Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 3 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Davids, da er floh vor seinem Sohn Absalom. Wir erinnern uns der traurigen Geschichte von Davids Flucht aus seinem eigenen Palast, da er in der Totenstille der Nacht den Kidron überschritt und mit seinen wenigen Getreuen hinging, um sich eine Weile vor dem Wüten seines aufrührerischen Sohnes Absaloms zu verbergen (2. Samuel 15). Wir sind dabei dessen eingedenk, dass David hierin ein Vorbild auf unseren Herrn Jesum Christum war. Auch er entwich; auch er ging über den Bach Kidron, als sein eigenes Volk gegen ihn in Aufruhr war, und mit einer kleinen Schar von Jüngern lenkte er seine Schritte nach dem Garten Gethsemane.
  Viele Ausleger benennen diesen Psalm das Morgenlied. Gebe Gott, dass wir stets mit heiliger Zuversicht im Herzen und einem Gesang auf unseren Lippen erwachen.

Einteilung. Der Psalm zerfällt in vier Teile von je zwei Versen. Manche Psalmen erschließen sich dem Verständnis nicht recht, wenn man nicht aufmerksam deren Strophenbau beachtet; denn viele sind nicht etwa eine fortlaufende Beschreibung einer Szene, sondern gleichen vielmehr einer Reihe von Bildern, die mehrere einander verwandte Gegenstände darstellen. Wie wir es beim Predigen gewohnt sind, unsere Rede in verschiedene Hauptteile zu scheiden, so ist es in diesen Psalmen. Stets ist Einheitlichkeit darin, aber es ist die Einheit eines Bündels Pfeile und nicht diejenige eines einzelnen Pfeils. Sehen wir nun wie der vorliegende Psalm gebaut ist. In V. 2. 3 bringt David eine Klage wegen seiner Feinde vor Gott. Sodann gibt er V. 4-5 seinem Vertrauen auf den Herrn Ausdruck. V. 6-7 singt er davon, wie sicher er im Schlafe geruht habe, und V. 8-9 stärkt er sich für den bevorstehenden Kampf.


Auslegung

2. Ach, Herr, wie sind meiner Feinde so viel,
und setzen sich so viele wider mich!
3. Viele sagen von meiner Seele:
Sie hat keine Hilfe bei Gott. Sela.


2. Gebrochenen Herzens klagt der arme Vater über die Menge seiner Feinde. Lesen wir 2. Samuel 15 die Erzählung von dem Aufruhr Absaloms, so sehen wir Vers 12, dass "der Bund (der Verschwörung) stark wurde und das Volk zulief und sich mehrte mit Absalom", während Davids Mannschaft sich beständig verminderte. Ach, Herr, wie sind meiner Feinde so viel. Dieser Ausruf ist der Ausdruck des tiefen Wehs, das den fliehenden Vater in Bestürzung und Verwirrung versetzte. "Ach, ich sehe kein Ende meines Elends, meine Not wird immer größer. Der Anfang dieses Leids war schwer genug, mich in die Tiefe zu stürzen; aber wehe mir, meine Feinde vervielfältigen sich. Dass Absalom, der Liebling meines Herzens, sich wider mich empört, ist genug, mir das Herz zu brechen; aber wehe, auch Ahitophel hat mich verlassen, meine treuesten Ratgeber wenden mir den Rücken, meine Feldherren und Krieger lassen mein Banner im Stich." Ein Unglück kommt selten allein, meist brechen die Bedrängnisse in Scharen über den Unglücklichen herein. Mutter Trübsal hat eine zahlreiche Familie.
  Und setzen sich so viele wider mich. Ihr Heer ist so viel größer als das meine. Ihre Zahl ist zu groß, als dass ich sie zählen könnte.
  Wir wollen uns hierbei der unzählbaren Scharen erinnern, welche unseren göttlichen Erlöser von allen Seiten bedrängten. Die Legionen unserer Sünden, die Scharen der Feinde, die Menge der körperlichen Schmerzen, das Heer geistlicher Kümmernisse und all die Verbündeten des Todes und der Hölle rüsteten sich zur Schlacht wider den Menschensohn. Wie köstlich ist es, zu erkennen und zu glauben, dass er diese Heere alle in die Flucht geschlagen und sie in seinem Zorne zertreten. hat. Die uns ins Unglück bringen wollten, hat er in Ketten geschlagen, und die sich wider uns erheben wollten, in den Staub gebeugt. Der Drache verlor seinen Stachel, als er ihn in Jesu Herz bohrte.

3. David weiß, dass Gottes liebendes Herz ihm offen steht; darum klagt er ihm die tiefste Not, sagt seinem Gott von der schlimmsten Waffe, mit der seine Feinde ihn angreifen, und von dem bittersten Tropfen in seinem Trübsalsbecher: Viele sagen von meiner Seele: Es gibt keine Hilfe für ihn bei Gott. (Wörtl.) Manche Freunde Davids, die das Vertrauen zu seiner Sache verloren hatten, mögen betrübten Herzens so gesprochen haben; seine Feinde aber rühmten also mit Frohlocken und warteten begierig darauf, dass ihre Worte durch seinen völligen Untergang bestätigt würden. Das war der grausamste Stich von allen, als sie erklärten, sein Gott habe ihn verlassen. Und doch sagte ihm sein Gewissen, dass er ihnen einige Gründe zu solcher Rede gegeben; hatte er doch am hellen Tage gegen Gott gesündigt, siehe 2. Samuel 12, besonders V. 11. Da schleuderten sie ihm denn sein Vergehen mit Bathseba ins Angesicht und sagten: Weg mit dir, du Blutmensch, Gott hat sich von dir gewandt, er will dir nicht helfen. Simei fluchte ihm und schmähte ihn ins Angesicht, 2. Samuel 16,5 ff.; er war frech, weil er viele hinter sich wusste, denn Scharen von Belialsleuten dachten von David genauso. Ohne Zweifel fühlte David, dass das eine höllische Einflüsterung war, die seinen Glauben zum Wanken bringen sollte. Wenn all die Prüfungen, die uns vom Himmel gesandt werden, all die anderen Versuchungen, die aus der Hölle aufsteigen, und all die Leiden, die von der Erde herkommen, sich in eine große Prüfung zusammendrängten, würde diese doch noch nicht so schrecklich sein, als die in unserm Vers enthaltene. Es ist die bitterste aller Trübsale, zu der Furcht verleitet zu sein, als sei bei Gott keine Hilfe mehr für uns. Und doch, lasst uns nicht vergessen, dass unser hochgelobter Heiland gerade dies im höchsten Grad zu erdulden hatte, da er ausrief: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Er wusste nur zu wohl, wie es dem zu Mute ist, der im Finstern wandelt und scheint ihm kein Licht (Jes. 50,10). Das war Pein über alle Pein. Das war Wermut mit Galle vermischt. Von seinem Vater verlassen zu sein war schlimmer, als von den Menschen verabscheut zu werden. Fürwahr, wir sollten ihn lieben, der diese bitterste aller Versuchungen und Trübsale um unsertwillen erduldet hat. Für Herzen, die Jesum lieben, wird es köstlich und zugleich lehrreich sein, zu betrachten, wie der Herr hier in seinen Seelenkämpfen abgebildet ist; denn uns dünkt, dieser Psalm zeige uns, wie mancher andere, recht besehen noch mehr von Jesus, dem Sohn und Herrn Davids, als von David selbst.
  Selah ist ein musikalisches Zeichen, dessen Bedeutung aber viel umstritten ist. Einige meinen, es bedeute einfach einen Ruhepunkt, ein Schweigen der Musik; nach anderen dagegen soll es sagen: Erhebet den Ton, singet lauter, stimmt eine fröhlichere Weise an; das Lied wird erhabener, darum stimmet eure Harfen wieder. Die Saiten der Harfe kommen leicht aus der Ordnung und bedürfen es oft, wieder auf die richtige Höhe gebracht zu werden; sicherlich kommen aber die Seiten unseres Herzens auch gar leicht aus der Stimmung. Da lehrt uns das Sela beten: Halte du, Herr, mein Herz in der rechten Stimmung, gleich Davids geweihter Harfe. Jedenfalls soll uns das Sela, wo immer wir ihm begegnen, zu besonders aufmerksamem Lesen des Vorhergehenden und Nachfolgenden anregen; denn da ist gewiss etwas besonders Wichtiges zu finden, wo wir zu stillem Nachdenken oder, nach der anderen Auffassung, zu frohlockendem Gesang aufgefordert werden.

 


4. Aber du, Herr, bist der Schild für mich,
und der mich zu Ehren setzet, und mein Haupt aufrichtet.
5. Ich rufe an mit meiner Stimme den Herrn;
so erhört er mich von seinem heiligen Berge. Sela.


4. Nun gibt David seinem Vertrauen zu Gott Ausdruck. Aber du, Herr, bist der Schild für mich, wörtl.: ein Schild um mich her. Welch ein Schild ist Gott für die Seinen! Er wehrt die feurigen Pfeile Satans von unten und die Wetter der Trübsal von oben ab, während er zugleich dem in der Brust tobenden Sturm Ruhe gebietet. Du bist, der mich zu Ehren setzet. Obwohl David mit Verachtung und Hohn von seiner Hauptstadt vertrieben ist, weiß er, dass er im Triumph zurückkehren wird, und im Glauben blickt er zu Gott auf als zu dem, der ihn zu Ehre und Herrlichkeit bringen wird. Dass es uns auch geschenkt werde, inmitten der gegenwärtigen Schmach so unsere zukünftige Herrlichkeit zu schauen! Ja es gibt eine gegenwärtige Herrlichkeit in unseren Trübsalen; könnten wir sie nur wahrnehmen. Denn es ist keine geringe Sache, mit Christus an seinen Leiden teilzuhaben. David wurde eine hohe Ehre zuteil, als er weinend und verhüllten Hauptes den Ölberg hinanging (2. Samuel 15,30); denn in dem allen wurde er seinem Herrn ähnlich gemacht. Mögen wir lernen, im Blick darauf uns auch unserer Trübsale zu rühmen. Und der mein Haupt aufrichtet. Du wirst mich erhöhen. Obwohl ich jetzt mein Haupt in Betrübnis hängen lasse, werde ich es bald voll freudigen Dankes aufrichten. Welch ein göttlicher Dreiklang von Gnaden ertönt in diesem Vers; Schutz für den Schutzlosen, Ehre für den Geschmähten, Freude für den Trostlosen. Wahrlich, wir haben Ursache, mit Mose (5. Mose 33,26) auszurufen: Es ist kein Gott wie der Gott Jesuruns.

5. Mit meiner Stimme, d. i. laut, rufe ich zu dem Herrn. (Wörtl.) Warum ruft er laut? Sicherlich werden doch auch stille Gebete erhört. Ja, aber gottselige Leute finden, dass sie auch im Verborgenen oft besser beten können, wenn sie es laut tun. Vielleicht dachte David überdies: Meine grausamen Feinde schreien wider mich; sie erheben ihre Stimme, wohlan, ich will meine auch erheben und sie alle übertönen. Sie schreien, aber der Ruf meiner Stimme in der großen Angst meiner Seele dringt durch die Wolken und ist lauter und stärker als all ihr Gelärme; denn es ist einer im Heiligtum, der horcht aus dem siebten Himmel auf mein Flehen. Wann immer ich rufe, so erhört er mich von seinem heiligen Berge. Gebetserhörungen sind liebliche Herzstärkungen. Wir brauchen eine drohende Welt nicht zu fürchten, während wir uns eines Gottes freuen, der Gebet erhört.
  Hier steht abermals ein Sela. Ruhe einen Augenblick, geprüfter Gläubiger, und stimme deine Harfe zu einer sanfteren Weise.


6. Ich liege und schlafe,
und erwache; denn der Herr hält mich
7. Ich fürchte mich nicht vor viel Tausenden,
die sich umher wider mich legen.


6. Nach genauerer Übersetzung sieht der Dichter auf die Erlebnisse der eben vergangenen Nacht zurück: Ich legte mich nieder und schlief (ein); ich bin erwacht, und rühmt dann die dauernde Ursache seiner auch jetzt wieder erfahrenen Sicherheit: denn der Herr hält mich. Nur der Glaube machte es David möglich sich niederzulegen; die Angst würde ihn sonst sicherlich auf den Zehenspitzen gehalten haben, nach dem Feind ausspähend. Ja, er konnte schlafen, schlafen inmitten von Angst und Not, umgeben von Feinden. Es gibt einen Schlaf der Vermessenheit; Gott erlöse uns davon. Es gibt einen Schlaf heiligen Vertrauens; Gott helfe uns, so unsere Augen zu schließen. David sagt aber, er sei auch erwacht. Manche schlafen den Todesschlaf; er aber lehnte, obwohl von vielen Feinden bedroht, sein Haupt an den Busen seines Gottes, schlief glücklich, wohl geborgen unter den Flügeln des Allwissenden und Allmächtigen, und erwachte dann wohlbehalten. Denn der Herr hält mich. Das Siebengestirn der Verheißungen Gottes leuchtete mit mildem Glanze über dem Schlummernden, und er erwachte mit dem Bewusstsein, dass der Herr ihn erhalten habe. Diese Seelenruhe des Glaubens ist etwas viel Höheres als die mannhafte Entschlossenheit natürlicher Tapferkeit; denn sie ist das Gnadenwerk des Heiligen Geistes, der den Menschen über die Natur erhebt, und darum gebührt dem Herrn allein die Ehre dafür.

7. Indem unser Held nun seinen Harnisch für den Kampf des Tages anschnallt, singt er: Ich fürchte mich nicht vor viel Tausenden Volks, die sich umher wider mich legen. Beachten wir, dass David nicht versucht, die Zahl oder die Klugheit seiner Feinde zu unterschätzen. Er schätzt sie auf Myriaden und betrachtet sie als gewandte Jäger, die ihn mit grausamer Geschicklichkeit umstellen. Dennoch zittert er nicht, sondern sieht seinen Feinden kampfbereit ins Auge. Es mag kein Entrinnen geben, sie mögen mich wie die Jäger das Wild umzingeln; aber in Gottes Namen werde ich mitten durch sie hindurchbrechen. Und wenn ich auch von ihnen eingeschlossen bleibe, werden sie mir doch nicht schaden können, mitten im Gefängnis werde ich frei sein.
  Aber David ist zu weise, als dass er sich ohne Gebet in den Kampf wagen würde; darum beugt er abermals seine Knie und ruft mit dringendem Flehen zu Jahwe.


8. Auf, Herr, und hilf mir, mein Gott,
denn du schlägst alle meine Feinde auf den Backen,
und zerschmetterst der Gottlosen Zähne.

8. Auf, Herr, und hilf mir (errette mich), mein Gott. Die einzige Hoffnung, die ihm bleibt, ist sein Gott; auf ihn aber traut er mit so starker Zuversicht, dass er weiß; Der Herr braucht nur aufzustehen, so bin ich gerettet. Und mit kühnem Glauben ruft er, wie (nach 4. Mose 10,35) Mose es zu tun pflegte, Jahwe auf, sich in seiner Allmacht ihm zu gut zu erheben. Denn du schlägst alle meine Feinde auf den Backen und zerschmetterst der Gottlosen Zähne. Das ist die Erfahrungswahrheit, welche David aus vielen Erlebnissen gewonnen hat (Grundtext Perf.) und die sein Glaube auch der neuen Not gegenüber festhält. Er vergleicht seine Feinde mit wilden Tieren, denen Gott aber den Kiefer zerschlage, so dass sie ihn nicht verletzen können. Oder spielt der Psalmist mit diesen Worten vielleicht auf die besonderen Versuchungen an, denen er ausgesetzt war, als sie wider ihn redeten (Vers 3), und sagt er darum, dass der Herr sie auf den Backen geschlagen habe? Es hatte den Anschein, als würden die Gottlosen ihn mit ihrem bösen Maul verschlingen; Gott aber zerschmetterte ihnen die Zähne. Lasst sie sagen, was sie wollen; mit ihren zahnlosen Kiefern können sie mich doch nicht zerreißen. Freue dich, gläubige Seele, du hast es mit einem Drachen zu tun, dem der Kopf zerschmettert ist, und mit Feinden, denen die Zähne ausgebrochen sind.

 


9. Beim Herrn findet man Hilfe.
Dein Segen komme über dein Volk. Sela.

9. Hilfe in jeder Beziehung ist nur bei dem Allerhöchsten zu finden. Mit dem Ausruf des Glaubens: "Des Herrn ist das Heil" (wörtl.) überwindet David alle Anfechtung, die ihm die ungläubigen, höhnenden Reden seiner Widersacher gebracht haben (vergl. V. 3). Unser zeitliches, wie unser ewiges Heil ruht in dem Herrn; denn er hat die ganze Fülle des Heils ausschließlich in Besitz und verfügt über diesen Schatz in königlicher Freiheit zu Gunsten derer, die sich in ihrer Heilsbedürftigkeit glaubend ihm zuwenden. Dieser kleine Satz "Des Herrn ist das Heil" enthält schon im Keim die Summe der evangelischen Gnadenlehre. Wer die Schrift mit erleuchtetem Verständnis durchforscht, muss die Überzeugung gewinnen, dass die Lehre von dem Heil allein aus Gnaden die eine große Lehre des Wortes Gottes ist. Für diese Wahrheit stehen wir täglich im Kampf. Unsere Gegner behaupten, das Heil sei Sache des Menschen - wenn nicht seines Verdienstes, so doch seines freien Willens; wir aber glauben und lehren, das Heil sei von Anfang bis zu Ende, und bis ins Kleinste hinein, des Allerhöchsten alleiniges Werk. Gott erwählt die Seinen, und er beruft sie durch seine Gnade; er macht sie lebendig durch seinen Geist und bewahrt sie durch seine Macht. Unser Heil kommt nicht von Menschen, noch durch Menschen; es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen (Röm. 9,16). Mögen wir alle diese Wahrheit aus Erfahrung kennen lernen; denn unser hochmütiges Fleisch und Blut wird es nie zulassen, dass wir sie auf andere Weise lernen.
  Fassen wir die Schlussworte mit etlichen Übersetzern als Aussage auf: Dein Segen ist über deinem Volke, so tritt uns darin die Herrlichkeit des Israels Gottes entgegen. Nicht auf Ägypten, nicht auf Tyrus, noch auf Ninive ruht dein Segen, sondern auf deinen Auserwählten, deinen Bluterkauften, deinem mit ewiger Liebe geliebten Volke. Dann sagt uns das Sela; Erhebet eure Herzen und sinnet betend über die köstliche Wahrheit nach. Diese aussondernde und erwählende, von einer Ewigkeit zur anderen reichende, unwandelbare Liebe Gottes ist beständiger Anbetung würdig.
  Richtiger ist es wohl, mit Luther und den meisten Auslegern diesen Schlusssatz als Fürbitte aufzufassen: Dein Segen komme über dein Volk. In wahrhaft königlicher Großmut fleht der verworfene und geächtete David Gottes Gnade auf Israel herab. Seine Bitte V. 8, dass Gott sich zur Vernichtung seiner Widersacher erheben möge, richtet sich nicht gegen sein Volk, sondern gegen dessen Verführer und deren böswillige Anhänger. Allerdings sagt er nicht: "über das Volk"; die Wahl des Ausdrucks "über dein Volk" ist bedeutsam. Der Wellenschlag der fürbittenden Liebe Davids wird, in konzentrischen Kreisen sich bewegend, in erster Linie auf diejenigen gehen, welche sich gerade in der Stunde der Versuchung als zu dem wahren Israel Gottes gehörend erwiesen hatten, auf das kleine Häuflein, das mitten in dem allgemeinen Abfall David als dem Gesalbten des Herrn treu geblieben war. Aber eben weil Israel das Volk des Herrn ist, erwartet Davids Glaube auch die Wiederherstellung des jetzt in Sünde und Abfall versunkenen Volkes. So erfleht David Segen statt des Fluches über das abtrünnige Israel und ist darin recht ein Vorbild des anderen David geworden, der noch am Kreuz für das Volk, das ihn an den Marterpfahl gebracht hatte, betete. Dieses eine Schlusswort unseres Psalms, bemerkt Ewald, wirft einen hellen Schein in das Tiefste der edlen Seele.

 


Erläuterungen und Kernworte

Zu den Psalmenüberschriften. Es war nicht anders möglich, als dass die Psalmenüberschriften nach der harmlosen1 Stellung, welche man früher zu ihnen einnahm, endlich einmal Gegenstand der Kritik werden mussten; aber die seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts herrschend gewordene Verneinung des geschichtlich Überlieferten ist jetzt zu eitler schnöden Absprecherei geworden, welche auf jedem anderen Literaturgebiete, wo das Urteil kein so tendenziös befangenes ist, als eine Kaprice (rein willkürliche Laune) angesehen werden würde. Dass David und andere Psalmendichter ihren Psalmen ihren Namen und deren Zweckbestimmung beigeschrieben haben können, zeigen Beispiele wie Hab. 3,1 und 2. Samuel 1,18, vergl. Ps. 60,1 Und das hohe Alter dieser und ähnlicher Überschriften geht ja auch daraus hervor, dass die LXX sie bereits vorfanden und nicht verstanden; dass sie auch ans den Büchern der Chronik (hinzugenommen das das gehörige Buch Esra), in welchen viel von Musik die Rede ist, nicht erklärt werden können und bei diesen, wie vieles andere, als wieder aufgefrischtes älteres Sprachgut erscheinen, dass also der Schlüssel ihres Verständnisses schon frühzeitig verloren gegangen, sowie auch daraus, dass sie in den zwei letzten Büchern des Psalters um so seltener sind, je häufiger in den drei ersten. - Nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Zu der Überschrift von Ps. 3 Gegen die Richtigkeit der in der Überschrift niedergelegten Überlieferung hat man den "heiligen Berg" V. 5 angeführt; so habe der Zion damals noch nicht genannt werden können. Aber warum nicht? Die heilige Lade, das Symbol der Gegenwart Jahves, war damals schon auf dem Zion. Noch weniger verschlägt es, dass Absalom nicht genannt ist und dass der Psalm "nichts von der erregten Stimmung eines ins Herz getroffenen Vaters zeigt" (Nowack, Beer). Nach diesem Kanon dürften einer späten, spärlich unterrichteten Zukunft nur solche Kriegs- und Vaterlandslieder von 1813  und 1870 als wirklich echt gelten, welche die Franzosen oder Napoleon namentlich bezeichnen oder jeden anderweit bekannten persönlichen Anteil ihrer überlieferten Verfasser an den damaligen Ereignissen gewissenhaft registrieren oder handgreiflich widerspiegeln. Gerade Lieder der letzten Art pflegen aber nicht Volks- oder Gemeindelieder zu werden, wie Ps. 3 es geworden ist. Lic. Hans Keßler 1899.
  Zum ganzen Psalm. Nicht ohne Grund ist gleich hinter Ps. 2 ein solches Lied gestellt, welches David gedichtet, als er vor seinem Sohne Absalom floh. Die Feinde des Königreichs Davids sind nicht etwa bloß oder vornehmlich die Könige von Ammon und die Fürsten Edoms gewesen, sondern die Söhne des eigenen Hauses und die Fürsten des eigenen Hofes haben sich gegen David empört. So sind denn auch die Schutz- und Trutzwaffen dieses Königreichs nicht irdischer Art gewesen; freiwillig hat sich David selbst aller Macht begeben, - ist als ein Schuldiger über den Kidron, büßend den Ölberg hinaufgegangen; wehrlos, hilflos und matt hat er dem Gott im Himmel das Regiment in die Hände gegeben und das Gebet ist seine einzige Stärkung und Waffe gewesen. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  Hier möget ihr klärlich sehen, wie Gott mit seiner Kirche vor alters gehandelt, daher ihr euch nicht sollet erschrecken lassen, so euch plötzlich Anfechtung überfällt, sondern Gott eure Sünden bekennen wie David und ihm sagen, wie viele ihrer sind, die euch peinigen und sich wider euch erheben, und nennen euch Hugenotten, Lutherische, Ketzer, Puritaner und Belialskinder, wie sie David geschmäht haben. Lasset die gottlosen Prahlhansen sich rühmen, dass sie wollen über euch kommen, und dass Gott euch in ihre Hand gegeben habe und nimmer euer Gott sein wolle. Lasset sie nur ihr Vertrauen setzen auf Absalom mit seinen langen goldenen Locken und auf die Klugheit des weisen Ratgebers Ahitophel; doch saget ihr wie David; "Aber du, Herr, bist der Schild für mich, und der mein Haupt aufrichtet." Er wird diese stolzen Heuchler niederwerfen und die Geringen und Demütigen erhöhen. Er wird eure Feinde auf den Backen schlagen und ihre Zähne zerschmettern. Er wird Absalom an seinen eigenen Haaren aufhängen; und Ahitophel wird in der Verzweiflung sich selbst erhängen. Eure Bande sollen zerbrochen und ihr befreiet werden. Denn das ist Gottes Tun von alters her, die Seinen von ihren Feinden zu erlösen und sein Volk zu segnen, dass sie in sicherer Hut sonder Furcht fortwallen auf ihrer Pilgerschaft zum Himmel. Thomas Tymme 1634.
  Wie oft haben die Psalmen in Nöten und Ängsten, in Verfolgung und Todesgefahr dem gepressten Herzen die entsprechenden Worte und zugleich die nötige Hoffnung und Tragkraft dargereicht! In dem Lager des Prinzen Condé (der mit dem Prinzen von Béarn, dem nachmaligen Heinrich IV., an der Spitze der Hugenotten stand) ertönte morgens und abends bei der Ablösung der Wachen Psalmengesang, in der Gefahr besonders gerne Ps. 3 oder Ps. 6. - Nach A. von Salis, Die Kraft der Psalmen, 1902.


V. 2. Absaloms Aufruhr nahm einem von den Bergen stürzenden Schneeball gleich ungeheuerlich in seinem Laufe zu. David spricht davon mit Erstaunen. Und ist es nicht in der Tat höchst befremdend, dass das Volk, welches gerade diesem König so vielfach zu Dank verpflichtet war, fast in seiner Gesamtheit von ihm abfiel und sich wider ihn zusammenrottete und überdies einen so leichtfertigen und albernen jungen Mann wie Absalom zu seinem Anführer wählte? Wie unbeständig und betrüglich ist doch die Menge! Und wie wenig Treue und Standhaftigkeit ist unter den Menschen zu finden! David hatte die Herzen seiner Untertanen besessen wie je ein König, und doch hatte er sie jetzt plötzlich verloren. Wie die Völker sich nicht zu sehr aus ihre Fürsten verlassen sollen (Ps. 146,3), so dürfen auch Fürsten nicht zu stark auf die Anhänglichkeit ihrer Völker bauen. Christus, der Sohn Davids, hatte viele Feinde; als eine große Schar kam, ihn zu greifen, als der Haufe schrie: "Kreuzige ihn, kreuzige ihn!"- wie waren da seiner Dränger viel geworden! Gute Männer dürfen es sich nicht befremden lassen, wenn der Strom gegen sie ist und die Mächte, die sie erschrecken, immer furchtbarer werden. Matthew Henry † 1714.


V. 3. Wenn der Gläubige die Macht Gottes in Frage stellt oder bezweifelt, dass diese Macht ihm zugutekomme, dann zerfließt seine Freude, wie das Blut aus einer gebrochenen Ader strömt. Diese Worte der Feinde verwundeten Davids Herz in der Tat aufs Schmerzlichste. William Gurnall † 1679.
  Sela kommt im Psalter 71-mal vor, außerdem dreimal in dem ebenfalls poetischen 3. Kapitel des Propheten Habakuk. Es steht mit wenigen Ausnahmen am Ende der Strophen oder am Schluss der Psalmen. Rosenmüller leitete es von einem Zeitwort hlf#f = hlfsf stille sein, schweigen ab. Ebenso Gesenius, Hengstenberg, Tholuck. Doch ist diese Bedeutung nicht zu erweisen. Kimchi, Herder, De Wette, Ewald und Delitzsch leiten es von klasf = hlfsf emporheben her, weichen dann aber in der Auffassung voneinander ab. Es ist wohl ausschließlich auf die Musik, nicht auf den Gesang zu beziehen, und zwar nach Delitzsch im Sinn einer musikalischen Steigerung, woraus auch das dia/yalma der LXX hinweist. Es bedeutet entweder Zwischenspiel oder verstärktes Spiel der Musik. Es ist also ein Einfallen des Orchesters oder eine Verstärkung der Begleitinstrumente oder auch ein Übergang von piano in forte gemeint. James Millard


V. 4. Aber du, Herr, Jahwe steht in schönem Gegensatz zu Elohim (Gott) in V. 3. Die vielen sagten: "Kein Gott kann ihm helfen"; darauf antwortete der Sänger: "Jahve, der Gott Israels, der ewig Treue, wird mich schirmen." Prof. Friedrich Baethgen 1904.
  Der mein Haupt aufrichtet. Nach Gottes Ordnung nimmt der Leib an dem Anteil, was die Seele bewegt, wie am Schmerz, so an der Freude. Die Laterne strahlt in dem Licht der in ihr befindlichen Kerze. Richard Sibbes † 1635.
  Es gibt ein Aufrichten des Hauptes durch Erhöhung zu einem Amte, wie bei Pharaos Mundschenk; und wenn auch Menschen dabei mitwirken, so führen wir es doch auf die göttliche Bestimmung zurück. Es gibt ein Aufrichten des Hauptes in Ehre nach Schmach, in Gesundheit nach Krankheit, in Freude nach Betrübnis, in Wiederherstellung nach einem Fall, in Sieg nach zeitweiliger Niederlage; in all dem ist es der Herr, der unser Haupt aufrichtet. C. H. Spurgeon 1869.


V. 5. Obwohl man den Vers auch als Schilderung einer soeben gemachten einmaligen Erfahrung auffassen und demnach im erzählenden Imperfekt übersetzen könnte (Ich rief ... da erhörte er mich), dünkt uns Luther mit seiner Übersetzung im Präsens doch das Richtige getroffen zu haben. Dann schildert der Vers in köstlicher Weise die Gewohnheit Davids, in der Not zum Herrn zu rufen, und die selige Erfahrung, die er stets in der Folge macht, nämlich dass der Herr sein Flehen hört. James Millard
  Dem Rufen Davids folgt die Erwiderung und zwar von da, wohin jenes gerichtet war: von seinem heiligen Berge. Von Kirjath Jearim aus hatte David die Bundeslade nach Zion versetzt. Er hatte sie nicht mitgenommen, als er fliehend vor Absalom Jerusalem räumte (2. Samuel 15, 25). Er war also durch eine feindliche Macht getrennt von der Stätte der göttlichen Gegenwart. Aber sein Gebet dringt durch zu dem Cherubsthron und für die Antwort des dort Thronenden gibt es keine Scheidewand des Raums und der Kreatur. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Wenn Gebet die Vorhut leitet, lässt die göttliche Befreiung zur rechten Zeit den Nachzug vorrücken. Thomas Watson 1660.
  So erhört er mich. Ich habe oft Leute im Gebet sagen hören: "Du bist ein Gott, der Gebete hört und erhört." Aber diese Redensart enthält einen Überfluss, da nach der Schrift bei Gott Hören und Erhören dasselbe ist. C. H. Spurgeon 1869.


V. 6. Die Überschrift des Psalms sagt uns, wann David solch süße Nachtruhe genoss; nicht als er auf weichem Daunenbette in seinem stattlichen Palast zu Jerusalem lag, sondern als er um sein Leben floh vor seinem unnatürlichen Sohne Absalom und wahrscheinlich getätigt war, auf freiem Felde unter dem Betthimmel des Firmaments zu liegen. Das musste fürwahr ein sanftes Kissen sein, das ihn die Gefahr, worin er schwebte, vergessen ließ, da doch das zahllose Heer der Treulosen auf der Jagd nach ihm war. Ja, so überwältigend ist der Einfluss des Friedens Gottes, dass er die arme Kreatur befähigt, sich so fröhlich zum Schlaf ins Grab zu legen wie in das weichste Bett. Einem Kinde gleich, das aus freien Stücken zu Bett gebracht zu werden verlangt, haben etliche Heilige Gott gebeten, sie ins Bett des Staubes zur Ruhe zu betten und das nicht in einer Anwandlung von Unmut und Unzufriedenheit in ihrer gegenwärtigen Trübsal, wie Hiob, sondern in der süßen Empfindung des Friedens Gottes in ihrem Herzen. "Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren", war der Schwanengesang des greisen Simeon. Er spricht wie ein Kaufmann, der alle seine Waren an Bord gebracht hat und nun den Kapitän bittet, die Segel zu hissen und heimwärts zu steuern. In der Tat, warum sollte auch ein Christ, der hienieden doch nur ein Fremdling ist, länger in der Welt zu bleiben verlangen, als nötig ist, um seine volle Ladung einzunehmen? Und wann hat er die? Nicht eben dann, wenn er der Versöhnung mit Gott gewiss ist? Dieser aus dem Evangelium strömende Friede, diese Empfindung der Liebe Gottes im Herzen fördert Gottes Kinder so wunderbar in der Standhaftigkeit in allen Versuchungen und Trübsalen und aller Arbeit für den Herrn, dass Gott den Seinen in der Regel, ehe er sie zu besonders schwerem Dienst und heißer Arbeit ruft, einen Labetrunk dieses herzstärkenden Weines darreicht, um ihren Mut zu erfrischen und sie kühn zum Kampf zu machen. William Gurnall † 1679.
  Dieser Gurnall, zu dessen Lebzeiten aus der großen Themsebrücke in London noch Häuser standen, macht die sinnige Bemerkung; Meint ihr nicht, dass die Leute, die auf der Londoner Brücke wohnen, gerade so sanft schlafen, wie die, welche in Whitehall oder Cheapside (anderen Stadtteilen Londons) wohnen? Sie wissen, dass die Wogen, die unter ihnen dahinrauschen, ihnen nicht schaden können. Gerade so können die Gläubigen über den Fluten der Trübsal oder des Todes im Frieden Gottes ruhen und brauchen kein Unglück zu fürchten (Psalm 23, 4). C. H. Spurgeon 1869.
  Die Gnade ist des Christen Panzerhemd, darin er gegen Pfeil und Kugel gefeit ist. Wohl mag man auf einen wahrhaft in der Gnade lebenden Menschen feuern, aber erschossen werden kann er nicht. Die Gnade versetzt die Seele in Christum, und da ist sie so sicher wie die Biene in ihrem Korb, die Taube in der Arche. "So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind" (Röm. 8, 1). Thomas Watson 1660.
  Es wäre nicht unnütz, darüber nachzudenken, wie die erhaltende Gnade sich an uns erweist, während wir im Schlafe ruhen. Wie wunderbar, dass das Blut fortwährend durch den Körper strömt, die Lungen aus- und einatmen usw., auch die geistigen Kräfte in Tätigkeit bleiben, während das Bild des Todes auf uns liegt. C. H. Spurgeon 1869.
  Das zeitliche Leben der Knechte und Mägde Gottes steht unter einer besondern göttlichen Bewahrung. Solange Gott sie in seinem Dienste brauchen will, erhält er auch ihr Leben. Paulus sagte, er sei immer als ein Sterbender und lebe doch, 2. Kor. 6, 9. Lies dazu 2. Kor. 4, 10. 11. Man hat also nicht nötig, bei dem Dienst, den man dem Herrn Jesus leisten soll, seinen Leib allzu ängstlich zu schonen oder bei der Empfindung seiner Schwachheit allzu furchtsam zu sein, weil das Leben Jesu an demselben offenbar werden und ihn erhalten soll, bis die rechte Stunde erscheint, in welcher man diese Hütte ablegen und in die himmlische Wohnung eingehen soll. Übrigens ist es unsere Schuldigkeit, Gott für die Bewahrung unseres Leibes und Lebens täglich zu danken und besonders an jedem Morgen seine Güte zu preisen, die uns und die Unsrigen, da wir als Schlafende den Toten ähnlich waren und gar keine Vorsichtigkeit beweisen konnten, bewahrt hat. Magnus Friedrich Roos † 1803.


V. 7. Der Psalmist hält am Vertrauen auf Gott fest, so hoffnungslos augenscheinlich seine Lage ist. Er fürchtet sich nicht, obwohl viele Tausende von Feinden ihn umringen. Lasst uns diesen Gedanken recht ins Herz fassen; es gilt glauben trotz dem Augenschein. Der Untergang starrte David von allen Seiten ins Angesicht; wo immer er hinblickte, sah er Feinde. Was war einer gegen Zehntausende? Gottes Kinder kommen manchmal in ähnliche Umstände. Alles kommt über sie. Ihre Trübsale sind kaum zu zählen. Nicht eine Öffnung sehen sie, durch welche sie entkommen könnten. Die Dinge sehen sehr, sehr schwarz aus. Das ist großer Glaube, der in solcher Lage sagen kann: Ich fürchte mich nicht.
  So erging es Luther auf der Reise nach Worms. Sein Freund Spalatin hörte die Feinde der Reformation sagen, die Zusage sicheren Geleits sollte einem Ketzer nicht gehalten werden und Spalatin wurde dadurch voll schwerer Sorge für Luther erfüllt. Als dieser sich eben der Stadt nahte, kam ein Bote zu ihm mit dem Rat: "Geh nicht hinein." Und das von seinem besten Freunde, von dem vertrauten Ratgeber des Kurfürsten, von Spalatin selbst. Aber Luther gab bekanntlich die kühne Antwort: "Ich bin gefordert, und wenn so viel Teufel zu Worms wären, wie Ziegel auf den Dächern, noch wollte ich hineinkommen!" "Denn ich war unerschrocken", setzte Luther kurz vor seinem Tode hinzu, "und furchte mich nichts. Gott kann einen wohl so toll (d. i. kühn) machen. Ich weiß nicht, ob ich jetzt auch so freudig wäre."
  Die vernünftigen Weltleute, die nicht nach dem Glauben, sondern nach dem, was ihre Augen sehen, wandeln, halten es für sehr vernünftig, dass der Christ in solcher Zeit Furcht hege; würden sie selber doch tief drunten sein, wenn sie sich in derartiger Lage befänden. Leute mit schwachem Glauben sind stets bereit, Entschuldigungen für uns zurecht zu machen, und wir sind auch schnell genug dabei, uns selber solche zu suchen. Statt uns über die Schwäche des Fleisches zu erheben, nehmen wir zu ihr unsere Zuflucht und brauchen sie als Entschuldigung unseres Kleinglaubens. Aber nur dann auf Gott vertrauen, wenn der Augenschein günstig ist, heißt nur mit dem Winde und der Flut segeln, heißt glauben, nur wenn wir sehen. Lasst uns denn jenen unbedingten Glauben erstreben, der uns in den Stand setzt, mit David auf den Herrn zu trauen, mag kommen, was will. Philip Bennett Power 1862.
  Es macht nichts, wie furchtbar unsere Feinde sein mögen, - ob Legionen an Zahl, Gewaltige an Macht, Schlangen an List, Drachen alt Grausamkeit, Fürsten, die in der Luft herrschen, an Überlegenheit der Stellung, böse Geister an Bosheit, - Er ist dennoch stärker, der in uns ist, als die wider uns sind. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. In ihm überwinden wir weit in dem allen. William Cowper 1612.


V. 8. Einem den Kinnbacken zerschlagen ist sowohl gewalttätig als beleidigend. Joseph Addison Alexander 1850.
  Wenn der Herr an den Gottlosen Rache übt, wird er sie so schlagen, dass sie in jedem Streich seine Allmacht spüren. Die ganze Größe seiner Macht wird ohne Erbarmen über sie kommen. Ach, dass jeder halsstarrige Sünder das bedenken und erwägen wollte, welch maßlose Tollkühnheit es ist, gegen die Allmacht anzukämpfen! Stephen Charnock † 1680.


Homiletische Winke

V. 2. Der Gläubige, seinen Kummer vor Gott ausschüttend. 1) Sein Recht dazu; 2) die rechte Weise; 3) die herrliche Frucht solch heiligen Verkehrs mit dem Herrn.
V. 3. Die Ränke der Lüge gegen Gottes Kinder und die Berufung dieser auf Gott.
V. 4. Der dreifache Segen, welchen Gott den leidenden Seinen angedeihen lässt; Schutz, Ehre und Freude. Man zeige, wie Gottes Kinder sich auch in der schlimmsten Lage dieser Segnungen im Glauben erfreuen können.
V. 5. 1) Gefahren sollen uns ins Gebet treiben. 2) Gott wird uns gnädiglich hören. 3) Unsere Erfahrungen von Gebetserhörung sollen wir anderen mitteilen. 4) Uns selbst sollen wir für das, was noch kommen mag, durch die Erinnerung an früher erfahrene Durchhilfe stärken.
V. 6. 1) Der friedliche Schlummer des Gerechten; 2) sein fröhliches Erwachen; 3) die Ursache beider: die erhaltende Gnade.
V. 7. Der Glaube, von Feinden umgeben und dennoch frohlockend.
V. 8. 1) Man beschreibe, wie Gott ehemals mit seinen Feinden gehandelt: Du hast usw. (Grundtext). 2) Man zeige, wie der Herr unsere beständige Zuflucht sein sollte: Herr, mein Gott. 3) Man verweile bei dem Gedanken, dass es gilt, den Herrn zum Handeln aufzurufen: Auf, Herr! 4) Man ermahne die Gläubigen, sich auf Gottes frühere Siege zu berufen um von ihm Hilfe zu erlangen.
V. 8b. Unsere Widersacher sind schon überwundene Feinde, Löwen ohne Zähne.
V. 9a. Unser Heil des Herrn Sache von Anfang bis zu Ende.
V. 9b. Gottes Volk gesegnet in Christus, durch Christus und einst mit Christus. Der Segen ruht auf ihrer Person, ihren trostreichen und traurigen Erfahrungen, ihrer Arbeit, ihren Familien usw. Er fließt aus der Gnade, wird im Glauben genossen, ist durch Eidschwur zugesichert usw. James Smith † 1862.

Fußnoten

1. Augustin und andere Kirchenväter, aber auch manche der nachreformatorischen Streittheologen haben die Überschriften als einen Teil des inspirierten Textes angesehen, die Juden singen sie bis auf den heutigen Tag im Gottesdienst mit, und ihre geistliche Bedeutung ist, wie einst bei den Rabbinern, so auch bei manchen der allegorischen Auslegung huldigenden Predigern noch immer beliebt. - James Millard