Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 49 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm der Kinder Korah, vorzusingen, bedarf keiner neuen Bemerkung.

Einteilung. Der Dichter singt, unter Begleitung seiner Harfe (V. 5), davon, wie verächtlich die Gottlosen sind, die auf ihren Reichtum trauen, und tröstet damit die unterdrückten Gläubigen. Die ersten vier Verse, 2-5, bilden ein Vorwort. V. 6-13 verscheuchen alle Furcht vor den mächtigen Bedrückern, indem sie an das Ende dieser erinnern und ihre Torheit nachweisen. V. 14 ist ein Ausdruck der Verwunderung über die beständige Fortdauer solcher Torheit. V. 15.16 stellen die Gottlosen und die Gerechten in Betreff ihrer Zukunft einander gegenüber. V. 17-21 geben in Form einer Ermahnung die Lehre, die sich aus dem Ganzen ergibt. Man beachte den Kehrreim in V. 13.21 und die beiden Sela V. 14 u. 16.


Auslegung

2. Höret zu, alle Völker;
merket auf, alle, die in dieser Zeit leben,
3. beide, gemeiner Mann und Herren,
beide, reich und arm, miteinander!
4. Mein Mund soll von Weisheit reden
und mein Herz von Verstand sagen.
5. Ich will einem Spruch mein Ohr neigen
und kundtun mein Rätsel beim Klange der Harfe.

In diesen vier Versen ruft der prophetische Dichter die ganz Menschheit auf, seiner Lehre Gehör zu schenken.

2. Höret zu, alle Völker. Das Thema des Psalmdichters geht alle Menschen an; von ihnen und darum auch zu ihnen möchte er reden. Freilich ist der Gegenstand nicht solcherart, dass die Menschen ihn gern erwägen; darum muss derjenige, der sie darüber unterweisen will, in sie dringen, ihm doch Gehör zu schenken. Wo das Thema, wie in diesem Falle, mit Recht den Anspruch der Weisheit und Einsichtsfülle erhebt, ist es sehr angemessen, allgemeine Aufmerksamkeit zu fordern; und wenn der Stil, wie bei diesem Psalm, die kräftige Kürze und Gedankenfülle der Sprichwortrede mit der Lieblichkeit der poetischen Form verbindet, wird das Interesse auch leicht geweckt. Merket auf, alle, die in dieser Zeit leben, oder: Nehmt es zu Ohren, all ihr Bewohner der (zeitlichen) Welt. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Wovon der Psalmist reden will, das geht die Bewohner aller Zonen gleich nahe an, denn die Gesetze der Vorsehung sind in allen Landen die nämlichen. Schon dieses einleitende Wort gewinnt aber dadurch großen Ernst, dass es die Weltbewohner an die Kürze und Vergänglichkeit des Irdischen erinnert; denn das hier im Grundtext gebrauchte Wort bezeichnet die Welt in ihrer Zeitlichkeit und Vergänglichkeit und mahnt damit zugleich schon an die dieser Zeitlichkeit gegenüberstehende Ewigkeit mit dem furchtbaren Ernst der Unveränderlichkeit des Loses in dieser Ewigkeit. Wir sollen weise sein und jeder des gedenken, dass auch er ein sterblicher Mensch ist und darum das, was der von Gott erleuchtete Dichter dem sterblichen Geschlecht zu sagen hat, für ihn persönlich von Bedeutung ist. Wir müssen alle einst vor dem Richtstuhl erscheinen; darum sollten wir solche heiligen Mahnungen, die uns helfen können, uns auf jenes ernste Ereignis zu bereiten, alle gewissenhaft beachten. Wer sich jetzt weigert, sein Ohr der heilsamen Unterweisung zu erschließen, wird es einst nicht verstopfen können, wenn der Machtspruch des Richters ertönt: Gehet hinweg von mir, ihr Verfluchten.

3. Beide, gemeiner Mann und Herren1, beide, reich und arm, miteinander. Herrensöhne und gemeiner Leute Kinder, Besitzer reicher Güter sowohl als Leute, die in der Armut schmachten, ihr alle seid gebeten, dem gottbegeisterten Sänger zuzuhören. Das Lied, zu dem er seine Leier spielt, ist freilich traurig, aber lehrreich. Den Geringen wird es Ermutigung, den Vornehmen Warnung bringen, die Reichen wird es nüchtern machen und die Armen trösten, kurz, für jeden soll es eine wichtige Lehre geben, wenn sie nur zu lernen willig sind. Unsere Predigten sollten so beschaffen sein, dass sie jeder Klasse von Menschen etwas sagen, und alle sollten für die Stimme der Wahrheit ein Ohr haben. Wollten wir unsre Worte nur den Reichen anpassen, so wären wir elende Fuchsschwänzer, und zielten wir nur darauf, den Armen zu gefallen, so würden wir die Rolle von Volksverführern spielen. Die Wahrheit darf so verkündigt werden, dass sie von allen Gehör verlangt, und weise Männer suchen sich diese hohe Redekunst anzueignen. Die Reichen und die Armen müssen doch bald im Grabe nahe beisammen liegen; so mögen sie es wohl zufrieden sein, sich auch jetzt auf eine Bank zu setzen. In der Versammlung der Toten sind alle Standesunterschiede ausgemerzt; so sollten sie denn auch jetzt kein Hindernis gemeinsamer Unterweisung sein.

4. Mein Mund soll Weisheit2 reden. (Grundtext) Da der Dichter als Prophet, als von Gottes Geist inspirierter Lehrer, redet und somit über sich selbst hinausgehoben ist, rühmt er mit diesen Worten nicht etwa seine eigenen Fähigkeiten, sondern den göttlichen Geist, dessen Werkzeug er ist. Er weiß, dass der Geist der Wahrheit und der Weisheit durch ihn redet. Wer des nicht gewiss ist, dass, was er redet, gut ist, hat kein Recht, Gehör zu beanspruchen. Und das Sinnen meines Herzens (soll reden, oder: ist) Einsicht. (Grundtext) Derselbe Geist, der den alten Gottesmännern Beredsamkeit verlieh, machte sie auch zu nachdenkenden Menschen. Der Beistand des Heiligen Geistes war nie darauf berechnet, den Gebrauch unserer eigenen geistigen Kräfte überflüssig zu machen. Der Heilige Geist veranlasst uns nicht, zu reden wie Bileams Eselin, die nur Laute von sich gab, ohne irgend zu denken, sondern er leitet uns zu ernstem Nachsinnen und Erwägen, und dann gibt er uns eine feurige Zunge, dass wir mit Macht reden können. (Mt. 7,29.)

5. Ich will einem Spruch mein Ohr neigen. Wer will, dass andere auf ihn hören, muss zuerst selbst ein Hörer sein. Wie der begeisterte Sänger das Ohr zu seiner Harfe neigt, so muss der Prediger sich mit ganzer Seele seinem Amt hingeben. Die Weisheit, von der der Dichter V. 4 gesprochen hat, wurde ihm von oben gegeben, und zwar in der Form eines kernigen Lehrspruchs. Diesen will er erläutern und für das allgemeine Verständnis erschließen. Er will die Wahrheit nicht dunkel lassen; hat er doch ihrer Stimme so lange gelauscht, bis er sie sowohl verstand, dass er nun imstande ist, sie auszulegen und in die gewöhnliche Sprache der Menschen zu übersetzen. Dennoch lag es in der Natur des Gegenstandes, von dem er reden will, dass dieser ein Problem bleiben musste, ja eine dunkle Rede für die unerleuchtete Masse; doch ist dies nicht des Sängers Schuld, sagt er doch: Ich will kundtun mein Rätsel beim Klange der Harfe. Der Schreiber war kein müßiger Grübler, der sich desto mehr in seinem Element fühlt, je dunkleren und geheimnisvolleren Dingen er nachgehen kann; aber er schreckte auch nicht zurück vor ernstem Erforschen tiefer Lebensfragen. Er suchte die im Dunkeln verborgenen Schätze zu erschließen und Perlen aus der Tiefe zu heben. Um sich die Aufmerksamkeit zu gewinnen, goss er die im Lehrspruch ihm gewordene Lebensweisheit in die Form eines Liedes um und stimmte seine Harfe zu dem ernst feierlichen Ton seines Themas. So wollen auch wir uns denn um den Barden des Königs aller Könige scharen und seiner Stimme lauschen.


6. Warum sollte ich mich fürchten in bösen Tagen,
wenn mich die Missetat meiner Untertreter umgibt,
7. die sich verlassen auf ihr Gut
und trotzen auf ihren großen Reichtum?
8. Kann doch einen Bruder niemand erlösen
noch ihn Gotte versöhnen
9. (denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen;
man muss es lassen anstehen ewiglich);
10. dass er fortlebe immerdar
und die Grube nicht sehe.
11. Denn man wird sehen, dass die Weisen sterben
sowohl als die Toren und Narren umkommenund müssen ihr Gut andern lassen.
12. Das ist ihr Herz, dass ihre Häuser währen immerdar,
ihre Wohnungen bleiben für und für;und haben große Ehre auf Erden.
13. Dennoch kann ein Mensch nicht bleiben in solchem Ansehen,
sondern muss davon wie ein Vieh.


6. Warum sollte ich mich fürchten in bösen Tagen, wenn mich die Missetat meiner Untertreter3 umgibt? Der Mann Gottes sieht ruhig solch bösen Zeiten entgegen, wo die frechen Übeltäter, welche allezeit hinter ihm her sind, um ihn bei guter Gelegenheit hinterlistig zu Falle zu bringen, eine Weile obenauf sein werden. Gottlose Menschen liegen allezeit auf der Lauer, um die Gerechten zu untertreten. Es ist eine uralte Voraussage, dass die Schlange den Weibessamen in die Ferse stechen werde, und der Feind unsrer Seele ist sehr darauf bedacht, diese Weissagung zu erfüllen. Auf irgendeiner dunkeln Strecke unseres Weges mag das Böse uns plötzlich umgeben, gleich einem Drachen anschwellen und uns heimtückisch anfallen. Böse Menschen, die gleich einem Rudel Wölfe unseren Fußspuren gefolgt sind, mögen uns unversehens ereilen und wütend umringen. Was dann? Sollen wir uns feige preisgeben? Sollen wir ihren Zähnen zur Beute werden? Davor behüte uns Gott! Nein, nicht einmal fürchten wollen wir uns. Denn was sind diese Feinde? Was anders in der Tat als sterbliche Menschen, die schmählich umkommen werden? Für die Gläubigen kann es keinen wirklichen Grund des Schreckens geben. Ihre Feinde sind zu unbedeutend, als dass sie des wert wären, dass uns auch nur ein Schauer der Furcht ankomme. Spricht der HERR uns nicht zu: Ich, Ich bin euer Tröster; wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen? (Jes. 51,12.).

7. Wie aber, wenn die Feinde des Rechtschaffenen zu den Mächtigen der Erde zählen? Auch dann braucht er sich nicht zu fürchten. Die sich verlassen auf ihr Gut. Arme Toren, die sich mit einer so armseligen, jeden Augenblick mit dem Einsturz drohenden Zuversicht begnügen! Sobald wir unseren Fels mit dem ihrigen vergleichen, sehen wir, dass es Narrheit wäre, sich vor ihnen zu fürchten. Ob sie es mit ihrem Prahlen auch noch so arg treiben, dürfen wir uns doch erlauben, darüber zu lächeln. Was tut’s, ob sie trotzen auf ihren großen Reichtum? So trotzen wir auf unseren Gott, und solange wir das tun, können uns all ihre vermessenen Drohungen nicht bange machen. Große Macht, hohe Stellung und Reichtum machen gottlose Menschen sehr erhaben in ihren eignen Augen und tyrannisch gegen andere Leute; wer aber ein Erbe des Himmels ist, lässt sich von ihrer Großtuerei nicht einschüchtern und von ihrem trotzigen Gebaren nicht zur Memme machen. Er sieht, welch geringen Wert alle irdische Habe hat und wie hilflos auch die Reichsten in der Todesstunde sind; darum ist er nicht so armselig, sich vor einem Eintagsschmetterling, einer Motte, einer Wasserblase zu fürchten.

8. Kann doch einen Bruder niemand erlösen. Nicht einmal seinen eignen Bruder kann auch der Reichste vom Tode erretten; und wenn alle Millionäre der Welt ihre Schätze zusammenlegten, könnten sie doch nicht einen ihrer Brüder und Freunde dem eisigkalten Griff des Todes entreißen. Die großen Hansen prahlen, was sie uns antun wollen; mögen sie zu sich selber sehen! Lasst sie doch ihr Gold auf der Waagschale des Todes wägen und zusehen, wieviel sie damit dem Grabe und den Würmern abkaufen können! In dieser Beziehung stehen die Armen den Reichen gleich; mögen sie ihren Freund noch so herzlich lieben, sie können ihn doch nicht Gotte versöhnen, d. h. Gott das Lösegeld für ihn darlegen. (Wörtl.) Selbst ein fürstliches Lösegeld würde nichts vermögen, ein Monte Rosa von Rubinen, ein Amerika voll Silbers, eine Welt voll Goldes, eine Sonne von lauter Diamanten, alles würde mit Verachtung abgewiesen werden. O ihr Prahler, denkt doch nicht, dass ihr uns mit eurem wertlosen Geld und Gut einen Schrecken einjagen könnt! Geht und schüchtert erst den Tod ein, ehe ihr solche bedroht, die Unsterblichkeit und ewiges Leben in sich haben.

9. Denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen, dass er (das Subjekt des vorigen Verses) es muss lassen anstehen ewiglich. Der Kaufpreis ist unerschwinglich; es kann niemals etwas aus dem Handel werden. Auf alle Zeit muss jeder Versuch, eine Menschenseele mit Gold zu erlösen, fehlschlagen. Der Tod kommt daher und kein Geld kann ihn bestechen; die Hölle folgt ihm, und kein goldner Schlüssel öffnet ihre Kerkertüren. Vergeblich sind drum alle eure Drohungen, ob ihr auch noch so stolz tut auf den gelben Unrat; für eure kindischen Spielsachen haben Männer, die den Wert der Dinge nach dem Sekel des Heiligtums schätzen, nur Verachtung.

10. Es gibt also schlechterdings keinen Preis, um welchen sich irgendjemand die Erfüllung des Wunsches zusichern könnte, dass er fortlebe immerdar und die Grube nicht sehe. Schon jetzt sind die Menschen ganz närrisch aufs Geld erpicht; was für eine tolle Jagd nach dem Golde würde es erst werden, wenn sie sich damit das Elixier der Unsterblichkeit erkaufen könnten? Wirklich werfen manche viel Geld hinaus, um die Würmer um den armseligen Leichnam zu betrügen, indem sie diesen einbalsamieren oder in Metallsärge einschließen; aber es ist ein allzu törichter Handel, eine Narrenposse und nichts weiter. Und was die Seele betrifft, so ist sie zu ätherischer Art, als dass sie von Särgen und Grüften zurückgehalten werden könnte, wenn Gottes Ruf an sie ergeht, sich auf uns unbekannten Bahnen vor seinen Richterstuhl zu begeben.

11. Denn er (Grundtext) sieht (muss sehen), dass die Weisen sterben. Jedermann sieht das. Auch der reiche Geldprotz kann nicht umhin, es zu sehen. Er kann seine Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass weisere Menschen, als er einer ist, dahinsterben und auch er mit all seiner Klugheit dem Tode nicht zu entgehen vermag. Sowohl als die (wörtl.: und dass allzumal) Toren und Narren umkommen. Auch die Toren verschmäht der Tod nicht. Narrenkappe oder Doktorhut, es wandert alles in einen Sack. Keine Tollheit kann das Sterbestündlein hinweglachen, und das Totenglöcklein übertönt mit seinem schrillen Klang die lauteste Ausgelassenheit. Freund Hein tritt in die Hörsäle der Wissenschaft und schreckt auch vor dem Wirtshausqualm nicht zurück. Geistlose, denkfaule Toren und in viehische Dummheit versunkene Menschen nehmen ebensowohl ein Ende wie die edelsten Männer, die ihr Leben dem Erforschen der Wahrheit weihen. Allerdings deutet der Text in feiner Weise einen Unterschied an: Während die wahrhaft weisen Menschen, sofern ihr diesseitiges Leben in Betracht kommt, sterben, wird dem Toren ein schlimmeres Los, denn er kommt um. Er wird ausgelöscht aus dem Gedächtnis, niemand beweint ihn, niemand sehnt ihn zurück. Und müssen ihr Gut andern lassen. Nicht einen Heller können sie mitnehmen. Ob in rechtmäßiger Ehe erzeugte Leibeserben ihre Güter in Besitz nehmen, oder ob niemand da ist, der auf das Erbe Anspruch erheben kann, macht dabei keinen Unterschied; gewiss ist, dass all die aufgehäuften Schätze ihnen nicht mehr gehören. Mögen Verwandte sich um die Güter zanken oder Fremde diese als Beute unter sich teilen, sie können nichts dawider tun. Ihr Prahlhänse, sorgt doch erst dafür, dass ihr euer Eignes behalten könnt, ehe ihr davon träumt, den Söhnen des lebendigen Gottes ihr Erbteil zu rauben! Seht, dass ihr selber etwas an den Füßen habt auf dem dunkeln Weg durchs Todestal, ehe ihr uns zu Fall zu bringen sucht.

12. Das ist ihr Herz (wörtl.: ihr Inneres4, dass ihre Häuser währen immerdar, ihre Wohnungen bleiben für und für. Das ist fürwahr ein großer Narr, der in seinem innersten Wünschen und Meinen noch törichter ist, als er in Worten laut werden lassen darf. Solch faule Frucht, faul bis ins Herz hinein, sind die Weltmenschen. Tief drinnen in ihrem Herzen wähnen sie, ob sie es auch nicht auszusprechen wagen, dass die irdischen Dinge reale, bleibende Güter seien. Die verrückten Träumer! Die vielen Ruinen von Schlössern und Burgen, der Verfall ihrer eigenen Paläste und Herrschaftssitze sollte sie wahrhaftig eines Bessern belehren; aber das alles hindert sie nicht, den eitlen Wahn zu hegen und zu pflegen. Sie können das Trugbild der Fata Morgana nicht von dem wahren Strom des lebendigen Wassers unterscheiden; sie schwätzen sich vor, der Regenbogen sei beständig, und halten Wolkengebilde für unbewegliche Alpenketten. Und rufen aus ihre Namen über Ländereien (wörtl.5: feierlich benennen sie ihre mächtig sich ausdehnenden Güter nach ihren Namen, als wären diese unsterblich, sie selber ewig. Verbreitet genug ist die Sitte, die der Psalmdichter hier geißelt. Die Scholle muss den Namen dessen tragen, der doch aus ihr gebildet ward6 - er könnte ihn ebensogut auf eine Eisscholle schreiben. Es hat sogar Menschen gegeben, die ganze Länder nach ihrem Namen genannt haben; aber was hilft es ihnen, dass sie in eitler Ehrsucht ihren Namen so "verewigen"? Was wird ihr Name anders sein als ein leerer Schall, wenn sie selber aus dem Lande der Lebendigen weggetilgt sind?

13. Aber der Mensch (wenn er auch) in Herrlichkeit (im Gepränge seines Reichtums und Ansehens lebt) hat keinen Bestand. (Grundtext) All die Herrlichkeit der Sterblichen ist dem Prunk zu vergleichen, den man im heidnischen Rom für einen Tag zum Besuch des Theaters oder des Zirkus leihen konnte. Und der reichste Eigentümer hat so wenig seines Bleibens, dass er jemand gleicht, der sich ein Plätzchen auf Stunden gemietet hat und nicht einmal über Nacht bleibt. Ob er auch in einem Marmorpalast wohnt, die Kündigungsurkunde ist schon ausgefertigt. Je höher ein Mensch steht, desto mehr ist er in Gefahr, hinabzustürzen und sich das Genick zu brechen. Bist du etwa "der Held des Tages"? Schon dieser Name selbst sollte dir eine ernste Predigt von der Vergänglichkeit alles irdischen Glanzes sein. Auch den Königen ist kein anderes Los beschieden. Das Zepter entfällt der erstarrten Hand, die es einst so fest umfangen hielt, und wenn das Leben entflohen ist, gleitet die Krone von dem Haupte. Er wird dem Vieh gleich: sie werden stumm gemacht, d. h. vertilgt. (Grundtext) In dem ganzen Psalm hat der Dichter ja nicht solche Reiche im Sinn, wie Abraham einer war, sondern ihm stehen die gottlosen Geldmenschen vor Augen, die auf ihren Reichtum pochen und die Elenden des HERRN (Jes. 49,13) unterdrücken. Solch ein Leuteschinder gehört nicht zu den Schafen des guten Hirten, die dieser behütet, dass sie nimmermehr umkommen, sondern er ist gleich dem Vieh, das dazu bestimmt ist, getötet zu werden. Er lebt wie das Vieh und stirbt wie das Vieh. Er wälzt sich im Schlamm der Lüste und übersättigt sich an den Reichtümern; er wird zum Schlachttag gemästet und stirbt wie der Ochse unter der Hand des Schlachters. Ach, dass ein Mensch, das edle Geschöpf, sein Leben so unwürdig verbringen und so schmählich enden kann! Was ist in der Tat, sofern diese Welt in Betracht kommt, für ein Unterschied zwischen der Art, wie so manche Menschen sterben, und dem Verenden eines Hundes? Schimpflich sinken sie wieder in den Staub, daraus sie hervorgegangen sind, und ihr großes Maul muss auf ewig verstummen. Steht es so, was haben dann die Gottesfürchtigen noch Anlass, sich zu fürchten, wenn solch ein unvernünftiges Vieh in Menschengestalt sie anfährt? Haben sie nicht allen Grund, ihre Seelen mit Geduld zu fassen?


14. Dies ihr Tun ist eitel Torheit;
doch loben’s ihre Nachkommen mit ihrem Munde. Sela.


14. Das törichte Vertrauen der gottlosen, nicht an ihr Ende denkenden Reichen auf das Sichtbare ist nicht etwa ein gelegentliches Abirren von dem Pfad der Weisheit, sondern ist ihr Weg (wörtl.), den sie beharrlich verfolgen; ihr ganzes Tun und Leben ist von solchen Grundsätzen geleitet, ist eitel Torheit (Luther7. Wenn sonst nichts an ihnen echt ist, so doch ihre Torheit; in der Beziehung sind sie in der Wolle gefärbt. Ihr ganzes Wesen und Tun hat das Gepräge dummdreister Torheit. Doch loben’s ihre Nachkommen8 mit ihrem Munde, besser: stimmen in ihre Reden ein.9 Diejenigen, welche nach dem Recht der Geburt ihre Nachfolger sind, folgen ihnen auch getreulich in der Torheit, führen ihre törichten Lebensregeln als Weisheitssprüche im Munde und nehmen ihre tolle Jagd ins Verderben als die weiseste Lebensart an. Wie ist es möglich, dass sie nicht aus dem Bankrott ihrer Väter ersehen, welche Toren diese waren? Aber nein, Art lässt nicht von Art, ein Geschlecht vererbt dem andern seine Fehler. Die Gnade und die von ihr gewirkten Tugenden sind nicht erblich; aber die profane Gesinnung geht von Geschlecht auf Geschlecht weiter. Der Stamm der Narren stirbt nie aus. Es bedarf keiner Missionare, um die Menschen zu lehren, wie sie sich ihrer Abstammung aus dem Staub der Erde würdig benehmen sollen; denn sie kriechen von Natur im Staube. Sela. Mit Recht hält der Sänger inne und ladet auch uns damit ein, über die tiefgewurzelte Torheit der Adamskinder nachzusinnen. Nimm den Anlass wahr, lieber Leser, über deine eigene nachzudenken!


15. Sie liegen in der Hölle wie Schafe, der Tod weidet sie;
aber die Frommen werden gar bald über sie herrschen, und ihr Trotz muss vergehen; in der Hölle müssen sie bleiben.
16. Aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Hölle Gewalt,
denn er hat mich angenommen. Sela.


15. Manche übersetzen: Man legt (oder treibt, stößt) sie in die Unterwelt wie Schafe10. Gleich stummen Tieren werden sie widerstandslos ihrem düsteren Geschick zugetrieben und in die Hölle eingepfercht. Wie Schafe, die gehen, wohin immer sie getrieben werden, und gedankenlos ihrem Führer folgen, so werden diese Menschen, die das Irdische zu ihrem Lebenselement erwählt haben, von ihren Leidenschaften unaufhaltsam vorwärts gedrängt, bis sie sich am Ende ihres Weges in den Tiefen des Hades finden. Plötzlich stürzen sie hinunter in den Abgrund des Verderbens. Oder wenn wir der anderen Übersetzung "Sie lagern sich wie Schafe in die Unterwelt " folgen, so finden wir hier den Gedanken ausgedrückt, dass sie friedlich, oder sagen wir lieber: in stumpfer Gleichgültigkeit, sterben und ins stille Grab gebettet werden - nur dass darauf ein schreckliches Erwachen zu ewiger Schmach folgt. Der Tod weidet sie. Der Tod treibt sie wie eine willenlose Herde vor sich her und führt sie zu seinem Weideplatz, wo doch keine Weide, sondern nur Jammer zu finden ist, und wo sie nun dennoch ewig bleiben müssen. Die Gerechten werden von dem guten Hirten zu den ewig grünen Auen geleitet; die Gottlosen aber haben den König der Schrecken zu ihrem Meister, der treibt sie zur Hölle. Wie die Macht des Todes sie schon in dieser Welt beherrscht hat, denn sie sind nicht vom Tode zum Leben hindurchgedrungen, so werden sie in der zukünftigen Welt die Schrecken des Todes erfahren, wie dies in der (dem Grundtext aber nicht entsprechenden) Übersetzung Luthers besonders kräftig zum Ausdruck kommt: Der Tod naget sie.11 Wie alte Geschichten von schrecklichen Riesen erzählen, welche die armen Opfer verzehren, die sie in ihren Käfig gelockt haben, so weidet sich der Tod an dem Fleisch und Blut der Mächtigen dieser Welt. Und es herrschen über sie (wörtl.: treten sie nieder, setzen ihnen den Fuß auf den Nacken) die Rechtschaffenen am Morgen. (Grundtext) Die armen Frommen waren einst verachtet und hintangesetzt: aber beim Tagesanbruch werden sie das Haupt erheben. Die Sünder herrschen, bis die Nacht hereinbricht. Ihre Herrlichkeit verwelkt am Abend, und am Morgen finden sie alles gänzlich verändert und ins Gegenteil verkehrt. Der lieblichste Gedanke für die Rechtschaffenen ist der, dass der Morgen, auf welchen hier hingewiesen wird, der Anbruch eines nimmer endenden, ewig heitern Tages ist. Welche Qual wird es für den stolzen Weltmann sein, wenn der erhabene Richter seine Morgensitzung abhält und er nun Menschen, die er verachtet hatte, im Himmel hoch erhöht sieht, während er selber verworfen und verdammt ist. Und ihre Gestalt wird, der Verzehrung der Unterwelt verfallend, wohnstattlos.12 Was immer die Gottlosen an Herrlichkeit hatten, wird im Grabe, dieser Pforte des Hades, vergehen. Ansehen und Anmut schwinden dahin, die Verwesung macht all ihrer Schönheit und Pracht den Garaus. Selbst ihr letztes Wohnhaus, das Grab, wird nicht imstande sein, die ihm anvertraute Leibeshülle zu schützen; der Körper löst sich auf, keine Spur bleibt zurück von den reckenhaften Gliedern und dem stolzen Haupte, nicht ein Überbleibsel der einstigen Herrlichkeit ist zu entdecken. Die Herrlichkeit der Gerechten ist noch nicht enthüllt, sie wartet auf die Zeit, da sie offenbar gemacht werden wird; aber alle Herrlichkeit, welche die Gottlosen je besitzen, hat ihre Blütezeit in diesem kurzen Leben; sie wird vergehen und verwehen, verfallen und verfaulen und gänzlich verschwinden. Wer wollte denn noch die stolzen Sünder beneiden oder fürchten?

16. Aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Hölle (d. i. der Unterwelt) Gewalt. Wir werden, durch Gottes Macht lebendig gemacht, zur rechten Stunde aus unserem zeitweiligen Ruheort, dem Grabe, hervorgehen. Gleich unserm auferstandenen Haupte können wir von den Fesseln des Grabes nicht gehalten werden; die Erlösung hat uns aus der Sklaverei des Todes befreit. Mit allen Reichtümern der Welt konnte der Mensch weder sich noch andern eine Erlösung bereiten; aber Gott hat eine Erlösung für uns erfunden in dem Blut seines Sohnes. Unser erstgeborener Bruder hat Gott ein vollgültiges Lösegeld bezahlt, so dass wir nun die Erlösten des HERRN sind. Und weil wir um einen so teuren Preis erkauft sind, werden wir ganz gewiss durch Gottes Macht aus der Gewalt des letzten Feindes erlöst werden. Denn er wird mich (zu sich) nehmen. (Grundtext) Wenn es von mir einst auch nicht ganz in dem gleichen Sinne wie von Henoch oder Elia mag gesagt werden können: "Er ward nicht mehr gesehen, denn Gott hatte ihn zu sich genommen" (1. Mose 5,24; vergl. 2. Könige 2,3 ff.13, so werde ich doch denselben herrlichen Stand wie jene erreichen. Meinen Geist wird Gott aufnehmen, und mein Leib wird in süßer Ruhe und in Gemeinschaft mit Jesus schlafen, bis auch er, in Jesu Bild verklärt, in die Herrlichkeit wird aufgenommen werden. Wie unendlich erhaben ist doch solch eine lebendige Hoffnung über alles das, womit unsre Unterdrücker sich brüsten! Wahrlich, hier gibt’s was zu sinnen! Darum folgen wir gern dem Wink des Sela, ein wenig in stiller Muße zu verweilen.


17. Lass dich’s nicht irren, ob einer reich wird,
ob die Herrlichkeit seines Hauses groß wird.
18. Denn er wird nichts in seinem Sterben mitnehmen,
und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren.
19. Er tröstet sich wohl dieses guten Lebens,
und man preiset, wenn einer sich gütlich tut;
20. aber doch fahren sie ihren Vätern nach
und sehen das Licht nimmermehr.
21. Kurz, wenn ein Mensch in Ansehen ist und hat keinen Verstand,
so fähret er davon wie ein Vieh.


17. In diesen letzten Versen wird der Psalmdichter zum Prediger und gibt ermahnende Lehren, die er aus der Erfahrung gesammelt hat. Lass dich’s nicht irren, ob einer reich wird. Zage nicht, wenn du sehen musst, dass es dem Gottlosen gelingt. Wirf keine zweifelnden Fragen auf über Gottes Gerechtigkeit; lass dir nicht dein Gemüt von dunkeln Ahnungen umwölken. Zeitliches Wohlergehen ist eine zu geringe Sache, als dass es der Mühe wert wäre, sich darüber aufzuregen; lass die Hunde ihre Knochen und die Schweine ihre Treber haben. Ob die Herrlichkeit seines Hauses groß wird. Gräme dich nicht darüber, wenn ein ruchloser Mensch samt seiner Familie zu hohen Ehren kommt, in Überfluss schwelgt und mächtig wird; es wird alles zu seiner Zeit zurechtgebracht werden. Nur Leute, deren Urteil wertlos ist, schätzen einen Menschen deshalb höher, weil seine Güter an Umfang zunehmen. Wer aus solch unvernünftigen Gründen hohes Ansehen genießt, wird bald erfahren müssen, dass er auf seinen richtigen Wert herabgesetzt wird, wenn Wahrheit und Gerechtigkeit hervortreten.

18. Denn er wird nichts in seinem Sterben mitnehmen. Er hat seine Äcker nur in Pacht, und mit dem Tode nimmt sein Besitzrecht ein Ende. Wenn es durchs Wasser des Todes geht, muss sich der Mensch von allem entblößen. Nicht einen Lappen von all seiner Kleiderpracht, nicht einen Heller von all seinen Schätzen, nicht ein Jota von all seinen Ehrentiteln, nicht einen Schatten von all seiner Herrlichkeit kann er bei seinem Tode mitnehmen. Was sollten wir denn auf ein Glück neidisch sein, das so jämmerlich zerfließt und verschwindet? Und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren. Er fährt hinab, hinab, immer tiefer hinab; aber von all seinen Ehren und Reichtümern folgt ihm nichts nach. Im Reich der Toten sind alle Adelsprivilegien ungültig. Seine Ehrwürden und Hochwürden, Seine Exzellenz und Seine Durchlaucht, und wie sie alle heißen mögen, werden in der Gruft ihre Titel alle gleich lächerlich finden. Die Hölle kennt keine Aristokratie, weder die der Geburt noch die des Geldes. Die "vornehmen" Sünder, die "hochwohledlen" Wüstlinge werden finden, dass die ewigen Flammen auf ihre "Bildung", ihre feinen Manieren und noblen Passionen gar keine Rücksicht nehmen.

19. Ob er seine Seele auch bei seinen Lebzeiten segnet (wörtl.), das heißt, sich selber glücklich preist in seinem Weltgenuss. Er hat sein Gutes in diesem Leben. Sein Hauptlebenszweck und -ziel ist, sich selber selig zu preisen; darum ist er auch entzückt von den Schmeicheleien der Schwätzer. Und sie (die Urteilslosen) dich preisen, dass du dir gütlich tust. (Wörtl.) Die große Masse betet den Erfolg an, einerlei, wie er errungen sein mag. Wer kümmert sich darum, welche Farbe das Pferd hat, das den Rennpreis gewinnt? Es ist der Sieger, und das ist genug. "Jeder ist sich selbst der Nächste", das ist der Wahlspruch der Welt, und wer dem nachfolgt, der ist ein gescheiter Kopf, ein tüchtiger Kaufmann, ein Mann von gesundem Verstand und nüchterner Lebensanschauung. Sieh, dass du zu Geld kommst, so bist du ein angesehener Mann, ein respektabler Mensch, dein Haus ist eine der tüchtigsten Firmen, und deine Familie gehört zu den "besten" Familien in der Stadt. Andern Gutes tun erwirbt uns Ruhm im Himmel; aber sich selber Gutes tun, das gilt bei den Kindern der Welt für das Klügste. Und doch kann nicht ein leiser Hauch von all den Beglückwünschungen und Schmeicheleien dem abgeschiedenen Reichen folgen. Und ob die Leute von ihm rühmen, er sei, als er starb, so und so viel tausend Taler "wert" gewesen, was für einen Reiz hat das für das todeskalte, todestaube Ohr? Der Bankier verwest so schnell wie der Schuhputzer, der Baron wird so stinkend wie der Bettler. O du armseliger Reichtum, dein Schimmer ist nur das Schillern der Seifenblase, dein goldener Schein nicht dauerhafter als der gelbe Morgennebel.

20. Hinkommen wird sie (seine Seele) dennoch zum Geschlecht seiner Väter. (Grundtext) Wo das frühere Geschlecht liegt, wird auch das jetzige ruhen. Die Altvordern winken ihren Nachkommen, in das gleiche Land der Vergessenheit hinabzufahren. Sterbliche Väter erzeugen nicht unsterbliche Söhne. Wie unsre Vorfahren abgeschieden sind, so müssen auch wir davon. Die in Ewigkeit (das) Licht nicht sehen. (Grundtext) Keiner der abgeschiedenen Weltmenschen wird je zum irdischen Licht zurückkehren, um seine Güter wieder zu besitzen und seine Würden zu genießen. Und noch viel weniger wird er das Licht je schauen, welches den Frommen nach der Nacht des Todes aufgehen wird. Unter den Toten muss er liegen in dichter Finsternis, wo keine Freude, kein Hoffnungsstrahl je zu ihm dringt; denn er ist eingegangen in den Kerker, über dessen Pforte eingemeißelt steht: Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate14 Von all seinen Schätzen ist ihm nicht so viel geblieben. dass er sich ein ärmliches Talglicht kaufen könnte! Der Fackelschein seiner Herrlichkeit ist erloschen für immer und ewig, und nicht ein Fünklein ist übrig, ihn zu trösten. Wie ist’s denn möglich, dass wir mit Furcht oder Neid auf einen Elenden blicken, dem solch unseliges Geschick bevorsteht?

21. Das Gedicht endet mit dem - in gar feiner Weise veränderten - Kehrreim: Der Mensch (wenn er auch) in Herrlichkeit (lebt) und nicht verständig ist, wird dem Vieh gleich: sie werden stumm gemacht, d. h. vertilgt. (Grundtext) Der Verstand unterscheidet den Menschen vom Tier; aber wenn der Mensch sich der höchsten Weisheit zu folgen weigert und, dem Tier gleich, sein höchstes Gut in diesem Leben sucht, so wird sein Ende so elend und entehrend wie das des Viehes auf der Schlachtbank. Von der höchsten Höhe weltlicher Ehre bis zur tiefsten Tiefe des Todes ist nur ein Schritt. Das Traurigste ist dabei aber dies, dass die Menschen zwar in all der Erniedrigung des Sterbens dem Vieh gleichen, aber nicht in der Ruhe, die dem verendenden Tier gewiss ist; denn dem Menschen gilt das Wort: Und sie werden in die ewige Pein gehen (Mt. 25,4).
  In solch ernsten Tönen klingt des Sängers Harfe aus. So voll Trostes der Psalm für die Gerechten ist, so voller Warnung für die Kinder dieser Welt. Nehmt es zu Herzen, beide, Reiche und Arme! Überhört den Mahnruf nicht, ihr Nationen der Erde!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Wie der 45. Psalm ein Vorläufer des Hohen Liedes ist, so dieser ein Vorläufer eines andern Buches der Weisheitsschriften, nämlich des Predigers. James Millard Neale 1860.
  An Parallelen mit dem Prediger vergl. Pred. 2,16.18.19 mit V. 11.14; Pred. 3,19 mit V. 13; Pred. 5, 13-15 mit V. 17; Pred. 3, 19 "in seinem Leben" mit V. 19, und Pred. 11,9 "sich gütlich tun" ebenfalls mit V. 19. - Auch mit den Reden des Elihu sind Berührungen da; vergl. Hiob 33,18-30 mit V. 8.10.16.20; Hiob 35,11 mit V. 21. - James Millard
  Man beachte die Fülle feiner Gegensätze in dem Psalm. - James Millard
  Vox ecclesiae super Lazaro et divite purpurto (die Stimme der Gemeinde über Lazarus und den im Purpur glänzenden Reichen, Lk. 16) ist der Psalm in einer Handschrift des psalterium Hieronymi überschrieben. Prof. Friedr. Bäthgen 1904.
  Der Lehrspruch, dem der Dichter nach V. 5 sein Ohr neigt, ist nach der Annahme einiger Ausleger das in V. 13 angeführte Sprichwort, das dann V. 21 vom Verfasser mit formell kleiner, inhaltlich wichtiger Abänderung am Schluss der Betrachtung wiederholt wird. Der Dichter zieht im ersten Abschnitt, V. 6-14, die Wahrheit aus diesem Sprichwort: Der Reichtum ist nichtig, denn kein Mensch kann durch irdisches Gut von dem allgemeinen menschlichen Los der Sterblichkeit losgekauft werden. Alle müssen sterben und ihr Vermögen andern lassen. Darum ist das, ob einer in der zeitlichen Welt (V. 2) reich oder arm ist, nur eine Sache von vorübergehender Bedeutung, und der Fromme soll sich durch seine gedrückte Lage nicht in Unruhe bringen lassen (V. 6). Die Gleichheit des Ausgangs aller Menschen, die in dem Sprichwort durch die Vergleichung mit dem Ende des Viehes so stark ausgesprochen wird, bezieht sich jedoch nur auf das Sichtbare. Der Dichter will den Endsatz des Sprichworts nicht auf alle Menschen ohne Unterschied ausgedehnt wissen. Er gibt in dem zweiten Teil der Betrachtung vielmehr überraschende Blicke in die Verschiedenheit des Schicksals der Menschen nach dem Tode. Wohl kommen alle in die Unterwelt; aber während die ungerechten Reichen, die sich unsterblich wähnen, samt ihren Nachfolgern dort eingetrieben werden, wie man Schafe für die Nacht in den Pferch treibt, und dort der Tod, der König der Schrecken, sie weidet und sie das Licht in Ewigkeit nicht sehen, bricht für die Rechtschaffenen nach der kurzen Nacht der Trübsal ein Morgen an, und an diesem Morgen sehen sie sich als Herrscher über jene, ihre Unterdrücker, während die Reichen zu ihren Füßen unten in der Erde vollends unter der fortwährenden Macht des Todes zugrunde gehen. Ja dieser Morgen bringt dem Frommen die Erlösung, jene Loskaufung von dem Todeslose, die kein Mensch mit allem, was er an Vermögen irgendwelcher Art hat, seinem Mitmenschen erwirken konnte (V. 9): Gott, triumphiert der Glaube, wird meine Seele freimachen aus der Hand der Scheol, aus der ganzen Machtsphäre des Todes. Jene weidet der Tod; ihn fasst (rettend) Gottes Hand, oder, nach der andern, sich durch Ps. 73,24 empfehlenden Auffassung des Sinnes der Worte: ihn nimmt Gott zu sich. Also nicht der Unterschied zwischen reich und arm ist das Wichtige, sondern die innere Stellung des Menschen, ob er zu den Myri$fy:, den Rechtschaffenen, gehört, oder, wie der Dichter mit feiner Abänderung des Sprichworts von V. 13 in V. 21 sagt: ob er verständig ist oder nicht, ob er zwischen Vergänglichem und Unvergänglichem mit Einsicht unterscheidet oder nicht. Nur auf die Toren passt der Schlusssatz des Sprichworts völlig, das der Dichter denn so abgeändert nachdrücklich an den Schluss der Betrachtung stellt.
  Der Vers 13 sieht sich allerdings ganz wie ein aus der Chokma (der alttestamentlichen Lehr- und Lebensweisheit) entstandenes und speziell dem "Prediger" verwandtes Sprichwort an. Dass der Dichter das Sprichwort nicht gleich nennt, sondern erst als Abschluss der Betrachtung V. 13.21 verwendet, ist zwar auffallend, aber doch erklärbar. Der Psalm wäre somit auch homiletisch interessant als Beispiel einer geistvollen Predigt über ein Sprichwort. Er benutzt dessen Wahrheitsgehalt trefflich, bekämpft dagegen (im 2. Teil der Betrachtung) den bei Zeitlichkeitsmenschen leicht möglichen epikureischen (1. Kor. 15,32) Missbrauch desselben, beleuchtet es mit dem Ewigkeitslicht des Glaubens und führt damit seine Hörer über dasselbe hinaus. Wie sehr unterscheidet sich der Psalmist in dem Gehalt seiner Predigt von seinen rationalistischen Nachfolgern in der Sprichwortpredigt an der Wende des 18. Jahrhunderts!
  Andere Ausleger verstehen unter dem Lehrspruch V. 2 nicht den von V. 13 (u. 21), sondern "einen Lebensweisheitsspruch, wie Gott solche die Menschen lehrt. Ein solcher gibt sich dem Dichter des Psalms innerlich zu vernehmen" (Delitzsch). Vergl. dazu die Auslegung Spurgeons. Man kann für diese Auffassung das feierliche "Ich will einem Lehrspruch mein Ohr neigen ", das auf etwas offenbarungsweise Empfangenes hindeute, anführen. Dann liegt hier, wobei viele Ausleger verweilen, "eine der wenigen Stellen im alten Testament vor, wo das Bewusstsein göttlicher Eingebung auch für die Lehrdichtung, die nicht Weissagung oder Orakel im engeren Sinne ist, klar hervortritt" (Stier). Auffallend bleibt dann freilich, dass der Lehrspruch gar nicht (in der Form eines solchen) angeführt wäre, während doch in V. 13.21 offenbar ein Maschal, ein Lehr- oder Lebensweisheitsspruch vorliegt. - James Millard


V. 2. Höret zu usw. Es ist hoch vonnöten, dass wir und alle Menschen unsre Ohren und Herzen zu Gott wenden und aus Gottes Wort als aus Gottes Munde lernen uns selbst und Gott recht erkennen. Denn was vor tausend Jahren durch den Geist Gottes geredet ist, das ist eben so neu, so kräftig, so lebendig, so voll Geistes, als wenn es jetzt erst geredet würde. Johann Arnd † 1621.


V. 4.5. Mein Mund soll von Weisheit reden. Mit Recht empfiehlt der Verfasser seine Lehre mit solchen Worten. Dabei ist es besonders wirksam, dass er nicht allein andere zu fleißigem Aufmerken ermuntert, sondern (V. 5) auch sich selbst in die Reihe derer stellt, die aufmerken wollen. Dadurch bezeichnet er auch sich als einen Schüler, der selbst als Lehrer noch zu lernen wünscht. Sicherlich gleichen ihm in diesem Stück alle Propheten Gottes; sie wollen sich gerne mit dem Volk zusammen in die Schule Gottes begeben und dessen Stimme, die sie wiederum mit ihren Worten andern bringen, in erster Linie für sich selber vernehmen. Der Dichter legt mit Bedacht Gewicht auf seine Lehre. Er schwatzt nicht ohne Überzeugung von seinen Gedanken, sondern redet nur, was er in Gottes Schule gelernt hat. Das ist auch die allein richtige Art, in der Gemeinde Gottes zu lehren. Jean Calvin † 1564.


V. 7. Die sich verlassen auf ihr Gut usw. Selbstgespräch eines Geldgierigen: Ihr könnt mir’s glauben, wir leben in bösen, gefahrvollen Zeiten, wo es einem schlimm ergeht, wenn man sich auf andre verlassen muss; denn die barmherzige Liebe ist erkaltet, und Freunde gewähren wenig Trost. Je leerer der Beutel ist, desto mehr Sorgen gehen hinein, und leere Taschen machen ein schweres Herz. Die Armut scheucht Freunde und Verwandte von uns wie die Pest, dass uns nichts übrigbleibt als ein Miserere. Sie ist eine höchst ansteckende Krankheit, die allgemein gefürchtet ist und nur in seltenen Fällen geheilt wird. Das beste Gegenmittel ist Tausendgüldenkraut, und der beste Labetrunk aurum potabile (flüssiges Gold). Schulden sind böse Krankheitsstoffe und erzeugen gefährliche Säftestockung. Borgen führt sicher zur Schwindsucht und bringt den Patienten ganz herunter. Mögen sich andere auf die Versprechungen glattzüngiger Menschen, auf die Treue ihrer Freunde oder auf die Gunst von Fürsten verlassen; mir aber gebt bar Geld, das liebe sichere Gold! O du teurer Mammon, wie unaussprechlich süß ist deine allgebietende Gegenwart meiner wohlgepflegten Seele! Du bist in der Verbannung mein teurer Gefährte, in Gefangenschaft mein kostbares Lösegeld, in Schmerzen und Trübsalen meine süße Ruhe, in Krankheit mein Heilmittel, in Kummer mein einziger Trost, in jeder Not meine alleinige Zuversicht. Die Tugend muss sich vor dir verschleiern, ja die höchste sittliche Schönheit würde, wenn sie nicht durch dich versüßt würde, dem unverdorbenen Gaumen der Menschenkinder nicht zusagen. Wohlan denn, meine Seele, ratschlage, sinne, plane! Geh, umziehe Land und Meer; lass nichts unversucht, probiere jeden Weg und jedes Mittel; verliere keine Minute der kostbaren Zeit; gönne deinen Augen keinen Schlaf, deinem Kopf keine Ruhe; entziehe deinem nimmersatten Madensack die Nahrung, entblöße deinen Rücken; betrüge, hintergehe, schwöre Meineide, kurz, setze alles daran, um diesen deinen Herzensfreund umfangen zu halten! Er wird dir’s reichlich lohnen. Bist du gering von Geburt, er wird dich zu Ehren bringen; fehlt es dir an Gewalt, er wird dich zu einem gefürchteten Manne machen. Hast du wenige Freunde? Er wird dir deren genug verschaffen. Hast du einen faulen Prozess? Er wird dir beredte Verteidiger gewinnen. Freilich ist die vielgepriesene Weisheit eine treffliche Hilfe, wenn sie sich nach der nützlichen Seite neigt, und Gelehrsamkeit ist eine schöne Zierde, wenn sie nicht ein zu kostspieliger Luxus ist; aber, mit Verlaub, beide sind doch nur Pachtgüter auf Lebenszeit, das unvergängliche Gold aber bringt, wenn es vorteilhaft benutzt wird, nicht nur dir selber glückliche Tage, sondern auch deinen Kindern und Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht. Nun denn, mögen andre sich ihr Hirn mit teuer erkauftem Verstand füllen, ihre Pfennige an kostspielige Wohltaten vergeuden und sich das Herz mit Frömmigkeit vollpfropfen, die keinen Gewinn abwirft; mögen sie alles daransetzen, um das Gespenst, das sie Gewissen nennen, zu befriedigen, und sich bettelarm machen, um den Ruf von Biedermännern zu haben - so sei du doch nicht solch ein Narr, sondern fülle deine Taschen und Scheunen, sammle Vorrat für viele Jahre und lass dir’s wohl sein bei deinem Golde! Francis Quarles † 1644.
  Wer klopft dreister an der Himmelstür, Einlass begehrend, als solche, die Christus als Übeltäter hinwegweisen wird? Wehe über solchen Selbstbetrug! Der römische Kaiser Kaligula machte sich nie lächerlicher, als da er als Gott verehrt sein wollte, während er seinem Leben nach eher einem Teufel ähnlich war. Ehe ihr von andern als Christen angesehen sein wollt, erweiset doch um alles erst, dass ihr Menschen seid und nicht Tiere, als welche euch euer viehisches Leben kennzeichnet. Wäre der Weg zum Himmel so leicht, so hätten sich die Heiligen aller Zeiten arg getäuscht, die sich’s so viel Mühe haben kosten lassen, ihre Leidenschaften zu töten und ihre sinnlichen Begierden zu verleugnen. Wozu haben sie so viel Schweiß vergossen über ihrem Eifer, Gott zu dienen, und so viele Tränen, dass sie ihm nicht besser dienen konnten, wenn sie auf solche Weise hätten in den Himmel kommen können, wie diese Menschen träumen? Da hatte jener Mönch ein gesunderes Urteil, der einst in Rom zur Fastenzeit in Gegenwart von Kardinalen und vielen andern Großen zu predigen hatte und seine Predigt mit folgenden überraschenden Sätzen voll bitterer Ironie begann: "St. Petrus war ein Narr, St. Paulus war ein Narr, alle die ersten Christen waren Narren, denn sie meinten, man käme in den Himmel, indem man bete und faste, wache und weine, sich schwer kasteie und die Pracht und Herrlichkeit der Welt verleugne, während ihr hier in Rom eure Zeit mit Bällen und Maskeraden verbringet, in Pracht und Pomp, in Lust und Luxus lebt und euch dennoch für gute Christen haltet und auf die Seligkeit hofft. Aber zuletzt werdet ihr die Narren sein und jene die weisen Leute." William Gurnall 1671.


V. 8. Gewisse Tiere, die Gott geweiht waren, konnten um Geld gelöst werden; aber mit keinem Geld der Welt konnte eine Menschenseele gelöst werden. Dass aber Gott für eine Loskaufung sorgen werde, hatte der Glaube der Frommen des alten Bundes vorausgeschaut: Er wird Israel erlösen (loskaufen) aus allen seinen Sünden (Ps. 130,8). W. Wilson 1860.


V. 12. Das ist ihr Herz, dass ihre Häuser währen immerdar. Dies ist der Sinn unsrer Handlungen, wenn wir Gott nicht zu unserm Teil erwählen, sondern auf die Fülle unsrer Güter trauen, dies die Sprache unsers Herzens: "Ihr seid mein Gott." Wir sagen in Wirklichkeit zum Reichtum: "Du bist meine Zuversicht, meine Hoffnung und Freude, du wirst mir bleiben, wenn alles ein Ende nimmt und mich im Stich lässt, und wirst nicht zulassen, dass ich Mangel leide oder unrecht habe, solange du währest." Solcherart sind die geheimen Reden unserer Herzen. Liebe Mitchristen, manche mögen von der Eitelkeit alles Geschaffenen schöne Reden deklamieren und vom Reichtum gar geringschätzig sprechen und sagen: "Wir wissen wohl, es ist nur glänzender Flitter", und doch hängt ihr Herz daran und sind sie nicht geneigt, um Gottes willen und nach Gottes klarem Befehl den Geiz fahren zu lassen. Wie damit, dass jemand von Gott Gutes sagt, noch nicht erwiesen ist, dass er auf Gott traue, so befreit uns das, dass wir von den irdischen Gütern schlecht sprechen, noch nicht vom Vertrauen auf dieselben. Es ist ein Unterschied, zu reden wie ein Christ und zu handeln als Christ. Thomas Manton † 1677.
  Man merke: Irdisch gesinnten Menschen kommen wohl auch Gedanken, dass sie sterben müssen und alle Dinge dieser Erde eitel und vergänglich seien; aber diese Gedanken bleiben ganz oberflächlich, sie lassen sie nicht in ihr Herz hinein, sondern die Gedanken, welche sich da, im Innersten, befinden, gleichen den Gedanken jenes Mannes, von dem der Heiland spricht, dass er bei sich selbst gedacht habe: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viel Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut (Lk. 12,19). Beachte, dass er in sich selbst (wörtl. V. 17) also dachte. Es gibt andere Gedanken, die hie und da an der Tür des Weltmenschen anklopfen, ja ihm manchmal zum Fenster hineingucken, wie damals dem Felix, als Pauli Predigt an sein Herz drang und ihn erschütterte; aber die Gedanken, mit denen das Herz angefüllt ist, wehren jenen den Eingang. Faithful Teat 1666.
  Der masoretische Text ist zu übersetzen: "Ihr Inneres (ihre Meinung, ihr Wahn) ist, ihre Häuser (würden) für ewig (sein)." Aber auch wenn sich für breq", welches sonst nur "Herz " = Organ des Denkens heißt, dieser metonymische Gebrauch nachweisen ließe, was nicht der Fall ist, bliebe der Ausdruck gesucht und hart. Vorzuziehen ist daher die Lesart Mrfb:qi (LXX, Targ., Syr.) oder besser Myribfq: (Olsh., Riehm, Now., Bäthg., Cheyne) = Gräber, welches dann auch Subjekt zu W)r:qf, sie rufen aus, ist. Gräber sind ihre Häuser für ewig, ihre Wohnungen von Geschlecht zu Geschlecht, rufen ihre Namen über das Gelände. Sinn: Von aller ihrer Herrlichkeit bleibt dem Reichen nur das Grab; dies allein zeugt von ihnen nach ihrem Tode durch seinen Bau und seine Inschrift. M$"b:)rfqf = den Namen mit Affekt an-, hier ausrufen: vergl. 2. Mose 33,19. Das Grab gibt Kunde von dem Begrabenen, aber zugleich bezeugt es seinen Tod. Der Vers hat ein hohes Pathos, das sich mit erschütternder Ironie verbindet. Vergl. Hiob 21,32 f. Lic. Hans Keßler 1899.
  Sie nennen Ländereien nach ihren Namen (Grundtext) Wenn die Leute bauen, so bauen sie freilich auf den Grund; aber zugleich bauen sie in die Luft, denn sie denken "Nun baue ich für Kind und Kindeskind". Aber Gott durchkreuzt ihre Pläne. Entweder haben sie gar keine Nachkommen, oder es kommt auf irgendeine Weise ganz anders, als sie gedacht hatten. R. Sibbes † 1635.


V. 14. Dies ihr Tun ist eitel Torheit. Die Torheit der Menschen tritt kaum in etwas mehr zutage, als in dem Eifer, mit dem sie um ein Nichts geschäftig sein können, gleich jenem hohlköpfigen Menschen, der sich Alexander dem Großen vorstellte und sich rühmte, er könne Erbsen durch ein winziges Loch werfen. Er hatte viel Zeit und Mühe auf die Versuche verwendet und erwartete nun ein reiches Geschenk für seine Kunstleistung; der König aber verehrte ihm einen Scheffel Erbsen als eine passende Belohnung seiner geschäftigen Nichtstuerei. Eitle und unnütze Dinge sind unsrer Mühe und unseres Fleißes unwürdig. Jener Mann, der mit großer Anstrengung und mit Gefährdung seines Lebens die Spitze des Kirchturms erklomm, um ein Ei oben hinzusetzen, verdiente es wohl, dass er ausgelacht und als ein Narr bemitleidet wurde. Hat er aber keine Nachahmer? George Swinnock † 1673.


V. 15. Der Tod weidet sie. Am Ende des vorhergehenden Psalms hatte der Dichter im Namen der Gemeinde gesagt: Gott ist unser Gott ewiglich; er führt uns (sanft, als der gute Hirt) über den Tod. Hier wendet er das gleiche Bild vom Hirten an, und zwar um dem Los der Frommen dasjenige der übermütigen Weltmenschen gegenüberzustellen, die sich auf ihre irdischen Reichtümer und ihre Gewalt verlassen. Die werden nicht unter Gottes Hirtenstab über den Tod geführt; nein, der Tod selber wird ihr Hirt sein und die Unterwelt ihr Nachtpferch; da werden sie zusammenliegen wie Schafe in der Hürde. Wie Augustinus († 430) sagt: In inferno sunt oves quibus pastor Mors est; in coelo sunt oves quibus pastor Vita est. Der Tod ist der Hirt der Ungläubigen, Christus, der da spricht: "Ich bin das Leben", der Hirt der Gläubigen. Christopher Wordsworth 1868.
  Am Morgen (Grundtext), d. i. zur Zeit, da Gericht gehalten wird. Es wird hier auf die übliche Zeit, wo die Richter ihre Sitzungen hielten, angespielt. Vergl. Jer. 21,12; Ps. 73,14; 101,8. Joh. Aug. Dathe † 1791.
  Vorzeiten beteten die Christen die ganze Osternacht hindurch, weil sie auf Grund die er Worte "zu der Zeit gegen frühe" (in matutino) die Wiederkunft des Herrn und die allgemeine Auferstehung erwarteten. R. Bakius 1664.


V. 16. Aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Hölle Gewalt usw. Solche Sprüche und Grabschriften zieren die Kirchhöfe und Kirchen besser, denn sonst andere, weltliche Zeichen, Schilde, Helm usw. Martin Luther † 1546.
  Denn er wird mich (zu sich auf-) nehmen. (Grundtext) Dieser Halbvers ist gerade in seiner Kürze sehr bedeutsam. Der gleiche Ausdruck kehrt Ps. 73,24 wieder, wo Asaph sagt: Du wirst mich hernach in Ehren (zu dir) aufnehmen. Die Grundstelle ist 1. Mose 5,24. J. J. Stewart Perowne 1864.


V. 18. Denn er wird nichts in seinem Sterben mitnehmen. Die Form des Geldes stimmt gut zu seiner Art; es ist rund und rollt gern davon. Könnten wir reich sein, solange wir leben, so wäre das noch unsicher genug; denn das Leben selbst ist nur ein Traum, ein Schatten. (Augustinus) Reiche Leute gleichen Hagelkörnern; sie machen viel Lärm in der Welt, gerade wie diese geräuschvoll auf die Ziegel der Dächer niederprasseln; aber wie diese fallen sie nieder, liegen still da und schmelzen hinweg. Thomas Adams 1614.
  Wir haben’s mit den Dingen der Welt, wie die Israeliten mit den Früchten auf dem Acker und im Weinberg: pflücken und essen durften sie, solange sie in dem Acker oder Weinberg waren; aber in die Tasche stecken und mitnehmen durften sie nichts. (5. Mose 23,25 f.) Thomas Gataker † 1654.
  Die Güter, die er verschlungen hat, muss er wieder ausspeien, und Gott wird sie aus seinem Bauch stoßen. (Hiob 20,15.)
  Das Sterben wird hier als ein Hinabfahren bezeichnet, da es heißt: Seine Herrlichkeit fährt nicht ihm nach hinab. Der Tod packt den Sünder gleichsam im Genick und zerrt ihn hinab in das Grab. Jede sündliche Leidenschaft hat diese abwärtsziehende, tötende Art an sich. Sei es nun das Begehren nach Reichtümern oder Ehren, sei es die Leidenschaft auf Würfel, Wein oder Weiber, jede Lust zieht den armen Betrogenen, der ihr frönt, Stufe um Stufe hinab zu den Kammern des Todes. Die Aussicht ist schauerlich hoffnungslos. George Offor 1862.
  Wie töricht ist es doch, dass du dich für einen Menschen einer "besseren" Klasse hältst, nur weil dein Geldhaufen ein wenig größer ist als der anderer Leute! Dinge dieserart dürfen bei der Wertung eines Menschen gar nicht in Rechnung kommen; sind sie doch alle außer dir und haben mit dir selber so wenig zu schaffen, als prunkvolle Kleider auf die Gesundheit und Kraft des Körpers von Einfluss sind. Wohl ist es das Geld, das all den Lärm und das Gewühl in der Welt macht und Ehre und Ansehen für sich in Anspruch nimmt, und die unwissende Masse, deren Augen durch Pomp und Flitter geblendet werden, bückt sich allerdings vor ihm mit einfältig dummer, gaffender Ehrerbietung. Wisse aber, dass es nur deine Pracht von Sammet und Seide, deine Ländereien, deine goldbetressten Diener sind, was sie verehren, nicht du selber. Und wenn du darin andrer Meinung bist, so machst du dich gerade so lächerlich wie jener Esel in der Fabel, der gar vornehm tat und steif einherschritt, als die Leute sich vor ihm bückten und auf ihr Angesicht fielen, während sie doch nicht ihn, sondern das Götzenbild, das er trug, anbeteten. Bischof Ezekiel Hopkins † 1690.


V. 21. Wie ein Vieh. Der Mensch war in seinem Urstand ein wenig niedriger als die Engel, mit Preis und Ehre gekrönt und gesetzt zum Herrn über die Werke Gottes, und alle Geschöpfe der Erde waren ihm unter seine Füße getan (Ps. 8,5-9). Aber die Sünde erniedrigt ihn so, dass er dem Vieh gleich wird, ja unter das Vieh hinabsinkt! David Clarkson † 1686.


Homiletische Winke

V. 3. 1) Die gemeinsamen Bedürfnisse der reichen wie der armen Menschen. 2) Die gemeinsamen Vorrechte der reichen wie der armen Gläubigen. 3) Ihr gemeinsamer Gottesdienst. 4) Ihr gemeinsamer Himmel.
V. 5. Die Rätsel der göttlichen Weltregierung sind dazu bestimmt, 1) dass unser Glaube erprobt werde, indem wir, auch wenn wir Gottes Walten nicht verstehen können, an seiner Weisheit und Liebe festhalten; 2) dass wir uns üben, kraft göttlicher Erleuchtung in sie einzudringen ("Ich will mein Ohr neigen"); 3) dass wir uns freuen ("beim Klang der Harfe"), wo wir Licht bekommen; 4) dass wir das empfangene Licht und die uns anvertrauten Gaben verwenden, um andern zu dienen ("kundtun").
V. 8. 1) Die Menschenseele bedarf einer Erlösung. 2) Weder Reichtum noch Macht noch Bildung und Gelehrsamkeit können diese je zustande bringen. 3) Aber Jesus hat das vollgültige Lösegeld bezahlt.
V. 13. 1) Was der Weltmensch stets wünscht: zu bleiben in solchem Ansehen, das geschieht nicht. 2) Was er nie gewünscht hat, geschieht: er muss davon wie ein Vieh. Samuel Hieron † 1617.
V. 13b. Worin sind die Gottlosen dem Vieh gleich, und worin sind sie von ihm verschieden?
V. 14. 1) In den zeitlichen Dingen ahmen die Leute die Klugheit, 2) in geistlichen Dingen aber die Torheit anderer nach. George Rogers 1870.
V. 15. 1) Je mehr die Gottlosen in diesem Leben gedeihen, desto größer wird ihr Elend hernach sein: sie werden sein wie Schafe, die zur Schlachtbank geschleppt werden. 2) Je größer ihre Üppigkeit jetzt ist, desto schrecklicher wird ihr Los sein: Der Tod naget sie. 3) Je höher ihre Würde jetzt ist, desto schmählicher wird ihre Erniedrigung sein: Die Frommen werden über sie herrschen (sie niedertreten). Welche Umwandlung in der Stellung des reichen Mannes und des Lazarus! 4) Je größer ihre Pracht, desto schrecklicher ihre Verunstaltung. "Bist du worden als unser einer?" (Jes. 14,10.) George Rogers 1870.
  Inwiefern sind die Schafe ein Bild der Gottlosen?
V. 16. 1) Wohl werde ich zum Staube zurückkehren, aber 2) Er wird mich aus dem Staube erlösen und 3) mich zu sich in seinen Himmel aufnehmen zu ewiger Freude.
V. 18. Was wird der Sünder bei seinem Tode mitnehmen, und was nicht?
V. 21. 1) Menschen von geistlichem Verständnis ohne weltliche Ehre stehen höher als die Engel Gottes im Himmel. 2) Menschen von hohem Ansehen auf Erden, aber ohne die wahre Weisheit, stehen niedriger als das Vieh, das umkommt. George Rogers 1870.

Fußnoten

1. Manche neuere Exegeten halten zwar die Ausdrücke "Mannessöhne" und "Menschensöhne" für gleichbedeutend und übersetzen: Ihr Menschen insgesamt. Andere halten aber die gegensätzliche Bedeutung fest; Bäthgen verweist hierfür auch auf das syrische.

2. Der Plural des Grundtexts ist wohl als zur Verstärkung dienender (plur. intensivus) zu deuten: gewichtige Weisheit. Ebenso im zweiten Glied: gründliche Einsicht.

3. Wer bq"(f, das sonst Ferse heißt, hier nicht als ein adj. verbale (Untertreter) annehmen will, der mag ybIfqu(A lesen, das von Origenes bezeugt ist.

4. Zu der von den LXX bezeugten Lesart Mrfb:qi ihr Grab.

5. Dem Sinne nach ähnlich wie Luther übersetzt Hitzig: Man feiert ihre Namen in den Ländern. Doch ist der Subjektwechsel unwahrscheinlich. Ferner bezeichnet hmfdf)A vorzugsweise das Ackerland; so wird der sonst nicht vorkommende Plural hier Ländereien, Güterkomplexe bedeuten.

6. Man übersehe nicht das Wortspiel des Grundtextes: tOmdf)A Mdf)f. Mit Absicht ist offenbar das sonst nicht vorkommende twmd) gewählt und unmittelbar neben Md) gerückt. Adam bezeichnet den Menschen ja, nach der wahrscheinlichsten Deutung, als den aus der Adama Gebildeten, also als den Erdgebornen. (Vergl. 1. Mose 2,7; 5,2.)

7. Man kann die Bedeutung der Worte dieser ersten Vershälfte verschieden auffassen. "Ihr Weg" kann allerdings ihre Handlungsweise, ihr Tun (Luther) bedeuten, aber auch: ihr Schicksal. Und lsekIe ist ein vieldeutiges Wort; es ist Zuversicht im guten wie im schlechten Sinn, und nach der letzteren Seite hin hat sich aus der Bedeutung "Selbstzuversicht, dummdreistes Selbstvertrauen" die Bedeutung Torheit (Luther) entwickelt. Endlich kommt noch in Frage, wie man die Satzkonstruktion auffasst. Es liegt am nächsten, wÆmlf lsekIe als Relativsatz (ohne nota relationis) zu nehmen: Dies ist (ihr Tun, oder wohl eher:) ihr Schicksal, nämlich derer, die (solch törichte) Selbstzuversicht haben (darin leben). Diese Aussage kann auf das Vorhergehende zurückblicken (wozu das Sela am besten passt) oder die folgende Schilderung (V. 15 ff.) einleiten.

8. Die Übersetzung "Nachkommen" (Luther, Spurgeon) beruht auf der Auffassung mancher Älteren; jetzt versteht man den betr. Ausdruck allgemein von der sittlichen Nachfolge, also: ihre Nachtreter, Anhänger.

9. Die zweite Vershälfte lautet wörtlich: Und hinter ihnen her haben sie (hat man) Gefallen an ihrem Munde, was man meist deutet: und ihre Nachfolger (Nachtreter) stimmen in ihre (frechen) Reden ein, oder, indem man diesen Satz mit dem vorhergehenden verkettet: Dies ist das Geschick derer, die voll Selbstvertrauens sind, und derer, die ihnen nachtretend in ihre (frechen) Reden einstimmen.

10. WtI$a ist wie 73,9 Nebenform für Wt$f, von ty$i. Das Folgende legt es nahe, das Verb hier (wie in der ganz ähnlichen Stelle 88,7) transitiv zu übersetzen: Man versetzt sie in die Unterwelt. Doch kann man nach 3,7; Jes. 22,7 auch intransitiv übersetzen: Sie lagern sich in die Unterwelt, oder freier, da der passive Sinn doch stark durchschimmert: Sie werden gelagert usw. Keßler verwendet die 3,7 u. Jes. 22,7 eigentlich vorliegende Bedeutung "Stellung nehmen": "Wie Schafe stellen sie sich (willenlos) hin für die Unterwelt", wobei das l: zu seinem vollen Recht kommt. Mit Grätz Wt$f (sie sinken hinab) zu lesen, empfiehl sich nicht, da es aus dem Bilde fällt.

11. Luther fasste das Weiden irrtümlich nach der Vulgata. als Abweiden (verzehren, sich an etwas weiden) auf, so dass sie dem Tod als Futter dienen.

12. Wörtl. Übersetzung; doch ist der Text (wie stets an solchen, das dunkle Tun oder das düstere Geschick der Gottlosen malenden Stellen) sehr dunkel und wird sehr verschieden gedeutet. - Luthers Übers. "ihr Trotz" ruht auf dem Keri, wörtl. "ihr Fels". - Dass Spurgeon in diesem und dem folgenden Vers Unterwelt gleich Grab nimmt, dazu verleitet ihn die engl. Übersetzung (the grave).

13. An den beiden Stellen steht das gleiche Zeitwort wie hier. Man vergl. besonders noch Ps. 73,24.

14. "Lasst alle Hoffnung hinter euch, die ihr hier eintretet." Dante