gewalttätigkeit alle andern übertraf, ward der Gesalbte des Herrn erlöst, dass er zuletzt, über Saul und alle anderen Widersacher erhöht, in hohen Ehren herrschte. Des gleichen Ausgangs aus allen Kämpfen dürfen sich alle, die auf den Herrn trauen, getrösten, weil Jesus, der es sich einst gefallen ließ, arm und gering unter den Menschen zu sein (vergl. 1. Samuel 18,23), nun erhöht ist über alle Fürstentümer und Gewalten (Eph. 1,21).

50. Darum will ich dich preisen unter den Völkern, Herr, und deinem Namen lobsingen. (Wörtl.) Die Art, wie Paulus diesen Vers im Römerbrief (15,9) anführt, beweist klar, dass Davids Herr hier redet. Doch ist damit David selbst nicht ausgeschlossen, und wir dürfen demnach diese Worte, uns zum Vorbild, als den Erguss einer gottgeweihten Seele ansehen, die sich ihres Gottes selbst in Gegenwart der ungöttlichen Menschen rühmt. Wer sind die Gottesverächter, dass wir um ihretwillen den Mund schließen sollten? Wir wollen unserm Gott lobsingen, ob sie es leiden mögen oder nicht, und wollen sie auf jede Weise zur Erkenntnis seiner Güte zu bringen suchen. Zu viel höfliche Rücksicht auf Verräter könnte Verrat an unserem König sein.

51. In diesen Schlussvers hat der Dichter eine Fülle des Ausdrucks hineingelegt, die von der höchsten Begeisterung der Dankbarkeit Zeugnis gibt. Der seinem Könige großes Heil (große Heilsfülle) verleiht und Gnade erzeigt seinem Gesalbten, David, und seinem Samen ewiglich. Im Hebräischen ist von dem Worte "Heil" die Mehrzahl gebraucht, um die Heilsfülle, die Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit des Heils, anzuzeigen, das Jahwe durch seinen König den Menschen vermittelt. Groß wird dies Heil mit Recht genannt. Lasst uns bedenken, woraus, wozu und auf welche Weise wir gerettet sind. Alle diese Gnade wird uns in unserm König, dem Gesalbten des Herrn, zuteil. Gesegnet sind, die als sein Same auf ewigen Bestand hoffen dürfen. (Vergl. Ps. 89,5) Der Herr hat dem geschichtlichen David Treue gehalten; er wird auch dem geistlichen David den Bund nicht brechen, würde das doch noch viel mehr die Ehre seiner Krone und seines heiligen Namens antasten.
  Der Psalm schließt in demselben herzinnigen Ton der Liebe zum Herrn, der uns am Anfang erquickt hat. Wohl denen, die sich so singend von Liebe zu Liebe aufschwingen können, wie die Pilger im Tränental von Kraft zu Kraft gehen (Ps. 84,8 Grundtext).


Erläuterungen und Kernworte

Der ganze Psalm ist eine großartige Dankeshymne. Er beginnt mit der Verherrlichung der erhabenen Vollkommenheiten Gottes, dessen Hilfe der Verfasser des Liedes so mannigfach erfahren hatte. Der Dichter beschreibt oder schildert vielmehr seine Gefahren, die Macht seiner Feinde, seine schnelle Befreiung von denselben, sowie die Entrüstung und die Macht seines Erretters, die sich in der Vernichtung seiner Feinde kundgegeben hatten. Er malt Gottes Eingreifen in so lebhaften Farben, dass es uns beim Lesen ist, als sähen wir die Blitze daherfahren, als hörten wir den Donner grollen und fühlten wir die Erde unter unseren Füßen erbeben. Hernach beschreibt er seine Siege so anschaulich, dass wir als Augenzeugen an ihnen teilzunehmen meinen. Er redet mit Seherblick von einem die Nationen umfassenden Königreich und schließt mit begeisterten Worten dankerfüllter Anbetung gegen Jahwe, dem er all seine Errettungen und Siege verdankt. Der Stil ist von großer rednerischer Kraft und erhabenem dichterischem Schwung und weist eine Fülle ungewöhnlicher Redewendungen auf. Doch ist er nicht gekünstelt, sondern die natürliche Sprache eines Mannes von höchster geistiger Begabung, der unter dem Einfluss göttlicher Eingebung schreibt und durch ganz außerordentliche göttliche Wohltaten tief bewegt und zugleich von den erhabensten Vorstellungen über Gottes Wesen und Walten erfüllt ist. John Brown 1853.
  Der Stil des ganzen Psalms ist im höchsten Grade poetisch und erhaben. Wahrhaft königliche Gefühle und Gedanken eines von dem feurigsten Dank und lebendiger Zuversicht erfüllten Gemütes sprechen in seltener Kraft und reichster Fülle der Worte und Bilder sich aus. Wenn dieses eine Lied als ein echt Davidisches anerkannt wird, was von fast allen Kritikern geschieht, muss es genügen, einen jeden zu überführen, welch ein Geist in David gelebt und aus ihm gesprochen hat; denn ein ungefärbter, durch die tiefsten Leiden geprüfter Glaube feiert in diesem Liede seinen Sieg, zu dem die Liebe die ersten und die Hoffnung die letzten Worte gegeben hat. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  Wer Weisheit zu gewinnen begehrt, der lese die Sprüche; wer heilig werden möchte, der vertiefe sich in den Psalter. Jede Zeile dieses Buchs duftet von Heiligkeit. Der vorliegende Psalm ist, wiewohl er unter den ersten steht, einer der letzten aus Davids Hand, wie uns das Vorwort sagt, und ist uns als eine kurze Zusammenfassung der Geschichte von Davids Leben hinterlassen worden. Der gottbegnadete König blickt hier, da er fast am Ende seiner Wallfahrt angekommen ist, dankerfüllten Herzens auf die Gefahren und Errettungen der vergangenen Zeiten zurück und schreibt diesen Psalm, um den Herrn damit zu preisen. Sollten wir nicht, seinem Beispiel folgend, im Alter unser Leben überblicken, über die wunderbare Güte und Fürsorge Gottes gegen uns sinnen und dann, dem Herrn zum Preise und uns und unseren Nachkommen zur Ermutigung, in der Bescheidenheit, die uns geziemt, eine Denkschrift der bemerkenswertesten Gnadenerweisungen Gottes gegen uns aufsetzen? Werden sich unsere Kinder und Kindeskinder nicht im Herrn freuen, wenn sie von seiner Güte gegen uns lesen? Und ein besseres Muster dazu könnten wir nicht haben, als David es uns hier gibt. Merken wir uns, wie er beginnt. Nicht sich selber errichtet er ein Denkmal, sondern er frohlockt über seinen Gott: Herzlich lieb habe ich dich, Herr, meine Stärke. Wie die Liebe Gottes zu uns der Ursprung aller uns zuteil werdenden Gnadenerweisungen ist, so sollte Liebe zu Gott das Ergebnis und die Wirkung ihrer aller sein. Wie uns der Strom zur Quelle führt, so sollten alle Gaben Gottes uns zu dem gütigen Geber leiten. Richard Steele 1670.
  Oft erquickt und tröstet der Herr die Seinen im Offenbaren und Verborgenen durch liebliche, herzbelebende Erweisungen seiner Fürsorge. Es gibt ebenso wohl Zeiten, wo die Hand der Vorsehung uns aufrichtet, als Zeiten, wo sie uns niederwirft. Die Szene ändert sich, der Himmel wird heiter, der Winter ist vergangen, Lenzeslüfte säuseln um uns, wir legen die düstern Trauergewänder beiseite, und o welch reicher Ersatz für alles Leid wird in solchen Zeiten begnadeten Seelen zuteil, und welch liebliches Echo findet Gottes Liebe in ihren Herzen! Gott erhebt sie aus dem Staube; so erheben sie ihn in Lobgesängen. Siehe, wie Mose und die Kinder Israel mit ihm nach der Errettung aus Pharaos Gewalt ihren Gott in einem Danklied besingen, das wegen seiner Anmut und geistlichen Tiefe zum Vorbild der Lobgesänge wird, mit denen die Heiligen in der himmlischen Herrlichkeit Gott preisen (Off. 15,3). John Flavel † 1691.
  Für die Lehre vom Messias, sofern David ein Abbild desselben war, ergeben sich hauptsächlich folgende Gesichtspunkte aus diesem Psalm. 1) Einen solchen hat Gott zum Haupt seiner Gemeinde verordnet, welcher in sich selbst ganz ohnmächtig ist, sein Vertrauen aber auf seinen himmlischen Vater setzt und in aller Not zu ihm seine Gebete emporsendet. 2) Durch die Übermacht und Verfolgung der Feinde wird derselbe in eine Tiefe der Not hinabgestürzt, wo er in den Ängsten des Todes und den Schrecken der Hölle gebunden liegt. Nachdem er so bis in die tiefsten Örter der Erde (Eph. 4,9), in die äußerste Verlassenheit von Gott versunken ist, hebt ihn Gott selbst durch eine unmittelbare Manifestation seiner allmächtigen Hilfe aus der tiefsten Tiefe zur höchsten Höhe empor, weil er den Gehorsam und Glauben in allen Leiden bewahrt hat. 3) Und gleichwie es keinen Gott gibt ohne den einen Gott, so bekleidet er seinen Gesalbten mit einer unwiderstehlichen Kraft, so dass er zum Segen seines wehrlosen Volks alle Feinde aufreibt und besiegt und sein Königreich für die Ewigkeit bestätigt wird. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  Überschrift. Des Herrn Knecht. So nennt sich David zu der Zeit, als er in großen Ehren lebte und seine Herrlichkeit aufs höchste gebracht hatte. Johann David Frisch 1719.
  Dieser Ehrenname "Des Herrn Knecht" wird Mose (Josua 1,1. 13.15 und noch an neun Stellen desselben Buches) und Josua (Josua 24,29; Richt. 2,8) beigelegt, dann aber keinem andern bis auf David (hier und öfters). Vergl. Apg. 13,36. Das ist bedeutsam und erinnert uns an die Stelle, welche David in der Geschichte Israels entnimmt. Er war der verordnete Nachfolger Moses und Josuas, der die Herrschaft Israels auf das ganze Gebiet ausdehnte, das dem Volk durch die göttliche Verheißung zugeteilt war. W. Kay 1871.


V. 2. Das Wort, womit David seiner herzlichen Liebe zu Gott Ausdruck gibt, erscheint in der Hauptwortform als Bezeichnung des Mutterleibes und bedeutet eine solche Zuneigung, die aus dem Innersten kommt, von Herzensgrund, wie wir sagen. (Vergl. griechisch ta` spla/gcna, engl. the bowels, franz. les entrailles.) William Gouge † 1653.

Racham ist ein sehnlich Wort und bedeutet dieselbige herzliche und zärtliche Liebe der Eltern gegen ihre Kinder und der Kinder gegen die Eltern. So saget er nun: Ich habe eine herzliche und kindliche Sehnlichkeit und Neigung zu dir. Also bekennet er seine höchste Liebe, dass er eine Lust an unserm Herrn Gott habe gehabt. Denn er befindet, dass seine Wohltaten unaussprechlich sind, und aus dieser überschwänglichen Lust und Liebe kommt, dass er ihm so viel Namen gibt, wie folget. Und hierin ist die hebräische Sprache sehr reich. Martin Luther 1530.
  Das sind Worte eines, der wieder aufsteht und in die Höhe kommt und der die Kraft Gottes in der Trübsal erfahren hat. Denn so pflegt uns unser süßer und freudiger Affekt mit großer Gewalt zu denjenigen zu treiben, welchen wir es zu danken haben, dass wir durch ihre Gütigkeit aus großem Übel und Unglück herausgerissen worden. Denn dass seine Liebe rein und unverfälscht gewesen, das drückt er damit aus, wenn er spricht: Herr, dich will ich lieben, nicht irgendeine Kreatur. Martin Luther 1519.
  Herzog Ernst III. von Sachsen-Gotha, der unter den Fahnen Gustav Adolfs gekämpft hat und dann viele Jahre lang als gottesfürchtiger und väterlicher Fürst sein Land regierte, hatte sich das von M. Schalling auf unseren Psalm gedichtete Lied: Herzlich lieb hab’ ich dich, o Herr, zu seinem Lieblingslied erwählt. Als er, 73 Jahre alt, sein Ende herannahen fühlte, da erquickte er sich täglich an diesem Liede, das man ihm vorlesen, vorsingen und vorspielen musste, sprach am liebsten von der Süßigkeit der Liebe Gottes und Jesu Christi und betete noch sterbend mit schwacher Stimme:

  Herzlich lieb habe ich dich, o Herr,
  Ich bitt’, wollst sein von mir nicht fern
  Mit deiner Hilf und Gnaden.
   K. Gerok, Die Psalmen, † 1890.

  Meine Stärke, das scheinet mir diejenige zu sein, da ein Mensch mit Kraft aus der Höhe angetan und dadurch inwendig gestärkt und befestigt wird, diejenige Festigkeit, welche die weichen und zärtlichen Gemüter abhärtet. Diese Stärke aber haben wir nicht, außer von Gott. Denn wenn es auf uns selbst ankommt, so werden wir gar leiche weich, sowohl bei guten als bösen Tagen, und zerfließen wie Wachs in der Sonne. Martin Luther 1519.


V. 2-3. David sagt nicht: Gott wird mir Heil verleihen, sondern: Er ist meines Heiles Horn. Gott selber ist das Heil, er ist das Teil der Seinen. Fleischlich gesinnte Leute möchten wohl Befreiung vom Erdenleid und himmlische Herrlichkeit haben, aber an den Heiland kehren sie sich nicht. Der Glaube dagegen haftet an Gott selber und spricht: Er ist mein Heil, mein Leben, mein Trost, mein Reichtum, meine Ehre, mein alles. So zielte auch Davids Herz unmittelbar auf Gott: Herzlich lieb habe ich dich, Herr, meine Stärke, Herr, mein Fels usw. Es vergnügte ihn mehr, dass Gott seine Stärke, sein Erretter usw. war, als dass Gott ihm Stärke gab, ihn errettete usw. Joseph Caryl † 1673.


V. 3. Mein Erretter. Wer sich an einen dieser unzugänglichen Zufluchtsorte begab, wurde manchmal durch den Hunger gezwungen, sich dem Feind zu übergeben, der unten auf ihn lauerte. Jahwe aber gab David nicht nur Sicherheit, sondern Freiheit; er beschützte ihn nicht nur in einem unerreichbaren Bergungsort, sondern setzte ihn auch instand, in Sicherheit daraus hervorzugehen. Rabbi Salomon ben Isaak (Jarchi) † 1105.
  Das Horn ist sowohl in der religiösen als auch in der Profan-Literatur ein oft gebrauchtes Sinnbild der Kraft. Das Bild ist vom Stier und anderen gehörnten Tieren genommen, deren Stärke zum Angriff wie zur Abwehr hauptsächlich in ihren Hörnern liegt. James Bruce († 1794) erzählt von einem merkwürdigen Kopfschmuck, den die Regenten der Landschaften Abessiniens tragen. Er besteht aus einem breiten Stirnband, aus dessen Mitte ein Horn, ein kegelförmiges, etwa vier Zoll langes vergoldetes Stück Silber herausragt. Er wird kirn, d. h. Horn, genannt und wird nur bei Musterungen oder Paraden nach einem Sieg getragen. Bruce vermutet, diese Sitte sei gleich anderen abessinischen Gebräuchen von den Juden entlehnt. Richard Mant † 1849.


V. 4. Was wird aber vor eine Kunst dazu erfordert, wenn wir es dahin bringen wollen, dass bei dieser Menge, Größe, Macht und Hartnäckigkeit solcher Feinde der Herr unsere Stärke, unsere Burg, unsere Zuflucht, unser Erretter, unser Helfer sein möge? Der Text antwortet: Also wird es geschehen, wenn du den Herrn loben und anrufen wirst. Denn durch dieses mit seinem Lobe verbundene Anrufen wirst du voll allen deinen Feinden errettet werden, vergl. Röm. 10,13 u. Spr. 18,10. Gewiss, diese Lehre ist in der Trübsal die alleredelste und ganz gülden. Das ist der beste Rat, durch welchen wir aus allem Unglück können herausgerissen werden, wenn wir in Trübsalen Gott können rechtfertigen, segnen und preisen. Man kann nicht glauben, was dergleichen Lob Gottes für ein kräftiges Mittel bei zustoßender Gefahr sei. Denn sobald du anfangen wirst, Gott zu loben, so bald wird das Übel gemildert, der getroste Mut wächst, und es folgt die Anrufung Gottes mit Zuversicht. Niemand wird vom Bösen dadurch befreit, wenn er nur auf seine Übel sieht und vor denselben erschrickt, sondern dadurch, wenn er dieselben überwindet und an dem Herrn hängt und auf dessen Güte sieht. O gewiss ein schwerer Rat! Und das ist etwas Seltsames, mitten in dem Unglück sich Gott süß und lobenswürdig einbilden und ihn, wenn er sich von uns entfernet hat und unbegreiflich ist, stärker ansehen als unser gegenwärtiges Unglück, das uns abhält, ihn anzusehen. Ich kann die Annehmlichkeit und Kraft dieses sehr schönen Verses, in welchem die Worte so geschickt und nachdrücklich gesetzt sein, nicht genug anpreisen. Martin Luther 1519.


V. 5. Des Todes Bande. Nach der Meinung mancher wird hier auf die Art, wie man im Altertum auf die wilden Tiere Jagd machte, angespielt. Ein größerer Landstrich wurde mit starken Stricken eingeschlossen; dann wurde der Kreis immer enger gezogen, bis das verfolgte Tier so eingeschlossen war, dass es mit leichter Mühe eine Beute des Jägers wurde. Diese Stricke waren Bande des Todes; es gab kein Entrinnen aus dem Verderben. John Brown 1853.
  Die Bäche der Bosheit. Keine bildliche Redeweise ist den heiligen Dichtern der Schrift so geläufig als die, schreckliche und plötzlich hereinbrechende Unglücksfälle unter dem Bild von überwältigenden Wassern darzustellen. Das Bild scheint den Israeliten besonders geläufig gewesen zu sein; war es doch der eigentümlichen Natur ihres Landes entnommen. Sie hatten den Jordan ständig vor Augen, der alljährlich zu Beginn des Sommers "voll wurde an allen seinen Ufern" (Jos. 3,15), wenn der Schnee des Libanon und der benachbarten Gebirge schmolz und sich plötzlich in Sturzbächen in den Jordan ergoss. Überhaupt gab es in ganz Palästina, wiewohl das Land an Flüssen, die das ganze Jahr hindurch Wasser hatten, arm war, doch zufolge seiner vorwiegend gebirgigen Beschaffenheit zahlreiche Gießbäche, die sich in den regelmäßig wiederkehrenden Regenzeiten durch die engen Bergschluchten niederstürzten. Bischof Robert Lowth † 1787.


V. 7. Da mir angst war. Wenn du auf Davids Harfe lauschst, wirst du ebenso oft Trauerweisen wie Jubellieder hören, und der Griffel des heiligen Geistes hat mehr Mühe darauf verwandt, die Leiden eines Hiob, als die Glückseligkeit eines Salomos zu beschreiben. Wohlergehen ist nicht ohne manche Sorgen und Verdrießlichkeiten und Unglück nicht ohne Trost und Hoffnung. Wir finden bei kunstvollen Handarbeiten eine lebhafte Stickerei auf dunklem, ernstem Grunde schöner, als eine düstere Stickerei auf lichtem Grunde. Schließe denn von dem, was das Auge erfreut, auf das, was zur wahren Freude des Herzens dient. Die Tugend gleicht köstlichen Wohlgerüchen, die am stärksten duften, wenn sie zerstoßen werden. Denn wie der Wohlstand das Laster am besten enthüllt, so das Unglück die Tugend. Franz Baco von Verulam † 1626.
  Rief ich den Herrn an und schrie zu meinem Gott. Das Wesen des Gebets ist nicht Beredsamkeit, sondern Inbrunst und Ernst; es handelt sich nicht um eine Definition der Hilflosigkeit, sondern um ein tiefes Gefühl derselben. Es ist der Ruf, der Schrei des Glaubens, der zu den Ohren der göttlichen Barmherzigkeit empordringt. Hannah Moore † 1833.
  David stellt hier sein Exempel dar. Ich bin oft, will er sagen, in Trübsal und Not gewesen; ich habe aber gehabt eine Arznei, nämlich das Gebet oder Anrufung, sonst ist kein Trost nicht. Auf einen Menschen hoffen, das tut es nicht, sondern das Hoffen auf Gott. Nun ist es aber unmöglich, in der Not ohne den heiligen Geist Gott anrufen. Denn so bläut das Herz vor: Der Gott, den du anrufen willst, zürnet mit dir, hat dir dies getan und schickt dir solche Trübsal zu. Und demnach muss es sein; es gilt nicht fliehen vor dem, der dich schlägt, sondern sich nur schlecht frei in Spieß und Stich geben, so zieht er hinter sich. Martin Luther 1530.
  Da erhörte er meine Stimme von seinem Tempel (oder Palast). Die Ädilen, die Magistratspersonen im alten Rom, hatten ihre Türen allezeit offen stehen, damit jeder, der eine Bitte oder Klage vorzubringen hatte, freien Zutritt zu ihnen finde. Gottes Türen der Barmherzigkeit sind stets weit geöffnet für die Bitten seiner Getreuen. Die persischen Könige hielten es für ein Stück ihrer törichten Ehre, auch ihren höchsten Untertanen den freien Zugang zu sich zu weigern. Des Todes war, wer bei ihnen ungerufen um etwas nachsuchte. Selbst Esther, die Königin, fürchtete sich, zu Ahasverus zu nahen. Der König des Himmels aber offenbart sich seinem Volke. Trotzdem es im Alten Bunde zum Ausdruck kommen musste, dass Gott dem Sünder unnahbar ist, war die Stiftshütte doch nicht mit ehernen Türen verriegelt; nur ein leicht zu lüftender Vorhang verhüllte das Heiligtum Gottes. Uns aber ist als Priestern Gottes das Vorrecht gegeben, im Tempel und am Altar anzubeten (Off. 11,1). Darum lasst uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen in völligem Glauben, lasst uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden (Hebr. 10,22; 4,16). Charles Bradbury 1785.
  Wie wahr ist das Wort, dass der Glaube sicher sei, wenn er sich in Gefahr fühle, und in Gefahr, wenn er sich sicher wähnt, und dass das Gebet brünstig sei in Zeiten der Trübsal, aber in Freude und Glück, wenn nicht ganz kalt und tot, so doch lau und lässig. Gesegnete Drangsale, die unser Gemüt hindern, sich in den Dingen dieser Erde zu zerstreuen und sich mit ihrem Schlamm zu beflecken, und die uns zu trauterem Verkehr mit dem Himmel helfen und unsere Liebe zum Göttlichen beleben, ohne welche das, was wir Leben nennen, eher den Namen Tod verdient. Erzbischof Robert Leighton † 1684.

V. 7ff. Das Gebet eines einzelnen Gläubigen hat manchmal die wunderbarsten Wirkungen zur Folge, wie wir es hier an David sehen; was wird denn eine legio fulminatrix. 8 von solchen Betern ausrichten? Von Luther ward gesagt: Iste vir potuit cum Deo quicquid voluit, der Mann konnte von Gott haben, was er wollte. Seine Feinde fühlten die Wucht seiner Gebete und die Kirche Gottes erntete die Früchte derselben. Die schottische Königin (Maria Stuart) bekannte, dass sie vor den Gebeten des John Knox (des Reformators von Schottland, † 1572) mehr Furcht habe, als vor einem Heer von zehntausend Mann. Diese beiden Kämpfer waren Helden im Ringen mit Gott, so verächtlich und schimpflich sie auch von ihren Feinden behandelt wurden. Es kommt die Zeit, wo Gott das Flehen seiner Auserwählten hört, die Tag und Nacht zu ihm rufen: Wie lange, Herr, wie lange? (Lk. 18,7; Ps. 13; Off. 6,10) John Flavel † 1691.
  Lass dich durch keine scheinbare Unmöglichkeit dazu verleiten, die Erfüllung irgendeiner gnädigen Zusage Gottes in Frage zu stellen. Ob du auch keine Möglichkeit siehst, wie das Verheißene geschehen könnte, es ist genug, dass Gott gesagt hat, er wolle es tun. Er, der Gott des Heils und der Urheber der Verheißung, wird sich den Weg zur Ausführung seiner Werke selber zubereiten. Ob die Täler auch so tief wären, dass wir den Grund nicht sehen könnten, und die Berge so hoch, dass die Gipfel unserm Auge unerreichbar wären, - Gott weiß wohl, wie er die einen erhöhen und die andern erniedrigen kann. "Ich bin ein Meister zu helfen" (Jes. 63,1). Wenn irgendetwas das Kommen des Reiches Christi zurückzuhalten vermöchte, so wäre es unser Unglaube; aber des Menschen Sohn wird erscheinen, ob er auch bei seinem Kommen kaum Glauben auf Erden finden wird (Lk. 18,8; Röm. 3,3). Wirf dein Vertrauen nicht weg, weil Gott mit der Erfüllung zögert. Mögen die Wege der Vorsehung auch kreuz und quer, vorwärts und rückwärts gehen, du hast dennoch ein gewisses und zuverlässiges Wort, auf das du dich stützen kannst. Was nicht zu deiner Zeit kommt, wird doch mit Eile ausgeführt werden zu seiner Zeit, und das ist stets die rechte Zeit. Timothy Cruso † 1697.
  Es gab zu Davids Zeiten weder Flinten noch Kanonen; aber Davids Gebete richteten wider seine Feinde mehr aus, als die besten Gewehre und schwersten Geschütze der Welt je ausgerichtet haben. David hatte dennoch donnernde Geschütze und zerstreute damit seine Feinde, lange Zeit bevor Pulver und Kanonen erfunden wurden. Jeremiah Dyke 1639.
  Die geologischen Erscheinungen Palästinas regen in dem Naturforscher Fragen an, zu deren Erörterung die vorhandenen Tatsachen zu ungenügend sind. Doch enthält die Geschichte und die Literatur des Volkes hinreichende Beweise dafür, dass vulkanische Naturgewalten dort einst in Tätigkeit gewesen sind. Das Jordantal, das noch heute fortwährend in Unruhe ist, war ein ständiges Zeichen gewaltiger Naturereignisse; und von seinen Spalten verzweigten sich bis in das Innere des Landes die bestürzenden Erscheinungen, wo nicht mehr von vulkanischen Kräften, so doch von Erdbeben. Die geschichtlichen Wirkungen dieser Gewalten auf ihrem vornehmlichen Schauplatz (dem Becken des Toten Meeres) werden wir im Verlauf unserer Untersuchung beleuchten; hier aber wollen wir darauf hinweisen, wie sie das Empfinden des Volkes ständig beeinflusst haben. Die schriftlichen Erzeugnisse der Psalmdichter und Propheten sind voll von Andeutungen, welche dem oberflächlichen Leser entgehen. Gleich dem Boden ihres Heimatlandes keuchen und arbeiten sie gleichsam unter den Erschütterungen des Innern und den feurigen Kräften, die unter der Oberfläche glühen. "Der Sinai und Palästina", Arthur Penrhyn Stanley 1864.
  Vergleiche zu diesen Versen Mt. 27,45. 51-53. John Brown 1853.
  In der Nacht, als die Idumäer vor Jerusalem lagen, erhob sich ein schreckliches Ungewitter und ein gewaltiger Sturm mit überaus heftigen Regengüssen, unaufhörlichen Blitzen, betäubenden Donnerschlägen und starkem Krachen der wankenden Erde. Es war offenbar das Weltall in Aufregung gekommen ob dem Menschengemetzel, so dass man schließen konnte, es seien dies Vorzeichen eines außerordentlichen Unglücks. Am Tage der Pfingsten, als die Priester bei Nacht ihrer Gewohnheit gemäß in den inneren Tempel gingen, um ihres Amtes zu pflegen, vernahmen sie zuerst eine Erschütterung und ein Getöse, und dann plötzlich eine Stimme, die sprach: "Lasst uns von dannen gehen." Etliche Tage nach dem Fest der ungesäuerten Brote gab sich ein seltsamer, fast unglaublicher Anblick zu schauen (man würde es wohl für eine Fabel halten, wenn es nicht Augenzeugen berichtet hätten und die darauf folgenden Jammerszenen nicht eben als Antwort auf diese Zeichen erschienen wären): Vor Sonnenuntergang sah man hoch in der Luft, über das ganze Land hin, Kriegswagen und bewaffnete Heere, die eilend in den Wolken einherzogen und die Stadt umringten. Flavius Josephus † 103.


V. 8-9. Die ganze Kraft des dichterischen Bildes ruft David zu Hilfe, um nach Würden zu beschreiben, welche Wunder der Errettung er erfahren hat. So augenscheinlich, will er sagen, ist seine Errettung gewesen, wie die Zeichen an Himmel und Erde, so unerwartet und gewaltig wie jene Erscheinungen, welche im Reiche der Natur die erschreckten Sterblichen überraschen. Nun hätte er, da er von Erlösung spricht, von friedlichen Himmelserscheinungen das Bild hernehmen können; aber da die Sterblichen sich eher nach dem Himmel umsehen, wenn er zürnt, als wenn er segnet, da sie eher aus Gott merken, wenn er in Gewitterwolken, als wenn er im Regenbogen sich zur Erde herabneigt, so beschreibt er auch die segnende Herablassung Gottes unter dem Bilde des Ungewitters. Die ganze Gewalt eines morgenländischen Ungewitters, wie sie etwa Psalm 29 geschildert wird, müssen wir uns vergegenwärtigen, um dieses Bild in seiner Schönheit und Wahrheit zu fühlen. Einzelnes Wetterleuchten geht dem Ausbruche voraus, das sind die Kohlen, von denen Vers 9 redet; näher den Spitzen der Gebirge zieht das Gewölk - "es neigt sich der Himmel", wie es V. 10 heißt. Der Gewittersturm schwingt seinen Fittich, V. 11; in schweres Regengewölk wie in ein Zelt gehüllt, kommt Gott zur Erde; Hagel, wie er nicht selten im Morgenlande mit schweren Ungewittern verknüpft ist (Ps. 78,48), und Blitze dringen aus dem schwarzen Gewölk, durch dessen zerfahrende Schichten der Feuerglanz offenbar wird, der in ihrem Innern den Herrn der Natur birgt, V. 12.13. Er spricht, und seine Stimme ist der Donner; er schießt, und seine Pfeile sind die Blitze. Da weicht die Erde vor seinem Schelten und Schnauben, das Meer braust auf, so dass des Wassers Betten sich zeigen, das Land berstet, so dass der Erde Grundfesten offenbar werden, V. 14-16. Und siehe, aus dem schwarzen Gewölk und aus dem verderblichen Feuer streckt ein errettender Arm sich hervor und er greift nach dem Elenden, der ans der Tiefe schrie, und er zieht ihn heraus - und errettet ihn von allen seinen Feinden! Ja, des Herrn Hand ist es gewesen, die so große Wunder in Davids Leben ausgeübt hat, und doch war es das Glaubensauge, und nur dieses, das in dem allen des Herrn Hand wahrgenommen hat, und tausend andere, ob sie schon nicht mindere Erfahrungen der Errettung durch Gottes Hand machten, werden doch nur bei den Kräften der Natur stehen bleiben, und statt vor einem erbarmenden Gotte aufs Knie zu fallen, werden sie sich damit begnügen, kaltherzig sich über die Wechselfälle des menschlichen Geschicks zu verwundern. Prof. August Tholuck 1843.
  Die Gesamtnatur steht zum Menschen in sympathischem Verhältnis, indem sie dessen Fluch und Segen, Verderben und Herrlichkeit teilt, und zu Gott in sozusagen synergischem (mitwirkendem) Verhältnis, indem sie seine gewaltigen Taten vorlaufend ankündigt und werkzeuglich vermittelt. Deshalb erscheint hier das Einschreiten Jahves zu Davids Hilfe von furchtbaren Naturerscheinungen begleitet. Wie die Befreiung Israels aus Ägypten Ps. 68 und Ps. 77 und die sinaitische Gesetzgebung 2. Mose 19, wie nach dem prophetisch-apostolischen Wort die schließliche Parusie (Zukunft) Jahves und Jesu Christi, Hab. 3; 2. Thess. 1,7 f., so hat auch die Erscheinung Jahves zu Davids Hilfe außerordentliche Naturerscheinungen in ihrem Gefolge. Zwar wird uns innerhalb des Lebens Davids nicht dergleichen wie 1. Samuel 7,10 ausdrücklich berichtet; aber ein wirkliches Erlebnis muss es sein, welches David hier idealisiert, d. h. wurzelhaft erfasst und zu einem großen, majestätischen Gemälde seiner Wunderrettung verallgemeinert. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Es gibt denkwürdige Exempel in der Schrift, was Gott den Seinen für wunderbare Hilfe auch durch Wetter verschafft habe; desto weniger darf es einem unglaublich vorkommen, dass auch bei dem an David bewiesenen Heil Gottes solche Umstände vorgefallen, wie er im Psalm beschreibt. David ist auch nicht der letzte gewesen, dem zuliebe Gott sein Zeughaus so ausgeschlossen hat. Off. 8,5 steht, wie aus die Gebete der Heiligen Stimmen, Donner, Blitze und Erdbeben geschehen seien, und nach dem 16. Kap., V. 17-21, stehen noch mehr dergleichen bevor. Daher darf ein gläubiges Kind Gottes auch die gewöhnlichen Wetter als ein Angeld auf seine und aller Auserwählten zukünftige Erlösung ansehen. Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 8. An den Gründen und Wurzeln der Berge, sagt er, hat man das Beben gehört; Berg und Tal sind davon erschrocken, da er zornig war. Er hat wohl lange genug Geduld mit denen Gottlosen; aber wenn er hinter sie kommt, so gehet es über und über. Martin Luther 1530.


V. 10. Er neigte den Himmel und fuhr herab. Wenn sich ein Wetter entlädt, kommen die Wolken tiefer zur Erde herab und senken sich von den Bergen in die Täler. Dies Bild wendet der Psalmist an, um Gottes Niederfahren zum Gericht zu beschreiben. (Vergl. Ps. 144,5 ff.) Und Dunkel war unter seinen Füßen. Immer schrecklicher wird das Wetter, in dem der Höchste herniederfährt, immer näher kommt es heran; aber noch enthüllt sich Gott nicht, tiefschwarzes Wolkendunkel ist unter seinen Füßen. Solch finsteres Gewölk umkleidete Gott auch bei seinem Herabfahren auf den Berg Sinai (2. Mose 20,21; 5. Mose 4,11) und umgibt seinen Thron (Ps. 97,2), um die überwältigende Majestät der Gottheit vor uns zu verschleiern. Dieses Dunkel aber, das Gottes Kommen zum Gericht verhüllt, verkündet Trübsal und Angst denen, wider die sein Zorn entbrannt ist. (Vergl. Lk. 21,25 f.) W. Wilson 1860.


V. 11. Der Cherub, (nach Hesekiel) mit dem Antlitz von Mensch, Löwe, Stier, Adler - gleichsam in sich vereinend, was die Natur an Intelligenz, Majestät, Kraft und Lebendigkeit besitzt -, war ein Sinnbild der Naturkräfte. Wo mächtige Naturkräfte, wie beim Ungewitter, Gott dienen müssen, heißt es, er fahre auf dem Cherub daher. Prof. August Tholuck 1843.
  Sooft Gott zur Bestrafung seiner Feinde und zur Errettung seiner Auserwählten gekommen ist, hat nichts seine Freunde und Feinde so sehr in Erstaunen gesetzt, als die wunderbare Schnelligkeit, womit er erscheint und handelt: Er flog daher... auf den Fittichen des Windes. William S. Plumer 1867.


V. 15. Er schoss seine Strahlen usw. Ach, dass ihr, die ihr jetzt Gott fremd und feindlich gegenübersteht, doch über diese Dinge nachsinnen und den Ausgang des ungleichen Kampfes bedenken wollet! Sonne, stehe stille zu Gibeon, und Mond im Tal Ajalon (Josua 10,12), bis der Herr an seinen Feinden Rache geübt hat! Stellt euch in Schlachtordnung, ihr Sterne, und kämpft in euren Bahnen gegen diese Elenden, die sich wider ihren Schöpfer empört haben. Pflanzt eure gewaltigen Geschütze auf, schießt herab mächtige Schlossen, feurige Pfeile und zündende Donnerkeile. Weh, wie die Feinde verwundet werden und fallen! Da liegen die Erschlagenen des Herrn von einem Ende der Erde bis ans andere Ende (Jer. 25,33). Siehe, wie Gottes Feinde zu Tausenden fallen, siehe die blutüberströmten Gewänder, höre das Rasseln und Prasseln der Streiterscharen. Die Berge sind bedeckt mit feurigen Wagen und Rossen. Haufen über Haufen erscheinen im Tal des Urteils (Joel 4,14 [3,19]), denn des Herrn Tag ist erschrecklich. Gottes Krieger eilen daher, hierhin und dorthin, mit zuckenden Schwertern, bewaffnet mit Gottes Gerechtigkeit, seinem Eifer, seiner Macht und seinem Zorn. Tausendmal tausend sinken dahin; sie können sich nicht aufrecht halten; nicht einer vermag auch nur die Hand zu erheben; das Herz entfällt ihnen; Erbleichen und Zittern hat die Stärksten ergriffen. Der Bogen des Herrn ist stark; er fehlt nicht, er kommt nicht leer wieder von dem Blut der Erschlagenen, vom Fett der Helden. Wer ist der, so von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern von Bozra? Der geschmückt ist in seinen Kleidern und einhertritt in seiner großen Kraft, und sein Kleid ist rotfarben wie eines Keltertreters? "Ich trete die Kelter allein, und ist niemand unter den Völkern mit mir. Ich keltere sie in meinem Zorn und zertrete sie in meinem Grimm und schütte ihr Blut auf die Erde." (Jes. 63,1 ff.) Da wird man erkennen die Hand des Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden. Denn siehe, der Herr wird kommen mit Feuer und seine Wagen wie ein Wetter, dass er vergelte im Grimm seines Zornes und mit Schelten in Feuerflammen. Denn der Herr wird durchs Feuer richten und durch sein Schwert alles Fleisch; und der Getöteten des Herrn wird viel sein. Und die Heiligen werden hinausgehen und schauen die Leichname der Leute, die an mir missgehandelt haben; denn ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen, und werden allem Fleisch ein Gräuel sein. (Jes. 66,14-16.24) Über die Gottlosen wird er regnen lassen Wurfschlingen; Feuer und Schwefel und Glutwind ist ihres Bechers Teil (Ps. 11,6). Siehe, das heißt wider Gott kämpfen, das heißt, den Herrn der Heerscharen herausfordern! James Janeway † 1674.


V. 16. Die Grundfesten des Erdkreises legten sich bloß (Grundtext), d. h. das heftige Erdbeben riss so weite und tiefe Spalten, dass man beinahe die Gründe der Berge (Jona 2,7) in den Tiefen des Meeres sah. Samuel Chandler † 1766.
  Der Herr trat ins Mittel mit derselben Offenkundigkeit seiner Gegenwart wie damals, als er die Gewässer des Meeres durch einen starken Ostwind hinwegfahren ließ und den Meeresgrund trocken machte (2. Mose 14,21 f.), um die Kinder Israel auf gebahntem Pfad aus der Knechtschaft zu führen und die Ägypter zu vertilgen. Henry Hammond † 1660.
  Das Donnern nennt er ein Schelten. Unser Herr Gott murrt ein wenig, wenn er donnert. Martin Luther 1530.


V. 17. Er holte mich, wörtlich: er ergriff mich. Gottes Griff ist fest. Niemand kann ihm die Seinen aus der Hand reißen. William Swan Plumer 1867.


V. 18ff. O siehe aus diesem allem, was der Teufel immer für einen Zorn gehabt und wie sich die Feindschaft des Schlangensamens wider den Weibessamen immer an die Personen und Häuser vornehmlich gehängt hat, an welche Gott seine Verheißungen anknüpfte. Siehe aber auch, wie beim Weibessamen, bei David und seinem Samen, mitten unter erlittenen Fersenstichen es sich doch immer zum Sieg hinübergelenkt hat. Halleluja! Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 19. Sie warfen sich mir entgegen an meinem Unglückstag (wörtl., zum Zeitwort vergl. V. 6 u. 17,13); boshaft benutzten sie meine Schwäche und Hilflosigkeit, um mich plötzlich anzufallen, und sie hätten mich unfehlbar vernichtet, wenn Gott mich nicht aufrecht erhalten und gestützt hätte, mir nicht ein Stab gewesen wäre. Was der Stab ist für den, der im Begriff ist zu fallen, nämlich das Mittel, durch das er sich wieder aufrichtet und aufrecht hält, das war Gott für David in der Zeit seiner äußersten Not. Denn mehr als einmal bewahrte er ihn vor Saul, als David selbst seinen Untergang fast für unvermeidlich hielt. Siehe z. B. 1. Samuel 23,26 f. Samuel Chandler † 1766.
  Als Heinrich VIII. von England 1522 in seiner Streitschrift zu Gunsten der katholischen Sakramentslehre Luther mit bitterem Hohn entgegengetreten war, erwiderte der Reformator: "Saget den Heinrichen, den Bischöfen, den Türken und dem Teufel selber: Sie mögen tun, was sie können, wir sind die Kinder des Reichs, die den rechten Gott anbeten, den sie und ihresgleichen angespielt und gekreuzigt haben". Und der gleichen Gesinnung waren viele Blutzeugen. Basil der Große († 379) bezeugt von den ersten Christen, sie hätten so viel Tapferkeit und Zuversicht in ihren Leiden bewiesen, dass viele Heiden, die ihren Heldenmut und ihre Standhaftigkeit gesehen, Christen geworden seien. Charles Bradbury 1785.


V. 21. Falscher Beurteilung gegenüber gilt es seinen Platz fest zu behaupten. Es wäre törichte Eitelkeit, wenn wir nach Ruhm in der Welt trachteten und gleich jenen Riesen der Vorzeit (1. Mose 6,4) berühmte Männer oder, wie es wörtlich heißt, Männer von Namen werden wollten; aber unseren guten Namen zu beschützen und zu erhalten, ist eine wichtige und notwendige Pflicht. Joseph Caryl † 1673.
  Es ist dem David, wie auch aus dem siebenten Psalm zu sehen ist, dieses eine sehr schwere Anfechtung gewesen, dass sie ihm Schuld gegeben haben, als wäre er ein Aufrührer. Wie jener (Nabal) sagte (1. Samuel 25,10): Es werden jetzt der Knechte viel, die sich von ihren Herren reißen. Solche Worte tun auf der Maßen wehe. Gott habe Lob, sagt er, es ist an Tag gekommen. Gott sieht, dass ich gerecht bin, ich habe das Königreich weder gestohlen noch mich desselben mit Gewalt angemaßt, sondern Gott hat es mir gegeben. Und ist solches ein großer und starker Trost und Zuversicht des Gewissens. Welches aber nicht also zu verstehen ist, als pochte er mit unserm Herrn Gott; da es denn nicht Pochens gilt, sondern Sprechens: Vergib uns unsere Schuld. Dennoch aber haben wir bei denen Menschen den Trotz, dass wir sagen können: Das hat Gott gesagt und gefällt ihm (V. 20). Ist ein Mangel an mir, dass ich es nicht ausrichte, wie ich sollte, liegt nichts daran; es ist Gottes Gebot und Wort nichtsdestoweniger wahr. Martin Luther 1530.


V. 22. Und wich nicht gottlos von meinem Gott. (Wörtl.) Auch der Aufrichtige mag von einer Versuchung übernommen werden; aber er ist fern davon, seinen Gott verlassen und an der Sünde hangen, in der Sünde leben zu wollen. Er hat keine Ruhe bei der Sünde, er schont und begünstigt sie nicht; denn das hieße, von Gott abtrünnig werden, ein doppeltes Herz (12,3 Grundtext) und ein schielendes Auge haben, wie es bei allen Unaufrichtigen der Fall ist, mögen sie noch so große Frömmigkeit zur Schau tragen. Die sehen nicht auf Gott allein, sondern noch auf etwas anderes neben Gott, wie Herodes, der viel auf den Täufer hielt, aber noch mehr auf seine Herodias; wie der reiche Jüngling, der zu Christus kam und dennoch auf seine vielen Güter blickte; und wie Judas, der dem Herrn nachfolgte, aber doch sein Herz an den Beutel hängte. Das heißt freventlich von Gott weichen. William Strong 1650.
  Es mag wohl einmal geschehen - wiewohl nie, ohne dass hernach bittere Reue dafür kommt -, dass ein sonst frommer Mensch das eine und andere Gebot wieder und wieder, gegen besseres Wissen, übertritt; aber sobald es ihm zum Bewusstsein kommt, dass er mit Gott brechen und ihn verlieren muss, wenn er darin fortfährt, bringt ihn diese Erkenntnis zum Stillstehen und zur Umkehr; denn das hieße, freventlich von Gott abtrünnig werden, und das kann er nicht. Thomas Goodwin † 1679.


V. 23. Die Rechte Gottes vor Augen haben bedeutet dieselbigen zu lieben. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz (Mt. 6,21). Es ist uns aber nötig, dass wir das Gesetz Gottes stets vor unseren Augen haben, weil wir durch viel Dinge und Zufälle beunruhigt und bald da-, bald dorthin gerissen werden. Wer aber Lust hat am Gesetz des Herrn, der wird dieses auch von freien Stücken tun. Denn wo die Lust nicht da ist, so werden wir gar bald die Worte Gottes hinter uns zurückwerfen. Darauf wird sodann bald folgen eine Geringschätzung derer Wege des Herrn, und endlich gar ein vorsätzliches Sündigen wider Gott und dergleichen. Martin Luther 1519.


V. 23-24. Ein unredlicher Mensch beachtet solche Worte nicht, die sich wider seine (besondere) Sünde richten. Derartige Vorschriften sind für ihn ein leeres Blatt, das er beiseite legt. Er will nicht daran denken; nur, dass das Gewissen ihn hie und da daran erinnert, er mag wollen oder nicht. Aber so hält es der Aufrichtige nicht. Er trachtet solchen Geboten, die sich wider die Sünde richten, zu der er von Natur am meisten neigt, gerade so pünktlich zu gehorchen, wie irgendwelchen andern. Ein unaufrichtiger Mensch setzt sich von Gottes Rechten und Satzungen nur so viele als Lebensregeln vor Augen, als seiner Natur, seinen Umständen und den Anschauungen seiner Zeit scheinbar anzupassen sind; weiter geht er nicht. Dagegen solche Vorschriften, die seinen besonderen bösen Neigungen widerstreben oder dem Zeitgeist sonderlich missliebig sind und ihn so dem Leiden aussetzen, die übergeht er und schiebt er beiseite, wie es hier heißt, und hält sie für gering und nebensächlich. Der Aufrichtige dagegen macht keinen Unterschied unter Gottes Geboten, sondern setzt sie sich alle vor Augen als Richtschnur seines Lebens. "Dann werde ich nicht zuschanden werden, wenn ich schaue auf alle deine Gebote." (Ps. 119,6 Grundtext) Nicholas Lockyer 1649.


V. 24. Und so (gemäß V. 23) war ich vollkommen (im Wandel) mit ihm. (Grundtext) Beachten wir: Ein gottesfürchtiger Mensch kann, wiewohl ihm noch Unvollkommensten anhaften, doch völligen Herzens sein, sich in ungeteilter Aufrichtigkeit Gott hingeben, und das ist es, worauf der Herr sieht. Und diese Aufrichtigkeit macht ihn, trotz vieler Mängel, kühn, sogar in der Gegenwart Gottes. Der Herr bezichtigt seine Engel selbst der Torheit, wie viel mehr die in Lehmhäusern wohnen und deren Sein im Staube wurzelt! (Hiob 4,18 f.) David, dessen Glaube einmal gewankt hatte, dass er sprach: Ich werde der Tage einen Saul in die Hände fallen (1. Samuel 27,1), David, dessen Zunge sich wider den Priester Ahimelech verfehlt hatte (1. Samuel 21,3) und der auch sonst dreimal oder viermal eine Unwahrheit gesagt hatte, kann dennoch vor Gott bezeugen, dass er vollkommen gewesen sei im Wandel mit Gott. [Allerdings gilt es hierbei nicht zu übersehen, dass David trotz seiner tiefen Sündenerkenntnis doch noch nicht das volle Licht des Geistes des neuen Bundes besaß] William Strong 1650.
  Ein Christ, der vollkommen ist im Wandel mit Gott, erlaubt sich nichts, was er als Sünde erkannt hat. Er wagt es nicht, die verbotene Frucht auch nur anzurühren. Er spricht mit Joseph. Wie sollte ich ein solch großes Übel tun und wider Gott sündigen? (1. Mose 39,9) Mag es auch eine angeerbte Sünde sein, er enterbt sie. Es gibt niemand, der nicht zu einer Sünde mehr Hang und Neigung hätte als zu andern. Jeder Mensch hat von Natur eine Sünde, die ihm so teuer ist wie sein rechtes Auge. Diese Sünde ist Satans Hauptbollwerk, all seine Macht liegt in ihr. Er lässt es sich gefallen, dass wir die Außenwerke - grobe Sünden - niederreißen, wenn wir ihn nur im Besitz dieser Festung unserer Temperamentssünde lassen; das ist alles, was er begehrt. Er weiß, dass er den Menschen an diesem einen Glied eben so fest hat, wie an einer ganzen Kette voll Lastern. Der Vogelfänger hat das Vöglein all einem Flügel fest genug. Der aufrichtige Christ aber lässt sich gerade in diesem seinem Temperamentsfehler nicht gehen. Er zückt das Messer und durchbohrt damit seine Lieblingssünde. (Vergl. Mt. 5,29 f.) Herodes gehorchte dem Täufer in vielen Stücken; aber eine Sünde war ihm so ans Herz gewachsen, dass er eher dem Propheten das Haupt abschlug als dieser Sünde. Wenn Johannes ihm nur ein Hinterpförtchen für seine ehebrecherische Lust gelassen hätte! Der aufrichtige Mensch hasst die Sünde mit unversöhnlichem Hass; und ob er sieht, dass diese Schlange ihm in den Busen kriecht, - je näher sie seinem Herzen ist, desto mehr hasst er sie. Thomas Watson 1660.
  Ich hütete mich. Hütete mich! Wer hat den Menschen zu seinem eignen Hüter gemacht? Der Herr ist sein Hüter. Wir können uns nicht einmal vor den Sorgen schützen; wie viel weniger vor der Sünde! Gott wirkt in der Tat zuerst an uns; er macht uns lebendig. Es offenbart sich da eine Macht, gleich der, welche Christus an Lazarus erwies; denn wir sind tot in Übertretungen und Sünden. Aber haben wir das Leben, so müssen wir selber wandeln und handeln (wiewohl nur in der Kraft der Gnade); der Herr will, dass wir mit ihm zusammenwirken. Die Macht der Gnade, durch die wir lebendig gemacht werden, ist sein, und er ist es, der in uns wirket beides, das Wollen und das Vollbringen, wo wir etwas ausrichten; und doch tun wir selber es, in Kraft der Gnade. Ille facit, ut nos faciamus, quae praecepit (Augustinus). Vergl. 1. Joh. 5,18. William Strong 1650.
  Des Menschen Lieblingssünde kann mit seinen Umständen wechseln. Fleischeslust mag das Schoßkind eines Mannes in seiner Jugend sein, und Geiz und Eigennutz das seines Alters. Wenn jemand zu Ehren kommt und Veranlassungen zur Sünde hat, die er früher nicht kannte, nimmt die böse Lust wohl etwa einen andern Lauf; das Herz aber bleibt das gleiche, böse von Jugend auf und immerdar. William Strong 1650.
  Es gibt für jeden eine Sünde, zu der er mehr geneigt ist als zu andern, von der er mit Nachdruck sagen kann; ’s ist meine Sünde, auf die er mit dem Finger weisen kann und sagen: Das ist’s. Je nach dem Beruf und Lebensgang der einzelnen gibt es für sie mehr Anfechtungen zu gewissen Sünden als zu andern. Ich brauche euch nicht zu sagen, was für Versuchungen und Fangstricke verschiedener Sünden z. B. das Hofleben mit sich bringt und wie groß und mannigfach die Gefahren, in diese zu fallen, sind, es sei denn, dass man, im Glauben an Gottes bewahrende Gnade, der Tugend unverbrüchliche Treue gelobe und die Rücksicht auf die Ehre bei Gott einen aufrecht halte. Wer im Kriegsdienst steht, der ist versucht zu Plünderung und Gewalttat, Vernachlässigung des Gottesdienstes und Ruchlosigkeit. Das Handelsleben hat besondere Verführungen zu Lug und Trug, Übervorteilung und Ungerechtigkeit, und das Geheimnis so manches gewinnreichen Handels böser Leute ist recht eigentlich ein "Geheimnis der Ungerechtigkeit". Der Ackersmann wird versucht zu ängstlichem Sorgen um irdische Dinge und zu Misstrauen oder Murren gegen Gottes Vorsehung. Und was endlich den heiligsten Beruf von allen betrifft, so möchte ich wohl wünschen, dass der in diesem Stück eine Ausnahme machte; aber Paulus sagt uns, dass schon zu seiner Zeit etliche Christus predigten um Neides und Haders willen und etliche aus schmutziger Gewinnsucht, so gut wie andere aus guter Meinung. Henry Dove 1690.
  Man kann sich über seine Fortschritte in der Abtötung des Fleisches leicht täuschen, wenn man sie nach der Überwindung solcher Lüste und Begierden beurteilt, zu denen man nach seiner Natur nicht besonders hinneigt. Das sicherste Urteil über sich selbst gewinnt man, wenn man das Verhalten zu der Lieblingssünde zum Maßstab nimmt, wie David die Völligkeit seiner Hingabe darnach bemaß, dass er sich vor seiner Sünde hütete. Thomas Goodwin † 1679.


V. 25-27. Wie du ein Verhältnis zwischen der Sünde und der Strafe als deren Lohn wahrzunehmen vermagst, so dass du etwa sagen kannst: "Die und die Sünde hat diese Trübsal hervorgebracht, die Tochter trägt die Züge der Mutter deutlich an sich", so kannst du auch das gleiche Verhältnis zwischen deinem Gebetsleben und deinem Wandel mit Gott einerseits und Gottes Antworten an dich und seinem Handeln gegen dich anderseits wahrnehmen. Thomas Goodwin † 1679.


V. 26.27. Gerade wie das Sonnenlicht gesunden Augen angenehm und wohltätig, denselben Augen aber, wenn sie schwach, entzündet oder krank sind, überaus lästig und schmerzlich ist, wiewohl es doch stets ein und dieselbe Sonne ist, so hat sich auch Gott von jeher denen mild und gütig erwiesen, die gegen die Seinen liebreich und wohlwollend sind, und barmherzig denen, so Barmherzigkeit üben; aber gegen dieselben Menschen erweist er sich, wenn sie in Gottlosigkeit fallen und hartherzig werden, voller Zorn und Grimm; und doch ist er der eine und selbe von Ewigkeit zu Ewigkeit unveränderliche Gott. Robert Cawdray 1609.
  Du kannst den Herrn, deinen Gott, haben wie du willst, nur nach dem, wie du dich gegen ihn hältst. Wie du mit ihm umgehst, so geht er auch mit dir um; wie du dich gegen ihn bezeugest, so hast du ihn entweder gnädig oder ungnädig, entweder zum reichen Belohner oder zu einem strengen Widersacher. Johann David Frisch 1719.
  Es ist Gottes Art, sich gegen die Menschen zu verhalten, wie sie sich gegen ihn verhalten. Wer offen und ehrlich gegen Gott ist, gegen den handelt er auch so. Wer mit ganzer Treue seine Pflicht gegen Gott zu erfüllen bestrebt ist, der wird Gott auch ganz treu finden in der Erfüllung seiner Verheißungen. Ist es deine Lust, ihm wohlzugefallen, so ist es auch seine Lust, dich zu führen, "wie es dir selber gefällt". Hörst du, wenn er ruft, so wird er auch hören, wenn du rufst. Kämpft dagegen jemand wider Gott, so wird Gott auch wider ihn kämpfen. Meinst du, Gott hintergehen zu können, wandelst du verkehrt gegen ihn, so wirst du mit gleicher Münze bezahlt werden. Forderst du ihn heraus mit Sündigen ohne Ende, so wird auch er dich verfolgen mit Strafen ohne Ende. - Das redliche, wahrhaft fromme Herz ist einfältig, ungeteilt. Für den Heuchler gibt es viele Götter und viele Herren (1. Kor. 8,5), und für jeden von ihnen muss er ein Herz haben; aber für den Aufrichtigen gibt es nur einen Gott, den Vater, und einen Herrn, Jesum Christ (V. 6), und mit einem Herzen dient er ihnen. Wer sein Herz an die Geschöpfe hängt, muss für jedes derselben ein Herz haben, und diese Zertrennung seines Herzens (Hos. 10,2) bringt ihn um. Irdischer Gewinn klopft all seine Tür - er muss sein Herz ihm hingeben; sachliche Lüste stellen sich ein - auch ihnen muss er sein Herz dienstbar machen; sündliche Liebhabereien machen Ansprüche - auch ihnen muss er huldigen (denn so gering die Zahl der notwendigen Dinge ist, so endlos die der unnötigen Eitelkeiten). Der Mann ungeteilten Herzens aber hat Gott als sein einiges Teil erwählt und hat all ihm volle Genüge. Richard Steele † 1692.
  In Jupiters Vorhalle stehen zwei Gefäße mit Geschenken; das eine ist voll guter Gaben oder Segnungen, das andere voll böser Gaben oder Plagen. So hat Homer von Jupiter gefabelt; von dem wahren Gott, Jahwe, mag man es mit Recht sagen. Wenn es aber hier heißt, Gott erweise sich den Verkehrten verkehrt, so besagt das nicht, Gott sei der Urheber von Bösem, sondern: Er sei der Urheber gerechter Vergeltung, und das ist etwas Heiliges, wie Augustinus († 430) sagt: Quorum Deus non est auctor, eorum est justus ultor. Bischof Miles Smith † 1624.
  Gegen den Verkehrten stellt Gott sich nicht nur als verkehrt, sondern er verkehrt sich in der Tat nicht nach Menschenweise vom Guten ins Böse, sondern nach göttlicher, unbegreiflicher Weise von der Barmherzigkeit ins Gericht der Verstockung. Friedr. Christoph Oetinger 1775.
  Die beiden Wörter für verkehrt, welche der Grundtext hier hat, bezeichnen etwas Gekrümmtes, Verflochtenes, Verdrehtes. Das zweite wird auch vom Ringen gebraucht (1. Mose 30,8), weil der listige Ringkämpfer seinen Körper dreht und windet, um seinem Gegner einen Vorteil abzuringen. Solcher Art sind die verdrehten Menschen; sie drehen und winden sich nach allen Seiten und lügen und betrügen um irgendeines Vorteils willen. Man kann sie nirgends fassen, aus allem winden sie sich heraus; niemand weiß, was sie meinen, wenn sie noch so deutliche Sprache führen, noch so feierliche Eide schwören. Wenn man schon meint, ihnen ins Gesicht zu blicken, so ist es nur ihre Maske. Wie aber kann das Wort verdreht vom Herrn ausgesagt werde? Wenn die Menschen sich winden und drehen und darauf sinnen, mit Kniffen und Winkelzügen andere zu fangen oder gar den Herrn selber anzuführen, so begegnet der Herr ihnen auf ihre Weise und bezahlt ihnen mit ihrer Münze. Er kann sich wenden so schnell wie sie; er kann sich in so verworrenen Labyrinthen unfassbarer Weisheit und heiliger List verbergen, dass auch der listigste all der Lügner und Betrüger darin verstrickt und gefangen wird. Joseph Caryl † 1673.
  Man vergleiche 5. Mose 32,5 "die verkehrte und böse Art", wo im Hebräischen dieselben beiden Wörter gebraucht sind. Siehe ferner 1. Samuel 2,30; 15,23; Jes. 3,16 ff.; 28,9.21; 29,9 ff.; 31,2; Spr. 3,34; 19,29; Hiob 5,13 f.; Röm. 1,18 ff. usw. John Trapp † 1669.


V. 29. Ja, du erleuchtest usw. - wenn kein anderer es kann. Man beachte, wie der Psalmist hier und sonst oft, damit beginnt, von Gott zu sprechen, und damit endet, zu Gott zu sprechen. So sagt auch die Braut im Hohen Liede: Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher denn Wein (Hohelied 1,2) Dionysius der Kartäuser 1471.


V. 30. Über die Maueren springen. Bezieht sich wohl auf das Erklettern und Erstürmen der feindlichen Wälle. John Kitto † 1854.
  In einem Briefe aus Genf, März 1784: "Die schönste halbe Stunde macht mir jeden Tag David. Ich bin bald wieder so im Hebräischen, wie ich im Griechischen bin. Es ist nichts Griechisches, nichts Römisches; im ganzen Abendland und im Land gegen Mitternacht ist nichts gleich dem David, welchen sich der Gott Israels ausersah, ihn höher zu singen als die Götter von Nationen. Vom Geist geht, schallt er tief in das Gefühl, und nie, seit ich lebe, nie ist Gott mir so vor Augen gewesen."
  In einem Briefe aus Mainz, Dezember 1788, tröstet er sich mit dem Psalm 18,30: Denn mit dir kann ich Kriegsvolk zerschmeißen und mit meinem Gott über die Mauern springen. "Die Psalmen macht einem ein vielversuchtes Leben sehr lieb." Der Geschichtsschreiber Joh. von Müller, † 1809.


V. 31. Das Wort und die Rede Gottes wird uns im Leiden gegeben, und da leidet es gleichsam mit uns und beweist sich bei allen demütigenden Erfahrungen als durchläutert. Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Der Herzog und Kurfürst Maximilian von Bayern hat im Jahr 1627 in grobem Missbrauch der heiligen Schrift silberne Gulden schlagen lassen mit dem Bild der Jungfrau Maria und der Umschrift: Cycleus omnibus in te sperantibus, Du bist ein Schild allen, die auf dich vertrauen. Der nächste Vers schon hätte ihn eines Besseren belehren können, denn der heißt: Denn wo ist ein Gott, ohne der Herr, oder ein Hort, ohne unser Gott? Freimund 1885.


V. 33. Gott, der mich gürtet mit Kraft. (Grundtext) Eines der morgenländischen Bekleidungsstücke, die ich in jenen Gegenden trug, war der Gürtel. Er war mir eine wesentliche Hilfe bei den langen, ermüdenden Kamelritten durch die Wüste. Die Hilfe und Stärkung, die ich auf diese Weise empfing, gaben mir eine bessere Vorstellung von dem, was der Psalmist mit diesen Worten meint. John Andersen 1856.


V. 34. Er macht meine Füße gleich den Hirschkühen. (Grundtext) Schnelligkeit der Bewegung galt als eine wesentliche Eigenschaft des Helden im Altertum. Achilles wird gefeiert als po/daj w)ku/j, als schnellfüßig. Virgil schildert den Nisus mit dichterischer Übertreibung: et ventis et fulminis ocior alis, schneller als Wind und Blitz. Und die Gaditer, die zu David kamen, "starke Helden und Kriegsleute, die Schild und Spieß führten, und ihr Angesicht wie der Löwen", waren "schnell wie die Rehe (die Gazellen) aus den Bergen" (1. Chr. 12,8). Ebenso wird Asahel geschildert als leichtfüßig wie eine Gazelle auf dem Felde (2. Samuel 2,18). Auch 2. Samuel 1,19 übersetzen manche: Die Gazelle Israels (mit Bezug auf Saul oder Jonathan), vergl. V. 23. Warum die Hirschkuh genannt ist, mag sich entweder nach Thomas Gataker († 1654) daraus erklären, dass die weibliche Form im Hebräischen oft gebraucht wird, um die Gattung zu bezeichnen (vergl. Eselin Hiob 1,3; 42,12), oder aus der Annahme Samuel Bocharts († 1667) und anderer, dass der Huf der Hirschkuh von besonderer Härte sei, was sie befähige, an den rauesten und felsigsten Orten sicher zu wandeln. So nennt auch Virgil die Hirschkuh aeripes, erzfüßig. Andere stellen die Hirschkuh als das Bild der Gewandtheit und Schnelligkeit hin. Es hindert uns nichts, hier einen Hinweis auf beides, die Kraft und die Schnelligkeit der Füße der Hirschkuh, anzunehmen. John Brown 1853.


V. 40. Ja, Du gürtest (Luther: rüstest) mich mit Stärke zum Streit. (Grundtext) Wohlgegürtet sein heißt auch nach lateinischer und griechischer Ausdrucksweise, wie im Hebräischen, wohlgerüstet sein. Dr. jur. Alexander Geddes † 1802.


V. 42. Sie rufen, aber da ist kein Helfer; zum Herrn, aber er antwortet ihnen nicht. Der traurigen Beispiele gibt es genug, die die Wahrheit dieses Wortes bestätigen. Von Esau steht geschrieben: Er fand keinen Raum zur Buße, wiewohl er sie mit Tränen suchte (Hebr. 12,17). Von Antiochus Epiphanes erzählt der Geschichtsschreiber (2. Makkabäer 9,17 f.), obwohl er in seiner letzten Krankheit gelobt habe, selber ein Jude zu werden und in aller Welt die Gewalt Gottes zu preisen und zu verkündigen, habe dennoch die Krankheit nicht nachgelassen, denn es sei Gottes gerechter Zorn über ihn gekommen. Aber am genauesten entspricht diesem Wort, was von Saul geschrieben steht (1. Samuel 28,6): Er fragte den Herrn um Rat; aber der Herr antwortete ihm nicht, weder durch Träume noch durchs Licht noch durch Propheten. Darum warnt uns der Prophet: Gebt dem Herrn, eurem Gott, die Ehre, ehe denn es finster werde und ehe eure Füße sich an den dunkeln Bergen stoßen (Jer. 13,16), wie Sauls Füße in der Tat zu Fall kamen auf den dunkeln Bergen Gilboas. Johannes Lorinus † 1634.
  Der Selbsterhaltungstrieb drängt den Menschen dazu, in der äußersten Not Hilfe suchend nach oben zu blicken; da aber solche Gebete nur aus dem Begehren des Fleisches nach Erleichterung und Behagen stammen, nicht aber ein geistliches Verlangen nach Gnade und Segen aus der Trübsal sind, auch nur aus der äußersten Verzweiflung an anderer Hilfe geboren werden, hört Gott sie nicht. In der Parallelstelle 2. Samuel 22 steht: Sie sehen sich um (nach Hilfe, oder: nach anderen Göttern); aber da ist kein Helfer; wenn sie also irgendeine andere Ausflucht gehabt hätten, würde Gott nie einen Laut des Flehens von ihren Lippen vernommen haben. John Trapp † 1669.


V. 43. Im Morgenland wird aller Abgang und Kehricht der Haushaltungen auf die Gasse geworfen, wo alles, was davon essbar ist, alsbald von den Vögeln und Hunden vertilgt wird, während das übrige sehr schnell an der Sonne vertrocknet oder verwest. Jemand hinschütten wie Straßenunrat (Grundtext) ist demnach ein starkes Bild der Verachtung und Verweisung. Vergl. Jes. 10,6; Sach. 10,5. John Kitto † 1854.


V. 47. Der Herr lebet, und gelobet sei mein Hort; und erhoben werde der Gott meines Heils. Lasst uns unsere Herzen in diesem Lobgesang vereinigen. Ehren und Würden, Vergnügungen und alles, was in der Welt ist, stirbt und vergeht; aber der Herr lebt. Mein Fleisch ist nichts als Staub; mein irdisches Leben, meine fleischliche Kraft und Herrlichkeit sind nichts als in den Sand geschriebene Worte; aber gelobt sei mein Fels. Jene währen einen Augenblick, dieser steht auf ewig. Niemand anders werde erhoben. Dieser Herr ist mein Fels; dieser Gott ist mein Heil. Peter Sterry 1649.
  Der Herr lebt. Warum stellt ihr nicht diesen einen Gott all den Heeren von Übeln entgegen, die euch rings umgeben? Warum lasst ihr nicht desto mehr Gott eures Herzens Freude und Genüge sein, je weniger ihr diese im Geschöpf findet? Warum rühmt ihr euch nicht Gottes, warum richtet ihr euch nicht auf an dem, was ihr von ihm zu hoffen und zu erwarten habt? Seht ihr nicht die jungen Erben großer Reichtümer ihrem Stande gemäß handeln und leben? Warum solltet denn ihr, die ihr doch Söhne des himmlischen Königs seid, tagaus, tagein hungrig und in Lumpen einhergehen, als hättet ihr keinen Groschen Vermögen? O ihr Fürstenkinder, lebt doch von eurer fürstlichen Apanage. Schämt euch doch, so ärmlich zu tun! Ihr habt große, köstliche Verheißungen, reiche und immer reicher werdende Gnaden; ihr könnt von der vollen Genüge, die in Gott ist, unumschränkten Gebrauch machen. Ihr habt es niemand als euch selbst zuzuschreiben, wenn ihr in Mangel und Kleinmut dahingeht. Eine von Herzen gottselige Frau hatte eben ein Kind unter den Rasen gebettet und saß nun da in ihrer Einsamkeit und tiefen Betrübnis; aber sie richtete ihr Herz auf, indem sie rief: Gott lebt. Sie musste sich von einem zweiten Kindlein trennen; dennoch wiederholte sie das Glaubenswort: Das Liebste auf Erden mag sterben; Gott lebt. Endlich starb ihr heiß geliebter Gatte und sie war tief gebeugt und ganz überwältigt vom Kummer. Da kommt ihr jüngstes Kind, das ihr noch geblieben war und das beobachtet hatte, womit sie sich vordem Trost zugesprochen hatte, zu ihr und sagt: Mutter, ist Gott tot? Das traf ihr ins Herz und belebte durch Gottes Gnade ihre frühere Zuversicht zu ihrem Gott, dem lebendigen Gott. Auf solche Weise mögt auch ihr euch zurecht helfen. Fragt euren unter dem Druck der Sorgen und des Kummers dahinsinkenden Mut: Lebt denn dein Gott nicht mehr? Warum denn so verzagt? Was ist’s, dass dein Herz in dir erstirbt, wenn dir Irdisches genommen wird? Kann der Ewiglebendige nicht deine ersterbenden Hoffnungen mit Ewigkeitsleben erfüllen? Oliver Heywood 1672.


V. 48f. Engl. Übers.: Es ist Gott, der usw. "Mein Herr, dies ist nichts anders denn Gottes Hand, und ihm allein gebührt die Ehre, in die kein anderer mit ihm sich teilen soll. Der Heerführer diente Euch mit ganzer Treue und ist Eures vollen Dankes würdig; aber das beste Lob, das ich ihm geben kann, ist dies, dass ich es wagen darf zu sagen, dass er alles Gott zuschreibt und lieber umkommen, als sich die Ehre zueignen wollte." - Schreiben Oliver Cromwells an den Sprecher (Präsidenten) des Unterhauses nach der Schlacht von Naseby, am 14. Juni 1645.


V. 50. Ich bewundere den König David viel mehr noch in diesem Lobgesang, als bei seinen Heldentaten. Denn im Kampf überwand er alle seine Feinde; aber in solchem Lobgesang zu Ehren seines Gottes überwand er sein eigenes Ich. Thomas Playfere 1604.


Homiletische Winke

V. 2. Der Liebe Entschluss, der Liebe Logik, der Liebe Anfechtung, der Liebe Sieg.
V. 3. Die Vortrefflichkeit Jahwes in der Mannigfaltigkeit ihrer Erweisungen gegen die Seinen.
  Gott das allgenügsame Teil der Seinen.
V. 4. Gebet und Lobpreis; ihr Erfolg, im Glauben vorausgenommen.
V. 5-7. Treffendes Bild einer bedrängten Seele; ihre Zuflucht in der Stunde der höchsten Angst.
V. 6a. Der Zustand der Seele unter der Überzeugung der Sünde.
V. 6b. Wie uns überall Fangstricke entgegenstarren, die satanische List uns legt, um uns den Tod zu geben. (Wörtl.: Es starrten mir die Schlingen des Todes entgegen)
V. 7. Die rechte Zeit und rechte Weise des Gebets; Gottes Hören und Erhören.
V. 8. Wie vor dem Zorne Gottes alles erbebt.
V. 11. Himmlische und irdische Kräfte den göttlichen Zwecken dienstbar.
V. 13. Hagel und Feuerkohlen. Das Schreckliche in seiner Beziehung zu Jahwe.
V. 17. Der Christ gleich Mose aus dem Wasser gezogen. Der ganze Vers ein feiner Predigttext, den man auch sonst mit Bildern aus dem Leben Moses erläutern kann.
V. 18. Des Gläubigen Triumphlied über Satan, den starken oder grimmen Feind (Grundtext Einzahl), und alle andern Widersacher.
V. 18b. Denn sie waren mir zu mächtig. (Grundtext) Ein seltsamer, aber stichhaltiger Grund, göttliche Hilfe zu erwarten.
V. 19. Des Feindes List: Sie fielen mich an zur Zeit meines Unglücks. Des Feindes Ohnmacht: Aber der Herr ward meine Stütze.
V. 20. Der Grund der Gnade, und der Stand, in den die Gnade ihre Auserwählten versetzt.
V. 21f. Reinheit des Wandels, ihr Maß, ihre Quelle, ihr Segen und ihre Gefahren.
V. 23. Die Notwendigkeit, das Heilige heilig zu halten, und die Gottlosigkeit, es gleichgültig zu vernachlässigen.
V. 24. Der redliche Christ und sein Verhalten zur Sünde.
  Peccata in deliciis. Eine Predigt über Schoßsünden.
  Der sichere Prüfstein völliger Hingabe an Gott.
V. 26-27. Das Echo der Vorsehung, der Gnade und des Gerichts. Die Gerechtigkeit des göttlichen Handelns gegen die Menschenkinder.
V. 28. Tröstliche Aussicht für die Elenden, trostlose für die Stolzen.
V. 28b. Wie der Herr die hohen Augen erniedrigt - in Gnade und Gericht - bei Frommen und bei Sündern, usw. Ein umfassendes Thema.
V. 29. Eine tröstliche Hoffnung für eine traurige Lage.
V. 30. Heldentaten des Glaubens. Ihre Verschiedenheit, ihre Schwierigkeit und Leichtigkeit, ihre Vollkommenheit und Tadellosigkeit.
V. 31. Gottes Weg, Gottes Wort und Gottes Wehr.
V. 32. Eine Herausforderung 1) an die Götzen: Welt, Lust, Mammon usw. Wer unter diesen verdient den Namen eines Gottes? 2) an die Felsen: Selbstvertrauen, Aberglauben usw. Worauf darf man trauen?
V. 33-35. Harte Proben, gnädige Unterweisungen, wertvolle Fähigkeiten, sichere Stätten, dankerfülltes Bekenntnis.
V. 36. Der Schild deines Heils. 1) Was ist darunter zu verstehen? Der Glaube. 2) Woher stammt er? Du gibst mir usw. 3) Was sichert er? Das Heil. 4) Wer empfängt ihn?
V. 37. Die Freundlichkeit des Herrn in der Zuteilung unseres Loses.
V. 40. Der Ritter vom roten Kreuz, gewappnet zum Kampfe.
V. 42. Nutzlose Gebete - auf Erden und in der Hölle.
V. 43. Der sichere Untergang und die schließliche Schmach alles Bösen.
V. 44b. Unsere natürliche sündliche Entfremdung von Christus - kein Hindernis für die Gnade.
V. 45. Die schnellen Fortschritte des Evangeliums an manchen Orten, verglichen mit den langsamen an anderen Orten. Ernste Erwägungen.
V. 47. Der lebendige Gott. Wie wir ihn loben und erheben sollen.
V. 51. Die Größe des Heils. Sein Vermittler; der König. Seine Dauer: ewig.

Fußnoten

1. Andere übersetzen: "Gepriesen", rief ich (oder rufe ich stets), ist (oder sei) "Jahve", da wurde (oder werde ich) usw. Man fasst die Worte hOfhy: llfIhum: dann als den Schlachtruf Davids auf, wie denn Bäthgen daraus hinweist, dass tahlil noch heute bei den Arabern der Schlachtruf ist.

2. Andere übersetzen: des Verderbens. Ableitung und Bedeutung des Wortes Belial sind zweifelhaft. In späterer Zeit wurde es als Name für den Satan gebraucht.

3. Durch den großen Zulauf zu seinen Predigten war Spurgeon mehrere Jahre, bis zur Erbauung des Metropolitan Tabernacle im Jahre 1861, genötigt, die größten Lokale Londons zu benutzen. Am Abend des 19. Okt. 1856, als Spurgeon unter ungeheurem Zudrang den ersten Gottesdienst in der Surrey Music Hall hielt, erscholl während des Gebets der Ruf "Feuer". Es war blinder Lärm, wahrscheinlich von ruchlosen Leuten verursacht, um den Gottesdienst zu stören. Es entstand eine Panik, die Leute drängten, besonders von den Galerien, nach den Ausgängen, und die Folge war, dass sieben Menschen erdrückt und 28 erheblich verwundet wurden. Der erst 22-jährige Prediger, der keine Ahnung hatte, dass an den Ausgängen Menschen mit dem Tode rangen, bot alles auf, die Leute zu beruhigen. Schließlich aber brach er zusammen. Sein Nervensystem hatte einen furchtbaren Schlag erlitten. Erst später erfuhr er, mit welcher Flut von Schmähungen die Presse ihn, den völlig Unschuldigen, überhäuft hatte. Noch Jahrzehnte später konnte ihn die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis überwältigen. Näheres ist zu ersehen aus den Biografien Spurgeons, z. B. der gedrängten, aber trefflichen: "Ein Fürst unter den Predigern", von R. Schindler 1892.

4. Die LXX u. darnach auch die engl. Bibel übers. yl"b:xe V. 5a und 6a durch Wehen, von lbex". Da der st. constr. plur. dieses Wortes mit dem von lbexe Strick gleich lautet, muss der Zusammenhang entscheiden. V. 6b spricht für Luthers Fassung.

5. Andere, z. B. Delitzsch, übersetzen: Von dem Glanze vor ihm durchfuhren seine Wolken (Objekt) Hagel und Feuerkohlen.

6. Die Vers 22-25 fasst man jedenfalls besser auch (wie den vorhergehenden Abschnitt) als Rückblick auf und übersetzt sie daher im Imperf. oder Perfekt. Bei V. 21 ziehen wir jedoch das Präsens vor.

7. Cru)f entweder gleich Cro)f von Ccarf zerschmettern, so Luther, auch Delitzsch, oder gleich CWr)f von CWr laufen, hier mit Akk.: anrennen, so die engl. Übers. u. manche Ausleger, z. B. Keßler.

8. hwfnf(A ist nicht die Beugung (Demütigung), welche Gott an ihm vollzogen hat wie Luther es ausgesagt hat, sondern die eigene Beugung (Herablassung) Gottes.