Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 63 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Davids, da er war in der Wüste Juda. David hat diesen Psalm wahrscheinlich zu der Zeit geschrieben, da er vor Absalom floh; denn er war zur Zeit der Abfassung des Psalms König (V. 12) und von solchen, die ihm nach dem Leben trachteten, hart bedrängt. Er verweilte ja in dieser Zeit, ehe er den Jordan überschritt, einige Tage in dem nördlichen Teil der Wüste Juda. David hörte nicht auf, Lieder zu singen, weil er in der Wüste war; auch hielt er es nicht in gedankenloser Trägheit für genügend, bei anderen Anlässen gedichtete Psalmen zu wiederholen, sondern suchte mit Sorgfalt seinen Gottesdienst den besonderen Umständen anzupassen: er weihte seinem Gott in der Wüste ein Wüstenlied. In seinem Herzen war es nicht öd und leer, wenn ihn auch rings die Wildnis umgab. Auch wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass unser Weg uns noch durch manche Wüste führen wird, ehe wir zur Heimat kommen. Möge in solchen Zeiten der Tröster bei uns bleiben und uns Gnade verleihen, den HERRN jederzeit zu preisen und auf diese Weise auch die ödesten Stätten zu einem Tempel Jehovas zu weihen.
  Als Merkwort dieses Psalms mag uns das Wort Frühe (V. 2) dienen. Wenn wir am weichsten gebettet liegen, sind wir am meisten versucht, der Faulheit zu pflegen und spät aufzustehen; ist aber alle Bequemlichkeit dahin und müssen wir in der Wildnis auf rauem Stein unser Haupt niederlegen, lassen wir uns dadurch bewegen desto früher aufzustehen um den HERRN zu suchen, so haben wir der Einöde viel zu danken.

Einteilung. V. 2-9 gibt der Psalmdichter seinem heiligen Verlangen nach Gott und dem Vertrauen, das er zu Gott hegt, Ausdruck; in den übrigen drei Versen, 10-12, weissagt er den Untergang aller seiner Feinde. Der Psalm eignet sich besonders für das Siechbett oder andere Lagen, in denen wir den öffentlichen Gottesdienst entbehren müssen.


Auslegung

2. Gott, Du bist mein Gott, frühe wache ich zu dir;
es dürstet meine Seele nach dir, mein Fleisch verlanget nach dir
in einem trocknen und dürren Lande, da kein Wasser ist.
3. Daselbst sehe ich nach dir in deinem Heiligtum,
wollte gerne schauen deine Macht und Ehre.
4. Denn deine Güte ist besser denn Leben.
Meine Lippen preisen dich.
5. Daselbst wollte ich dich gerne loben mein Leben lang
und meine Hände in deinem Namen aufheben.
6. Das wäre meines Herzens Freude und Wonne,
wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben sollte.
7. Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich;
wenn ich erwache, so rede ich von dir.
8. Denn du bist mein Helfer,
und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
9. Meine Seele hanget dir an;
deine rechte Hand erhält mich.


2. Gott, Du bist mein Gott. Wiewohl der Dichter unseres Psalms ein bemitleidenswerter Flüchtling ist, beseelt ihn doch so starkes Gottvertrauen, dass er sich aus innerstem Herzensdrang zu dem einen lebendigen und allmächtigen Gott bekennt und diesen als seinen Gott in Anspruch nimmt. Er hat über sein Anrecht an Gott keinen Zweifel; und warum sollten andere Gläubige sich dies Vorrecht verdunkeln lassen? Die gerade, klare Sprache dieses Eingangswortes ist für Christen viel angemessener als die zaghaften, unbestimmten Ausdrücke, welche bei manchen beliebt sind. Wie wird unser Herz erquickt, wenn wir uns die Worte Davids zu eigen machen! Gibt es etwas Köstlicheres als den Ausruf: mein Gott? Können Engel mehr sagen? Frühe wache ich zu dir. Die meisten Neueren übersetzen: Ernstlich suche ich dich.1 Das Bewusstsein, ein Anrecht auf etwas zu haben, weckt das Verlangen, den Gegenstand nun auch wirklich ganz zu besitzen. Volle Gewissheit der Gemeinschaft mit Gott ist kein Hindernis für das ernstliche Trachten nach immer innigerer Verbindung mit ihm, ist vielmehr der kräftigste Ansporn dazu. Wie kann ich den Gott eines andern suchen? Aber mit inbrünstigstem Verlangen suche ich den, von dem ich weiß, dass er mein ist. Wie ernstlich David Gott sucht, tritt besonders kräftig in der Übersetzung Luthers hervor: nicht bis zum Mittag oder bis zur kühlen Abendstunde will David warten, sondern mit dem Hahnenschrei ist er auf um seinem Gott zu begegnen. Die Gemeinschaft mit Gott ist ihm so köstlich, dass er darob die frostige Kälte der Morgendämmerung gar nicht empfindet und das bequeme Lager ohne Bedauern verlässt. Der Morgen ist die Zeit, da der erquickende Tau die ganze Natur belebt und die Leibes- und Seelenkräfte des Menschen am frischesten sind; darum weiht der Psalmsänger gerade diese Zeit dem Gebet und dem vertrauten Umgang mit Gott. Die edelsten Menschen haben es sich meist zur Gewohnheit gemacht zu früher Stunde auf den Knien zu sein. Wer mit dem Morgengrauen den HERRN im Gebet sucht, der beweist eben damit seinen Ernst, und dies ernste Verlangen nach dem HERRN wird ihn den ganzen Tag, nicht nur in der Morgenstunde, beseelen. Solch heilige Triebe gehören zu den mächtigsten Einflüssen, die unser Innenleben erregen; daher der folgende Satz: Es dürstet meine Seele nach dir. Der Durst ist ein nicht zu beschwichtigendes Verlangen nach dem, was eins der wichtigsten Mittel zur Erhaltung unseres Lebens ist; man kann ihn nicht wegvernünfteln, nicht vergessen, nicht mit Verachtung abweisen, nicht durch stumpfe Gleichgültigkeit überwinden. Der Durst erzwingt sich Gehör; der ganze Mensch muss sich seiner Macht unterwerfen. Gerade so verhält es sich auch mit dem göttlichen Verlangen, welches die Gnade in dem Wiedergeborenen wirkt; nur Gott selber kann das Sehnen einer Seele stillen, die wirklich durch den heiligen Geist erweckt ist. Mein Fleisch verlanget nach dir. Mit den Worten Seele und Fleisch bezeichnet er sein ganzes Wesen. Nähmen wir das Wort Fleisch im neutestamentlichen Sinn, so könnten wir freilich nicht sagen, dass es nach dem HERRN verlange; vielmehr gelüstet es wider den Geist. David spielt aber hier nur auf jene Mitleidenschaft an, in welche unser Körper jeweilen durch heftige Bewegungen der Seele gezogen wird. Zumeist zieht uns unser leibliches Wesen in der entgegengesetzten Richtung; ist aber der Geist besonders mächtig, so kann er den Körper zwingen alle Kraft, die dieser hat, auf die andere Seite zu werfen. Als die Wüste in Davids Seele Mühseligkeit, Trostlosigkeit und Durst erzeugte, seufzte sein Fleisch im Einklang mit dem Schmachten seiner Seele. In einem trocknen und dürren Lande, da kein Wasser ist. Wenn beide, Ort und Herz, äußere Lage und innere Verfassung, gleich trostlos sind, ist die Gnadengegenwart Gottes desto begehrenswerter; ist weder um uns noch in uns etwas, das uns erheitern könnte, so ist es zwiefach Dankes wert, dass wir zur Höhe aufblicken dürfen und dort alles finden, was uns Not tut. Wie oft haben Gottes Kinder in ihrer Erfahrung dies trockene und dürre Land durchwandeln müssen, in welchem alle geistlichen Freudenquellen versiegt sind, und wie wahrheitsgemäß können sie bezeugen, dass das Einzige, was sie in jenem Lande wirklich nötig hatten, die nahe Gegenwart ihres Gottes war. Den Mangel aller äußeren Annehmlichkeiten und Labsale können wir mit heiterem Sinn ertragen, wenn wir an Gottes Hand wandeln; und die verschwenderischste Fülle äußerer Freuden bietet keinen Ersatz, wenn Er sich von uns zurückzieht. Nur nach Gott lasst uns darum dürsten. Möge all unser Begehren sich auf dies eine richten. Trachten wir zuerst nach dem Reiche Gottes, so wird uns alles andere dazugegeben werden.

3. Deshalb sehe ich nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne schauen deine Macht und Ehre2 oder Herrlichkeit. Sein Sehnen ging nicht so sehr darauf, das Heiligtum, als vielmehr seinen Gott zu schauen; er blickte durch den Vorhang der gottesdienstlichen Formen hindurch zu dem Unsichtbaren. Oft war sein Herz erquickt worden durch die Gemeinschaft mit Gott, welche er in den sakramentalen Ordnungen genossen hatte, und er lechzt danach, diesen großen Segen wieder zu genießen. Das war auch sehr berechtigt; denn für den Gläubigen ist es der größte Kummer, der ihn auf Erden befallen kann, wenn er das Bewusstsein der Nähe seines Bundesgottes verliert. David erwähnt die beiden Eigenschaften Gottes, welche sich seinem Gemüt am stärksten eingeprägt hatten, als er im Heiligtum Gott mit Inbrunst und Wonne angebetet hatte. Bei beiden hatte sein Sinnen schon in dem vorhergehenden (aus der gleichen Zeit stammenden) Psalm verweilt, und sein Herz ist offenbar jetzt noch erfüllt von der Wonne dieser Anschauung Gottes; diese begehrt er abermals zu genießen in der Wüste. Es ist ein köstlicher Gedanke, dass Gottes Macht und seine Herrlichkeit in ihrer Entfaltung nicht an irgendwelchen Ort noch an eine besondere heilige Stätte gebunden sind. Ihre Stimme übertönt das Rauschen des Meeres, sie sind sichtbar mitten im grellen Leuchten des Unwetters, fühlbar in Wald und Wildnis, genießbar, wo immer ein Herz ist, das sie zu schauen begehrt. Unser Elend ist, dass wir so wenig nach diesen erhabenen Dingen verlangen und so stark nach den schattenhaften Tändeleien der Zeitlichkeit und Sinnlichkeit. Wir sind tatsächlich stets in der Wüste, denn hier ist nicht unsere Heimat, und es ist verwunderlich, dass die Gläubigen sich nicht noch viel stärker und unablässiger nach dem guten Lande jenseits des Jordans sehnen, wo sie nimmermehr hungern noch dürsten werden, sondern das Angesicht ihres Gottes schauen, und wo sein Name auf ihrer Stirne sein wird. David dürstete nicht nach Wasser oder irgendwelchen anderen irdischen Dingen, sondern nach geistlichem Labsal. Das Anschauen Gottes war ihm genug; aber nichts Geringeres konnte ihn befriedigen. Welch ein Freund ist der, dessen bloßer Anblick schon solchen Trost gewährt! Meine Seele, ahme dem Psalmdichter nach und lass all dein Begehren dem höchsten Gut entgegenflammen. Dein Sehnen sei hienieden, Gott zu schauen, und das nämliche deines Herzens Freude in alle Ewigkeit.

4. Denn deine Güte (wir sagen lieber: Gnade) ist besser denn Leben. Dieser Satz begründet sowohl das Vorhergehende wie das Folgende. Das Leben ist kostbar, aber kostbarer noch ist Gottes Liebe. Gottes Gemeinschaft genießen ist besser als das Beste, was dies Leben uns bieten kann. Und lebten wir im schönsten Schloss, in voller Gesundheit, in Ehre, Reichtum und Vergnügen allerart, und währte dies Leben tausend Leben lang, so wäre es doch nicht dem ewigen Leben im Sonnenschein der göttlichen Huld zu vergleichen, das uns beschieden ist. In Gott leben und weben und sind wir; das Entziehen des Lichtes seines Angesichts ist uns wie der Schatten des Todes. Darum können wir nicht anders, als nach der gnädigen Erscheinung des HERRN verlangen. Für viele ist das Leben ein zweifelhaftes Gut; nicht so Gottes Huld. Das Leben schwindet hin, Gottes Liebe währet ewig. Dieses irdische Leben haben wir mit den niedrigsten Tieren gemein; Gottes Gnade ist das besondere Teil der Auserwählten. Meine Lippen sollen dich preisen. (Grundtext) Öffentlich, so dass deine Herrlichkeit bekannt wird, will ich deine Gnade verkündigen. Selbst in Zeiten, da das Sehnen nach Gott und nicht das freudige Genießen der Gemeinschaft mit ihm der hervorstechende Zug unseres Lebens ist, sollen wir dennoch fortfahren den Höchsten zu preisen; denn seine Liebe ist süß, auch wenn wir zur Zeit ihre Süßigkeit nicht genießen. Wir sollen das Lob Gottes nicht davon abhängig machen, ob wir persönlich gerade zu der Stunde besondere Wohltaten erfahren; das wäre denn doch etwas zu selbstsüchtig. Auch Zöllner und Sünder haben ein gutes Wort für diejenigen, aus deren Händen sie Gaben empfangen; nur der echte Gläubige aber lobt auch dann den HERRN, wenn dieser seine Gaben entzieht oder sein Angesicht verbirgt.

5. Also will ich dich loben (wörtl.: segnen, benedeien) mein Leben lang. (Grundtext) Wie ich dich jetzt preise, so will ich’s immerdar tun; oder, wie andere den Gedankenzusammenhang auffassen: Der Herrlichkeit deiner Gnade gemäß will ich ohne Aufhören dich loben. Solang wir leben, wollen wir lieben, ihn lieben, der uns also liebt. Wenn uns die Lage, in der wir uns befinden, keinen Grund zur Freude gibt, so werden wir doch stets Grund haben, uns im HERRN zu freuen. Wenn niemand anders Gott preist, werden seine Kinder es doch stets tun; sein Wesen, seine über alles Lob erhabene Vollkommenheit ist wohl dazu angetan, dass wir ihn benedeien, solange wir sind. Und meine Hände in deinem Namen aufheben. Man erhebt die Hände beim Bittgebet, aber auch zur Bezeugung der Freude, des Dankes und Vertrauens; zu alledem wollen auch wir unsere Hände nur in Jehovas Namen aufheben. Keine Hand braucht lasch herabzuhangen, wenn Gott sich in seiner Liebe naht. Der Name Jesu hat schon manchen Lahmen springen gemacht wie ein Hirsch und manchen Tiefbetrübten dazu gebracht, dass er seine Hände vor Freude zusammenschlug.

6. Wie an Mark und Fettem soll sich meine Seele ersättigen. (Grundtext) Wiewohl es mir jetzt nicht vergönnt ist, mich an den Opfern des Altars zu ergötzen, so wird doch meine Seele auch hier in der Wüste mit geistlichen Freuden gesättigt und genießt volle Befriedigung. Es ist in der Liebe Gottes eine überströmende Fülle von wahrhaft die Seele sättigender Freude, die der köstlichsten und nahrhaftesten Speise des Leibes vergleichbar ist. Die Israeliten schätzten das Fett als das Beste, und der höchste Genuss einer festlichen Mahlzeit war ihnen in den beiden Worten Mark und Fett verkörpert; so wird denn hier die volle Genüge einer Seele, die sich in Gott stärkt und seine Huld ungetrübt genießt, unter dem Bilde eines Menschen dargestellt, der sich an dem Besten des Besten, an den Leckerbissen einer königlichen Tafel gütlich tut. Und mit jubelnden Lippen mein Mund dich loben. (Grundtext) Je größere Freude, je größerer Lobpreis. Die Fülle der Barmherzigkeit soll uns mit Dankbarkeit erfüllen. Gibt Gott uns das Mark seiner Liebe zu genießen, so sollen wir ihm auch das Mark unserer Kräfte weihen. Nicht unser Herz allein, auch unsere Lippen sollen den HERRN anbeten. Andere sehen, welch große Huld uns zuteil wird; so sollen sie auch hören, wie wir Gott dafür danken.

7. Wenn ich auf meinem Lager dein gedenke, in den Nachtwachen über dich sinne. (Grundtext) Nach dieser Übersetzung bildet der Vers mit dem vorhergehenden ein Satzgefüge. Wachend lag der Psalmist auf seinem Lager; da begab er sich ans Sinnen, und vom Sinnen kam’s zum Singen. Er hatte ein Fest mitten in der Nacht, und bei dem Fest fehlte der Gesang nicht. Er verwandelte seine Schlafkammer in eine Betkapelle, sein Lager ward ihm zur geweihten Stätte, und sein Lobpreis gab ihm Flügel, aufzufahren an den Ort, von dem geschrieben steht, dass daselbst keine Nacht sei. Vielleicht trug die Wildnis, in der er sich befand, dazu bei, ihn wach zu halten; ist dem so, dann sind alle Zeitalter dieser Wüste Juda für den köstlichen Psalm Dank schuldig. Bringen uns des Tages Sorgen und Mühen in Versuchung, Gottes zu vergessen, so ist es umso besser, wenn die feierliche Stille der Nacht uns dazu anregt, sein zu gedenken. Wir sehen am lichten Tage nicht so hell wie in der finstern Nacht, wenn wir Gott da am klarsten schauen. In den Nachtwachen über dich sinne. So hielt David eine rechte Vigilie. Vielleicht hatte er sich früher je und je zu den Priestern und Leviten gesellt, die des Nachts im Hause des HERRN standen (Ps. 134,1), und nun, da er nicht persönlich mit ihnen sein kann, lässt er die Stunden in der Erinnerung an sich vorüberziehen und vereinigt sich im Geiste mit den heiligen Sängern und preist Gott in der Wüste, wie sie es im Heiligtum tun. Auch mag der flüchtige König die Stimmen der sich ablösenden Wachen seiner Krieger gehört haben; und jedes Mal war ihm das eine Mahnung, sich mit neuem Eifer sinnend in seinen Gott zu versenken. Die Nacht ist mit ihrem tiefen Schweigen und feierlichen Dunkel eine recht gelegene Zeit für eine Seele, die die Welt vergessen und sich in höhere Sphären erheben möchte. Einem Gemüt, das von dem heiligsten aller Gegenstände des Nachsinnens gänzlich eingenommen ist, vergehen die sonst so mühselig dahinschleichenden Nachtwachen nur allzu schnell; das einsame harte Lager wird zum süßen Ruhekissen, - eine noch wohltuendere Ruhe, als selbst der Schlaf sie bietet, erquickt die Seele. Wir tauschen solche Ruhestätte nicht mit den Prunkbetten von Elfenbein, von denen Amos 6,4 spricht. Manche geben den Schlaf gern dahin, um die Nacht zu durchschwelgen; aber ihre Lust ist lauter Qual, verglichen mit der Freude eines Herzens, das über seinen Gott sinnt.

8. Denn du bist mein Helfer. Nach dem Grundtext sieht der Dichter dabei wohl auf die Vergangenheit zurück. Das Nachsinnen hatte sein Gedächtnis aufgefrischt und ihm die früher erfahrenen Errettungen wieder lebendig gemacht. Es wäre gut, wenn wir unser Tagebuch öfters läsen und dabei besonders darauf achteten, wie der HERR uns im Leiden, im Mangel, in der Arbeit und in so vielen Verlegenheiten geholfen hat. Das ist der edelste Gebrauch, den wir von unserm Gedächtnis machen können, dass wir uns von ihm mit Beweisen der Treue des HERRN ausrüsten und zu wachsender Glaubenszuversicht führen lassen. Und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich. Der Schatten Gottes ist dem Gläubigen köstlich. Unter den Adlerschwingen Jehovas bergen wir uns vor aller Furcht, und wir tun dies instinktiv und augenblicklich, sooft Gefahr droht, weil wir so oft zuvor schon beide, seine Liebe und seine Macht, erprobt haben. Beim HERRN sind wir nicht nur sicher, sondern auch glücklich; wir ruhen da nicht nur, sondern wir frohlocken.

9. Meine Seele hanget dir an. Der Grundtext ist von bündigster Kürze und besagt: Meine Seele hängt an dir, indem sie dir nachfolgt, dich nicht lassend; für das letztere haben wir den Ausdruck: jemand an den Fersen hangen. Wir gehen dem HERRN nach und lassen ihn nicht, ob er sich uns auch entziehen wollte, und hangen an ihm als eins mit ihm (1. Kor. 6,17). Wer will uns scheiden von seiner Liebe? Und können wir mit ihm nicht gleichen Schritt halten, so wollen wir ihm wenigstens nacheilen mit all der Kraft, die er uns gibt, erfüllt von dem ernstesten Verlangen ihn zu erreichen und in seiner Gemeinschaft zu bleiben. Leider laufen viele, die den Namen Christi tragen, mit ebensolchem Eifer der Welt nach: sie werden in den Sumpf fallen; niemand aber könnte zu eifrig dem HERRN nachjagen. Bei solchem Laufe gehen wir sicher: Deine rechte Hand erhält mich (aufrecht). Es ist ein sinniges Wechselverhältnis, im Grundtext auch durch die Wortstellung hervorgehoben, zwischen dem Liebeseifer, mit welchem David seinem Gott anhängt und nachjagt, und der Treue, mit welcher Gott ihn aufrecht hält. Diese ist die Kraft von jenem; ohne sie hätte er dem HERRN nicht nachfolgen, nicht einmal nach ihm verlangen können. Wie stark sind wir, wenn der HERR selbst in uns wirkt mit seiner Rechten; wie hilflos, wenn er uns seinen Beistand entzieht!


10. Sie aber stehen nach meiner Seele, mich zu überfallen:
sie werden unter die Erde hinunterfahren.
11. Sie werden ins Schwert fallen
und den Füchsen zuteil werden.
12. Aber der König freuet sich in Gott.
Wer bei ihm schwöret, wird gerühmet werden;denn die Lügenmäuler sollen verstopft werden.


10. Wie David mit allem Ernste Gott suchte, so gab es Menschen anderer Art, die ebenso eifrig David nach dem Leben trachteten. Von diesen sagt er: Sie aber stehen nach meiner Seele, sie umzubringen. (So Luther 1524) Auf sein Leben, seine Ehre und alles, was zu seinem Glück gehörte, hatten sie es abgesehen; und diese seine köstlichsten Güter wollten sie nicht nur beschädigen, sondern ganz und gar verderben. Der Teufel ist ein Erzzerstörer, und die von seinem Samen sind von der gleichen Zerstörungswut besessen; und wie er sich selbst durch seine listigen Anschläge zugrunde richtet, so auch sie. Die Zerstörer werden zerstört werden. Seelenjäger fallen sich selbst zum Opfer. Dies finden viele schon in diesem ersten Versglied ausgesprochen, indem sie übersetzen: Jene aber - zum (eigenen) Verderben trachten sie mir nach dem Leben. Jedenfalls aber schildert es die folgende Vershälfte: Sie werden unter die Erde, wörtl.: in die Tiefen der Erde, hinunterfahren. In die Gruben, die sie andern gegraben haben, werden sie selber fallen. Gleich der Rotte Korah werden sie in die Unterwelt fahren; die Hölle, in die sie andere verwünscht haben, wird ihren Rachen über ihnen schließen. Jeder Streich, der wider die Gottesfürchtigen getan wird, fährt mit vernichtender Wucht auf den Verfolger zurück; wer gegen ein Gotteskind einen Schlag führt, treibt einen Nagel in seinen eigenen Sarg.

11. Sie werden ins Schwert fallen, Grundt: Man wird ihn (den Feind) in die Gewalt des Schwertes geben, wörtl.: hinschütten, d. i. ihr preisgeben. So geschah es mit Davids Feinden. Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen; die Blutmenschen sollen ihr eigenes Leben ausfließen sehen, wenn ihre Stunde geschlagen hat, und an sich selber erfahren, was es heißt, den Schrecken des Todes preisgegeben zu sein. Und den Füchsen (den Schakalen) zuteil werden. Den Löwen zur Speise zu dienen, dazu sind sie zu schlecht; so sollen denn die Füchse um ihre Leichname herumschnüffeln und die Schakale an ihnen einen Fastnachtsschmaus halten. Unbegraben und ungeehrt sollen sie den wilden Tieren zum Fraß werden. Wie oft sind boshafte Menschen einem so entsetzlichen Geschick verfallen, dass es offenkundig war, wie ihnen die vergeltende Gerechtigkeit ihren Lohn gab! Wiewohl das große Endgericht einer anderen Welt vorbehalten ist, so trägt doch auch hienieden in den alltäglichen Gerichtssitzungen der Vorsehung die Gerechtigkeit oft ihr rächendes Schwert gezückt vor aller Augen.

12. Aber der König wird sich freuen in Gott. (Grundtext) Die ihm Thron und Leben zu rauben begehren, werden dahinwelken; er aber wird blühen, und sein Gedeihen wird öffentlich als Gottes Gabe erkannt werden. Der Gesalbte des HERRN wird es nicht unterlassen, das Opfer fröhlichen Dankes darzubringen, sein wohlbefestigtes Regiment wird die Oberhoheit des Königs aller Könige anerkennen; Gott allein wird der Quell seiner Freude sein. Wenn seine Untertanen ihm als Sieger zujauchzen, wird er sie bitten, ein Te Deum anzustimmen. Rühmen wird sich (nämlich der göttlichen Hilfe), wer bei ihm schwört. (Grundtext) Die getreuen Untertanen des Königs werden reichen Anlass zum Triumph finden; sie werden sich ihres Huldigungseides nie zu schämen haben, denn Gott wird dem König Heil geben. So erklären die einen, aber viel wahrscheinlicher ist an den Schwur bei Gott zu denken. Die Heiden schwuren bei ihren Göttern, die Israeliten aber riefen Jehova als Zeugen ihrer Beteuerungen an. Alle diejenigen also, welche den wahren Gott fürchten und ehren, sollen Ursache haben sich zu freuen und zu rühmen, wenn er sich als der Verteidiger der gerechten Sache des Königs und als der Verstörer der Verräter erweist. Denn die Lügenmäuler sollen verstopft werden. Und je eher dies geschieht, desto besser. Kann weder Scham noch Furcht noch Vernunft die Lügenredner zum Schweigen bringen, dann möge der Totengräber ihnen mit seiner Schaufel voll Erde das Maul stopfen; denn der Lügner ist ein Fluch der Menschheit und verflucht von Gott, der gesagt hat: Aller Lügner Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt. Beachten wir den Unterschied zwischen dem Geschick solcher, deren Mund Gott preist, und solcher, deren Mund Lügen schmiedet: jener Mund soll nie gestopft werden, sondern sie werden singen und rühmen immerdar: diese aber werden ewig verstummen vor dem Richterstuhle Gottes.
  O HERR, wir suchen dich und deine Wahrheit; erlöse uns von aller Bosheit und allem Lügenwesen und enthülle uns deine Herrlichkeit um Jesu willen. Amen.


Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Selbst in Kanaan gab es Wüsten, wilde Einöden, wiewohl es ein so fruchtbares Land war und eine sehr zahlreiche Bevölkerung hatte. Wir werden es überall in der Welt so finden, auch in der Kirche, aber nicht im Himmel. - Befinden wir uns auch je und dann in einer Wüste, so dürfen uns doch all die Verlegenheiten und Schwierigkeiten, die wir da zu erleiden haben, nicht aus der Stimmung bringen heilige Lieder zu singen, sondern auch dann ist es unsre Pflicht und unser Vorrecht, mit Gott Gemeinschaft zu pflegen. Und wir haben Ursache Gott zu danken, dass es die Wüste Juda ist, in der wir uns befinden, und nicht die Wüste der Sünde. Matthew Henry † 1714.
  Hagar schaute Gott in der Wüste und nannte einen Brunnen nach diesem Gesicht "Brunnen des Lebendigen, der mich ansiehet", (1. Mose 16,14). Mose sah Gott in der Wüste, 2. Mose 3, 1-4. Elia sah Gott in der Wüste, 1. Könige 19,4-18. David sah Gott in der Wüste. Die Gemeinde des Herrn wird Gott in der Wüste sehen, Off. 12,6-14. Jede fromme Seele, deren Lust es war Gott in seinem Hause zu schauen, wird von Gott besucht und reichlich erquickt werden, wenn ihr Weg sie in die Wüste der Einsamkeit, der Trübsal, der Krankheit oder des Todes führt. Christopher Wordsworth 1868.
  Zum ganzen Psalm. Das ganze Psalmbuch ist eine ausgeschüttete Salbe, ein köstlicher Balsam für alle Schmerzen und Wunden; doch gibt es einige Psalmen, die wahrhaft königlicher Art sind, die über alle Gemütsbewegungen verfügen und auf alle Anlässe passen - echt universelle Psalmen. Der vorliegende Psalm ist einer von diesen. In den sogenannten apostolischen Konstitutionen (II, 59; VIII, 37) findet sich die Vorschrift, dass die Gemeinde jeden Tag zusammenkommen solle, um diesen Psalm zu singen. Demgemäß bezeugt auch Chrysostomus, es sei von den ältesten Vätern verordnet worden, dass kein Tag ohne das öffentliche Absingen dieses Psalms vorübergehen solle. John Donne † 1631.
  Der Psalm ordnet sich einerseits mit Ps. 61, andererseits mit Ps. 42; 43; 27; 36 und andern zusammen. Lic. Hans Keßler 1899.
  Der Lehrgehalt des Psalms ist der, dass das Bewusstsein der Gemeinschaft mit Gott in der Not ein sicheres Unterpfand des Heiles sei. Dies ist die eigentümliche Trostquelle, die in ihm dem Leidenden eröffnet wird. Die Berleburger Bibel bezeichnet ihn als einen Psalm, der aus einem sehr brünstigen Geiste geht, welcher auch gleichsam ein Leibpsalm soll gewesen sein des seligen Magister J. K. Schade, des berühmten Predigers in Berlin († 1698), den er täglich mit solcher Brünstigkeit gebetet und sich zugeeignet, dass es nicht ohne innige Bewegung anzuhören gewesen. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.
  Wir haben hier das davidische Original oder doch Seitenstück zu dem korahitischen Psalmenpaar 42; 43 vor uns. Es ist ein Lied zartester Form und tiefinnigsten Inhalts, aber teilweise sehr schwieriger Auslegung. Hat man die Rätsel eines Psalms, annäherungsweise wenigstens, gelöst, so kommt uns der andere mit neuen Rätseln entgegen. Es ist nicht bloß die dichterische Klassizität, die geistliche Tiefe, es ist auch diese halb durchsichtige und halb undurchsichtige Verschleierung, welche den Psalmen eine so mächtige und immer gleiche Anziehungskraft verleiht. Sie sind unerschöpflich, es bleibt immer ein unentzifferter Rest, und darum hat das Geschäft der Auslegung, wenn auch einen Fortgang, doch kein Ende. Aber um wieviel schwieriger noch ist es, dieses geistliche Minnelied eines vor Liebessehnsucht nach Gott an Seele und Leib kranken Menschenkindes nachzubeten! Es gehört dazu eine gleicherweise minnende Seele, und im Grunde bedarf es einer solchen auch zum rechten Verständnis: denn lingua amoris, sagt der heilige Bernhard († 1153), non amanti barbara est (die Sprache der Liebe ist für den, der nicht liebt, fremd und unverständlich). Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 2. Das kurze, aber kräftige Glaubensbekenntnis, womit der Psalm anfängt: Gott, Du bist mein Gott! ist dem Glauben, der Liebe und der Hoffnung allezeit ein süßes Wort; aber wenn es einem der Unglaube absprechen will, wenn die äußerlichen Umstände kümmerlich sind, wenn der Versucher in der Wüste Steine anbietet, die man zu Brot machen soll, so schmeckt es doppelt wohl, wenn dies Licht aus der Finsternis hervorbricht: Gott, Du bist mein Gott! Und da kann es wohl auch nicht nur einen Durst der Seele, sondern auch ein Verlangen des Fleisches nach Gott abgeben, wenn man auch gerne seine Lippen und Hand zum Lob Gottes brauchen möchte. Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Gott, Du bist mein Gott. In David haben wir ein beachtenswertes Beispiel eines gefühlvollen, zarten, in sich gekehrten, mit Gott in inniger Gemeinschaft lebenden Gemüts, das aber zugleich für die bürgerlichen wie die religiösen Anliegen Israels Auge und Herz offen hatte und sich mit ganzer Seele den vielen Pflichten seines öffentlichen Amtes hingab. Und in diesem Psalm sehen wir, wie das öffentliche Unglück, welches David so schwer betroffen hat, ihn nur zu der Quelle der Kraft seines geistlichen Lebens zurücktreibt. Er hat zur Zeit alles verloren, seine Krone, seinen Palast, seine Ehre, das Herz seines Volkes, ja auch die Liebe seines Sohnes, an dem er, wie wir wissen, mit so inniger Zärtlichkeit hing. Der Psalmist ist allein mit Gott. In dieser Stunde der tiefsten Vereinsamung und Verlassenheit blickt er aus der Wüste zum Himmel auf. Gott, ruft er aus, Du bist mein Gott. Im Grundtext steht nicht beide Mal das gleiche Wort für Gott, sondern erst Elohim, dann El. Die ursprüngliche Bedeutung des ersteren Wortes ist Grauen, es bezeichnet daher Gott als den zu Fürchtenden.3 (Man vergl., wie 1. Mose 31,42.53 Elohim mit pachad, Furcht, parallel steht.) Bei dem zweiten Wort, El, führt die Abstammung auf den Begriff der Stärke. Wir könnten Davids Worte also umschreiben: O du zu Fürchtender, meine Stärke oder mein starker Gott bist du. Merkwürdig ist, worauf Gesenius aufmerksam macht, dass diesem Wort El nie das Fürwort dein oder sein beigefügt wird, dass wir dagegen sehr häufig die Form Eli, mein Gott, finden. Dies Wort Eli enthüllt eine selige Wahrheit, welche außerhalb der Offenbarung ganz unbekannt ist. Es lehrt uns, dass der Allmächtige und Ewige sich der Seele, die ihn sucht, in der ganzen Fülle seines Wesens hingibt. Das Heidentum mit seinen Haus- und Landesgöttern gab eben durch diesen Aberglauben Zeugnis von dem tiefen Sehnen des Menschenherzens, dass der einzelne sich der besonderen Liebe eines höheren Wesens erfreuen möge. Den wahren Gott kennen hieß wissen, dass dies Sehnen gestillt wird. Mein Gott: dieses Wort ist nicht Ausdruck einer menschlichen Vorstellung oder Sehnsucht, sondern einer Wahrheit, und zwar einer im Wesen Gottes begründeten, einer naturnotwendigen Wahrheit. Der Mensch kann sich halb hingeben, er kann seinem Nächsten einen kleinen Teil seiner Gedanken, seines Herzens, seiner Bemühungen zuwenden; mit andern Worten, der Mensch kann unvollkommen sein in seinen Handlungen, wie er ja in seinem ganzen Wesen unvollkommen und begrenzt ist. Wenn aber Gott, das vollkommene Wesen, das Geschöpf seiner Hand liebt, kann er seine Liebe nicht teilen. Er muss lieben mit der ganzen Kraft und Tiefe seines Wesens; denn er ist Gott und daher unfähig, etwas halb und unvollkommen zu tun. Er muss sich der einzelnen Seele mit einer so unbegrenzten Völligkeit hingeben, als gäbe es kein anderes Wesen außer diesem einen. Und der Mensch weiß das, dass Gottes Selbsthingabe an ihn so völliger Art ist; und nicht in einem engen Geist anmaßender Selbstsucht, sondern in einfältigem Glauben, der diese Tatsache erfasst, ruft er aus: mein Gott. Darum finden wir auch dies Wort Eli so vielfach als Bestandteil hebräischer Namen. Die gläubigen Israeliten hefteten ihr Augenmerk gern auf dieses so wunderbar geoffenbarte innige Verhältnis des Schöpfers zu ihrem persönlichen Leben. Darum finden wir auch, dass Paulus, wiewohl Gott ja die Welt also geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, an die Galater doch so schreibt, als ob einzig seine Seele durch das Opfer auf Golgatha erlöst worden wäre: Der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben. Henry Parry Liddon 1865.
  Frühe. Gott will vor allem andern gesucht sein, sonst sucht man ihn vergebens; wie das Manna, wenn es nicht am frühen Morgen gesammelt wurde, zerschmolz. Simon de Muys † 1644.
  Es dürstet meine Seele nach dir. Er spricht nicht: Meine Seele dürstet nach Wasser, sondern: nach dir; nicht: Meine Seele dürstet nach dem Blut meiner Feinde, sondern: nach dir; nicht: Meine Seele dürstet nach einer Krone, einem Königreich, sondern: nach dir; nicht: Meine Seele dürstet nach Befreiung aus dieser dürren, unfruchtbaren Wildnis, sondern: in diesem dürren Lande dürstet sie nach dir. Thomas Brooks † 1680.
  In einem trocknen und dürren Lande, da kein Wasser ist. Kein Streifen Grün erquickt hier (in der Wüste Juda) auf der weiten Fläche das Auge; kein Bach rauscht, die Regenzeit ausgenommen, durch die Felsgründe. K. Furrer 1865.
  Es kann sein, dass die Wüste Juda nicht wasserreich war; doch war dies Davids Anliegen nicht. Er hatte Mangel an der Gemeinschaft der Heiligen; denn seine sechshundert Mann waren zwar tapfere Soldaten, aber keine Leute, deren Umgang Davids Geist vergnügen konnte. Er sah also oft von der Höhe der Berge nach dem HERRN, der zu Nob in der Stiftshütte wohnte. Lasst uns hieraus den lautern Sinn Davids erkennen. Ach, es gelüstete ihn in der Wüste Juda nicht nach den Lustbarkeiten des Hofs; denn der Ort, wo diese angestellt werden, ist für einen unsterblichen Geist, der die Gütigkeit Gottes schon geschmeckt hat, ein trockenes und dürres Land; gesetzt auch, dass diese Lustbarkeiten nicht nach der alten israelitischen Roheit, sondern nach dem besten italienischen und französischen Geschmack eingerichtet wären. Was würde nun die heutige Welt von einem Kriegshelden denken, der mitten in den unruhigen Kriegsverrichtungen bekennte, er sehne sich nach dem stillen Ort, wo er mit Kindern Gottes gemeinschaftlich die Macht und Herrlichkeit Gottes betrachten und den Heiland anbeten und loben könnte? Würde man nicht seiner als eines schwachen Geistes spotten? Oder würden nicht auch manche, die es besser meinen, sagen, man könnte allenthalben gute Gedanken haben, beten und ein rechtschaffener Mann sein, man habe keine Gesellschaft heiliger Leute dazu nötig? Jene Spötterei ist keiner Antwort wert. Was aber die zweite Einwendung anbelangt, so ist wahr, dass der Dienst Gottes oder die Frömmigkeit nicht durchaus an die Gesellschaft heiliger Leute gebunden sei. Allein gleichwie die Welt sich selbst viel Lustbarkeiten erlaubt, so erlauben sich Kinder Gottes, die einen andern und bessern Geschmack haben, ihre Erquickungen auch. Diese bestehen aber in der Erfahrung desjenigen, was Mt. 18,19 f.; Apg. 2,46; Jes. 4,5; Kol. 3,16; Hebr. 10,25 steht. Prälat M. Fr. Roos 1773.

V. 2 f. Ach, dass Christus sich mir nahte und still bei mir stände und mir so erlaubte, seinen Anblick zu genießen! Sehen, das Vorrecht hat doch auch der Ärmste: darf er doch ohne Geld und umsonst die Sonne sehen. Ich hätte ein königliches Leben, wenn ich nichts anderes zu tun hätte, als immerdar meinen Herrn anzuschauen und zu betrachten. Ja, wenn mir auch der Eingang in die Herrlichkeit des Himmels verschlossen wäre, würde ich es doch für ein hohes Glück achten, dürfte ich nur durch eine Spalte im Tor des Himmels gucken und meines teuersten, schönsten Heilandes Antlitz schauen. O du herrlicher König, was stehst du so ferne? Warum bleibst du, Hochgeliebter, jenseits der Berge? Warum bereitest du einer armen schmachtenden Seele solche Schmerzen, indem du zu ihr zu kommen zögerst? Solch lange Zeit deiner gnadenreichen Gegenwart zu entbehren ist mir unerträglich. Ich muss ihn sehen, ich kann nicht ohne ihn leben. Das Schmachten meiner Seele ist so unbezwingbar geworden, dass ich, koste es, was es wolle, Christum versichern muss, ich wolle und könne nicht ohne ihn sein; denn ich kann die Liebe zu Christo nicht bemeistern und bezwingen. Samuel Rutherford † 1661.


V. 3. Wir haben in der Auslegung den Luthertext benutzt, wiewohl für hzx die Bedeutung "nach jemand sehen" = "nach jemand ausschauen" unbelegbar ist. (Jedenfalls wäre das Perfekt des Grundtextes zu beachten: So hab’ ich im Heiligtum nach dir ausgeschaut, Bäthgen.) hzx mit Akkusativ heißt sonst "etwas scharf, durchdringend sehen". Aber dann bleibt der Sinn des Verses dunkel: Auf diese Weise habe ich dich geschaut (oder, mit Übertragung auf das geistliche Sehen: erkannt) im Heiligtum, zu sehen deine Macht (Stärke) und Herrlichkeit. Ein Ausweg wäre der, wenn man mit der englischen Bibel, welche darin manche Vorgänger und Nachfolger, unter diesen auch Hupfeld, hat, die beiden Vershälften umstellen und NkI" = r$e)AkIa nehmen dürfte, so dass der Vers sich dann an den vorigen anschlösse: (Seele und Leib verlangen nach dir) zu sehen deine Macht und Herrlichkeit, so wie ich dich geschaut habe im Heiligtum. Dieser Eingriff in den Text ist aber hier, auch um des NkI" willen, doch wohl zu gewagt. Hupfeld findet allerdings, die Umstellung der Versglieder empfehle sich auch bei den folgenden Versen. Er vermutet daher, die Halbverse hätten sich in der alten stichischen Schreibweise durch irgendeinen Zufall verschoben. - James Millard
  Nach Gott hatte David im Heiligtum ausgeschaut. Sich nur den religiösen Gebräuchen und Zeremonien zuwenden und nicht Gott, das ist ein traurig Ding; denn jene sind Brüste ohne Milch, ein fehlgebärender Mutterleib, der niemals Frucht der Heiligkeit hervorbringen wird. Gottesdienst ohne Gott ist ein Knochen ohne Mark, eine Schale ohne Kern. Dein Predigthören wird umsonst sein, dein Beten auch vergeblich; dein Geist wird nicht bewegt werden, dein Beten wird ohne Antwort bleiben, dein Herz nicht gewarnt, deine Seele nicht erquickt werden, dein innerer Mensch nicht Gott begegnen. William Strong † 1654.
  Gottes Herrlichkeit ist am Sternenhimmel und in der ganzen Schöpfung zu schauen, aber heller und voller noch im Heiligtum seiner Gemeinde. Die Welt ist eine Offenbarung Gottes und darum herrlich; die Gemeinde ist die Offenbarung Christi und darum noch herrlicher. Das war es, was in David ein solches Sehnen nach dem Heiligtum erweckte, als er in der Wüste war. Und was wollte er im Heiligtum? Gottes Macht und Herrlichkeit schauen. Konnte David diese denn nicht an dem Himmel, an den Bergen, den majestätischen Zedern und so vielen andern Werken Gottes sehen? Allerdings, doch nicht wie im Heiligtum: da hatte er mit dem Auge des Geistes den König geschaut auf seinem erhabenen Throne und in seiner Herrlichkeit. (Vergl. Jes. 6.) William Greenhill † 1677.


V. 4. Gottes Gnade ist besser denn Leben, besser als das reichste Leben mit allem, was es birgt an Ehren, Reichtümern, Vergnügungen, Beifall usw. Nun wissen wir ja, wie hoch die Leute das Leben schätzen, wie sie sich Aderlässe, widerliche Arzneien, Verlust des Vermögens, ja eines oder gar mehrerer Glieder gefallen lassen, wenn sie sich damit das Leben retten können. Aber eine sich von Gott verlassen fühlende Seele schätzt es noch weit höher als das Leben, dass Gottes Gnade sich ihr wieder zuwende. Viele Menschen sind schon des Lebens überdrüssig geworden, aber der Liebe und Gnade Gottes noch keiner. Niemand aber schätzt das Licht der Sonne so hoch wie jemand, der lange Zeit in eitlem dunkeln Kerker gelegen hat. Thomas Brooks † 1680.
  Die natürliche Liebe zum Leben wird uns oft zu einer gefährlichen Schlinge; nur die Erkenntnis und Erfahrung der Liebe Gottes kann uns von der Gefahr erretten in dieser Schlinge gefangen zu werden. Was ist so begehrenswert wie dies irdische Leben für jemand, der das höhere Leben der Gemeinschaft mit Gott nicht kennt? Das irdische Leben ist die größte zeitliche Gabe Gottes, und nichts kann ihren Wert übertreffen als die Gnade des Gottes unsers Lebens; diese aber übertrifft sie weit. Was für einen Vergleich gäbe es zwischen dem Odem, der in unsrer Nase ist, und der Huld des ewigen Gottes? Keinen andern als den zwischen dem ewigen Licht und einem armseligen, bald verschwindenden Dampf. (Vergl. Jes. 60,19 mit Jak. 4,14) Wer wollte darum nicht viel tausendmal lieber dies Leben um des HERRN willen drangeben als der Gnade Gottes verlustig zu gehen? Timothy Cruso † 1697.
  Meine Lippen sollen dich preisen. Wäre es möglich, dass ein Mensch einen andern liebte und ihn doch nicht lobte, überhaupt nicht von ihm spräche? Wenn du nur einen Falken oder Jagdhund hast, der dir wert ist, so rühmst du ihn; wie wäre es denn mit der Liebe zu Christus vereinbar, dass du selten oder nie von ihm oder seiner Liebe sprichst, ihn nie andern rühmst, damit auch sie ihn liebgewinnen? Verträgt es sich mit diesem Leben der Liebe zu ihm, stets von weltlichen Sachen, bestenfalls von allerlei Neuigkeiten zu reden, Werktag und Sonntag, bei Tisch und am Feierabend, daheim und draußen, zu Guten und Schlechten? Ich sage dir: Liebst du Jesus wirklich, so wird der Hauptgrund, warum du zu leben wünschest, der sein, den Herrn Jesus deinen Kindern, Verwandten und Freunden bekannt zu machen, damit der Ruhm seines Namens von Geschlecht zu Geschlecht erschalle, vergl. Ps. 71,18. Namentlich wenn du vor deiner Belehrung andere mit unnützem und bösem Geschwätz vergiftet hast, wirst du dich nach deiner Bekehrung bemühen, die Herzen deiner Mitmenschen durch holdseliges, mit Salz gewürztes, weises Reden zu bessern; du wirst zu andern von dem reden, was der HERR dich lehrt, und zwar aus Liebe zu ihm. Thomas Sheppard † 1649.


V. 6. Wie an Mark und Fettem sättigt sich meine Seele (Grundtext). Die geheiligte Erkenntnis spricht: In Christus ist eine unendliche Fülle, die Fülle einer ewig sprudelnden Quelle. Der Glaube spricht: Und dies ist alles für mich. Darauf spricht das Gebet: Ist dies alles für dich da, dann will ich hingehen und es dir holen. Und die Dankbarkeit spricht: Ich will Gott dafür preisen (und das ist noch köstlicher als das Nehmen der Gaben). Matthew Lawrence 1657.
  Wie sättigt der HERR die Seelen als mit Mark und Fettem? Indem er sich herablässt, mit ihnen das Abendmahl zu halten (Off. 3,20). Und zwar sättigt er die Seinen, 1) indem er ihnen das Fleisch und Blut Jesu Christi zu genießen gibt. In seinem fleischgewordenen Wesen ist der Sohn Gottes für uns das lebendige Brot, Brot, das unserer Seele geistliches, ewiges Leben gibt und sie vor dem Umkommen bewahrt. 2) Indem er ihnen seine Herrlichkeit zeigt im Angesicht Jesu Christi. Auch Davids Begehren war ja darauf gerichtet, Gottes Macht und Herrlichkeit zu schauen, wie sie sich im Heiligtum offenbarte. Solcher Blick erfüllt die Seele mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. 3) Indem er seine Liebe in ihre Herzen ausgibt. David hatte die Süßigkeit der Liebe Gottes gekostet, er hatte geschmeckt, wie freundlich der HERR ist, er wusste aus seliger Erfahrung, dass Gottes Gnade besser ist als alle Freuden des Lebens, und er hoffte, diese Liebe noch tiefer und herrlicher zu erfahren, dass sein Herz dadurch erwärmt werden und Anlass zu neuem Lobpreis Gottes empfangen würde, und also erwartete er als mit Mark und Fettem gesättigt zu werden. Deshalb sagt er im vierten Vers: Deine Gnade ist besser denn Leben; darum sollen meine Lippen dich preisen. 4) Indem er sie mit den Verheißungen des neuen Bundes stärkt. 5) Indem er sie mit dem heiligen Geist erfüllt. 6) Indem er frühere Erfahrungen seiner Freundlichkeit in ihnen neubelebt. John Fraser † 1818.


V. 6.7. David erlabte sich an köstlichen Genüssen mitten in der Nacht, während anderer Augen geschlossen waren und nichts von der festlichen Tafel sahen, die ihm vom Himmel her zur geistlichen Erquickung bereitet ward. Seine einsamen nächtlichen Betrachtungen gewährten ihm mehr Labsal und Stärkung, als die ganze Kreatur ihm bieten konnte: Wie an Mark und Fettem ersättigt sich meine Seele, und mit jubelnden Lippen lobt dich mein Mund, wenn ich auf meinem Lager dein gedenke, in den Nachtwachen über dich sinne. (Grundtext) Gemeinschaft mit Gott in einsamer Stille ist ein Stück Himmel auf Erden. Welche Speise kommt dem verborgenen Manna (Off. 2,17) gleich? Gottes Kinder haben eine Speise zu essen, von der die Welt nichts weiß. George Swinnock † 1673.


V. 7. Man kann die beiden Sätze des Verses auch miteinander verbinden (statt mit dem vorhergehenden Vers): Wenn ich auf meinem Lager dein gedenke, sinne ich nachtwachenlang von dir. Die Erinnerung an dich nimmt mich so gefangen, dass ich meine Gedanken nicht davon abwenden kann und es mir unmöglich ist, in den Zustand des Vergessens, den Schlaf, zu sinken. Man vergl. Ps. 1,2; 119,55.148. - Im Grundtext steht die Mehrzahl: auf meinen Lagerstätten, vielleicht um anzudeuten, dass David bei seinem unbeständigen Fluchtleben selten eine Reihe von Nächten auf demselben Lager schlief. - Es gab drei Nachtwachen: Die erste (Klgl. 2,19), die mittlere (Richter 7,19) und die dritte oder Morgenwache (2. Mose 14,24; 1. Samuel 11,11). Im Neuen Testament herrscht die römische Sitte der vier Nachtwachen (Mk. 3,35) vor. A. R. Fausset 1866.
  Theodor Beza, Calvins eifrigster Mitarbeiter an der Reformation in Genf, auch der Nachfolger in seinen Ämtern, den französischen Hugenotten wie den deutschen Reformierten eine gleich wertvolle Stütze († 1605), erzählte seinen Freunden, wie während seiner letzten Krankheit Ps. 63,7 ihn in schlaflosen Nächten getröstet hätte. Auf seinem Sterbebette ließ er sich Ps. 130 wiederholen. Rudolf Kögel 1895.
  Gedenke - sinne. Das Sinnen über etwas Gutes hat mehr Süßigkeit in sich als das bloße Gedenken. Das Gedächtnis ist der Schrein, in dem wir eine Wahrheit verschließen, das Nachsinnen dagegen der Gaumen, mit dem wir sie genießen. Das Gedächtnis ist gleich der Bundeslade, worin das Mannakrüglein aufbewahrt wurde; das Sinnen aber ist dem Essen des Mannas zu vergleichen. Als David über Gott nachzusinnen begann, war es ihm so köstlich wie Mark und Fett. Der Unterschied zwischen dem, ob wir eine Wahrheit nur im Gedächtnis haben oder über sie nachdenken, ist so groß wie der Unterschied, ob man einen köstlichen Trank in einer Flasche im Keller hat oder sich an ihm erlabt. John Wells 1668.


V. 8. Denn du bist mein Helfer. Wir finden mehr Ermutigung in der kleinsten uns selber erwiesenen Gnadentat Gottes als in der größten einem andern erwiesenen. Darum können wir ohne Bedenken sagen, dass ein ganzer Bücherschrank voll Lebensbeschreibungen gottseliger Menschen nicht in dem Grade der Zuversicht eines Gotteskindes förderlich ist wie die Beweisstücke, welche sein eigenes Gedächtnis ihm darreicht. Diese sollten wir daher oft erwägen, wie David es tat. Henry Melvill † 1871.
  Im Schatten deiner Flügel frohlocke ich. Wie ein Vogel im Laubesdickicht vor der Sonne geschützt sein fröhliches Lied singt, so singt er im Schatten des Flügels Gottes seine Lobgesänge. Prof. August Tholuck 1843.


V. 9. Meine Seele hanget dir an. Das Zeitwort bedeutet an etwas kleben, dann bildlich an jemand hangen, mit ihm vereinigt sein. Vergl. 1. Mose 2,24: Darum wird ein Mann an seinem Weibe hangen, d. i., mit seinem Weibe aufs innigste und unlöslichste in Liebe verbunden sein. Samuel Chandler † 1766.
  Keine Macht und List der Welt oder der Hölle vermag den gordischen Knoten dieser Verbindung der Seele mit Gott zu durchhauen oder zu lösen. Davids Seele war durch Gottes Geist Gott angetraut; eine solche von Gott selbst geschlossene Ehe kann auch der Teufel nicht auflösen. Alexander Pringle 1657.


V. 11. Und den Füchsen zuteil werden. Ist es nicht gegen alle Naturordnung, dass der Mensch ein Fraß der Tiere, und solcher Tiere, werde? Darüber ist kein Zweifel; dennoch lässt die Natur solche Bestrafung unnatürlicher Verbrechen zu. Denn es ist ganz vernunftgemäß, dass die Gesetze der Natur zur Bestrafung derer, welche sie mit ihrer Sünde durchbrochen haben, auch durchbrochen werden; dass solche, welche Menschen wie Tiere verzehrt haben, von Tieren verzehrt werden, dass die, welche mit ihren Händen ihrem König widernatürliche Gewalt angetan haben, ebensolche Gewalt leiden durch die Klauen und Zähne der wilden Tiere, über die sie herrschen sollten; dass solche, die in ihrem Leben einen Fuchs im Busen getragen haben, bei ihrem Tode im Bauche eines Fuchses begraben werden. Daniel Featley 1636.
  Welch trauriges Schicksal verkündet David über die, welche dem Gerechten nach dem Leben trachten! Sie sollen den Füchsen zuteil werden. Damit sind vermutlich die Schakale gemeint, die mit den Füchsen die Erdhöhlen gemein haben. Diese bösartigen, blutgierigen, unheimlichen Bestien sammeln sich, vom Hunger getrieben, in Rudeln um die Gräber, heulen vor Wut und kämpfen wie Feinde um die Beute bei ihren mitternächtlichen Orgien; namentlich aber auf den Schlachtfeldern halten sie ihren Schmaus. Möge es mir nie auch nur träumen, dass eins meiner Lieben, vom Schwert getötet, daliege, um von diesen ekelhaften, heulenden Bestien zerrissen und zernagt und hin und her gezerrt zu werden! W. M. Thomson 1861.


Homiletische Winke

V. 2. Während der Atheist spricht: "Es ist kein Gott," und die Heiden viele Götter anbeten, sagt der wahrhaft Gläubige: Gott, du bist mein Gott. Er ist mein Gott 1) durch seinen Bund mit mir, 2) durch meinen Bund mit ihm, und ich will 3) ihn als solchen durch Anbetung und Dienst wie durch Bekennen ehren.
  Ernstlich suche ich dich. Was man wirklich begehrt, das sucht man eifrig. David ist entschlossen, handelt vernünftig (er sucht), sucht ernstlich: früh und mit Ausdauer.
V. 2 ff. Was ist für die Kinder Gottes ein trockenes und dürres Land, und wonach dürsten sie in solchem Lande?
V. 4. 1) Der Entschluss der Liebe: Meine Lippen sollen dich preisen. a) Preisen. Der neuen Natur angemessen. Diese hat kein Gefallen am Murren, Tadeln oder Schelten. Preisen drückt Wertschätzung, Dankbarkeit, Fröhlichkeit und Zuneigung aus. b) Gott preisen. c) Gott durch die Tat preisen. "Meine Lippen." Dadurch, dass man ihn im Gebet preist und ihn andern anpreist, seine Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe, Gnade usw. d) Gott beständig preisen: "Mein Leben lang." (V. 5.) 2) Der Grund der Liebe: Denn deine Gnade ist besser denn Leben. Die Liebe kann nicht anders als Gott preisen, denn a) sie verdankt ihm ihre Entstehung. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. (1. Joh. 4,19 Grundtext) b) Sie wird von ihm genährt. c) Die Erweisungen seiner Liebe fordern unser Lobpreisen. Güte ist die Liebe Gottes gegen Geringe, Hilfsbedürftige, Gnade die Liebe Gottes gegen Sünder. Besser als alles, was das irdische Leben bieten kann. - G. J. Knight 1871.
  Deine Gnade ist besser denn Leben. a) Liebe genossen im Leben; b) verglichen mit dem Leben; c) vorgezogen dem Leben. - G. J. Knight 1871.
V. 6 f. (Grundtext) 1) Das leere Herz gefüllt. Wie? Durch liebend sich in Gott versenkendes Sinnen, V. 7. Womit? Mit Gottes Güte als mit Mark und Fett. Bis zu welchem Grad? Zur vollen Sättigung. 2) Das volle Herz überströmend. Mit Jubellippen rühmt mein Mund. - G. J. Knight 1871.
  Welcherart sind die vornehmste Beschäftigung und die Ergötzung eines Gotteskindes und der innige Zusammenhang zwischen beiden?
V. 7. Wichtige, köstliche, aber sehr vernachlässigte Pflichten: Gottes gedenken, von Gott sinnen; und die dazu passendste, keinem benommene Zeit: auf meinem Lager, in den Nachtwachen. - J. S. Bruce 1871.
V. 9. Der Seele Halt. 1) Sie hält sich an Gott, ihm anhangend und ihm nacheilend (Grundtext), sehnsüchtig, ernstlich, behende, nahe. 2) Gott hält sie mit seinem Arm der Macht. - G. J. Knight 1871.
  Gottes rechte Hand hält die Gläubigen aufrecht, dass sie nicht a) in die Sünde fallen, b) im Leid versinken, c) vom Wege der Pflicht abgleiten.
V. 10 f. 1) Des Christen Feinde: böse Geister, böse Menschen, böse Lüste und Gewohnheiten. 2) Ihre Absicht: sie trachten ihm nach dem Leben. 3) Ihr Untergang: gewiss, schmachvoll, vollständig, zur Hölle hinab.

Fußnoten

1. Die Alten halten Krx#) für ein Denominativ von rxa$a Morgenröte, vergl. Luther. Ebenso Delitzsch: früh anhebendes und also angelegentliches Suchen. Fast alle Neueren weisen diese Ableitung zurück, übersetzen aber ähnlich: suchen, oder besser (weil piel): ernstlich suchen.

2. So Luther.

3. Man vergl. dazu z. B. Oehler, Alttest. Theologie, 2. Aufl. S. 130 f.