Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 75 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm und Lied Asaphs, sowohl zum Vorlesen als auch zum Singen geeignet. Ein Psalm zum Lobe Gottes und ein Lied für seine Heiligen. Das Volk ist glücklich zu preisen, dem in David ein Milton gegeben war und in Asaph ein nahezu ebenbürtiger Sänger erstand; glücklich vor allem darum, weil diese Dichter ihre Begeisterung nicht aus der Erde kastalischem Quell,1 sondern aus dem himmlischen Born der ewigen Wahrheit tranken. Dass er nicht umkäme, Grundtext: "Verderbe nicht"; der letzte der vier so überschriebenen Psalmen. Vergl. zu Ps. 57. Die meisten Ausleger vermuten in diesen Worten den Anfang eines bekannten Liedes, nach dessen Singweise der Psalm vorgetragen werden sollte. Setzen wir die Worte aber zu dem Inhalt des Psalms in Beziehung, so werden sie entweder dem natürlichen Grimm des lang unterdrücken Volkes Einhalt tun sollen, oder sie sind ein Hohn auf den wilden Feind, der hier spottweise gebeten wird, nicht zu verderben, weil das Volk Gottes weiß, dass ihm die Macht dazu jetzt genommen ist. Wahrlich, da spielt in heiligem Glauben der Säugling am Loch der Otter, und ein Entwöhnter steckt seine Hand in die Höhle des Basilisken! (Jes. 11,8.) Vorzusingen. Es ist ein ehrenvoller Auftrag, der dem Musikmeister (wörtl.) wird, da er diesen Psalm für den öffentlichen Gottesdienst musikalisch bearbeiten und einüben soll; denn in dem vorliegenden Psalm ist der Hilferuf, den der vorige zu Gott emporsandte, im Begriff, erhört zu werden, und Gott selbst nimmt die Herausforderung der Feinde Israels an. So verachtet hier die Jungfrau Zion ihren Feind und macht ihn zum Gespött. Der Untergang des Heeres Sanheribs bildet eine vorzügliche Illustration, wenn nicht gar, wie viele Ausleger meinen, die Veranlassung zu diesem heiligen Sang.

Einteilung. Dank und Anbetung des Volkes leiten den ganzen Gesang ein (V. 2). In den folgenden vier Versen (3-6) tritt der HERR selbst redend auf als der gerechte Lenker der Welt. Dann erhebt die Gemeinde Gottes warnend ihre Stimme gegen ihre Feinde (V. 7-9), und der Schluss (V. 10-11) besingt im Voraus den Ruhm Gottes und die völlige Niederlage der Feinde.


Auslegung

2. Wir danken dir, Gott, wir danken dir
und verkündigen deine Wunder, dass dein Name so nahe ist.


  Wir danken dir, Gott; nicht uns selbst rühmen wir, denn wir waren hilflos, sondern dir, Gott, lobsingen wir, der du unser Schreien hörtest und auf das Höhnen unserer Feinde antwortetest. Lasst uns nie der Pflicht des Dankens vergessen; wir müssten ja sonst fürchten, dass unser Gebet ein andermal keine Erhörung finden werde. Wie die lieblichen Blumen in ihrer Farbenpracht die verschiedenen Teile des Sonnenlichts zurückstrahlen, so sollte in unseren Herzen Dankbarkeit sprießen, geweckt von dem freundlichen Lächeln der göttlichen Vorsehung. Wir danken dir. Immer wieder aufs neue sollen wir Gott preisen. Karg gemessener Dank ist schlecht verhüllter Undank. Für unendliche Güte ziemt sich eine Dankbarkeit ohne Grenzen. Zwiefachen Lobpreis gelobt der Glaube für außerordentliche Errettungen aus großer Not. Und verkündigen deine Wunder, dass dein Name so nahe ist.2 Gott ist gegenwärtig, um uns zu erhören und Wunder zu tun; lasst uns denn dieses allzeit nahe Wesen anbeten! Wir reden und singen ja nicht von einem verborgenen Gott, welcher schläft und seine Gemeinde ihrem Schicksal überlässt, sondern von dem, der allezeit, auch in unseren dunkelsten Stunden, ganz nahe ist, eine Hilfe in Nöten kräftig erfunden (Ps. 46,2). Baal mag über Feld sein, aber Jehova wohnt inmitten seiner Gemeinde. Ehre sei dem HERRN, dessen machtvolle Gnadentaten es fort und fort beweisen, dass er bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende.


3. Denn zu seiner Zeit
so werde Ich recht richten.
4. Das Land zittert und alle, die drinnen wohnen;
aber Ich halte seine Säulen fest. Sela.
5. Ich sprach zu den Ruhmredigen: Rühmet nicht so,
und zu den Gottlosen: Pochet nicht auf Gewalt,
6. pochet nicht so hoch auf eure Gewalt.
redet nicht halsstarrig,
7. es habe keine Not, weder von Aufgang noch von Niedergang
noch von dem Gebirge in der Wüste.
8. Denn Gott ist Richter,
der diesen niedriget und jenen erhöhet.
9. Denn der HERR hat einen Becher in der Hand und
mit starkem Wein voll eingeschenkt
und schenkt aus demselben; aber die Gottlosen müssen
alle trinken und die Hefen aussaufen.


V. 3-6.3)

3. In diesem Vers beginnt, wie allgemein angenommen, eine Rede Gottes; ähnlich führt der Dichter des ebenfalls asaphitischen 50. Psalms Gott selbst unmittelbar redend ein. Zu seiner Zeit, d. i. wörtl.: wenn ich den (in meinem Ratschluss festgesetzten) Zeitpunkt ergreife (um das Beschlossene auszuführen), richte Ich, wie es recht ist. Gott ist nie zu früh und nie zu spät! Die Zeit der Geduld hat er festgesetzt; ist sie aber vorüber, so erfolgen rasch seine Schläge, und die Rettung der Seinen ist sicher. Gott sendet nicht einen Amtsverweser, sondern besteigt selbst den Richtstuhl. HERR, lass die bestimmte Zeit bald kommen, wo du deinem Volk und deiner Sache zum Recht verhilfst! Zögere nicht länger; mach dich auf und geh ans Werk um der Wahrheit und der Herrschaft Jesu willen. O lass den Tag des Gerichts anbrechen, Herr Jesu, und steig auf den Thron, um die Welt mit Gerechtigkeit zu richten.

4. Das Land (oder: die Erde) zittert (wörtl.: vergeht, nämlich vor Furcht) und alle, die drinnen wohnen. Wenn die Gesetzlosigkeit überhand nimmt, wenn Tyrannen die Macht in die Hände bekommen, gerät alles ins Schwanken, und Auflösung droht allem Bestehenden. Selbst die Autorität der Regierung, vorher fest wie die Berge, schmilzt wie Wachs; allein auch dann noch hält und stützt der HERR das Recht. Aber Ich halte seine Säulen fest. Es ist also kein wirklicher Grund zur Furcht da. Solange die Tragpfeiler fest stehen - und sie bleiben stehen, weil Gott sie hält -, so lange wird auch das Gebäude dem Sturm Trotz bieten. Wenn der HERR einst erscheint, wird alles zerschmelzen; Er aber, unser Bundesgott, wird sich dann als der sichere Grund unserer Zuversicht erweisen. Sela. Hier mag wohl die Musik ruhen, während diese erhabene Vision an unserm Auge vorüber zieht: eine Welt in Auflösung, und über ihr der unveränderliche Gott, der mit starker Hand alle die Seinen über die schreckliche Umwälzung hinwegträgt.

5. Ich sprach zu den Ruhmredigen4: Rühmet nicht so. Der HERR gebietet den Prahlern, nicht mehr zu prahlen, und befiehlt den wahnsinnigen Unterdrückern, mit ihrer Narrheit aufzuhören. Welche Ruhe bewahrt er, wie gelassen sind seine Worte, und doch wie majestätisch ist diese Zurechtweisung! Wenn die Gottlosen nicht von Sinnen wären, so würden sie schon jetzt in ihrem Gewissen die leise Stimme vernehmen, welche sie auffordert, vom Bösen abzulassen und ihren Stolz zu brechen. Und zu den Gottlosen: Pochet nicht auf Gewalt, wörtl.: Erhebet nicht das Horn. Er heißt die Gottlosen ihren Hochmut beugen. Das Horn war Sinnbild stolzer Kraft; nur Toren können es wie wütende wilde Tiere hochtragen. Aber sie wollen in ihrem Hochmut sogar den Himmel stürmen, als ob sie den Allmächtigen selbst mit ihrem Horn durchbohren könnten. In würdevoller Majestät verweist er dies eitle Rühmen den Gottlosen, welche sich in der kurzen Zeit, da sie, wenigstens in ihrer Einbildung, die Macht in Händen haben, so maßlos überheben.

6. Pochet nicht so hoch auf eure Gewalt, wörtl.: Erhebet nicht so hoch euer Horn. Zum zweitenmal wird ihnen ihr grenzenloser Hochmut verwiesen. Ein Wort aus Gottes Mund wirft die Übermütigen bald in den Staub. Gebe Gott, dass alle Stolzen auf Erden die ihnen hier gegebene Mahnung zu Herzen nehmen; denn tun sie es nicht, so wird der Allmächtige wirksame Mittel ergreifen, um sich Gehorsam zu erzwingen, und dann wird großer Jammer über sie kommen: ihr Horn wird zerbrochen und ihre Herrlichkeit für immer in den Kot getreten werden. Redet nicht halsstarrig.5 Unverschämtheit Gott gegenüber ist Tollheit. Der steife, hochgereckte Nacken unsinnigen Stolzes muss ja das Richtschwert des Höchsten herausfordern. Leute, die ihren Kopf so hoch tragen, werden sich plötzlich noch höher emporgezogen finden, wie Haman an den Galgen, den er für den gerechten Mardochai errichtet hatte. Drum schweig, du alberner Prahlhans! schweig, sonst gibt Gott dir eine Antwort, die dir auf immer den frechen Mund schließt! Wer bist du denn, du Wurm, dass du dir’s herausnimmst, dich gegen die Gesetze deines Schöpfers aufzulehnen und seine Wahrheit zu bekritteln? Sei doch still, du hochmütiger Schwätzer, sonst bringt dich die vergeltende Gerechtigkeit zu deiner ewigen Schande zum Verstummen (V. 7-9).

V. 7-9.

7. Denn Erhöhung (d. i. Errettung) kommt weder von Aufgang noch von Niedergang, noch von der Wüste.6 Es gibt einen Gott und eine allwaltende Vorsehung; die Dinge geschehen nicht nach blindem Zufall. Wenn sich auch auf keinem Punkt des Horizonts eine Aussicht auf Rettung bietet, so kann Gott sie seinem Volk dennoch verschaffen; und ob auch das Gericht über die Unterdrücker weder vom Aufgang noch vom Niedergang noch von der Wüste erwartet werden kann, kommen muss es; denn Gott sitzt im Regiment! Die Menschen vergessen, dass Gott alles zuvor verordnet hat, dass alle Fäden des Weltlebens im Himmel zusammenlaufen. So sehen sie nur die menschlichen Kräfte und die fleischlichen Leidenschaften; aber der unsichtbare Jehova ist eine in unendlichem Maße realere Macht als diese. Er hat die Hand am Werk hinter und in der Wolke, die uns ihn verhüllt. Die Toren träumen, er existiere nicht, er, der doch fortwährend nahe ist und eben im Begriff steht, den Becher voll starken Racheweins zu ergreifen, aus dem ein einziger Schluck genügt, um alle seine Feinde zum Wanken zu bringen.

8. Denn (besser: sondern) Gott ist Richter. Er ist jetzt schon tatsächlich im Richten begriffen. Sein Stuhl ist nicht vakant, er hat seine Autorität nicht niedergelegt; der HERR sitzt noch immer im Regiment. Der diesen niedriget und jenen erhöhet. Auf sein Geheiß steigen die Weltreiche empor und geraten sie wieder in Verfall; es ist sein Wille, der diesem hier den Kerker und jenem dort einen Thron anweist. Assyrien muss Babylon weichen und Babylon den Medern. Könige sind wie Puppen in seiner Hand; seinen Zwecken muss das Emporsteigen wie das Erbleichen ihres Sternes dienen. Ein englischer Schriftsteller (Timbs) hat ein Buch unter dem Titel "Historisches Kegelspiel" herausgegeben - wahrlich ein guter Übername, geeignet, den Wahn der Großen der Erde etwas zu dämpfen. Gott allein ist, alle Macht ist sein; alles andere sind Schatten, die kommen und gehen, ohne wirklichen Inhalt, nebelhaft und traumähnlich.

9. Denn der HERR hat einen Becher in der Hand. Die Strafe für die Gottlosen ist schon zugerichtet, und Gott selbst hält sie in Bereitschaft; er hat die fürchterlichsten Wehen zusammengesucht und zu einer Mischung bereitet, und in seinem Zornbecher reicht er sie dar. Sie haben das Gastmahl seiner Liebe verschmäht und verspottet, so sollen sie nun zu seinem Gerichtstisch geschleppt werden und zum Nachgericht einen Dessertwein trinken müssen, wie er sich für sie schickt. Und der Wein ist rot. (And. Übers.7 Schrecklich ist die Vergeltung: Blut für Blut, überschäumende Rache für überschäumende Bosheit. Schon die Farbe des göttlichen Zornweins ist furchtbar; wie entsetzlich muss es sein, ihn kosten zu müssen! Ist voller Mischung. (Grundtext) Als Würzen sind Zorn, Gerechtigkeit und Entrüstung über die verschmähte Gnade beigemischt. Die Übeltaten der Gottlosen, ihre Lästerungen und Verfolgungen haben den Trank wie mit kräftigen Kräutern verstärkt. Zehntausend Wehen brennen in den Tiefen dieses Feuerkelchs, der bis zum Rand mit lang verhaltenem Zorne angefüllt ist. Und schenkt aus demselben. Der volle Becher muss ausgetrunken werden. Die Gottlosen können sich des nicht mehr weigern, sie müssen ihn ansetzen und in einem Zuge leeren - so grausig sie diese sonst gewohnte Zechersitte jetzt ankommt; denn Gott selbst schenkt ihnen aus, er setzt den Becher an ihre Lippen und gießt ihnen den schaurigen Trank ein. Umsonst ist ihr Schreien und Bitten. Einst konnten sie ihm Trotz bieten; aber die Zeit ist vorbei und die Stunde nun da, wo ihnen voll vergolten wird. Ja, (auch) seine Hefen müssen schlürfen und trinken alle Gottlosen der Erde. (Wörtl.) Das Zorngericht schreitet noch weiter fort bis zum äußersten, es nimmt an grausamer Bitterkeit zu. Sie müssen trinken und immer trinken, den Becher auskosten bis auf den Grund, wo die Hefen tiefer Verdammnis lagern; diese müssen sie ausschlürfen und den Becher noch ausschlecken. O die Angst, o das herzbrechende Weh des Tages des Zorns! Man merke wohl: allen Gottlosen der Erde steht solches Gericht in Aussicht, alle Höllenpein für alle Gottlosen; die Hefen des Grimmes für die Hefen der Menschheit, bittere Strenge für bittere Bosheit, Zorn für die Kinder des Zorns. Die Gerechtigkeit darin liegt klar zutage; aber über alle die Schrecken ist zehnfaches Dunkel gebreitet, eine Nacht ohne Licht und Labsal, ohne auch nur ein Sternlein der Hoffnung. Wohl denen, die den Becher der göttlichen Traurigkeit trinken und den Kelch des Heils ergreifen; werden sie jetzt auch verspottet, so werden sie doch einst aufs äußerste beneidet werden von eben den Leuten, von welchen sie jetzt mit Füßen getreten werden.


10. Ich aber will verkündigen ewiglich
und lobsingen dem Gott Jakobs.
11. Und will alle Gewalt der Gottlosen zerbrechen,
dass die Gewalt des Gerechten erhöhet werde.


10. Ich aber will verkündigen ewiglich. Dies wird also das selige Geschäft der Heiligen sein, den Ruhm Jehovas zu verkündigen, während ihre Feinde vom Zorneswein trunken sind. Sie werden singen, während die andern brüllen vor Seelenpein, und das gerechterweise; denn im vorigen Psalm sahen wir, dass es auch auf Erden so war: "deine Widersacher brüllen in deinen Häusern", an dem Ort, wo die Auserwählten Gott priesen. Und lobsingen dem Gott Jakobs. Den Bundesgott, welcher Jakob aus tausend Trübsalen errettete, soll unsere Seele verherrlichen. Er hat den Bund gehalten, den er mit dem Erzvater machte und hat dessen Samen erlöst; deshalb wollen wir auch seinen Ruhm verbreiten bis an der Welt Ende.

11. Und will alle Gewalt der Gottlosen zerbrechen, wörtl.: alle Hörner der Gottlosen abschlagen. Macht und Freiheit sind nun wieder Israel verliehen; so kann es auch wieder Gericht üben, indem es die Gottlosen erniedrigt, die sich ihres tyrannischen Regiments gerühmt hatten. Ihre Macht und Pracht werden nun zerstört. In jenen Zeiten trug man Hörner als Prunkgewänder. Diese Hörner sollen ihnen heruntergeschlagen werden, sowohl buchstäblich als bildlich; denn da Gott die Stolzen verabscheut, wird seine Gemeinde sie auch nicht länger dulden. Dass die Hörner des Gerechten erhöhet werden. (Wörtl.) In einer wohlgeordneten Gesellschaft werden die Guten hochgeachtet, die Tugend erhält da gebührenden Rang und Ansehen, und Gottes Gunst wird an einem Manne höher geschätzt als Gold. Der von der willkürlichen Gewaltherrschaft der Gottlosen befreite Fürst des auserwählten Volkes verspricht hier Abhilfe zu schaffen, wo sich Fehler im Staate eingeschlichen hatten, und nach dem Beispiel, das der HERR selbst gegeben, die Hochmütigen zu erniedrigen und die Demütigen zu erhöhen. Dies denkwürdige Lied ist besonders geeignet, in Zeiten schweren Druckes zur Stärkung gesungen zu werden, wenn das Gebet seine Botschaft am Gnadenthron ausgerichtet hat und der Glaube nun auf baldige Befreiung wartet. Es ist prophetisch ein Lied vom zweiten Advent und mahnt, dass der Richter mit dem Zornkelch nahe ist.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Was Ps. 74 erfleht: "Steh auf, Jahve, führe deine Sache!" (V. 22 f.), das schaut Ps. 75: das Gericht Gottes über die stolzen Sünder wird ihm Quelle des Lobpreises und triumphierenden Mutes. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Es ist etwas Großes, zur bösen Zeit seine und anderer Hände stärken zum Guten, wie Asaph in diesem Psalm tut. "Habe keine ungerechte Sache sowohl im Verborgenen als auch öffentlich, verteidige die Ehre Gottes, so wirst du wohl bestehen", war einmal der gute Rat, den man einem Beamten gegeben. Und so hat’s auch Asaph im Psalm gemacht, dem Namen Gottes und den überall nahen Spuren seiner Macht, Weisheit und Gerechtigkeit gläubig nachgespürt, gegen die Bosheit anderer wenigstens immer eine Protestation und Missfallen dargelegt und sich darauf bezogen, dass Gott auf Erden Richter ist, und damit sich und andere im Vertrauen und im Auswarten der Zeit gestärkt. Karl H. Rieger † 1791.


V. 2. Es wird von dem Namen Gottes gesagt, er sei nahe, weil er zu öffentlicher Kenntnis gekommen war und in jedermanns Sinn und auf jedermanns Zunge war. Nahe steht im Gegensatz zu dem, was unbekannt und verborgen ist; davon wird gesagt, es sei fern. Vergl. 5. Mose 30,11. Herm. Venema † 1787.
  Wir danken dir. Das wird wiederholt, nicht sowohl, weil es also zierlich lautet, sondern weil den Gläubigen recht Ernst ist, den Ruhm ihres guten Gewissens in standhaftem Bekenntnis zu behaupten. Johann David Frisch 1719.


V. 3 ff. Zu seiner Zeit. Ohne Zweifel hat damals auch Israel jenen Verdruss gefühlt, von dem Asaph Ps. 73,3 spricht, und vielmals werden sie gerufen haben: Ach HERR, wie lange? Darum erinnert sie Gottes Wort daran, dass ja auch die Offenbarung göttlicher Gerechtigkeit gelegene Zeit abwarte, und ob währenddem Himmel und Erde erschüttert werden, so dass menschlicher Kleinmut wähnt, es ließe sich nicht wieder feststellen - wo die gelegene Zeit gekommen sein wird, wird auch eine ganze Welt voll Tumult und Unruhe sich zur Ruhe begeben müssen. So soll man, ob man auch alles um sich her gären und brausen und alle festen Säulen brechen sieht, dennoch im Glauben festhalten: Gott wartet nur auf seine gelegene Zeit. Und zwar wird solches Gericht am wenigsten ausbleiben, wo der Übermut der elenden Sterblichen sich mit Gott im Himmel messen zu dürfen wähnt, da Gott es nicht zulassen darf, dass ihm Sterbliche seine Ehre nehmen. (Jes. 42,8.) Prof. A. F. Tholuck 1843.


V. 4. Ich halte seine Säulen fest. Man lerne daraus, wem die Ehre für die Aufrechterhaltung der Welt gebührt. Gottes Vorsehung ist der wahre Atlas, der die Welt stützt und trägt, während er auf die Sünde und die Sünder tritt. Thomas Crane 1672.


V. 5.6.11. Das Horn, als Bild siegreicher Trutzmacht schon 5. Mose 33,17; 1. Samuel 2,1 gebraucht und Ps. 18,3 auf Jehova übertragen als Horn des Heils, steht auch im vorliegenden Psalm V. 11b von den Gerechten, dagegen V. 11a und V. 5. 6 von den frevelnden Feinden in solcher Verbindung, dass man sieht, Horn ist nicht gleich Haupt, wie Hupfeld meint, sondern bezeichnet das Machtmittel, und das Horn erhöhen ist nicht gleich das Haupt erheben, sondern je nach dem Zusammenhange: die Machtmittel zeigen, sie in Bewegung setzen zum Angriff oder zur Verteidigung, sie mehren und stärken. Auch ist erst durch den Zusammenhang zu entscheiden, ob der Nebenbegriff der Zuversicht und des Mutes oder der des Trotzes und des Übermutes einzuschließen ist. (Vergl. Ps. 89,18.25; 92,11; 112,9; 148,14; 1. Makkabäer 2,48.) General-Sup. K. B. Moll † 1878.
  Erhebet euer Horn nicht hoch - redet nicht mit steifem Hals. (Wörtl.) Bruce († 1794) bemerkt dazu, die abbessinischen Könige hätten ein Horn auf ihrem Diadem, und wenn sie dasselbe aufrecht oder vorwärts geneigt hielten, so mache das den Eindruck, als wenn sie einen steifen Nacken hätten. Er führt die vorliegende Stelle als Beweis an, dass diese Sitte sehr alt sei und ebenso der dadurch hervorgerufene Eindruck. Adam Clarke † 1832.


V. 7. Erhöhung (siehe die 6. Anm. S. 576) bedeutet hier nicht, wie wir es gewöhnlich verstehen, Beförderung, Standeserhöhung, sondern Heraufheben aus der Tiefe der Not, Befreiung, Versetzung in sicheren Stand, Sieg. J. J. Stewart Perowne 1864.
  Noch von der Wüste: dem Süden, denn die große syrisch-arabische Wüste lag in dieser Richtung. Es werden drei Himmelsgegenden genannt; nur der Norden wird ausgelassen. Das kann man sich, vorausgesetzt, dass man den Psalm auf den Zug Sanheribs bezieht, durch die Tatsache erklären, dass das assyrische Heer eben vom Norden heranzog und es daher natürlich war, nach allen andern Richtungen, nur nicht nach dieser, um Hilfe gegen den eindringenden Feind auszuschauen. J. J. Stewart Perowne 1864.


V. 9. Die Gottlosen müssen alle trinken und die Hefen anssaufen. Puh, welch ein Trank! Es ekelt sie davor, der Magen kehrt sich ihnen dabei um; sie sind es nicht gewohnt, Hefen zu schlürfen. Der Wein, den sie zu trinken pflegten, war fein und rein, er funkelte in kristallenen Bechern und duftete gar herrlich; wie sollen sie jetzt dies Zeug hinunterkriegen? Wer aber so lustig und reichlich aus dem Becher der Sünde getrunken hat, der wird gezwungen werden, den Becher des Gerichts zu trinken, mag er sich noch so sehr dagegen sträuben. Und es wird nicht an einem Schluck oder zweien genug sein, sondern sie müssen den Becher leeren, Hefen und alles, bis auf den Grund, und werden doch nie auf den Grund kommen. Sie haben ja gern einen guten Zug getan; nun sollen sie einen tun, der lang genug ist: der Becher hat einen ganz eigenartigen Boden, er wird ewig nicht leer. Wenn schon der Kelch der Trübsal, der doch ein heilsamer Kelch ist, den Gottseligen manchmal oder für eine gewisse Zeit gar bitter und widrig schmeckt, wie todkrank werden die Gottlosen sich fühlen, wenn sie immer und ohne Aufhören den Kelch des Zornes und des Todes trinken müssen! Joseph Caryl † 1673.
  Gott teilt einem jeglichen sein Maß zu, dass er leide, aber die Grundsuppe bleibt den Gottlosen. Martin Luther † 1546.
  Von dem Taumelkelch haben, als das Gericht anfing, Sanheribs Leute getrunken und "sanken in ihren Schlaf" (Ps. 76,6). Prof. August Tholuck 1843.
  Becher. Sollte hier nicht auf den Mischtrank, den Fluchbecher, wie ihn die Juden nannten, angespielt werden, den man den zum Tode verurteilten Verbrechern vor der Hinrichtung gab, um sie zu betäuben? Darauf scheint uns auch das Wort schäumen oder trüb sein zu führen: der Wein wurde trüb und schäumend gemacht, indem man die Hefen und die berauschenden Zutaten aufrührte. Richard Mant † 1849.


Homiletische Winke

V. 2. Der nimmer aufhörende Dank der Gemeinde. Was drängt sie, so unablässig Gott anzubeten? Dass Gott ihr so nah ist, und dass sich diese Nähe Gottes so augenscheinlich in göttlichen Machtentfaltungen erweist.
  1) Danken wir Gott? 2) Wir danken Gott. 3) Wie und 4) wann danken wir ihm? 5) So lasst uns ihm von neuem danken.
V. 3. Gottes Zeit ist nicht unsere Zeit, aber die rechte Zeit.
V. 4. Der HERR, der Halt seines Volkes auch in den schwersten Lagen.
  Wir mögen aus dieser Gottesrede zwei Lehren entnehmen, dass nämlich keine Unordnung und Verwirrung uns hindern sollte, 1) ruhig auf Gott zu trauen, 2) aber auch an unserm Teil als Gottes Nachahmer zu tun, was Gott will, dass wir tun sollen; ja, je mehr die Dinge außer Ordnung sind, desto eifriger sollen wir darauf hinwirken, sie in Ordnung zu bringen. Thomas Wilcocks 1586.
V. 5. Angewandt auf die Gottesfürchtigen: Strafen und Warnen der Sünder ist unsere Pflicht.
  Das unheilige Trio: Gottlosigkeit, Torheit (vergl. d. Anm. zu Ps. 73,3, S. 527) und Hochmut.
V. 6. Gründe gegen den Stolz in Gesinnung, Gebärde und Rede.
V. 7.8. Der Wechsel der Geschicke nicht ein Spiel des Zufalls.
V. 8. Gott handelt in den Anordnungen seiner Vorsehung nicht nach Willkür, sondern als (gerechter) Richter.
V. 9. Der Becher wird 1) vom HERRN zubereitet (gemischt), 2) vom Herrn bereitgehalten (er hat ihn in der Hand), 3) vom HERRN ausgeschenkt, einem jeden sein Teil.
  Der Becher des Zornes. Wo befindet er sich, welcherart ist sein Inhalt, wie voll ist er, wer reicht ihn dar, und wer muss ihn trinken?
  Gottes Zorn, Gewissensbisse, Erinnerungen verlorener Freuden, Furcht vor dem Kommenden, Gegenbeschuldigungen, Verzweiflung, Scham usw. - dies alles sind die Zutaten, womit dieser Wein gemischt ist.
V. 9b. 1) Die Hefen des Bechers: der höchste Zorn, die bitterste Galle. 2) Die Hefen der Menschheit: alle Gottlosen.
V. 10. Unsere Lebensaufgabe: zu verkündigen, nämlich Gericht für die Welt, welches für die Gemeinde Heil ist, und Gott als dem Richter und Heiland zu lobsingen.

Fußnoten

1. Nach der Nymphe Kastalia benannte Quelle bei Delphi, deren Wasser man die Kraft zuschrieb, dichterische Begeisterung zu verleihen.

2. Die nächstliegende Übers. des Grundtexts ist: und nahe ist dein Name. Man verkündigt deine Wunder. Doch stehen so die Sätze sehr abgerissen da. Eine sinnvolle Verbindung stellt die von Hupf. verteidigte engl. Übers. her, indem sie Wunder zum Subj. macht: und dass dein Name nahe ist, verkündigen deine Wunder. Erscheint einem dies zu künstlich, so mag man mit Dyserinck (vergl. die LXX: e)pikaleso/meqa) lesen: (y)"roqw: =) yro"qw: Kfm:$ib: und die deinen Namen anrufen, verkündigen deine Wunder.

3. Nach der Auffassung Spurgeons spricht V. 3-6 Gott, V. 7-9 die Gemeinde; der Luthertext lässt sich aber bei V. 7 nicht teilen.

4. Vergl. die Anm. zu Ps. 73,3 und 5,6.

5. Nach den Akzenten ist qtf(f mit ribI"dIi zu verbinden: Redet (nicht) Freches (vergl. 31,19 und namentlich 1. Samuel 2,3); dann steht r)WfcabI: im prägnanten Sinn wie Hiob 15,26: mit dem Hals = mit stolzgerecktem Halse. Man kann aber auch wie Luther qtf(f als Adj. zu r)Wfca nehmen: Redet (nicht) mit frechem Halse.

6. So Luther 1524, die engl. Bibel u. a., nach der (auch von Baer bevorzugten) Lesart rbIfd:mIimi. Dann ist Myrihf ein Inf. hiph., Erhöhung. Die, jetzt wenigstens, mehr verbreitete, auch dem späteren Luthertext unterliegende Lesart ist Myrihf rbIad:mIimi, von der bergigen Wüste. Bei dieser Lesart steht der Satz abgerissen da. Luther verband ihn mit dem vorhergehenden Vers, als Inhalt der Rede der Übermütigen, indem er ergänzte: Es habe keine Not. Eher wird man mit diesem Vers einen neuen Abschnitt beginnen lassen und etwa ergänzen )Æbyf Wnr"z:(e (vergl. 121,1 f.): Denn weder vom Aufgang noch vom Niedergang noch von der bergigen Wüste kommt unsere Hilfe, sondern Gott ist Richter usw.

7. So die engl. Bibel mit manchen Auslegern. Näher liegt es, an rmaxf schäumen zu denken: und Wein, der schäumt (= mit schäumendem Wein), oder: und (der Becher) schäumt von Wein. - Statt voller Mischung, was sich auf den Wein bezieht, übersetzen andere voll von Mischtrank, die Worte auf den Becher beziehend.