Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 67 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalmlied. Vergl. zu Ps. 48. Feierlichkeit und leichtfließender Verstakt sind hier vereinigt. Dem Vorsänger. Wer das war, daran liegt wenig, und auch wer wir seien, ist von geringer Bedeutung, wenn nur der HERR verherrlicht wird. Auf Saitenspiel. Unser Psalm ist der fünfte, dem diese Bemerkung vorgesetzt ist. Der Name des Verfassers ist nicht genannt.1


Auslegung

2. Gott sei uns gnädig und segne uns;
er lasse uns sein Antlitz leuchten! Sela.
3. Dass man auf Erden erkenne seinen Weg,
unter allen Heiden sein Heil.
4. Es danken dir, Gott, die Völker;
es danken dir alle Völker.
5. Die Völker freuen sich und jauchzen,
dass du die Leute recht richtestund regierest die Leute auf Erden. Sela.
6. Es danken dir, Gott, die Völker;
es danken dir alle Völker.
7. Das Land gibt sein Gewächs.
Es segne uns Gott, unser Gott.
8. Es segne uns Gott
und alle Welt fürchte ihn!


2. Gott sei uns gnädig und segne uns; er lasse sein Antlitz bei uns leuchten! (Grundtext) Diese Worte sind ein schöner Widerhall des hohepriesterlichen Segens 4. Mose 6,24-26. Die Bitte beginnt am rechten Ende: mit dem Ruf um Gnade. Die Vergebung der Sünden ist stets das erste Glied in der Kette der Gnadenerweisungen, die wir erfahren. Die sich zum Sünder neigende Liebe ist diejenige Eigenschaft Gottes, auf welcher all unser Heil ruht. Die geförderten Heiligen und die schlimmsten Sünder dürfen sich in der Bitte vereinigen: Gott sei uns gnädig! Sie wird gerichtet an den Gott der Gnade von solchen, die erkennen und fühlen, dass sie der Gnade bedürfen, und sie schließt in sich den Tod aller Hoffnung auf Gesetzesgerechtigkeit und allen Anspruch eines Verdienstes. Darauf bittet die Gemeinde um den Segen Gottes: Gott segne uns! - eine sehr umfassende und weitreichende Bitte. Gottes Segen ist kein leeres Wort; er erweist sich in reichen Gaben und machtvollen Taten. Doch Gottes Gaben sind nicht alles und nicht das Höchste, wonach seine Kinder verlangen; sie begehren vor allem die persönliche Gewissheit seiner Huld und bitten daher, dass er mit dem Licht seines Antlitzes bei ihnen gegenwärtig sei. Diese drei Bitten schließen alles in sich, was wir hienieden und einst droben bedürfen.
  Der Vers kann als Gebet der ganzen israelitischen Gemeinde betrachtet werden, und die christliche Gemeinde mag ihn ebenfalls zu ihrem Gebet machen. Der Psalm hat in den folgenden Versen einen sehr weiten, alle Völker umfassenden Gesichtskreis; aber er beginnt daheim. Die ganze Gemeinde des HERRN, jede Einzelgemeinde und jedes kleine Häuflein darf wohl beten: Segne uns. Es würde jedoch sehr unrichtig sein, wenn unsere Nächstenliebe mit diesem ersten, schüchternen Anfang der Betätigung schon ihr Ende fände, wie es bei manchen in der Tat der Fall ist. Unsere Liebe darf in die weite Ferne schweifen, unsere Gebete sollten weit ausholen: wir sollen die ganze Welt in unsere Fürbitte einschließen.
  Sela. Erhebt die Herzen, erhöht eure Stimme: was folgt, erfordert einen höheren Ton.

3. Dass man auf Erden erkenne deinen Weg. (Grundtext) Wie die Wasser, welche zuerst als Regenschauer auf die Gebirge niederfallen, hernach als Bäche und Ströme die weiten Ebenen durchfließen, so kommt der Segen des Höchsten durch die Gemeinde auf die Welt. Wir empfangen die Segnungen ebenso sehr für andere wie für uns selber. Gott führt die Seinen gnädige Wege, und dann machen sie diese göttlichen Wege weit und breit bekannt, so dass des HERRN Name auf Erden berühmt wird. Die Unwissenheit über Gott und die göttlichen Dinge ist der größte Feind der Menschheit, und die dankerfüllten, auf der persönlichen Erfahrung beruhenden Zeugnisse der Gottesmenschen überwinden diesen Erzfeind. Gott hat einen bestimmten Heilsweg geordnet, und es ist Pflicht und Vorrecht einer lebendigen Kirche, diesen Heilsweg überall bekannt zu machen. Unter allen Heiden dein Heil. Alle Völker bedürfen dieses Heils Gottes; aber viele kennen, begehren und suchen es nicht. Unser Bitten und Arbeiten muss dahin zielen, dass die Erkenntnis des Heils sich so allgemein verbreite wie das Licht der Sonne. Entgegen den düsteren Zukunftserwartungen, welche manche hegen, halten wir an dem Glauben fest, dass Christi Reich noch die ganze bewohnbare Erde umspannen und alles Fleisch das Heil Gottes sehen wird, und nach dieser glorreichen Vollendung ringen wir in unseren Gebeten.

4. Es müssen dich preisen, Gott, (die) Völker. (Grundtext) Bringe sie dazu, dass sie deine Güte anerkennen und dich von ganzem Herzen loben; mögen nicht nur einzelne, sondern ganze Völker dies tun, und nicht nur einmal, vorübergehend, sondern beständig, aus wohlgegründeter Erkenntnis deines wunderbaren Heilsweges. Es müssen dich preisen alle Völker. Möge keine Nation in der unzählbaren Schar der heiligen Sänger fehlen. Sind doch alle dir so hoch verpflichtet! Ihnen wird es großen Gewinn, dir große Ehre bringen; darum gib, HERR, allen Gnade, deine Gnade anzubeten. Wir können diesen und den folgenden Vers als Wunsch oder als Weissagung lesen.

5. Es müssen sich freuen und jauchzen die Nationen. (Grundtext) Wenn die Menschen Gottes Heilsratschluss erkennen und sein Heil erfahren, werden ihre Herzen von großer Freude bewegt. Nichts erfüllt die Herzen so schnell und gewiss, so überströmend und bleibend mit Freude wie das göttliche Heil. Wahres Glück werden die Nationen nie kennen, bis sie dem Stabe des guten Hirten folgen; sie mögen die Staatsformen verändern, sich von Monarchien in Republiken, von Republiken in kommunistische Gemeinwesen verwandeln - das Elend schaffen sie damit nicht weg, solange die Sünde Meister ist und sie nicht dem HERRN in willigem Gehorsam huldigen. Jauchzen sollen aber diese armen Menschen noch. Welch herrliches Wort! Wir dürfen es jetzt schon tun. Manche singen aus bloßer Gewohnheit, andere, um mit ihrer Stimme zu glänzen, etliche ums liebe Brot, wieder andere zum Vergnügen; aber von ganzem Herzen singen, weil die überströmende Freude sich Luft machen muss, das heißt erst recht eigentlich singen. Ganze Nationen werden dies tun, wenn Jesus über sie herrscht mit der Macht seiner Gnade. Wir haben Hunderte und selbst Tausende im Chor singen hören; aber was wird das sein, dem Gesang ganzer Nationen lauschen zu dürfen, wenn ihre Stimme erschallt wie das Rauschen vieler Wasser und das Rollen mächtigen Donners! Wann wird dies Zeitalter des Jauchzens und Singens beginnen? Wann wird all das Seufzen und Murren ersterben und sich in heilige Psalmgesänge und fröhliche Loblieder auflösen? Dass du die Völker recht richtest. Ungerechtes Regiment ist eine mächtige Quelle nationalen Elends; aber unter Gottes Zepter steht es wohl um das Recht. Er tut niemandem Unrecht, seine Gesetze sind die Gerechtigkeit selbst. Er hilft vielmehr allen, die Unrecht leiden, zu ihrem Recht und befreit die Unterdrückten von ihren Peinigern. Wohl mögen die Nationen einst jauchzen, wenn die Gerechtigkeit auf dem Thron sitzt. Und regierest die Leute auf Erden. Er wird die Nationen leiten (wörtl.) wie ein Hirt seine Herde, und von seiner Gnade sanft gezogen werden sie ihm willig folgen; dann wird Friede sein auf Erden und Reichtum und Wohlstand in Fülle. Es ist eine große Herablassung, dass der HERR der Hirt der Völker werden und sie leiten will, so wie es für sie am besten ist; und es ist ein schweres Verbrechen, wenn ein Volk, das das Heil Gottes kennt, vom HERRN abfällt und spricht: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche! Wir haben wohl Ursache zu fürchten, dass unser Volk solchem Gericht anheimfallen könnte; möge Gott uns davor bewahren!
  Sela. Ehe der Kehrreim wiederholt wird, mögen die Harfenspieler ihre Harfen wieder stimmen, damit die lobpreisenden Klänge in voller Kraft und Reinheit erschallen

6. Es müssen dich preisen, Gott, (die) Völker, es müssen dich preisen alle Völker. (Grundtext) Die Worte sind es wert, nicht nur einmal, sondern immer aufs Neue wiederholt zu werden. Der erhabene Gegenstand des Psalms ist die Teilnahme der Heiden an der Verehrung Jehovas. Der Psalmsänger ist von diesem herrlichen Gedanken so erfüllt, dass er kaum weiß, wie er seiner Freude Worte geben soll.

7. Das Land gibt sein Gewächs. Die Sünde hat den Fluch über den Acker gebracht, und nur die Gnade kann ihn aufheben. Unter einer tyrannischen Regierung wird ein Land unfruchtbar; sogar das Land, welches einst von Milch und Honig floss, ist jetzt unter der Türkenherrschaft fast eine Wildnis. Aber wenn die ganze Menschheit einst durch die Grundsätze der wahren Religion aufgeklärt und die Herrschaft Jesu allgemein anerkannt sein wird, dann wird die Ackerbaukunst auf der Höhe der Vollendung stehen, die Menschen werden mit Lust arbeiten, alle Armut wird verschwunden und der Boden zu seiner ursprünglichen Fruchtbarkeit wiederhergestellt sein. Wir lesen in der Schrift, dass der HERR ein fruchtbares Land zur Salzwüste mache um der Bosheit willen derer, die drinnen wohnen (Ps. 107,34), und mancherlei Beobachtungen bestätigen die Wahrheit dieser göttlichen Drohung; doch war ebenfalls unter dem Gesetz verheißen: Der HERR, dein Gott, wird dir Glück geben in allen Werken deiner Hände, an der Frucht deines Leibes, an der Frucht deines Viehs, an der Frucht deines Landes, dass dir’s zugutekomme (5. Mose 30,9). Es besteht ganz gewiss eine innige Beziehung zwischen moralischem und physischem Übel und geistlichem und natürlichem Guten. Der Grundtext hat zwar die vergangene Zeit: Das Land hat seinen Ertrag gegeben, und Alexander (1850) meint, es verstoße gegen die Sprachkunde, den Ausspruch auf die Zukunft zu beziehen; uns dünkt aber, der prophetische Sänger sehe im Geiste den Erntesegen schon als gegeben, der alsbald folgen muss, wenn die Völker einst alle Gott huldigen. Es segne uns, oder: Segnen wird uns Gott, unser Gott. Er wird geben, dass der Ertrag der Erde ein wahrer Segen ist. Die Menschen werden in diesen reichen Gaben das gnädige Walten des Gottes erkennen, welchen Israel von alters her angebetet hat, und Israel wird sich in Sonderheit über den großen Segen freuen und seinen Gott erheben. Jeder gläubige Israelit muss von heiliger Freude erfüllt werden, dass die Nationen durch Abrahams Gott alle gesegnet werden sollen; aber auch jeder Gläubige aus den Heiden freut sich des, dass noch die ganze Welt den Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, der unser Gott und Vater ist, anbeten soll.

8. Es segne uns Gott, oder: Gott wird uns segnen. Die Bitte des Anfangsverses kehrt als frohlockender Gesang am Schluss wieder. Und zwar werden die Worte unmittelbar nacheinander wiederholt (V. 7b. 8); lässt doch auch der HERR seine Segnungen so unaufhörlich triefen: er segnet und segnet und segnet abermals. Seine Segnungen sind das Erbteil seiner Auserwählten; er ist ein Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen. Wir finden in diesem Vers einen Lobgesang, der alle Ewigkeiten umfasst. Gott wird uns segnen, das ist unsere gewisse Zuversicht; er mag uns züchtigen, aber segnen muss er uns. Er kann’s nicht lassen, seinen Auserwählten wohlzutun. Und alle Welt (wörtl.: alle Enden der Erde) fürchte ihn, oder: wird ihn fürchten. Auch die Fernsten werden ihn fürchten. Die Enden der Erde werden mit ihrem Götzendienst ein Ende machen und den allein wahren Gott als ihren Gott anbeten. Alle Menschenrassen ohne Ausnahme werden eine heilige Scheu empfinden vor dem Gott Israels. Alle Unwissenheit wird abgetan sein, aller Ungehorsam überwunden, alle Ungerechtigkeit verbannt, aller Götzendienst verabscheut sein, des HERRN Liebe, Licht und Leben werden in allen herrschen, und der HERR selber wird der König aller Könige und der Herr aller Herren sein. Amen, ja Amen.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Wie Ps. 65, betrachtet auch dieser Psalm den noch auf den Fluren stehenden und der Ernte gewärtigen Fruchtertrag in heilsgeschichtlichem Lichte. Jede gesegnete Ernte ist für Israel eine Erfüllung der Verheißung 3. Mose 26,4 und eine Bürgschaft, dass Gott mit seinem Volke ist und dessen Beruf an die gesamte Völkerwelt nicht unausgerichtet bleiben werde. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Man vergleiche Luthers Lied: "Es wolle Gott uns gnädig sein." Der Missionston des Psalms klingt in dieser freien Nachbildung, wie Delitzsch bemerkt, entschieden und lieblich hindurch. - James Millard
  Der Psalm ist eine liebliche Anleitung, Kleines und Großes zu verbinden und in dem Kleinen das Mittel des Großen, in dem Natürlichen eine Grundlage für das Geistliche zu sehen. Prof. Fr. W. Schultz 1888.
  Welch schönes Ebenmaß herrscht in allen Teilen dieses Missionspsalms! Er gibt dem Sehnen des Volkes Gottes Ausdruck nach der Zeit, da alle Völker an seinen Vorrechten teilnehmen und alle Nationen Jehova preisen werden und die ganze Erde, die um der Sünde willen so lange Zeit unter dem Fluch geseufzt hat, in paradiesischer Pracht blühen wird. Und der Psalm ergeht sich dabei nicht in Träumereien, sondern begründet die Zukunftshoffnungen mit nüchternen Erwägungen. Denn wie denkt er sich die Verwirklichung dieser goldenen Zeiten? Die Gemeinde baut ihre Hoffnung zunächst auf die allgemeine Verbreitung der Erkenntnis des göttlichen Heilsweges (V. 3), und im Blick darauf bittet sie um eine Zeit der Erquickung vom Angesicht des HERRN (V. 2) und fasst den Mut zu solcher Bitte aus den Worten des von Gott selber verordneten hohepriesterlichen Segens. Es ist, als spräche Israel: "Hast du nicht den Söhnen Aarons geboten, deinen Namen auf uns zu legen und zu sagen: ,Der HERR segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig’? Gedenke dieses deines unverbrüchlichen Wortes. Lass diesen Segen über uns kommen, so werden wir auch ein Segen werden, dass alle Geschlechter der Erde durch uns mit deinem Heil bekannt werden." Solcherart ist die Hoffnung der Gemeinde des HERRN, und wer wollte sagen, sie sei unvernünftig? Wenn das kleine Häuflein der Jünger, die dort auf dem Söller zu Jerusalem zusammenkamen, lauter Leute von geringem Stande und unscheinbaren Fähigkeiten, durch die Geistestaufe mit solcher Kraft angetan wurden, dass binnen dreihundert Jahren das Heidentum im Römischen Reiche gestürzt war, so braucht man vor der Behauptung nicht zurückzuschrecken, dass es, um die ganze Welt mit dem Evangelium zu erfüllen, nichts anderes bedürfe, als dass die christlichen Gemeinden mit einer neuen Ausgießung des gleichen Geistes der Kraft getauft werden. William Binnie 1870.


V. 2.3. Der Prophet wünscht, dass Gottes Gunst an dem erwählten Volke sichtbar werde, damit diese durch ihren Glanz die Heiden zu der Gemeinschaft derselben Hoffnung führe. Jean Calvin † 1564.
  Der Sänger redet zuerst von Gott (V. 2), weil er sich eng an den mosaischen Segen 4. Mose 6 anschließt; sobald aber die Beziehung auf diesen aufhört, tritt die Anrede ein: deinen Weg, dein Heil. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.


V. 3. Dass man erkenne deinen Weg. Von Natur wissen wir wenig von Gott und nichts von Christus und dem Heilsweg. Es muss uns daher erst das Auge geöffnet werden, dass wir den Weg des Lebens sehen, ehe wir ihn im Glauben betreten können. Gott befördert die Seelen nicht in den Himmel wie Passagiere in einem Schiff, die unter den Luken eingesperrt sind und auf der ganzen Reise zu ihrem Bestimmungsort nichts sehen. Der rechte Glaube ist kein Köhlerglaube, kein blindes Beistimmen und Nachsprechen ohne irgendwelche Erkenntnis. William Gurnall † 1679.
  Gottes Weg ist die fortschreitende Verwirklichung seines Ratschlusses, sein Heil ist das Heil, worauf dieser Ratschluss abzielt, das Heil nicht Israels bloß, sondern aller Menschheit. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Wie das natürliche Licht die Art an sich hat, sich mitzuteilen und auszubreiten, so auch das geistliche Licht. Wir sollen nicht nur für uns beten, sondern für alle andern auch, dass Gottes Ratschluss auf Erden bekannt werde und sein Heil unter allen Heiden. Dein Weg, d. i. dein Wille, dein Wort, deine Werke. Gottes Wille muss auf Erden bekannt werden, wenn er auf Erden geschehen soll wie im Himmel. Wie sollen wir unsers Herrn Willen tun, wenn wir ihn nicht kennen? Gottes Wille ist geoffenbart in seinem Wort, und sein Wort ist der Weg, auf dem wir wandeln sollen, ohne Abweichen weder zur Rechten noch zur Linken. Oder es ist unter dem Wege Gottes sein Walten gemeint, wie z. B. Ps. 25,10. Mit den Kirchenvätern Augustinus, Hieronymus und Hilarius können wir die Worte auch ins Neutestamentliche übersetzen und sagen: Dein Weg, das ist dein Christus (vergl. Joh. 14,6); dein Heil, das ist dein Heiland, dein Jesus, also: Lass deinen Sohn bekannt werden auf Erden, deinen Heiland unter allen Nationen. John Boys † 1643.


V. 4. Merke die liebliche Ordnung des Werks des Geistes: erst Begnadigung, dann Erkenntnis, zuletzt Preis Gottes. Seine Gnade bewirkt Erkenntnis, seine Erkenntnis Lobpreis. John Boys † 1643.


V. 5. Richten steht oft für regieren. Recht richten ist so viel wie gerecht und milde regieren, wie der Psalmist es ja hier erläutert durch das folgende Zeitwort, welches gnädiges, sanftes Führen bezeichnet. Vergl. zum Ganzen Ps. 72,12 f.; Jes. 11,3 f. John Boys † 1643.
  Jetzt übt Gott wohl als Lenker der Geschicke die Oberherrschaft über die Völker aus, aber geleitet werden sie sicherlich von einem anderen Führer. Sie haben einen Zaum im Gebiss, der sie auf Irrwege leitet. Sie werden im Sieb der Eitelkeit behalten und geschüttelt, bis der kommt, dem die Herrschaft gebührt. Arthur Pridham 1869.


V. 4-6. Man beachte, wie diese Wiederholungen das vielstimmige, volltönende Lob, welches am Ende der Tage Gott von allen Nationen dargebracht werden wird, veranschaulichen. Lic. Dr. H.V. Andreä 1884.


V. 7. Zuletzt fasst der Sänger alle in dieser Endzeit zur Erscheinung kommende Herrlichkeit in das kurze, aber vielsagende Wort zusammen: Die Erde hat ihren Ertrag gebracht, d. h. die ganze Fülle des Gottessegens, zu der sie von Anfang an nach Gottes Ratschluss bestimmt war. Lic. Dr. H.V. Andreä 1884
  Es ist keine unvernünftige Erwartung, dass unsere Erde, wenn die Gerechtigkeit einst auf ihr die unumschränkte Herrschaft haben wird, den ganzen reichen Ertrag geben werde, dessen sie fähig ist. Die durch Frömmigkeit geheiligte und geförderte Wissenschaft kann die Fruchtbarkeit der Erde sehr erhöhen, und der menschliche Erfindungsgeist kann noch in viel höherem Grade, als es jetzt geschieht, die Arbeit verkürzen und den irdischen Lebensgenuss erhöhen. Man bedenke, wie viel von den Erfindungen und Wohlfahrtseinrichtungen dem Einfluss des Christentums zuzuschreiben ist. Können wir dann daran zweifeln, dass in dem Zeitalter, dem wir hoffend entgegen schauen, die Arbeit aufhören werde eine Last zu sein? Können wir glauben, dass das Leben der arbeitenden Klassen stets ein endloser Kreis von Mühe und Qual sein werde? Die Schrift sagt die Aufhebung des Fluches voraus. William Reid 1871.


V. 8. Man beachte, wie die Freude in Gott und die Furcht vor Gott vereint sind. Durch die Freude wird die Traurigkeit und Ängstlichkeit des Misstrauens ausgeschlossen, durch die Furcht aber die Geringschätzung und die falsche Sicherheit gebannt. So heißt es Ps. 2: Dienet dem HERRN mit Furcht und freuet euch mit Zittern. Wolfgang Musculus † 1563.


Homiletische Winke

V. 2. 1) Gnade von Gott dem Vater. 2) Segnung als Frucht dieser Gnade in Gott dem Sohn. 3)Erfahrung dieser Segnung in den Tröstungen des Heiligen Geistes und der Gemeinschaft (bei uns, Grundtext) des dreieinigen Gottes.
  Die Notwendigkeit, einen Segen für uns selbst zu suchen.
V. 2.3. Das Gedeihen der Heimatgemeinde, die Hoffnung der Missionen.
V. 3. 1) Gottes Weg, d. i. die fortschreitende Verwirklichung seines Heilsratschlusses, ein Weg a) der Gnade, b) des Segens, c) des Trostes. 2) Die Verbreitung der Erkenntnis dieses Weges a) durch äußere Mittel, b) durch innere Belehrung. 3) Die Frucht dieser Erkenntnis: Heil unter allen Nationen.
V. 4. Es müssen dich preisen, Gott, alle Völker. Betrachtet 1) als der Wunsch aller Gotteskinder; 2) als Gebet; 3) als Weissagung.
V. 5. 1) Die Herrschaft Gottes über die Welt. 2) Die Freude der Welt darüber. 3) Der Grund dieser Freude: dass du die Nationen recht regierst und leitest - treu deinem heiligen Gesetz, treu deinen gnädigen Verheißungen.
V. 7. Die Erde hat ihren Ertrag gebracht (Grundtext) - ein Zukunftserntelied.
V. 7.8. Die gegenwärtigen Gnadenerweisungen ein Pfand weiterer Segnungen.

Fußnoten

1. Spurgeon fährt fort: "Wir halten den aber für kühn, der zu beweisen versuchen wollte dass David den Psalm nicht geschrieben habe. Es braucht bei uns schon einen starken Anstoß, ehe wir uns nach einem anderen Verfasser umsehen, um ihm die Vaterschaft solcher namenlosen Lieder zuzuschreiben, welche mitten unter davidischen Psalmen stehen und denen die Familienähnlichkeit mit diesen so deutlich aufgeprägt ist." - Es liegt jedoch sehr nahe, dieses liturgische Lied dem Gottesdienst des zweiten Tempels zuzuweisen. Auch der Missionston des Psalms spricht für eine spätere Zeit. Der vorhergehende und der nachfolgende Psalm weisen durch die Zitationen des Deuterojesaia ebenfalls auf die nachexilische Zeit als ihre Entstehungszeit hin. - James Millard