Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 21 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Die Überschrift ist sehr knapp, sie lautet einfach: Ein Psalm Davids, vorzusingen. Der Psalm ist demnach wahrscheinlich von David selbst gedichtet worden. Er handelt aber auch von David, und seinem tiefsten Sinne nach von dem, der Davids Herr war. Er ist offenbar das Seitenstück zu dem Psalm 20 und folgt diesem daher sehr passend unmittelbar. Psalm 20 erbittet und nimmt im Glauben voraus, was im Ps. 21 als erfüllt besungen wird. Haben wir heute um eine Wohltat gebeten und sie erhalten, so ziemt es uns, ehe die Sonne untergeht, Gott dafür zu preisen; sonst verdienen wir es, dass uns das nächste Mal unsere Bitte abgeschlagen wird. Der Psalm ist Davids Triumphgesang genannt worden, und wir wollen ihn als das königliche Siegeslied unserm Gedächtnis einprägen. "Der König" ist das vorherrschende Thema in dem ganzen Lied und wir werden dieses mit wahrem Nutzen lesen, wenn wir unseres Königs in Liebe gedenken, während wir es betrachten. Lasst uns ihn ehren als den Sieger, lasst uns von seiner Liebe singen und rühmen von seiner Macht. Der nächste Psalm wird uns zum Fuße des Kreuzes bringen; dieser geleitet uns zu den Stufen des Thrones.

Einteilung. V. 2-7 Danksagung für den Sieg; V. 8-14 zuversichtlicher Ausblick auf ferneres Siegesglück.


Auslegung

2. Herr, der König freuet sich in deiner Kraft,
und wie sehr fröhlich ist er über deiner Hilfe!
3. Du gibst ihm seines Herzens Wunsch,
und weigerst nicht, was sein Mund bittet. Sela.
4. Denn du überschüttest ihn mit gutem Segen,
du setzt eine güldene Krone auf sein Haupt.
5. Er bittet Leben von dir; so gibst du ihm
langes Leben immer und ewiglich.
6. Er hat große Ehre an deiner Hilfe;
du legst Lob und Schmuck auf ihn.
7. Denn du setzt ihn zum Segen ewiglich;
du erfreust ihn mit Freude vor deinem Antlitz.


2. Herr, der König freut sich in deiner Kraft, wörtl. über deine Stärke, nämlich die du ihm gewährt hast. Jesus ist eine königliche Persönlichkeit. Pilatus hat auf seine Frage: "So bist du dennoch ein König?" eine klare Antwort bekommen: "Du sagst’s, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll" (Joh. 18,37). Und Jesus ist nicht nur ein König, sondern der König, der König über die Herzen, der durch Liebe herrscht, und gegen dieses Regiment ist alle andere Herrschaft nur rohe Gewalt. Gerade am Kreuz wurde er als König ausgerufen; denn dort herrschte er, für den Blick des Glaubens, als auf einem Thron und ließ mit mehr denn königlicher Freigebigkeit Ströme des Segens auf die bedürftigen Menschenkinder fließen. Jesus hat das Heil der Seinen ausgewirkt; aber als Mensch fand er seine Kraft in Jahwe, seinem Gott, an den er sich mit seinem Flehen in der Einsamkeit der Berge und in der feierlichen Stille des dunkeln Ölgartens wandte. Dass dem Messias so reichlich solche Kraft verliehen worden, erkennt die Gemeinde in unserm Vers dankbar an und freut sich mit darüber. Der Mann der Schmerzen ist nun gesalbt mit dem Öl der Freuden über seine Genossen (Hebr. 1,9). Im Triumph ist er vom Sieg über alle seine Feinde zurückgekehrt; nun bringt er im obern Heiligtum sein herrliches Te Deum dar und freut sich in oder ob der Kraft des Herrn. Darin möge jeder Untertan des Herrn Jesus diesem seinem König nachahmen. Lasst uns auf Jahwes Kraft uns stützen, lasst uns in ihr uns freuen in unwandelbarem Glauben, lasst uns sie erheben in dankerfüllten Lobgesängen. Diese Freude Jesu ist beständig; sieht er doch, wie die Macht der göttlichen Gnade eine Seele nach der andern als den Lohn seiner Schmerzen aus den dunkeln Höhlen der Sünde herausbringt. Auch wir sollen immer mehr uns freuen, je mehr wir durch Erfahrung am eigenen Herzen und an andern die Macht unseres Bundesgottes kennen lernen. Unsere Schwäche macht die Saiten unserer Harfe schlaff und tonlos; aber seine Kraft stimmt sie wieder. Können wir auch nicht einen Ton zu Ehren unserer Stärke singen, so mögen wir doch in jeder Lebenslage über unseren allmächtigen Gott frohlocken.
  Und wie sehr fröhlich ist er über deiner Hilfe oder über deinem Heil. Gott wird alles zugeschrieben. Die Quelle ist "deine Kraft", der Strom "dein Heil". Jahwe hat dies Heil geplant und verordnet, er wirkt es und vollendet es; darum ist es sein Heil. Die Freude, von der hier die Rede ist, wird in doppelter Weise als groß hervorgehoben: durch das Umstandswort "so sehr" und den Ausruf der Verwunderung "o wie": Wie so sehr frohlockt der König! Die Freude unseres erhöhten Heilands muss in der Tat, gleich seiner vorher erlittenen Seelenpein, unaussprechlich groß sein. Wenn seine Freude so hoch ist, wie sein Leiden tief war, so ragt seine heilige Wonne in den siebten Himmel. Um der ihm vorgesetzten Freude willen erduldete er das Kreuz und achtete der Schande nicht (Hebr. 12,2 Grundtext); und jetzt wächst diese seine Freude von Tag zu Tag, denn er ruht von seinem Werke und schaut mit Wonne, wie die durch ihn erlösten Seelen in gottgewollter Ordnung dazu gebracht werden, in seinem Blute ihr Heil zu finden. Lasst uns mit unserm König uns freuen über dieses Heil, uns freuen, dass es von Gott kommt, sich uns darbietet, auch auf andere sich erstreckt und bald alle Lande umfassen wird. Wir brauchen nicht zu besorgen, dass unsere Freude in diesem Stück zu groß werden könnte; der Grund ist so fest, dass er wohl einen hoch in die Lüfte ragenden Bau heiliger Freude trägt. Das Gejauchze, das unsere methodistischen Brüder in den ersten Zeiten im Überschwang der Freude vernehmen ließen, war weit verzeihlicher als unsere Lauheit. Unsere Freude sollte so groß sein, dass sie nach dem Ausdruck ringen muss; unaussprechliche Wonnen sollten unser Herz erfüllen.

3. Du hast ihm gegeben (Grundtext) seines Herzens Wunsch. Dieser sein Herzenswunsch war, sein Volk zu erlösen, und mit inbrünstigem Eifer hatte er ihn, als er auf Erden war, durch sein Bitten, Tun und Leiden zu erreichen gesucht. Jetzt, da er im Himmel ist, genießt er die Erfüllung seines Wunsches; denn er sieht die Seinen zu sich kommen, um bei ihm zu sein, wo er ist. Das Begehren des Herrn Jesus kam aus seinem Herzen, und der Höchste hat es ihm gewährt; sind unsere Herzen rechtschaffen vor Gott, so werden auch wir erfahren, dass er tut, was die Gottesfürchtigen begehren (Ps. 145,19).
  Und hast das Verlangen seiner Lippen nicht verweigert. (Wörtl.) Was im tiefen Brunnen des Herzens ist, das bringen die Lippen wie ein Schöpfeimer heraus. Das sind die einzig rechten Gebete, wo zuerst das Herz begehrt und dann erst der Mund bittet. Jesus hat sowohl mit den Lippen als mit dem Herzen gebetet. Das Aussprechen der Gedanken des Herzens unterstützt uns wesentlich im Denken. Viele machen wohl mit uns die Erfahrung, dass wir, selbst in der Einsamkeit, unsere Gedanken besser sammeln können, wenn wir laut beten. Was der Heiland erbat, wurde ihm nicht verweigert. Er war und ist ein Beter, der allezeit mit seinen Bitten durchdringt. Unser Fürsprecher droben kommt nie leer vom Gnadenthron zurück. Er bat in der himmlischen Ratskammer für seine Auserwählten, bat für sie um Segen hienieden und um ewige Herrlichkeit danach und sein Bitten hatte vollkommenen Erfolg. Er ist bereit, auch für uns am Gnadenthron zu flehen. Haben wir nicht in dieser Stunde ein Begehren, das wir durch ihn zum Vater emporsenden können? Lasst uns nicht säumig sein, unseren allezeit willigen und von Liebe brennenden, erfolgreichen Fürsprecher in Anspruch zu nehmen.
  Sela. Die Pause ist hier sehr angemessen eingefügt, damit wir den herrlichen Erfolg der Gebete unseres Königs anbetend bewundern und unsere eigenen, durch ihn vor Gott zu bringenden Bitten zurüsten können. Es möchte sehr nützlich sein, wenn wir auch in unseren öffentlichen Gottesdiensten - der Psalm war ja nach der Überschrift zum Gebrauch im öffentlichen Gottesdienst bestimmt - ein wenig mehr solcher Selas, solcher stillen Pausen, hätten.

4. Denn du überschüttest ihn mit gutem Segen (wörtl.: kommst ihm entgegen oder zuvor mit Segnungen an Gutem, vergl. denselben Ausdruck Spr. 24,25). Ja, wahrlich, der Ewige kam seinem geliebten Sohne mit Segnungen entgegen. Schon ehe dieser sein Leben für die Welt dahingegeben hatte, wurden die Gläubigen des alten Bundes auf Grund des Verdienstes seines künftigen Sühntodes des Heils teilhaftig; noch ehe er in die Welt kam, sahen die Glaubensväter seinen Tag und freuten sich (Joh. 8,56) und er selber hatte damals schon seine Lust bei den Menschenkindern (Spr. 8,31). Der Vater ist so geneigt, durch seinen Sohn Segnungen auszuteilen, dass er, statt zum Erweisen von Gnade erst gedrängt werden zu müssen, dem Mittlerwerk zuvorkommt. "Ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb." (Joh. 16,26 f.) Ehe Jesus ruft, antwortet der Vater; während er noch redet, hört er (Jes. 65,24). Allerdings wurde uns Gottes Gnade durch das Blut des Sohnes erworben; aber diese Gnade wurde von Herzen gern gegeben. Die Liebe Jahwes hat nicht ihren Grund in dem Opfer des Erlösers; vielmehr ging diese Liebe der großen Sühne vorher und bereitete diese mit allen aus ihr hervorgegangenen Segnungen an Gutem für uns. Lieber Leser, es wird dich sehr glücklich machen, wenn du, gleich deinem Erlöser, dafür ein offenes Auge hast, wie Gottes Vorsehung und Gnade dir zuvorkommt, für alle deine Bedürfnisse vorher sorgt und deinen Weg vor dir bereitet. Bei vielen unter uns war es sehr augenscheinlich der Fall, dass die Gnade unseren Wünschen und Bitten zuvorlief; stets ist es so, dass sie unsere Bemühungen und Erwartungen überflügelt und selbst unsere kühnsten Hoffnungen hinter sich zurücklässt. Die vorlaufende Gnade ist es wert, besungen zu werden. Alles, was wir an Gutem haben, sollen wir als Segnungen, als Gaben des gnädigen Gottes ansehen, dessen Herzenslust es ist, uns zu gesegneten Menschen zu machen. Nicht aus Verdienst, sondern aus freier Gnade werden uns diese Segnungen an Gutem zuteil, und zwar in solch wunderbarer, all unserm Tun und Wollen vorlaufender Weise, dass uns darin die Liebe Gottes in überwältigender Weise entgegentritt. Wie lieblich tönt uns dieser Vers ins Herz hinein, wenn wir ihn so betrachten!
  Du setzest eine güldene Krone auf sein Haupt. Einst trug Jesus die Dornenkrone, jetzt aber schmückt die Krone der Herrlichkeit sein Haupt. Die Krone ist das Wahrzeichen des königlichen Adels und der Herrschermacht, der dem Träger gebührenden Ehre, seiner Siegesherrlichkeit und göttlichen Vollmacht. Diese Krone des Herrn ist von dem kostbarsten, seltensten, leuchtendsten und dauerhaftesten Material, von Gold, und zwar nach dem Grundtext von dem feinsten Golde, womit die alle andern Königsthrone übertreffende Herrlichkeit seines Reiches angedeutet sein mag. Während andere Monarchen es - besonders in unserer Zeit - erfahren, dass die Krone ihnen gar locker auf dem Haupt sitzt, ist die seine fest und unbeweglich, dass keine Macht sie ihm rauben oder auch nur bewegen kann; denn der Ewige selbst hat sie ihm aufs Haupt gesetzt. Napoleon krönte sich selber; den Herrn Jesus hat Jahwe gekrönt. Das Reich des einen zerschmolz wie Wachs in einer Stunde, der andere hat ein ewiges Reich.

5. Leben erbat er von dir; du hast es ihm gewährt: Lebenslänge immer und ewiglich. (Grundtext) Die ersten Worte mögen auf David persönlich passen; die andern können sich, individuell gefasst, nur auf den Messias beziehen, denn diesem allein wurde Lebenslänge immer und ewiglich gewährt. Jesus bat als Mensch um Auferstehungsleben; es ist ihm gewährt worden und jetzt besitzt er es für die Ewigkeit der Ewigkeiten. Einst starb er; aber nachdem er von den Toten erweckt ist, stirbt er hinfort nicht; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen (Röm. 6,9). "Ich lebe und ihr sollt (eben darum) auch leben": diese Worte unseres Erlösers sind uns ein lieblicher Hinweis darauf, dass wir an seinem ewigen Leben teilhaben sollen. Wir hätten dies Kleinod nie gefunden, wenn er nicht den Stein weggerollt hätte, der es verdeckt hielt.

6. Groß ist seine Ehre durch deine Hilfe (wörtlich). Er, der einst sein Kreuz zur Schädelstätte hinaustrug, hat jetzt die Siegespalme in der Hand. Der Vater hat den Sohn verklärt, so dass keine Herrlichkeit derjenigen gleichkommt, die ihn umgibt. Siehe, wie er von Johannes in der Offenbarung (Kap. 1) beschrieben wird. Siehe, wie sein Reich sich erstreckt von einem Meer bis ans andere. Siehe, wie seine Herrlichkeit sich offenbart als ein flammendes Feuer. Herr, wer ist dir gleich? Auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit kann nicht von ferne mit dir, dem einst so verachteten Jesus von Nazareth, verglichen werden.
  Du legest Lob (Hoheitswürde) und Schmuck (Pracht, Herrlichkeit) auf ihn, wie man in der Welt Fürsten und große Männer mit Orden und Ehrenzeichen schmückt. Wie das Holz der Stiftshütte mit lauterem Gold bedeckt war, so ist Jesus mit Hoheit und Herrlichkeit bekleidet. Wenn den geringen Nachfolgern Jesu nach des Apostels Worten (2. Kor. 4,17, wörtl.) "auf überschwängliche Weise bis zur Überschwänglichkeit eine ewige Schwere (wuchtige Fülle) der Herrlichkeit" bereitet ist, welcher Art muss die Herrlichkeit ihres Herrn sein! Das ganze Gewicht der Sünde war ihm aufgebürdet; es ist nur billig, dass auch das Vollmaß der Herrlichkeit auf ihn gelegt werde, der diese Sündenlast der ganzen Welt hinweggetragen hat. Er muss und will eine Herrlichkeit erlangen, die seiner vorigen Schmach das Gleichgewicht hält; er hat es verdient. Wir können Jesus nicht zu hoch ehren. Was Gottes Wonne ist, nämlich den Sohn zu ehren, das sollen wir sicherlich mit äußerster Anstrengung aller unserer Kräfte tun. O dass wir einen neuen Edelstein der Krone dessen einfügen könnten, dessen Haupt einst so schmerzlich für uns von den Dornen verwundet wurde!

  Dem König, welcher Blut und Leben
  Dem Leben seiner Völker weiht,
  Dem König werde Preis gegeben!
  Erzählt sein Lob der Ewigkeit!
  Singt alle Wunder, die er tut;
  Doch über alles rühmt sein Blut!

7. Denn du setzt ihn zum Segen (Grundtext Mehrzahl: zur Segensfülle1 ewiglich. Er ist ein überfließender Brunnquell des Segens für andere, eine Sonne, die das Weltall mit Licht erfüllt. Gemäß dem Schwur Gottes an Abraham ist der verheißene Same ein Segen (1. Mose 12,2), ja mehr als das, eine Segensfülle für alle Geschlechter der Erde. Dazu ist er gesetzt, verordnet, bestimmt; gerade zu dem Zweck hat der Ewige ihn im Fleisch erscheinen lassen, damit er den Menschen ein Segen sei und das ewiglich. Ach, dass die Sünder verständig wären, den Heiland dazu zu gebrauchen, wozu er gesetzt ist, nämlich eben der Heiland der Verlorenen und Schuldbeladenen zu sein!
  Du erfreuest ihn mit Freude vor (eigentlich, vergl. Ps. 16,11: in Gemeinschaft mit) deinem Antlitz. Wer andern so viel Glück bringt, kann nicht anders als selber glücklich und fröhlich sein. Schon das kein Ende nehmende Erweisen ungemessener Wohltaten würde Jesu eine unermessliche Freude sichern. Aber seine höchste Freude kommt von der Huld seines Vaters, von der trauten Gemeinschaft mit dem Angesicht des Herrn. Er trinkt von dem kristallklaren Wasser dieses Stroms und begehrt keines andern. Seine Freude ist vollkommen. Ihre Quelle ist göttlich, ihre Dauer ewig, ihr Maß ohne Maß. Das Antlitz Gottes macht den himmlischen König froh; wie eifrig sollten wir dann das Antlitz des Herrn suchen und wie sorgsam sollten wir sein, dass wir nicht durch Sünde Gott nötigen, es vor uns zu verbergen! In freudiger Vorempfindung dürfen wir der Stunde entgegeneilen, wo die Freude unseres Herrn sich auf alle die Seinen ergießen und das Antlitz Jahwes über allen teuer erkauften Seelen leuchten wird und wir so werden "eingehen zu unsers Herrn Freude" (Mt. 25,21).
  Bis hierher ist alles ein herrlicher Triumphgesang gewesen. Lasst uns in ihn einstimmen, denn Jesus ist unser König, und wir haben an seinen Siegen teil.


8. Denn der König hofft auf den Herrn
und wird durch die Güte des Höchsten fest bleiben.
9. Deine Hand wird finden alle deine Feinde;
deine Rechte wird finden, die dich hassen.
10. Du wirst sie machen wie einen Feuerofen,
wenn du drein sehen wirst;
der Herr wird sie verschlingen in seinem Zorn;
Feuer wird sie fressen.
11. Ihre Frucht wirst du umbringen vom Erdboden
und ihren Samen von den Menschenkindern.
12. Denn sie gedachten dir Übels zu tun,
und machten Anschläge, die sie nicht konnten ausführen.
13. Denn du wirst machen, dass sie den Rücken kehren;
mit deiner Sehne wirst du gegen ihr Antlitz zielen.
14. Herr, erhebe dich in deiner Kraft,
so wollen wir singen und loben deine Macht.


8. Denn der König vertraut (Grundtext) auf den Herrn. Unser Heiland war als ein rechter König und Führer ein Meister im Gebrauch der Waffen und verstand es trefflich, den Schild des Glaubens zu handhaben. Er hat uns ein leuchtendes Vorbild unwandelbaren Vertrauens auf Gott gegeben. Er wusste sich in seines Vaters Obhut unbedingt sicher, bis seine Stunde gekommen war; er war gewiss, dass sein Flehen allezeit im Himmel Erhörung finde; er stellte seine Sache dem heim, der da recht richtet, und befahl in seinen letzten Augenblicken seinen Geist in dieselben treuen Hände. Die Freude, die in den vorigen Versen zum Ausdruck gekommen war, war die Freude des Glaubens, und der errungene Sieg war ebenfalls nichts anderes als ein Erfolg des Glaubens. Die heilige Glaubenszuversicht auf den allmächtigen Bundesgott ist die Mutter aller echten Siege. Dieser Triumphpsalm wurde gedichtet, lange ehe der Kampf unseres Erlösers begann; aber der Glaube überspringt die Schranken der Zeit und stimmt schon das Siegeslied an, während der Schlachtruf noch erschallt.
  Und wird durch die Güte (die Gnade) des Höchsten fest bleiben (wörtl.: nicht wanken). Die ewige Gnade sichert den Thron unseres Mittlers. Jahwe, der in jedem Verstand des Wortes Höchste, setzt alle seine unendlichen Vollkommenheiten in Tätigkeit, um den Thron der Gnade zu erhalten, auf dem unser König zu Zion regiert. Der Messias blieb fest an seinem Vorsatz der Erlösung, fest auch im schwersten Leiden, fest gegenüber allen seinen Feinden und niemand wird ihn von der Vollendung seiner Gnadenabsichten abbringen können. Er ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Andere Reiche wanken und weichen im Lauf der Zeiten; aber sein Reich wird durch die ewige Gnade in die Ewigkeit der Ewigkeiten nicht wanken. Andere Könige fallen, weil sie sich auf den Arm des Fleisches stützen; unser Monarch aber herrscht immerdar, weil er auf den Ewigen vertraut. Gottes Güte gegen die Menschenkinder erweist sich darin aufs Herrlichste, dass der Thron des Herrn Jesus noch immer unter ihnen aufgerichtet steht. Nur Gottes große Güte konnte ihn bisher erhalten; denn die menschliche Bosheit würde ihn morgen umstürzen, wenn sie es vermochte. Es gilt, dass wir in Betreff der Förderung des Königreichs unseres Erlösers auf Gott unser Vertrauen setzen; denn auf Jahwe traute auch der Messias selber. Jede Methode vermeintlicher Reichsgottesarbeit, die nicht aus dem Glauben kommt, und vornehmlich alles Vertrauen auf bloß menschliche Kraft und Fähigkeit muss für immer aus einem Reich verbannt sein, in welchem der König solch ein Vorbild eines Wandels im Vertrauen auf Gott gegeben hat.

9. Deine Hand wird reichen an alle deine Feinde; deine Rechte wird erreichen, die dich hassen.2 Der Untergang der Gottlosen ist den Freunden der Gerechtigkeit eine Ursache der Freude; darum wird er hier und in den meisten Liedern, welche die Heilige Schrift enthält, mit innigem Dank erwähnt. "Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl", das ist ein Satz aus demselben Lobgesang, der rühmt: "und erhebt die Niedrigen" (Lk. 1,52). Wir haben tiefes Mitleid mit den Verlorenen, denn sie sind unsere Brüder nach dem Fleisch; aber wir können kein Mitleid mit ihnen als Feinden Christi haben. Keiner von ihnen vermag dem Zorne des siegreichen Gesalbten Jahwes zu entfliehen; auch ist nicht zu wünschen, dass sie es könnten. Seine Hand wird seine Feinde finden, ohne dass er sich nach ihnen umsieht; lass sie fliehen; seine Gegenwart umgibt sie überall. Alle Hoffnung, ihm zu entrinnen, ist vergeblich. Er wird alle seine Feinde ausfindig machen: seine wohlgeübte Rechte wird sie schnell und leicht ergreifen, und an Macht, sie zu züchtigen, wird’s ihm nicht fehlen. Wenn er erscheint, die Welt zu richten, dann werden die harten Herzen vor Schrecken vergehen und die stolzen Geister, die vordem so frech ihrem Hass gegen den Gesalbten des Herrn Ausdruck gegeben hatten, zu tiefer Schmach erniedrigt werden.

10. Du wirst sie machen wie einen Feuerofen, wenn du drein sehen wirst, wörtl.: zur Zeit deines Angesichts, d. h. deines Erscheinens. Sie werden sich selber wie ein lodernder Ofen und so ihre eigenen Peiniger sein. Die wider dich in Hass entbrannt waren, werden durch das Feuer deines Zornes verbrannt werden. Dem Feuer der Sünde folgt das Feuer des Zornes. Wie einst der Rauch von Sodom und Gomorra gen Himmel aufstieg (1. Mose 19,28), so werden die Feinde des Herrn Jesus gänzlich verzehrt werden. Wie Reisigbündel, die im Ofen auflodern, werden sie in den wütenden Flammen des göttlichen Zornes brennen. Sie werden in den Feuerofen geworfen werden; da wird sein Heulen und Zähneklappen (Mt. 13,42). Das sind schreckliche Worte, und es ist ein gefährliches Unternehmen, ihre Wucht durch spitzfindige Grübeleien abzuschwächen. Wer möchte den Sohn Gottes zum Feinde haben, wenn seiner Widersacher solches Verderben wartet? Zur Zeit deines Erscheinens: Jetzt ist die Zeit der Gnade; es ist aber eine Zeit bestimmt, wo der Herr zum Gericht erscheint. Es gibt einen Tag der Rache unseres Gottes. Mögen die, welche die Zeit der Gnade verachten, das zu Herzen nehmen.
  Der Herr wird sie verschlingen in seinem Zorn; Feuer wird sie fressen. Der Ewige wird selbst die Feinde seines Gesalbten in seinem Zorn heimsuchen, und zwar so, dass eine völlige Zerstörung über sie kommt und beides, ihr Leib und ihre Seele, vom Elend verschlungen und von der Angst verzehrt werden. Wehe des zukünftigen Zornes! Wer mag ihn ertragen? Herr, erlöse uns von ihm um Jesu willen!

11. Ihre Frucht wirst du umbringen vom Erdboden. Ihr ganzes Lebenswerk 3 wird verloren sein und das Ergebnis all ihrer Mühe wird eine große Enttäuschung sein. Womit sie sich gebrüstet hatten, das wird in Vergessenheit versunken sein; sogar ihre Namen werden als ein Gräuel ausgetilgt werden: und ihren Samen von den Menschenkindern. Ihre Nachkommenschaft, die in ihren Fußstapfen wandelt, wird von dem gleichen Verderben ereilt werden, das über sie selber gekommen war, bis schließlich der letzte Rest des Stammes gänzlich verschwunden sein wird. Es ist unzweifelhaft, dass der Segen Gottes von den Gerechten oft fast wie ein Familienerbstück auf Kind und Kindeskind übertragen wird, während der Gottlose bei seinem Tode seinen Nachkommen den Fluch hinterlässt. Wer den Sohn Gottes hasst, soll sich nicht wundern, wenn seine eigenen Söhne bei Gott keine Gunst finden.

12. Denn sie gedachten dir Übels zu tun, buchstäblich: neigten Böses auf dich hernieder4, d. i. legten es darauf an, dass Böses über dich hereinstürze. Gott achtet auf des Herzens Gedanken. Wer Böses über jemand bringen möchte, es aber nicht kann, ist ebenso schuldig wie der, welcher seine bösen Pläne ausführt. Die Gemeinde Christi und seine Reichssache wird nicht nur von solchen angegriffen, die ohne alles Verständnis sind, sondern es gibt viele, die zwar Licht haben, es aber dennoch hassen. Vorsätzliches Böses hat ein Gift in sich, das sich in Sünden der Unwissenheit nicht findet. Da die widergöttlich gesinnten Menschen das Evangelium Christi mit vorbedachter Arglist befeinden, ist ihre Schuld erschreckend groß, und ihre Strafe wird derselben entsprechen.
  Und machten (wörtl.: ersannen) Anschläge, die sie nicht konnten ausführen. Mangel an Macht ist das Bleigewicht an den Füßen der Widersacher des Herrn Jesus. An Gottlosigkeit, List und Bosheit zum Ersinnen von tückischen Anschlägen fehlt es ihnen wahrlich nicht; aber sie sind, Gott sei Dank, ohnmächtig, etwas auszuführen ohne Gottes Zulassung. Doch werden sie nach ihres Herzens Gedanken gerichtet werden, und an dem großen Tage der Rechenschaft wird der böse Wille für die Tat genommen werden. Wenn wir in unseren Tagen die prahlerischen Drohungen der Feinde des Evangeliums lesen, können wir zum Schluss je und je freudig die Worte unseres Verses wiederholen: Sie sind des nicht mächtig! (Wörtl.) Die Schlange mag zischen, aber der Kopf ist ihr zertreten; der Löwe mag brüllen, aber verschlingen kann er nicht; das Wetter mag donnern, aber es kann nicht einschlagen. Der Papst, der alte Riese, zerbeißt sich die Nägel vor Wut über die Zionspilger, aber er kann nicht ihre Gebeine zernagen wie ehedem.5 Mit scheußlichem Brummen und Knurren ziehen sich der Teufel und alle seine Verbündeten von den Mauern Zions zurück - "non possumus" (wir können nicht), denn Jahwe ist auf dem Plan.5

13. Denn du wirst machen, dass sie den Rücken kehren; mit deiner Sehne wirst du gegen ihr Antlitz zielen. Für eine Weile mögen die Feinde Gottes dreist vorrücken und alles über den Haufen zu werfen drohen; aber einige wenige Pendelschläge der Uhr und ihre Sache wird ein ganz anderes Ansehen haben. Erst gehen sie unverschämt genug vor; aber da tritt Gott ihnen entgegen und schon der erste Vorgeschmack der scharfen Gerichte Gottes bringt sie zu wirrer Flucht. Das Antlitz der Gottlosen ist die Zielscheibe für die Pfeile des Zornes des Allmächtigen. Welch schreckliche Lage! Zur Beleuchtung dieser Worte erinnere man sich an das Schicksal Jerusalems bei der Belagerung durch die Römer oder man lese, als Beispiel von Gottes Gerichten an Einzelnen, den Bericht von dem schauerlichen Ende des Rechtsgelehrten Francesco Spiéra zu Padua im 16. Jahrhundert, der seinen evangelischen Glauben verleugnet hatte und darauf, in der Überzeugung, die Sünde wider den heiligen Geist begangen zu haben, ein Raub der Verzweiflung wurde. Gottes Bogen fehlt nie; wer wollte seine Zielscheibe sein? Seine Pfeile sind scharf und durchbohren das Herz; wer möchte von ihnen getroffen werden? Wehe euch, ihr Feinde des Höchsten; euer Prahlen wird schnell zu Ende sein, wenn seine Pfeile auf euch zu fliegen beginnen!

14. Herr, erhebe dich in deiner Kraft. Ein lieblicher Schlussvers. Wir wollen in ihn einstimmen. Ja, Herr, erhebe dich, zeige deine Übermacht, lass deine Feinde deine starke Hand fühlen; so wollen wir singen und (mit Saitenspiel) loben deine Macht. Eine Zeitlang mögen die Heiligen trauern und ihre Harfen an die Weiden hängen; aber die glorreiche Erscheinung ihres göttlichen Helfers erweckt ihre Freude aus dem Schlummer. Alle Eigenschaften Gottes sind wohlgeeignet, von Herz und Mund besungen zu werden und wo wir seine Macht sich erweisen sehen, sollen wir sie erheben. Er hat unsere Befreiung allein zu Stande gebracht; er allein soll auch den Lobpreis dafür haben.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Der vorige Psalm war ein Gebet um Sieg für den König bei dessen Auszug zum Kampf. Dieser ist offenbar ein Te Deum bei seiner siegreichen Heimkehr. Es liegt sehr nahe anzunehmen, dass beide Psalmen sich auf denselben Krieg beziehen, und es bieten sich manche merkwürdige Berührungspunkte mit dem 2. Samuel 10-12, besonders 12,29-31 aus dem syrisch-am-monitischen Kriege Berichteten. Zu Ps. 21,4 könnte die Unterlage bilden, dass David sich nach 2. Samuel 12,30 die schwere goldene Krone des besiegten Ammoniterkönigs aufs Haupt setzte. "Jene Stelle (2. Samuel)", sagt Tholuck, "lautet so, als habe David vorher eines königlichen Diadems entbehrt. Ist dem wirklich so, so konnte David mit um so größerem Recht V. 4 die Güte Gottes preisen, welche es nun ungesuchterweise von einem feindlichen Haupt auf das seine übertrug." An den Feuerofen V. 10 erinnert, dass nach der Eroberung Rabbas ein Teil der Bevölkerung (nach der gewöhnlichen Deutung von 2. Samuel 12,31) in Ziegelöfen verbrannt wurde. (Andere Deutung G. Hoffmanns mit kleiner Änderung: Er ließ sie mit Ziegelformen arbeiten.) Sodann wurde nach 2. Samuel 12,29 der Fall Rabbas erst nach Davids persönlichem Erscheinen herbeigeführt, womit man die Worte V. 10: "zur Zeit deines Angesichts, d. h. deines Erscheinens" vergleichen kann. Endlich bildeten die in 20,8 erwähnten Kriegswagen und Rosse die besondere Stärke des syrischen Heeres, mit der es jedoch nach 2. Samuel 10,18 vor der Siegesmacht Davids jämmerlich zuschanden wurde. Diese Parallelen sind interessant; zwingende Kraft haben sie freilich nicht. - James Millard
  
Unser Psalm dankt nicht für einen einzelnen, dem Könige gewährten Sieg, sondern für Stärke und Heil überhaupt, für erteilte Herrschaft (vergl. in V. 4 das: "Du setzest auf sein Haupt eine Krone von Gold") und, was ganz entscheidend ist, für "Lebenslänge immer und ewig", V. 5. Der Psalm spricht den Dank des Volkes aus für die David in 2. Samuel 7 gewährten Verheißungen und die freudige Hoffnung auf Erfüllung derselben. Nur von dieser Ansicht aus erklärt sich V. 5, wonach dem Könige eine ewige Lebensdauer gewährt, V. 7, wonach er zum ewigen Segen gesetzt worden. Stellen, die jede Beziehung auf ein einzelnes königliches Individuum als solches ausschließen. Die an sich schon verwerfliche Annahme hyperbolischer Redeweise erscheint umso mehr als unzulässig, wenn wir die Verheißung in 2. Samuel 7 und die andern auf ihr ruhenden Psalmen, Ps. 89; 132; 110, vergleichen. Gerade so wie hier findet David in seinen letzten Worten in 2. Samuel 23 in der Verheißung des Herrn 1) die Bürgschaft des Heiles für sein Haus, V. 5, und 2) die Bürgschaft des Verderbens für seine Feinde, die Übeltäter, V. 6.7. Prof. E. W. Hengstenberg 1842.
  "Danach sah ich, und siehe, ein Stuhl (d. h. ein Thron) war gesetzt im Himmel, und auf dem Stuhl saß einer" (Off. 4,1 f.) - diese Worte könnten wir dem vorliegenden Psalm als Überschrift geben. Derselbe, sagt Hieronymus († 420), der im vorhergehenden Psalm betete als einer, der Knechtsgestalt angenommen hatte, erscheint in diesem als der König aller Könige und Herr aller Herren. Isaac Williams 1864.


V. 2. O wie gut ist’s, sich in der Kraft dessen zu freuen, dessen Arm nie schwach wird, und sich in dem Schatten der Flügel des Ewigen zu bergen, sich in Ihm zu freuen, der derselbe ist gestern, heute und in alle Ewigkeit! Denn wie Er ist, so wird auch unsere Freude sein: ewig, unveränderlich. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.
  Die Kraft und das Heil Gottes bedeuten, wie überall, so auch hier, dasjenige, wodurch uns Gott selig und stark macht; dass also diese Wörter mehr die Gaben Gottes, so er uns schenket, als Gott selbst, von dem sie herkommen, andeuten. Martin Luther 1519.


V. 3. Ihn hat herzlich verlangt, das Opferlamm zu essen (Lk. 22,15) und sein Leben nach seinem Willen zu lassen und wieder zu nehmen (Joh. 10,18), und du hast ihm seines Herzens Verlangen gewährt und hast seiner Lippen Begehr nicht verweigert (Grundtext). "Meinen Frieden", sprach er, "lasse ich euch" - und es geschah also. Aurelius Augustinus † 430.
  Gottselige Menschen bekommen für ihre Gebete ganz sicher entweder Geld oder Geldeswert wieder - das, worum sie gebeten, oder etwas Besseres. John Trapp † 1669.
  Die Ordnung ist hier gewiss schön, dass nämlich das Gebet des Herzens vorhergehen müsse, ohne welches das Gebet der Lippen ein unnützes Gemurmel ist. Martin Luther 1519.


V. 4. Es ist, als sagte David: Herr, ich habe nie ein Königreich begehrt, ja an solch hohe Dinge nicht einmal gedacht; aber du bist mir mit überreichen Segnungen an Gutem entgegengekommen. Es ist nichts Neues, dass Gott den Menschenkindern mit Liebe und Barmherzigkeit entgegen- und zuvorkommt. So hat er allezeit gehandelt, so handelt er heute, so wird er ferner handeln. "Komm und folge mir nach", spricht Christus zu Levi am Zollhaus und kommt ihm zuvor (Mt. 9,9). Und wie war es mit Paulus? "Ich war ein Lästerer und Verfolger und ein Schmäher; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren" (1. Tim. 1,13). Wie das? Hat er die Gnade gesucht? "Nein", sagt er, "ich schnaubte mit Drohen und Morden gegen Gottes Volk; aber der Herr begegnete mir und entwaffnete mich; Gott kam mir mit seiner Gnade und Barmherzigkeit zuvor." Und was denkt ihr von jenem ganzen fünfzehnten Kapitel im Lukas mit seinen drei Gleichnissen? Das Weib verlor ihren Groschen und kehrte das Haus, ihn zu finden. Trachtete der Groschen, wieder zu seiner Herrin zu kommen oder trachtete das Weib nach dem Groschen? Und das verlorene Schaf - suchte es zuerst den Hirten oder der Hirte das Schaf? Von dem verlorenen Sohne heißt es allerdings, er habe sich aufgemacht zu seinem Vater; aber es steht auch: "Da er noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, lief und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn." Soll uns dies alles nicht zeigen, wie herrlich sich die vorlaufende Gnade offenbart? William Bridge † 1670.
  Ein großer Teil der Segnungen an Gutem, die wir genießen, ist uns zuteil geworden vor unserem Suchen und Bitten. Das Leben, die Vernunft, die Geburt in eitlem christlichen Lande, die Berufung unseres Volkes zur Erkenntnis Christi, Christus selbst und tausend andere Dinge sind uns ungesucht gegeben worden, gerade wie dem König David das Anrecht auf den Königsthron. Niemand hatte noch um einen Erlöser gebeten, als Gott aus eigenem Antrieb den Weibessamen verhieß (1. Mose 3,15). William S. Plumer 1867.
  Weil er (Jesus) zuerst die Segnungen deiner Süßigkeit, 6 o Gott, in großen Zügen getrunken hatte, schadete ihm der bittere Kelch voll Galle unserer Sünde nicht. Aurelius Augustinus † 430.


V. 5. Er bittet Leben von dir; so gibst du ihm langes Leben immer und ewiglich. Dieses aber ist hier zu merken, dass der Prophet rühmen wollen, dass uns weit größere Dinge von Gott gegeben werden, als vorher von ihm erbeten worden, indem er spricht, es sei mit ganz schlechten Worten ums Leben gebeten worden, hernach aber mit desto prächtigern Worten sagt, dass ein langes und ewig dauerndes Leben verliehen worden. Also ist allezeit unsere Bitte geringer als die Gaben, die wir erhalten, wie Paulus Eph. 3,20 lehret. Martin Luther 1519.
  Die Worte dieses Verses: "Leben erbat er von dir; du gabst es ihm - Länge der Tage (d. h. langes Leben) für immer und ewig" bieten denjenigen keine Schwierigkeit, die den Psalm als unmittelbar messianisch auffassen. Die Worte legten es der späteren Gemeinde in der Tat sehr nahe, den Psalm auf den König Messias zu deuten. Wir finden diese Deutung schon im Targum und Talmud, dann bei vielen der älteren Ausleger. Raschi (d. i. Rabbi Salomo Isaaki, † 1105) gab den Rat, eben um der Christen willen diese messianische Deutung lieber aufzugeben (wie es ja auch bei Jes. 53 und andern Stellen geschehen ist). Nun ist die typisch -messianische Auffassung ohne allen Zweifel berechtigt; nichts deutet aber darauf hin, dass der Psalm hier nicht von David, sondern unmittelbar von dem Messias rede. Hengstenberg, Tholuck u. a. sehen in den Worten einen Widerhall der Verheißung 2. Samuel 7 von dem ewigen Königtum des Hauses David; aber abgesehen von dem kleineren Bedenken, dass die Gabe der ewigen Lebensdauer im Psalm als (überschwenglich große) Gebetserhörung dargestellt wird, wofür 2. Samuel 7 keinen Anlass bietet, klingt die Aussage im Psalm durchaus individuell, so dass jene Deutung nicht ganz befriedigt. Viele Ausleger erinnern daher an die Wünsche, welche an einigen Stellen einem König ausgesprochen werden, z. B. 1. Könige 1,31; Neh. 2,3; auch Ps. 61,7.8. Aber es ist doch ganz etwas anderes, ob ein Volk oder ein Untertan einem König den Glückwunsch ausspricht, dass seine Tage kein Ende nehmen mögen, oder ob es im Gebet in den stärksten Ausdrücken dankend vor Gott ausgesprochen wird, dass Gott dem König langes Leben für immer und ewig verliehen habe. Das entspricht, so individuell auf einen König Israels bezogen, einfach nicht den Tatsachen und hat einen allzu höfischen Beigeschmack. Für diejenigen, die David als Verfasser des Psalms annehmen, sollte sich dieser Ausweg jedenfalls von selbst verbieten. Es bleibt noch eine Auslegung, die Moll in Langes Bibelwerk folgendermaßen darlegt: "Ich finde hier den stärksten Ausdruck der Glaubensgewissheit von der persönlichen Lebensfortdauer dessen, der im Gnadenbunde die Lebensgemeinschaft mit Jahwe festhält. Was anderwärts als Hoffnung in Davids Seele aufleuchtete und sich zum Teil in Worten der Weissagung kundgab, die selbst das eigene Verständnis Davids zunächst überragten, hat hier die Gestalt und Sprache der Gewissheit erlangt und setzt eine Reife der geistlichen Erfahrung und ein Nachdenken über voraufgegangene Gnadenführungen und Offenbarungen voraus, welche für die Abfassung auf das höhere Lebensalter Davids führen. Hiermit stimmen auch die folgenden Worte, in denen David ein Bewusstsein seiner heilsgeschichtlichen Stellung und Bedeutung zu erkennen gibt." - James Millard


V. 8. Und wird durch die Güte des Höchsten fest bleiben. Wo einer nicht in der Güte und Gnade ist, so kann er nicht feste halten: es ist sonst kein Halten, ohne allein in Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Martin Luther 1530.


V. 9. Deine Hand wird finden usw. Auf "deine Hand" folgt zur Steigerung des Ausdrucks: "deine Rechte". Diese deutet noch nachdrücklicher auf behände und wuchtige Tatkraft. Finden schließt in diesem Zusammenhang sowohl das Entdecken als das Erreichen oder Treffen in sich. Vergl. 1. Samuel 23,17 u. Jes. 10,10, in welch letzterer Stelle das Zeitwort im Hebräischen dasselbe Fürwort bei sich hat, wie hier V. 9 a, während es in der ersteren Stelle mit dem Akkusativ steht wie V. 9 b. Ist eine Verschiedenheit der Bedeutung anzunehmen, so wird der Unterschied ähnlich sein wie zwischen an jemand reichen und ihn erreichen. Joseph Addison Alexander 1850.
  Was bedeutet aber dieses? Hat sie denn die Hand Gottes verloren, dass sie von derselben müssen wieder gefunden werden? Nein, sondern durch diese Redensart wird die stolze Einbildung und Sicherheit der Feinde Gottes angezeigt, welche so sicher und unverzagt handeln, als ob sie nicht unter der Hand Gottes wären; vielmehr versprechen sie sich, nach ihrem törichten Eifer, nicht allein alle Befreiung von der Strafe, sondern wohl gar einen Lohn, indem sie dafür halten, dass sie Gott einen Dienst leisten, und folglich nichts weniger als die Hand Gottes fürchten, sondern vielmehr ihr Nest in Gottes Schoß gebaut zu haben meinen. Denen wird es ergehen, wie denen Gottlosen, welche plötzlich, da sie es nicht vermuten, gefunden und heimgesucht werden. Martin Luther 1519.
  Saul tötete sich selbst, aus Furcht, in die Hand seiner Feinde zu fallen und hielt den Tod für weniger schrecklich, als die Schande, die über ihn kommen würde, wenn er in ihre Gewalt geriete. Was wird es dann erst sein, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10,31), in die Hände des beleidigten Gottes, der unerbittlich entschlossen ist, seine Heiligkeit zu rächen? "Wer kann vor seinem Zorn stehen?", fragt der Prophet Nahum (1,6). Wer wird es wagen, ihm ins Angesicht zu blicken, wer, vor ihm zu erscheinen? Wer wird den Tag seiner Zukunft erleiden mögen (Mal. 3,2), ohne vor Furcht zu erschaudern und ohnmächtig hinzusinken? Wenn schon Josephs Brüder so erschraken, dass sie diesem nicht antworten konnten, als er sprach: "Ich bin Joseph, euer Bruder", wie wird es den Sündern ergehen, wenn sie die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, wenn er in seinem Zorne zu ihnen sprechen wird: "Ich bin’s, den ihr geschmäht habt; Ich bin’s, den ihr gekreuzigt habt! Wenn eben dieses Wort des Herrn Jesu: "Ich bin’s", wiewohl es mit größter Milde gesprochen wurde, die ganze Schar dort in Gethsemane über den Haufen warf (Joh. 18,6), was wird es sein, wenn seine Entrüstung wie ein Sturmwetter über seine Feinde losbricht und sie zu Staub zermalmt! Dann werden sie sprechen zu den Bergen und Felsen: Fallet über uns und verbergt uns vor dem Angesichte dessen, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! (Off. 6,16). James Nouet 1847.


V. 10. Du wirst sie machen wie einen Feuerofen usw. Wie wird es dann den Sündern ergehen, wenn endlich das so oft vorhergesagte allgemeine Feuer, sei es vom Himmel fallen, sei es aus der Hölle aufsteigen, oder, wie Albertus Magnus († 1280) meinte, von beiden ausgehen und alles verzehren und vernichten wird? Wohin werden die Elenden fliehen, wenn dieser Flammenstrom oder, besser gesagt, dies Flammenmeer, diese Sintflut von Feuer sie so umgibt, dass kein Rettungsort bleibt? Wie hallte Rom von Wehklagen wider während der neuntägigen Feuersbrunst! Welch gellende Rufe vernahm man in Troja, als es in Flammen aufging, was für Jammergeschrei und Entsetzen in Sodom und Gomorra, Adama und Zeboim, als diese Städte durch Feuer vom Himmel zerstört wurden! Welches Weinen war in Jerusalem, als das Haus Gottes, die Zierde des Landes, das Wunder der Welt, in Feuer und Rauch gehüllt war! Denkt euch in die Lage dieser Leute, als sie all ihr Hab und Gut in Flammen aufgehen sahen- ohne eine Möglichkeit, auch nur das Geringste dem verheerenden Element zu entreißen; als der Ehemann das Gekreisch und Gejammer seines sterbenden Weibes, der Vater die herzdurchbohrenden Schmerzensrufe seiner Kinder hören musste und plötzlich sich selber so von den Flammen umzingelt sah, dass er weder sie noch sich retten konnte! Von was für Nutzen werden dann den Weltmenschen ihre köstlichen Gefäße von Gold und Silber, ihre kunstvollen Stickereien und kostbaren Teppiche, ihre anmutigen Gärten und üppigen Paläste und alles, worauf die Welt jetzt Wert legt, sein, wenn sie es mit ihren eigenen Augen werden sehen müssen, wie ihre stattlichen Paläste verbrannt, ihre goldenen Schätze zerschmolzen und ihre blühenden Lustgärten in eine Wüste verwandelt werden und sie keine Macht haben, weder ihre Güter noch sich selbst zu retten! Alles wird verbrennen und die Welt dazu; ja alles, was die Sterblichen unsterblich wähnten, wird dann ein Ende nehmen und vergehen. Bischof Jeremy Taylor † 1667.
  Wie einen Feuerofen, worin die Hitze erschrecklich groß ist, da sie sich von oben, von unten und von allen Seiten über das, was darin ist, ergießt und die Tür verschlossen ist, dass kein Entkommen möglich ist und kein kühlendes Lüftchen eindringen kann. David Dickson † 1662.
  Wenn du drein sehen wirst. Diese fürnehmste und unerträgliche Strafe wird Gott bloß mit seinem Angesichte den Gottlosen antun, das ist, durch Offenbarung seines Zornes, wie er hier sagt: zur Zeit deines Antlitzes (wörtl.) wirst du sie zum Feuerofen machen. Und 2. Thess. 1,9: Sie werden in ihrem Untergange ewige Strafe leiden von dem Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Kraft. Und Ps. 34,17; Das Angesicht des Herrn ist über die, die Böses tun. Martin Luther 1519.
  Ich habe gelesen, ein finsterer Blick der Königin Elisabeth habe Sir Christopher Hatton, den Lord Großkanzler von England, getötet. Was wird dann der finstere Blick des Königs aller Könige ausrichten? Wenn die Felsen zerreißen, die Berge zerschmelzen und die Grundfesten der Erde unter seinem Zorn erzittern, wie will dann der Gottlose und Sünder vor ihm erscheinen, wenn er in seiner vollen königlichen Herrlichkeit herniederkommt, um Rache zu nehmen an allen, die ihn nicht als Herrn anerkennen und seinem Evangelium nicht gehorsam werden wollten? Charles Bradbury 1785.


V. 11. Ihre Frucht usw. Mögen Eltern es zu Herzen nehmen, dass von ihren Grundsätzen und ihrer Handlungsweise das Heil oder das Verderben von zahlreichen Geschlechtern ihrer Nachkommen abhangen kann. Das Schicksal des Volkes Israel, das beständig vor unseren Augen ist, sollte sie zum Erzittern bringen. Bischof George Horne † 1792.


V. 12. Sind des nicht mächtig. (Grundtext) Das glauben unsere Jünkerlein heutzutage nicht. Martin Luther 1530.


Homiletische Winke

V. 2. Die Freude Jesu und der Seinen über die Kraft und das Heil Gottes.
V. 3. Der erfolgreiche Beter und Fürsprecher.
V. 4a. Die vorlaufende Gnade.
  Wie Gott unseren Bedürfnissen mit Segnungen an Gutem zuvorkommt: 1) wenn wir zur Welt kommen; 2) wenn wir in Sünde fallen; 3) wenn wir in die Pflichten und Sorgen des reiferen Lebens eintreten; 4) wenn wir im gewöhnlichen Lauf des Lebens neue Wege betreten; 5) in dem dunklen Tal der Todesschatten; 6) indem er uns so manches Gute zuteil werden lässt, worum wir nicht gebeten haben, so dass uns nur noch Raum zum Danken und Lobpreisen bleibt; 7) indem er uns die Himmelstür öffnet und den Himmel füllt mit allem, was uns glücklich machen kann. Samuel Martin 1860.
V. 4b. Jesu Krönung. 1) Seine Vorbereitung zur Krone. 2) Das Reich, das ihm verliehen wird. 3) Die Herrlichkeit der Krone (von seinem Golde, Grundtext). 4) Der göttliche Verleiher dieser Krone.
V. 5. Das dem Davidssohne verliehene ewige Leben (vergl. 2. Samuel 7 u. Ps. 16).
V. 6. Die Ehre des Mittlers.
V. 7. Jesus von Gott gesetzt zum Segen (zur Segensfülle, Grundtext Mehrzahl) ewiglich.
V. 8. Jesus uns ein Vorbild in seinem Glauben, wie in den Erfolgen seines Glaubens.
V. 9. Wie Gott den Sünder ausfindig macht und ereilt, dass kein Verbergen und Entfliehen möglich ist.
V. 9-10. Wie gewiss und schrecklich die Strafe der Gottlosen ist.
V. 11. Der Fluch im Hause des Gottlosen.
V. 12-13. Schuld und Strafe böser Absichten.
V. 13. Die Flucht der großen höllischen Feindesschar.

Fußnoten

1. Andere übersetzen den Plural: zu Segenssprüchen, d. h. sein Name wird zu solchen gebraucht, vergl. 1. Mose 48,20  und das Gegenteil Jes. 65,15 f.

2. Diese wörtlichere Übersetzung gibt den Unterschied der Bedeutung zwischen l: hcfmf und hcfmf mit Akk. wieder und damit zugleich die (in diesem Vers beginnende und durch die folgenden sich fortsetzende) im Grundtext enthaltene Steigerung.

3. Es ist aber wohl schon im ersten Versglied an die Frucht des Leibes zu denke.

4. Man kann auch übersetzen: Wenn sie Böses auf dich zu bringen suchen, einen Zuschlag ersinnen, - sie werden es nicht (ausführen) können.

5. Aus Bunyans Pilgerreise und heiligem Krieg.

6. Nach der lateinischen Übersetzung.