Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 89 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Wir sind nun bei dem majestätischen Bundespsalm angekommen, mit welchem nach der jüdischen Einteilung das dritte Buch der Psalmen schließt. Er ist der Herzenserguss eines gereiften Glaubensmannes, der aus Anlass großen nationalen Unglücks mit seinem Gott ringt, indem er ihm mit der Beredsamkeit des Glaubens seine Bundeszusagen aufs dringlichste vorhält, in der gewissen Erwartung, dass Jehova nach seiner Treue Rettung und Hilfe gewähren werde.

Überschrift
Der Psalm heißt mit vollem Recht eine Unterweisung, denn er ist in hohem Maße lehrreich. Keine Wahrheit ist wichtiger, keine ist so sehr der Schlüssel zu aller wahren Theologie, als die Lehre vom Bunde. Wer in der Unterweisung des Heiligen Geistes über den Gnadenbund eine klare Erkenntnis erlangt hat, der ist ein rechter Schriftgelehrter, der im göttlichen Heilsplan Bescheid weiß; wessen Lehrsystem dagegen aus einem Mischmasch von Werken und Gnade besteht, der ist kaum befähigt, auch nur geistliche Abc-Schüler zu unterrichten.
  Ethans, des Esrahiten. Dieser Mann war nach 1. Könige 5,11 (wie wenigstens manche diese Stelle auffassen) einer der vier berühmten Weisen Salomos. Andre vermuten als Verfasser den sonst auch wohl Jeduthun genannten Sangmeister Davids. Man vergleiche das über Heman zu der Überschrift des vorigen Psalms Bemerkte. - War der weise Ethan ein Zeitgenosse Salomos, so mag er sehr wohl die 1. Könige 14,25-28 und 2. Chr. 12,1-12 berichteten, unter Rehabeam eingetretenen Wirren erlebt haben. Er wird also den Psalm in seinem hohen Alter geschrieben haben, als jene schweren Drangsale über Davids Herrscherhaus und das Land Juda hereingebrochen waren.

Einteilung. Der Dichter beginnt mit dem herzerquickenden Bekenntnis, dass er an die Treue des HERRN in Betreff des Bundes, den derselbe mit dem Hause Davids geschlossen habe, unverbrüchlich glaube, V. 2-5. Dann rühmt er des HERRN Macht, Gerechtigkeit und Gnade, V. 6-15. Dies führt ihn dazu, von der Glückseligkeit des Volkes, dessen Herrlichkeit und Stärke ein solcher Gott ist, zu singen, V. 16-19. Hierauf legt er ausführlich und offenbar mit ganzer Herzensfreude die Bestimmungen des Bundes dar, V. 20-38, und schüttet dann die aus dem Widerspruch der Gegenwart mit jenen Bundeszusagen sich ergebende Klage und Bitte vor dem HERRN aus, V. 39-52. Das Ganze schließt mit einer Lobpreisung und zwiefachem Amen, V. 53. Dieser Vers bildet den Schluss des dritten Psalmbuchs.
  Der Heilige Geist segne uns reichlich die Betrachtung dieses köstlichen, so tiefe Unterweisung bietenden Psalmes!


Auslegung

2. Ich will singen von der Gnade des HERRN ewiglich
und seine Wahrheit verkündigen mit meinem Munde für und für
3. und sage also: Dass eine ewige Gnade wird aufgehen,
und du wirst deine Wahrheit treulich halten im Himmel.
4. "Ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten;
ich habe David, meinem Knechte, geschworen:
5. Ich will deinen Samen bestätigen ewiglich
und deinen Stuhl bauen für und für." Sela.


2. Ich will singen von der Gnade (Grundtext Mehrzahl: den Gnaden) des HERRN ewiglich. Ein frommer Entschluss, besonders löblich bei jemand, der in großer innerer Not ist, weil der HERR anscheinend von seinem Bunde und seiner Verheißung abgewichen ist. Was immer wir um uns her vorgehen sehen oder an uns selber erfahren mögen, wir sollen doch allezeit die Gnade des HERRN preisen, da diese ganz gewiss unwandelbar dieselbe bleibt, ob wir sie nun spüren oder nicht. Das Gefühl singt dann und wann, der Glaube immerdar. Ob andre singen oder nicht, so sollten die Gläubigen doch nie schweigen; bei ihnen sollte das Loben etwas Beständiges sein, da es unmöglich ist, dass Gottes Liebe zu ihnen sich verändert hat, so sehr die Führungen der Vorsehung dies zu beweisen scheinen mögen. Wir sollen nicht nur glauben, dass der HERR gnädig ist, sondern uns auch darüber freuen. Gottes Gnade ist die Quelle, aus der alle unsre Freude entspringt, und da diese Quelle niemals versiegen kann, so sollte auch der Strom unsrer Freude nie zu fließen aufhören, sondern fort und fort in kristallklaren Liedern hervorsprudeln. Nicht über eine, sondern über viele Gnaden haben wir uns zu freuen; darum sollten auch der Ergüsse unsrer Dankbarkeit viele sein. Jehova ist es, der sich herablässt, uns täglich so viele Segnungen zuzumessen, und er ist der allgenügsame und unveränderliche Gott; darum sollte auch unsre Freude, deren Mittelpunkt er ja ist, keine Abnahme kennen. Lasst uns unter keinen Umständen unserm König den Zins des Lobes vorenthalten, den wir ihm beständig zu entrichten schuldig sind. Ja selbst die Zeit darf unser Lob nicht begrenzen; es soll in Ewigkeit aus unserm Herzen sprudeln. Er segnet uns mit ewiger Gnade; so wollen wir ihm auch ewiglich lobsingen. Und seine Wahrheit (deine Treue) verkündigen mit meinem Munde für und für, wörtl.: allen Geschlechtern. Die Loblieder der Gegenwart sollen künftigen Geschlechtern zur Unterweisung dienen. Was Ethan einst sang, ist jetzt den Christen ein Textbuch für ihre Lobgesänge und wird es bleiben, solange die gegenwärtige Haushaltung dauert. Wir sollten bei allem, was wir schreiben, das Auge auf unsre Nachkommen gerichtet haben; denn wir sind die Lehrer der zukünftigen Jahrhunderte. Ethan verkündigte erst mit seinem Munde, d. i. laut, öffentlich, was er hernach durch die Feder mitteilte - ein gutes Vorbild des nützlichen Gebrauches beider Weisen der Mitteilung. Der Mund redet wärmer zum Herzen als die Feder; aber die Sprache der Feder hat ein längeres Leben und ist weiter vernehmbar. Der Stil des vorliegenden Psalms ist übrigens so frisch und lebensvoll, dass wir beim Lesen fast meinen, die Worte aus dem Munde des Dichters hervorsprudeln zu hören. Es ist, als wären die Buchstaben lebendig, als sprächen sie zu uns, oder vielmehr, als sängen sie uns vor. - In diesem zweiten Versglied redet der Dichter von der Treue Gottes, der größten aller Gottesgnaden, dem hellsten Edelstein in der Krone der göttlichen Güte. Die Gunst eines unzuverlässigen Gottes besingen zu wollen, das gäbe armselige Musik; aber unwandelbare Liebe und unerschütterliche Verheißungen drängen zu nimmer endenden, immer höher schwellenden Liedern. Die Treue Gottes ist der Anker, an dem die Seele in Zeiten des Sturmes festen Halt findet. Weil Gott treu ist und ewig treu bleibt, haben wir ein Liederthema, das auch für die zukünftigen Geschlechter nicht veralten wird. Es wird sich nie abnutzen, nie unwahr, unnötig oder unnütz sein. Es wird stets angezeigt sein, die Treue Gottes zu verkündigen; denn die Menschen sind in Zeiten, wo die Not hart drückt, nur zu geneigt, sie zu vergessen oder zu bezweifeln. Der Zeugnisse für die Zuverlässigkeit der Gnade des HERRN können nie zu viele beigebracht werden; braucht unser Geschlecht sie nicht, so werden andre ihrer bedürfen. Die Nörgler sind so bereit, alte Bedenken zu wiederholen und neue Zweifel auszuhecken, dass die Gläubigen ebenso hurtig bei der Hand sein sollten, sowohl alte als neue Beweisgründe immer wieder herbeizuschaffen. Mögen andre diese Pflicht vernachlässigen - wer wie Ethan hochbegnadigt ist, sollte nie darin saumselig sein.

3. Denn ich sage: Ewig wird die Gnade fortgebaut. (Grundtext) Davon war Ethans Herz festiglich überzeugt, das behauptete er als eine unumstößliche Wahrheit. Es war ihm gewiss, dass der HERR die Absicht hatte, auf einen festen Grund einen herrlichen Palast der Gnade aufzubauen - einen Hort der Zuflucht für alles Volk, in welchem der Davidssohn ewiglich als der Verwalter der himmlischen Gnade verherrlicht werden sollte. Im Himmel befestigst du deine Treue. (Grundtext) Dieser göttliche Bau werde sich, davon war er überzeugt, bis in den Himmel erheben, und seines Turmes Spitze solle die Treue sein, wie sein Fundament in der ewigen Liebe gebettet war. Gottes Treue ist kein Ding dieser Erde, denn hienieden steht nichts fest; hier wechselt alles mit dem Mond und ist unbeständig wie das Meer. Der Himmel ist der Geburtsort der Wahrheit, und dort wohnt sie in ewiger Jugend. Wie das blaue Himmelszelt über uns vom Alter unberührt bleibt, so auch des HERRN Wahrhaftigkeit. Wie Gott am niedern Himmel seinen Bundesbogen festigt, so thront in den höchsten Himmeln seine Treue in unwandelbarer Herrlichkeit. Ethan hat es gesagt, und wir dürfen es ebenfalls behaupten: komme, was da wolle, die Gnade und die Treue sind von dem ewigen Baumeister aufgebaut, und sein göttliches Wesen ist uns die Bürgschaft, dass sie ewig dauern werden. Und das bleibe im Gedächtnis für solche Zeiten, wo sich die Gemeinde in Not befindet oder unsre eigene Seele durch Kummer niedergebeugt wird!

4. Ich hab einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten; ich habe David, meinem Knechte, geschworen. Das war der Grund, weshalb Ethan in schwerer Zeit so zuversichtlich auf Gottes Huld und Treue hoffte: er wusste, dass der HERR mit David und seinem Samen einen Gnadenbund geschlossen und diesen mit einem Eid befestigt hatte. Der Psalmist führt hier die selbsteignen Worte Gottes an, eine kurze Zusammenfassung des Hauptinhalts der 2. Samuel 7 gegebenen Verheißungen. Er konnte gut in V. 3 schreiben: "Ich sage also", da er wusste, dass Jehova gesagt hatte: "Ich habe geschworen ..." David war der Auserwählte des HERRN, und mit ihm war ein Bund geschlossen worden, welcher in der Linie seines Samens fortlief, bis er seine abschließende und doch nie endende Erfüllung in dem Davidssohne sondergleichen fand. Das Haus Davids sollte ein Königshaus sein und bleiben; solange es in Juda ein Zepter gab, musste Davids Same das alleinige rechtmäßige Herrschergeschlecht sein. Der gekreuzigte Davidssohn starb mit dem Titel "der Juden König" in den der damaligen Welt bekannten Sprachen über seinem Haupte, und heute huldigen ihm in allen Zungen Menschen als dem König aller Könige. Wenngleich die irdische Krone Davids nicht mehr getragen wird, ist doch der Eid, dem David einst geschworen, nicht gebrochen; denn in dem Bunde selbst ward sein Reich als ein ewig währendes beschrieben. In Christus Jesus ist nun mit allen Auserwählten des HERRN ein Bund aufgerichtet; diese werden durch die Gnade dahin gebracht, sich dem HERRN als Knechte zu ergehen, und werden dann durch Jesus Christus zu Königen und Priestern gemacht. Wie köstlich ist es, dass der HERR nicht nur einen Bund gemacht hat, sondern sich auch, wie wir hier sehen, in spätern Zeiten zu diesem Bunde bekennt und sich sogar auf seinen Eid beruft! Das ist fürwahr fester Glaubensgrund; der Meinung war auch offenbar Ethan. Lasst uns, liebe Leser, miteinander bei diesen herrlichen Zeilen verweilen und von der Gnade des großen Gottes singen, der sich also zu den Verpflichtungen seines Bundes bekennt und uns damit ein neues Pfand seiner Bundestreue gibt! "Ich habe," spricht der Ewige, und abermal: "Ich habe," als sei es ihm selber lieb, bei dem Gegenstand zu verweilen. Auch wir wollen dem Wortlaut des mit David geschlossenen Bundes liebend nachsinnen, wie wir ihn 2. Samuel 7,12-16 ausführlich verzeichnet finden, und wollen uns dabei in Erinnerung rufen, dass der HERR uns durch seinen Diener Jesaja sagt: Ich will mit euch einen ewigen Bund machen, dass ich euch gebe die gewissen Gnaden Davids (Jes. 55,3).

5. Auf ewig will ich deinen Samen festigen, d. i. erhalten. (Grundtext) Das ist wahrlich in Jesu in einer Weise erfüllt, die Davids kühnste Hoffnungen übertrifft. Was für eine Nachkommenschaft hat David in der Menge derer, die von dem abstammen, welcher sein Sohn und Herr zugleich ist! Der Sohn Davids ist der große Urahn, der zweite Adam, der Ewig-Vater; nachdem er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, sieht er Nachkommenschaft, wie es im Propheten heißt (Jes. 53,10), und sättigt sich so an der Frucht seiner Leiden. Und deinen Stuhl bauen für und für, wörtl.: auf Geschlecht und Geschlecht. Davids Herrscherhaus verfällt nie, sondern wird im Gegenteil von dem großen Baumeister Himmels und der Erde immerdar befestigt. Jesus ist König sowohl als auch Stammvater, und sein Thron wird für und für gebaut, sein Reich kommt, seine Macht dehnt sich aus.
  So lautet die Bundeszusage. Gerät nun die Gemeinde des HERRN in Verfall, so haben wir die Aufgabe, dem ewig treuen Gott diesen seinen Bund vorzuhalten, wie es der Dichter in dem späteren Teil dieses Psalms tut. Christus muss herrschen; ach, warum wird denn sein Name so gelästert, sein Evangelium so verachtet? Je mehr die Christen in der Gnade wachsen, desto mehr werden sie durch den traurigen Stand der Sache des Erlösers zu heiligem Eifer gedrängt werden und desto brünstiger werden sie die Angelegenheit dem Bundesherrn vorlegen, Tag und Nacht vor ihm rufend: Dein Reich komme!
  Sela. Es würde sich bei einem solchen Gegenstand der Betrachtung nicht geziemen, hastig vorwärts zu drängen. Darum folge, lieber Leser, dem Wink dieses Sela; halte ein, und lass dir jede Silbe der göttlichen Bundeszusagen nochmals in den Ohren nachtönen! Dann hebe das Herz empor und geh mit dem heiligen Sänger dazu über, das Lob des HERRN zu verkündigen!


6. Und die Himmel werden, HERR, deine Wunder preisen
und deine Wahrheit in der Gemeinde der Heiligen.
7. Denn wer mag in den Wolken dem HERRN gleich gelten
und gleich sein unter den Kindern Gottes dem HERRN?
8. Gott ist sehr mächtig in der Versammlung der Heiligen
und wunderbarlich über alle, die um ihn sind.
9. HERR, Gott Zebaoth, wer ist wie du ein mächtiger Gott?
Und deine Wahrheit ist um dich her.
10. Du herrschest über das ungestüme Meer;
Du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben.
11. Du schlägest Rahab zu Tod;
du zerstreuest deine Feinde mit deinem starken Arm.
12. Himmel und Erde ist dein;
Du hast gegründet den Erdboden und was drinnen ist.
13. Mitternacht und Mittag hast Du geschaffen;
Tabor und Hermon jauchzen in deinem Namen.
14. Du hast einen gewaltigen Arm;
stark ist deine Hand und hoch ist deine Rechte.
15. Gerechtigkeit und Gericht ist deines Stuhls Festung,
Gnade und Wahrheit sind vor deinem Angesichte.


6. Und die Himmel werden, HERR, deine Wunder preisen.1 Der ganze Himmel wird auf das, was Gott zufolge seines Gnadenbundes getan hat und noch zu tun vorhat, herniederblickend von anbetender Verwunderung ergriffen sein. Die Sonne und der Mond, welche Gott nach V. 37 f. (vergl. Ps. 72,5) zu Wahrzeichen des Bundes gemacht hatte, werden Gott für solch außerordentliche Erweisung seiner Gnade preisen, und die Engel und die Geister der vollendeten Gerechten werden ein neues Lied zum Lobe des Ewigen anstimmen. Und deine Wahrheit oder Treue (preist man) in der Gemeinde der Heiligen. Damit mögen die Engel, vielleicht aber auch die Heiligen auf Erden gemeint sein, so dass die ganze Gottesfamilie im Himmel und auf Erden in das Loblied einstimmen würde. Erde und Himmel werden einig sein in der Bewunderung und Anbetung des Bundesgottes. Die Heiligen droben blicken mit durchdringender Klarheit hinein in die Höhen und Tiefen der göttlichen Liebe, darum preisen sie ihre Wunder; und die Heiligen hienieden, die sich bewusst sind, wie oft sie sich gegen den HERRN vergangen und ihn gereizt haben, bewundern vor allem seine Treue. Die Himmel brachen in Jubel aus über den Wundern der Gnade, welche die frohe Botschaft von Bethlehem enthüllte, und die Gläubigen, die im Tempel zusammenkamen, rühmten die Treue Gottes ob der Geburt des Davidssohnes. Seit jenem Glück bringenden Tage haben weder die Scharen der Engel droben noch die Gemeinde Gottes hienieden aufgehört, dem HERRN zu lobsingen, der seinen Auserwählten treulich die Gnade hält.

7. Denn wer mag in den Wolken (poetischer Ausdruck für Himmel) dem HERRN gleich gelten und gleich sein unter den Kindern Gottes (engl. Übers.: Söhnen der Gewaltigen2 dem HERRN? Darum, weil keiner mit ihm verglichen werden, niemand ihm ein Nebenbuhler sein kann, beten ihn der ganze Himmel wie auch die Versammlungen der Heiligen auf Erden an. Bis wir einen finden, der des Preises in gleichem Maße würdig ist, wollen wir dem HERRN allein huldigen. Weder unter den Gewaltigen der Erde noch unter denen des Himmels ist irgendeiner, der Jehova ähnlich wäre, der in einem Atemzug mit ihm genannt werden könnte; darum ist es billig, dass der HERR allein gepriesen werde. Und weil der Herr Jesus, als Gott und als Mensch, weit über alle Geschöpfe erhaben ist, darum ist auch er in heiliger Ehrfurcht anzubeten. - Wie ist doch dieser Vers voll dichterischen Feuers! Wie kühn ist seine Herausforderung, wie triumphierend sein heiliges Rühmen. Mit sichtlicher Wonne verweilt der Sänger bei dem Namen Jehova; ihm ist der Gott Israels wahrhaftig Gott und Gott allein. Er ahmt die Sprache nach, die vorlängst am Schilfmeer laut geworden war, als Mose und die Kinder Israel sangen: "HERR, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, du herrlich Erhabener?" (2. Mose 15,11) Seine Gedanken eilen offenbar zu jenen glorreichen Wundertagen zurück, da Gott sich unter diesem seinem herrlichsten Namen, der nie einem anderen Wesen beigelegt werden konnte, dem auserwählten Volke kundtat. Es ist uns, als hörten wir bei der zwiefachen Frage das Lobsingen Israels, den Schall der Pauken und das Rauschen des Reigens frohlockender Jungfrauen. Gibt es unter uns denn keine Dichter mehr? Ist auch nicht einer in unseren Reihen, der Lieder dichten könnte, die von diesem Feuer glühen? O du Geist des lebendigen Gottes, hauche doch etliche Meistersänger unter uns mit deinem Odem an!

8. Gott, überaus schrecklich im Rate der Heiligen. (Grundtext) Selbst die Heiligsten zittern in der Gegenwart des Dreimalheiligen; ihre Zutraulichkeit ist gewürzt mit dem Salz tiefer Ehrfurcht. Die völlige Liebe treibt wohl jene Furcht aus, welche Pein in sich hat; aber sie weckt an ihrer Statt eine andre Furcht, welche mit unaussprechlicher Freude nahe verwandt ist. Wie ehrerbietig sollte unsre Anbetung sein! Wo Engel ihr Angesicht verhüllen, müssen die Menschenkinder fürwahr sich in tiefster Demut beugen. Die Sünde ist mit der Frechheit verwandt; die Heiligkeit aber ist eine Schwester der heiligen Furcht. Und furchtbar über alle, die um ihn sind. (Grundtext) Je näher die Wesen Gott stehen, desto ehrfurchtsvoller ist ihre Anbetung. Wenn schon solche, die bloß Geschöpfe seiner Hand sind, von Scheu vor ihm ergriffen werden, wieviel mehr müssen die Hofleute und Günstlinge des Himmels in der Gegenwart des allerhabenen Königs von tiefer Ehrerbietung erfüllt sein! Von den Lippen der Gotteskinder tönt es feierlicher als von allen andern: "Geheiligt werde dein Name!" Unehrerbietigkeit ist Aufruhr. Der Einblick, den Gott uns in seinen Gnadenbund gewährt, ist geeignet, eine besonders tiefe Überzeugung von Gottes Heiligkeit in uns zu erwecken. Man fühlt sich dadurch näher zu ihm hingezogen, und je klarer man aus dieser größern Nähe in Gottes Herrlichkeit hineinschaut, desto demütiger wirft man sich in den Staub vor seiner Majestät.

9. HERR, Gott Zebaoth, wer ist wie du ein mächtiger Gott, Grundtext ein Gewaltiger, Jah? Alexander (1850) bemerkt, dass an dieser Stelle die unendliche Erhabenheit Gottes über Menschen und Engel durch eine Häufung bedeutsamer Namen ausgedrückt oder, besser gesagt, angedeutet werde. Zunächst wird der Name angeführt, welcher Gottes Selbstexistenz kundtut, dann derjenige, welcher seine Herrschaft über alle Geschöpfe ausdrückt, sodann ein Name in der Form eines Beiworts, der die Macht andeutet, mit welcher er seine Herrschaft ausübt, und endlich noch der Name Jah, der das, was Gott ist, auf den kürzesten Ausdruck bringt. Und dieser große und schreckliche Gott hat sich mit den Menschen in einen Bund eingelassen! Wer wollte ihn dafür nicht mit innigster Liebe ehren? Und deine Wahrheit (oder Treue) ist um dich her. Er ist beständig von seiner Treue umgeben. Von seinem eingeborenen Sohne sagt die Verheißung (Jes. 11,5), die Treue werde der Gurt seiner Lenden sein. Keiner in der ganzen Schöpfung ist treu wie der Schöpfer. Selbst seine Engel könnten sich, wenn er sie sich selbst überließe, treulos erweisen3; er aber kann David nicht lügen (V. 36) oder vergessen, seinen Bund zu halten. Die Menschen lassen es oft an der Treue fehlen, weil ihre Macht beschränkt ist, und finden es dann oft leichter, ihr Wort zu brechen, als es zu halten; aber Jah, der Gewaltige, ist allen seinen Verbindlichkeiten gewachsen und wird sie gewisslich einhalten. In Jehovas Wesen sind unvergleichliche Macht und beispiellose Treue gepaart. Gelobt sei sein Name, dass es also ist!

10. Du beherrschest den Übermut des Meeres. (Wörtl.) Das Meer ist hier persönlich gedacht als ein stolzer Feind. Aber wenn der Ozean auch am wildesten wütet, beherrscht und bändigt ihn doch der HERR. Am Schilfmeer sahen die tosenden, schäumenden Wogen ihren Schöpfer und standen starr vor Ehrfurcht. Du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben. Das auch nur zu versuchen, wäre bei jedem andern Tollheit; aber ein Sch! des HERRN beschwichtigt den rasenden Sturm. So stillte der Gesalbte des HERRN die Stürme Galiläas, denn er ist der Herr über alles; so beherrscht auch immerdar der Lenker des Weltalls den wie die Meereswogen aufbrausenden Willen der Menschen und stillt das Toben der Völker. Wie eine Mutter ihren Säugling in Schlaf lullt, so besänftigt der Herr das Ungestüm des Meeres, den Zorn der Menschen, den Sturm des Unglücks, die Wogen der Verzweiflung und die Wut der Hölle. Auch über der Sintflut thronte einst Jehova, und so thront er als König in Ewigkeit (Ps. 29,10 Grundtext), und in all seinem Walten, bei dem, was er ordnet, und dem, was er zulässt, gedenkt er an seinen Bund. Darum wollen wir uns über diesen ewig gültigen Bund freuen, der in allen Stücken festgestellt und gesichert ist, und an Ihm, der all unser Heil und all unser Begehren ist, unsers Herzens Wonne haben. (Vergl. 2. Samuel 23,5.)

11. Du hast Rahab wie einen Erschlagenen (Durchbohrten) zermalmt. (Grundtext) Ägypten war zermalmt worden wie ein Leichnam unter den Rädern des Siegeswagens des Verderbers; all seine Macht und Herrlichkeit waren zerbrochen worden wie die Gliedmaßen der in der Schlacht Getöteten. Ägypten war Israels Erbfeind, und die Zermalmung dieses Drachen (Rahab bedeutet Ungetüm, Meerdrachen) blieb ein Lieblingsthema, welches fromme Gemüter immer wieder zu Triumphgesängen aneiferte. Auch wir haben es erlebt, dass unser Drache erschlagen, unsre Sünde überwunden ward, und wir können nicht anders als uns vereinigen, um den Bezwinger dieses Ungetüms zu preisen. Du zerstreutest deine Feinde mit deinem starken Arm. Deine Macht hat die Feinde als Leichen über das Schlachtfeld hingestreut oder sie gezwungen, in wilder Verwirrung hierhin und dorthin zu fliehen. Jehova hat seine Feinde allein mit seiner Rechten, ohne Waffe und ohne Beistand, über den Haufen geworfen. Rahab, der stolze Drache, der sich in seiner Wut wie Meereswellen dahergewälzt hatte, lag gänzlich zerschmettert und in Stücken verstreut vor dem HERRN der Heerscharen.

12. Himmel und Erde ist dein. Alles gehört Gott - die aufrührerische Erde wie der anbetende Himmel. Lasst uns nicht an dem Sieg des Reiches der Wahrheit verzweifeln; der HERR hat auf den Thron der Erde nicht verzichtet und diese Welt nicht für immer der Gewalt des Satans übergeben. Du hast gegründet den Erdboden und was drinnen ist. Die bewohnbare und bebaute Erde huldigt mit allem, was sie hervorbringt, dem HERRN als ihrem Schöpfer und Erhalter, ihrem Baumeister und Behüter.

13. Mitternacht und Mittag hast Du geschaffen. Nord und Süd, die entgegengesetzten Pole, stimmen darin überein, dass Jehova sie beide gemacht hat. Tabor und Hermon jauchzen über deinen Namen. (Grundtext) - Ost und West, gleicherweise von dir geschaffen, frohlocken über deiner Schöpfungsoffenbarung. Nach welchem Kompassstrich wir uns auch wenden mögen - siehe, der HERR ist da! Die Regionen des ewigen Schnees und die Urwaldgärten der tropischen Sonne sind seine Domäne; das Land des Morgenrots wie das Heim der niedergehenden Sonne, sie freuen sich beide, seinem Zepter untertan zu sein. Der schöne, trotz seiner verhältnismäßig unbedeutenden Höhe imponierende Tabor lag westwärts, der gewaltige Hermon ostwärts vom Jordan; es liegt daher nahe, diese beiden Berge als Repräsentanten des Westens und des Ostens anzusehen.

14. Du hast einen gewaltigen Arm: dein ist die Allmacht zum Niederschmettern wie zum Aufrichten. Stark ist deine Hand; deine Macht zum Schaffen wie zum Erhalten geht über alles Denken. Und hoch ist deine Rechte: dein Vermögen ist unvergleichlich, all dein Handeln anbetungswürdig. Die Macht Gottes macht auf den Psalmdichter einen solchen Eindruck, dass er den gleichen Gedanken in mehrerlei Gestalt wiederholt. Und in der Tat ist die Wahrheit, dass Gott allmächtig ist, für begnadigte Herzen so erquickend, dass dieselbe nie genug betrachtet werden kann, sonderlich wenn sie wie hier, siehe V. 15, mit seiner Gnade und Treue in Verbindung gebracht wird.

15. Gerechtigkeit und Gericht ist deines Stuhls Festung. Sie sind die Grundfesten des göttlichen Regiments, die nimmer wankenden Säulen seines Thrones. Dieser Herrscher ist zu heilig, als dass er je ungerecht sein, und zu weise, als dass er je irren könnte, und das ist Anlass zu beständiger Freude für alle lautern Herzen. Gnade und Wahrheit (oder Treue) gehen her vor deinem Angesichte. (Grundtext) Sie sind die Vorläufer und Herolde des HERRN. Er ruft sie vor, dass sie mit den schuldbeladenen und wankelmütigen Menschenkindern an seiner Statt handeln; er lässt sie, in der Gestalt des Herrn Jesus, seine Gesandten sein, und nur so können die armen sündigen Menschen die Gegenwart ihres gerechten Gottes ertragen. Hätte die Gnade nicht den Weg gebahnt, so müsste jedes Hinzunahen Gottes zu dem Menschen dessen augenblickliche Vernichtung bedeuten.
  So hat der Dichter die Herrlichkeit des Bundesgottes besungen. Es war geziemend, dass er, bevor er seine Klage ausschüttete, sein Loblied ertönen ließ, damit es nicht den Anschein gewinne, als hätte der brennende Herzenskummer seinen Glauben ausgedörrt. Ehe wir unsre Not vor dem HERRN darlegen, ist es durchaus passend, zu betonen, dass wir ihn als überaus groß und gut kennen, wie geheimnisvoll auch die Führungen seiner Vorsehung sein mögen. Das ist der Weg, den jeder Kluge einschlagen wird, wenn er in der Zeit der Not eine Antwort des Friedens zu erlangen begehrt.


16. Wohl dem Volk, das jauchzen kann!
HERR, sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln;
17. sie werden über deinem Namen täglich fröhlich sein
und in deiner Gerechtigkeit herrlich sein.
18. Denn Du bist der Ruhm ihrer Stärke,
und durch deine Gnade wirst du unser Horn erhöhen.
19. Denn des HERRN ist unser Schild,
und des Heiligen in Israel ist unser König.


16. Wohl dem Volk, das jauchzen kann (wörtl.: das Jubel kennt)! Das ist ein seliger Gott, von welchem der Psalmist gesungen hat; darum glückselig das Volk, das dieses Gottes Güte genießt und über seine Huld zu frohlocken weiß. Der Jubel kann sich in Lobliedern äußern - und selig die, welchen solche Töne geläufig sind! Die Verheißungen des Bundes geben immer neuen Stoff zum Singen und Jauchzen solchen, die ihre Bedeutung verstehen und sich persönlich an ihnen beteiligt wissen. Es mag bei dem Jubel aber auch an den Posaunen- und Trompetenschall und andres frohes Getöne gedacht sein, wie es an den Festen und sonst in Israel den Dienst Jehovas begleitete. Denn dieser ließ sich, den Heidengöttern ganz unähnlich, nicht unter dem Angstgeschrei als Opfer zu Tode gemarterter Menschen oder dem Geheul schreckensbleicher Massen, sondern unter den Jubelrufen und Freudenklängen seines glücklichen Volkes verehren. HERR, sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln. Ihnen ist es Freude genug, dass Jehova ihnen gnädig ist; dies Glück erquickt sie den ganzen Tag und stärkt sie, dass sie ihren Pilgerweg rüstig weiter wallen. Nur um der Verheißung willen, die in dem Bunde niedergelegt war, wurde es Gott möglich, huldreich auf die Menschen niederzublicken; und eben diejenigen, welche ihn als Bundesgott kennen gelernt haben, lernen auch sich in ihm freuen, ja in Gemeinschaft mit ihm wandeln und mit ihm in Herzensverbindung bleiben. Wer im Licht dieser Sonne wandert, stößt sich nicht, und wem dieser freundliche Schein ins Herz leuchtet, der lebt ohne Angst und kann jubilieren.

17. Sie werden über deinem Namen täglich (den ganzen Tag, d. i. allezeit) fröhlich sein. Und dazu haben sie wahrlich guten Grund; denn für die Seele, die durch Christus Jesus mit Gott in einen Bund getreten ist, ist jede Eigenschaft Gottes eine Quelle der Wonne. Es gibt keine Stunde des Tages, keinen Tag in unserm Leben, da wir nicht über dem Namen, d. i. über dem geoffenbarten Wesen unsers Gottes, frohlocken könnten. Einen weitern Anlass zur Freude brauchen wir nicht. Wie man von den Philosophen sagte, sie vermöchten auch ohne Musik heiter zu sein, so können wir uns auch freuen ohne sinnliche Mittel; der allgenugsame Gott ist eine allgenugsame Freudenquelle. Und durch deine Gerechtigkeit werden sie erhöht, d. i. sicher und herrlich sein. (Wörtl.) Durch des HERRN gerechtes Walten werden die Seinen zur rechten Stunde erhöht, wie groß auch ihre äußere und innere Bedrückung gewesen sein mag. Vollends aber durch die Gottesgerechtigkeit, welche der Neue Bund darreicht, werden die Gläubigen zu Sicherheit und Herrlichkeit erhöht, dass sie voll heiligen Glückes sind. Andre übersetzen: sind sie hochgemut. Wäre Gott ungerecht, oder sähe er uns in unserm natürlichen, der Gerechtigkeit ermangelnden Wesen an, so müssten wir voll Jammers sein; da aber weder dies noch jenes der Fall ist, so sind wir frohen Sinnes und möchten immerdar den Namen des HERRN erhöhen.

18. Denn Du bist der Ruhm (die Zierde) ihrer Stärke. Wahrlich, in dem HERRN haben wir Gerechtigkeit und Stärke! Er ist unsre Zier und unser Ruhm, wenn wir stark sind in ihm, und er ist ebenso unser Trost und unsre Stütze, wenn wir im Bewusstsein unsrer Schwäche zittern. Keiner, den der HERR stark macht, darf sich selbst rühmen, sondern er muss alle Ehre dem HERRN allein geben; denn außer ihm haben wir weder Stärke noch Schönheit. Und durch deine Gnade (Gunst) wirst du unser Horn erhöhen, oder: ist unser Horn hoch erhoben. Indem er das Wörtlein "unser " braucht, stellt sich der Psalmist in die Reihen des glücklichen Volkes, und dieser Übergang in die erste Person mag uns einen Wink geben, wieviel lieblicher es ist, wenn man aus eigener Erfahrung singen kann, statt nur von dem, was andre haben und genießen. Gebe Gott uns, dass wir aus Gnaden unter denen einen Platz beanspruchen dürfen, die mit Gott durch Christus Jesus im Bundesverhältnis stehen; dann wird das Bewusstsein, dass Gottes Huld uns zugewandt ist, auch uns mutig und freudig stimmen. Stier und Gazelle heben im Vollgefühl der Kraft und des Mutes ihr Horn empor; und auch dem Gläubigen werden Kraft, Tapferkeit und Kühnheit gegeben. Das Horn war im Morgenland wohl auch ein von Männern und Frauen getragener Zierat - wenigstens ist das heute an manchen Orten Sitte - und indem man das so geschmückte Haupt erhob, zeigte man, dass man frohen, kühnen Mutes war. Wir tragen solchen Tand nicht; aber unser innerer Mensch wird geschmückt und mit Siegesmut erfüllt, wenn Gottes Gnade sich uns im Herzen fühlbar macht. Weltleute brauchen weltlichen Wohlstand, wenn sie ihre Häupter emporheben sollen; aber die Gläubigen finden des Ermutigenden die Fülle in der verborgenen Liebe Gottes.

19. Denn des HERRN ist unser Schild, und des Heiligen in Israel ist unser König. Jehova wird Israel, wie der 18. Vers gesagt hat, wieder zu Macht und Ehren bringen; denn in seiner Hand, unter seinem Schutz steht Israels Schild, d. i. sein König. Der Heilige Israels hat dem Volk einen Beschützer und Herrscher gegeben und zugesagt, und wenn dessen Krone jetzt auch zu Boden geworfen und entweiht ist (V. 40), so kann doch um der Verheißung willen der Thron Davids nicht eine Beute der Weltmacht werden. Merken wir: auch die Beschützer der Völker müssen selber vom HERRN beschützt werden. Besonders köstlich ist dem erneuerten Herzen der Name, der hier Gott beigelegt wird: der Heilige Israels. Gott ist die Heiligkeit selbst, das einzige Wesen, das auf den Namen "der Heilige " Anspruch hat; und in der Vollkommenheit seines Wesens finden wir den trefflichsten Grund für unsre Zuversicht. Er, der Heilige, kann seine Zusagen nicht brechen oder seinem Eid untreu sein. Gott ist aber der Heilige Israels, da er in besonderem Sinne der Gott seiner Auserwählten ist, unser Gott, uns verbunden durch ganz besondre Bande, unser Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wer unter den Gläubigen wollte sich nicht dieses Gottes freuen, der sich ihnen in seiner Gnade zu ihrem Gott gemacht hat? Fürwahr, sie sind ein seliges Volk!

20. Dazumal redetest du im Gesichte zu deinem Heiligen
und sprachest: "Ich habe einen Helden erweckt, der helfen soll;
ich habe erhöhet einen Auserwählten aus dem Volk;
21. ich habe gefunden meinen Knecht David,
ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Öle.
22. Meine Hand soll ihn erhalten,
und mein Arm soll ihn stärken.
23. Die Feinde sollen ihn nicht überwältigen,
und die Ungerechten sollen ihn nicht dämpfen,
24. sondern ich will seine Widersacher schlagen vor ihm her,
und die ihn hassen, will ich plagen;
25. aber meine Wahrheit und Gnade soll bei ihm sein,
und sein Horn soll in meinem Namen erhoben werden.
26. Ich will seine Hand über das Meer stellen
und seine Rechte über die Wasser.
27. Er wird mich nennen also: Du bist mein Vater,
mein Gott und Hort, der mir hilft.
28. Und ich will ihn zum ersten Sohn machen,
allerhöchst unter den Königen auf Erden.
29. Ich will ihm ewiglich bewahren meine Gnade,
und mein Bund soll ihm fest bleiben.
30. Ich will ihm ewiglich Samen geben
und seinen Stuhl, solange der Himmel währt, erhalten.
31. Wo aber seine Kinder mein Gesetz verlassen
und in meinen Rechten nicht wandeln,
32. so sie meine Ordnungen entheiligen
und meine Gebote nicht halten,
33. so will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen
und ihre Missetat mit Plagen;
34. aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden
und meine Wahrheit nicht lassen fehlen.
35. Ich will meinen Bund nicht entheiligen
und nicht ändern, was aus meinem Munde gegangen ist.
36. Ich habe einmal geschworen bei meiner Heiligkeit,
ich will David nicht lügen:
37. Sein Same soll ewig sein
und sein Stuhl vor mir wie die Sonne;
38. wie der Mond soll er ewiglich erhalten sein
und gleich wie der Zeuge in den Wolken gewiss sein."
Sela.


20. Dazumal redetest du im Gesichte zu deinem Heiligen (Grundtext: Frommen4. Der Psalmist wendet sich nun wieder der Betrachtung des mit David geschlossenen Bundes zu. Unter dem Frommen ist hier entweder David oder der Prophet Nathan gemeint; höchst wahrscheinlich der letztere, denn er war es ja, zu welchem des Nachts das Wort des HERRN kam. (2. Samuel 7,4 ff.) Gott lässt sich dazu herab, seine willigen Diener als Werkzeuge der Mitteilung zu brauchen zwischen ihm und solchen, denen er eine Gunst erweisen will; sogar dem König David wurde der Bund durch den Propheten Nathan kundgetan. So ehrt der HERR seine Diener. Und sprachest: Ich habe einen Helden erweckt, der helfen soll. Der Grundtext lautet: Ich habe Hilfe gelegt auf einen Helden; doch trifft Luthers Übersetzung nach unsrer Auffassung den Sinn, da wohl die Hilfe gemeint ist, welche David dem Volke bringen sollte. Der HERR hatte aus David einen mächtigen Kriegshelden gemacht, und nun macht er sich verbindlich, ihn zum Helfer und Beschützer des israelitischen Staates werden zu lassen. In weit herrlicherem Sinne ist der Herr Jesus wahrhaft mächtig, ein Held ohnegleichen; auf ihm ruht nach göttlicher Bestimmung das Heil seines Volkes, und voller Erfolg ist ihm dadurch verbürgt, dass Gottes Beistand ihm in ewig verpflichtender Weise zugesagt ist. Unser Glaube stütze sich auf den, auf welchen Gott unsre Hilfe gelegt hat! Ich habe erhöht einen Auserwählten aus dem Volk. David war Gottes Erkorener, erwählt aus dem Volk als ein Mann des Volkes und erwählt zu der höchsten Stellung im Reiche. In seiner Herkunft, Auserwählung und Erhöhung war er ein hervorragendes Vorbild auf den Herrn Jesus, der auch ein Mann aus dem Volke war und zugleich der Auserkorene Gottes und der König seiner Gemeinde ist. Ihn, den Gott erhöht hat, wollen auch wir erhöhen. Wehe denen, die ihn verachten; sie machen sich damit der Beleidigung der Majestät des Höchsten schuldig, der ihn uns zum Herrn gesetzt hat.

21. Ich habe gefunden meinen Knecht David. David ward von dem HERRN gleichsam aufgefunden, als er bei den Schafhürden war, und von ihm erkannt als einer, der den Geist der Gnade hatte, als ein Mann voll Glaubens und Heldenmuts und darum geeignet, der Führer Israels zu sein. Ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Öle. David wurde durch Samuel gesalbt, lange ehe er den Thron bestieg. Der Vers passt aber wiederum ebenfalls auf unseren König Immanuel. Dieser ward um unsertwillen des HERRN Knecht, da der Vater in ihm einen mächtigen Befreier für uns gefunden hatte; darum ruhte auf ihm der Geist ohne Maß, und dieser machte ihn tüchtig zu all den Aufgaben der Liebe, zu welchen er ausgesondert war. Wir haben nicht einen Heiland, der sich selber dazu aufgeworfen hat und dem Werke doch nicht gewachsen ist, sondern einen, der von Gott uns gesandt und für sein Amt göttlich ausgerüstet ist. Unser Heiland Jesus ist auch der Christus des HERRN, der Gesalbte Gottes. Das Öl, mit dem er geweiht ist, ist Gottes eigenes heiliges Salböl; er ward von Gott selber ausgestattet mit dem Geist der Heiligkeit.

22. Mit dem meine Hand beständig sein soll. (Grundtext) Die Allmacht Gottes bleibt fort und fort mit Jesus in seinem Werke als der Befreier und Beherrscher seines Volkes. Und mein Arm soll ihn stärken. Die Fülle der göttlichen Kraft soll ihn begleiten. Diese Bundesverheißung sollten wir mit dringendem Flehen dem HERRN vorhalten; denn was in unsrer Zeit der Gemeinde des HERRN vornehmlich mangelt, das ist Kraft. Wir haben alles, nur nicht die göttliche Kraftfülle, und wir dürfen uns nie zufrieden geben, bis wir sie in vollem Maße unter uns wirksam sehen. Jesus muss mitten unter uns sein; dann wird es unseren Gemeinden in keiner ihrer Tätigkeiten an Kraft fehlen.

23. Kein Feind soll ihn bedrücken (Grundtext), ihn hinterrücks überfallen und so mit List überwältigen oder, wie andre übersetzen, ihn bedrücken, ihn quälen und verfolgen, wie ein wucherischer Gläubiger einen hilf- und ratlosen Schuldner. Und kein Bösewicht ihn bedrängen. (Grundtext) Ruchlose Menschen sollen ihm nicht mehr das Leben zu einer Qual machen können. In seinen frühern Tagen war David von Saul gejagt worden wie ein Rebhuhn auf den Bergen. Obgleich er bestrebt gewesen war, in allen Stücken gegen Saul recht zu handeln, weil dieser der Gesalbte des HERRN war, so gab Saul sich doch nie zufrieden mit den Beweisen der Königstreue, welche David ihm gab, sondern verfolgte ihn unablässig. Gott verbürgte dem David daher bei dem Bundesschluss, dass dies Leben des Ungemachs und der Verfolgung nunmehr ein Ende haben solle. So geschah es auch; die Verheißung erfüllte sich schon an David selber, bis er den schweren Fall tat, noch auffallender aber in dem Leben seines Sohnes Salomo. (Vergl. Ps. 18,1; 1. Könige 5,18 [4].) Wer aber sieht nicht in dem allen ein Vorbild auf den Herrn Jesus, der, wiewohl er einst um unsrer Schulden willen ergriffen und auch von den Ruchlosen übel behandelt wurde, nunmehr dermaßen erhöht ist, dass ihn niemals mehr jemand bedrücken, auch der grimmigste Feind ihn nicht mehr beunruhigen kann? Kein Judas kann ihn mehr verraten, kein Pilatus ihn dem Kreuzestod überliefern. Satan vermag ihn nicht mehr zu versuchen, und unsre Sünden können ihn nicht mehr bedrücken.

24. Sondern ich will seine Widersacher vor seinem Angesicht zerschmettern. (Wörtl.) Gott selber schlägt die Schlachten seines Sohnes und zermalmt dessen Feinde. Und die ihn hassen, will ich plagen (oder niederschlagen). O dass unser keiner die Schrecken dieser Drohung erfahre, welche ganz gewisslich an denen zur Ausführung gebracht werden wird, die den Sohn Gottes verwerfen und in ihrer Herzenshärtigkeit sterben. Diese Weissagung findet noch eine andre Erfüllung in der Niederschlagung der Lügensysteme und in der daraus entstehenden Herzensqual ihrer Vertreter. Nichts plagt die Bösen so sehr wie der Sieg der Sache Jesu.

25. Aber meine Wahrheit (Treue) und Gnade soll bei ihm sein. Die Gnade und die Treue, das waren ja die Eigenschaften Gottes, von denen der Dichter gleich zu Anfang des Psalms gesungen hatte, ohne Zweifel, weil er erkannte, dass sie ganz besonders in dem Bunde hervortraten, an welchen er Gott zu erinnern vorhatte. Gott bewahrte dem David und seinem Samen Huld und Treue. Und wenn auch durch ihre Sünde das zeitliche Reich alle Herrlichkeit einbüßte und die Herrscherfamilie zu größter Unbedeutenheit herabsank, so blieb doch die Geschlechtslinie ununterbrochen bestehen, und das Haus Davids gelangte sogar zu größerer Herrlichkeit, als es je gehabt hatte, durch die Thronbesteigung dessen, welcher der Fürst der Könige auf Erden ist und mit welchem Gottes Gnade und Treue ewig bleiben. Alle, die in Christus Jesus sind, mögen sich des freuen; denn sie werden an sich selber die unwandelbare Gnade des HERRN erfahren. Und sein Horn soll in meinem Namen erhoben werden. Glorreich erhebt nunmehr der Herr Jesus das Haupt, nachdem er durch die Anweisung des Vaters zur höchsten Ehrenstelle erhöht ist. David und Salomo waren in ihren hohen Würden doch nur schwache Abbilder dieses unsers Königs, der hoch erhöht ist über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was genannt mag werden (Eph. 1,21). Die höchste Erhöhung des Hornes des Herrn Jesus steht aber noch bevor in dem rasch herannahenden Tausendjährigen Reiche.

26. Ich will seine Hand über das Meer stellen und seine Rechte über die Wasser (d. i. die Ströme). Seine Herrschaft wird weit über die engen Grenzen Palästinas hinausreichen; er wird mit seiner Macht alle Lande umfassen von Wasser zu Wasser. Er wird seine Hand siegreich über das Meer strecken und seine Rechte über die mächtigsten Ströme der Erde. Wie die alten deutschen Kaiser den Reichsapfel, eine kleine Erdkugel, als Sinnbild der Herrschaft über die Erde in der Hand hielten, so wird er das noch weit unbezwingbarere Meer in die Hand fassen und wahrhaft Herr über alles sein. Solche Macht wird ihm von dem Höchsten gegeben werden und soll sein bleibendes Besitztum sein; so verstehen wir die Worte. Der Vers hat auch einen frohen Klang für alle, die auf dem Meer fahren und an den Wassern wohnen: Jesu Hand ist über ihnen. Und wie der Heiland einst seine ersten Apostel am Ufer des Galliläischen Meeres berief (Lk. 5,1-11), so hoffen wir, dass er am Meeresstrand noch viele ernste Jünger finden wird.

27. Er wird mich nennen also: Du bist mein Vater. Davids Nachkommen sollten ein Geschlecht von Betern sein. Das waren sie auch durchschnittlich, und wo es nicht der Fall war, mussten sie dafür büßen. Der Herr Jesus aber war ein Beter ohnegleichen, und sein Lieblingsausdruck im Gebet war: "Vater". Nie war ein Sohn kindlicher in seinen Bitten als dieser, welcher der Erstgeborne unter vielen Brüdern sein sollte (Röm. 8,29). Gott hatte einen Sohn, der ohne Sünde war, aber nie einen, der ohne Gebet lebte. Mein Gott! so rief unser Heiland seinen Vater, selbst da er am Kreuz hing. Und Hort, der mir hilft, wörtl.: meines Heils. An seinen Vater wandte er sich um Hilfe, da er in Gethsemane in den tiefsten Nöten war, und ihm befahl er seinen Geist in dem Augenblick seines Sterbens. In dieser echten Kindesart des Flehens sollten alle wahren Gotteskinder ihm nachahmen. Das ist die gemeinsame Sprache des auserwählten Geschlechts. Kindschaftsbewusstsein, kindliche Ehrerbietung und einfältiges Vertrauen müssen in unseren Gebeten zum Ausdruck kommen, und sie werden da auch nicht fehlen, wenn wir wirklich, der Verheißung gemäß, Söhne und Töchter Gottes sind. Zu Gott sagen: "Du bist mein Vater ," dazu verhelfen uns weder Gelehrsamkeit noch Reichtum der Gaben, sondern nur die neue Geburt. Lieber Leser, hast du solche Kindesart, hast du den kindlichen Geist empfangen, durch den du rufen kannst: Abba, das ist, lieber Vater?

28. Und Ich will ihn zum ersten Sohn (wörtl. zum Erstgebornen) machen. Unter den Königen der Erde sollten die Herrscher vom Samen Davids am höchsten von Gott bevorzugt werden, am meisten Gottes Liebe und väterliche Fürsorge genießen. Aber bei Jesus finden wir das in dem höchsten Maße verwirklicht; denn er hat in allem den ersten Rang (vergl. Kol. 1,18), da er einen Namen ererbt hat, der über alle Namen ist (Hebr. 1,4; Phil. 2,9), und allerhöchst ist unter den Königen auf Erden. Wer kommt dem Erstgebornen des Himmels gleich? Das zwiefache Erbteil und die Oberherrschaft gehören ihm. Es gereicht Königen zur Ehre, wenn sie ihn ehren, und die ihn ehren, werden dadurch zu Königen! In der Herrlichkeit des Tausendjährigen Reichs wird es zutage treten, was Gottes Bundeszusage dem einst verachteten und geschmähten Davidssohne aufbehalten hat; aber schon jetzt sieht ihn der Glaube erhöht zum König aller Könige und Herrn aller Herren. Siehe, wir neigen uns vor dir, der du zum Erben gesetzt bist über alles! (Hebr. 1,2.) Unsre Garben neigen sich vor deiner Garbe (1. Mose 37,7). Deiner Mutter Kinder fallen dir zu Fuße. Du bist’s, dich werden deine Brüder loben (1. Mose 27,29; 49,8). Jesus ist kein Fürstendiener, und er will nicht, dass seine Braut, die Gemeinde, sich entwürdigt, indem sie sich vor Königen bückt und Gnadenbrot von ihrer Hand empfängt. Er und sein Reich sind höher als die Könige der Welt. Mögen die Großen der Erde weise sein und ihm huldigen (Ps. 2,10 ff.), denn sein ist das Reich, und er herrscht unter den Völkern (Ps 2,29).

29. Ich will ihm ewiglich bewahren meine Gnade. Die Könige aus Davids Geschlecht brauchten Gnade, und Gnade allein bewahrte ihr Haus, dass es nicht gänzlich unterging, bis Mariens Sohn erschien. Dieser braucht für sich keine Gnade; aber er ist ja der große Stellvertreter, und diejenigen, welche er vertritt, bedürfen allerdings der Gnade Gottes. Ihnen wird die Gnade ewiglich bewahrt. Und mein Bund soll ihm fest bleiben. Dieser Bund ist mit Jesus geschlossen durch das Blut des Opfers und Gottes Eid; darum kann er nicht umgestoßen oder abgeändert werden, sondern ist ewig unverbrüchlich, denn er ruht auf der Wahrhaftigkeit dessen, der nicht lügen kann. Welche Wonne erfüllt unser Herz, da wir erkennen, dass dieser Gnadenbund allem Samen gewiss ist, weil er demjenigen zuverlässig fest bleibt, mit dem wir unzertrennlich verbunden sind!

30. Ich will ihm ewiglich Samen geben. Davids Same lebt fort in der Person des Herrn Jesus und Jesu Same in den Gläubigen. Die Frommen sind ein Geschlecht, das weder Tod noch Hölle umbringen können. Rom und seine Priester haben mit der Inquisition und andern höllischen Grausamkeiten ihr Bestes getan, den Bundessamen auszurotten; aber umsonst war all ihre Wut. Solange Gott lebt, wird auch Gottes Volk leben. Und seinen Stuhl, solange der Himmel währet, erhalten. Jesus regiert fort und wird regieren, bis der Himmel einstürzt; ja und wenn die Himmel einst mit großem Krachen zergehen und die Elemente vor Hitze schmelzen, so wird sein Thron doch stehen bleiben. Was für ein herrlicher Bund! Einige Ausleger sprechen von Bedingungen; aber wir können keine finden. Die Verheißungen lauten so bestimmt und unbedingt wie nur möglich, und was für Bedingungen man etwa in Bezug auf den Wandel der Bundeskinder voraussetzen könnte, die werden in den folgenden Versen abgehandelt.5

31. Wo aber seine Kinder mein Gesetz verlassen und in meinen Rechten nicht wandeln. Es war möglich, entsetzlich leicht möglich, dass Davids Nachkommen von dem HERRN abweichen würden. Sie taten es wirklich. Aber was dann? Sollte deshalb die Gnade Gottes von dem Samen Davids weichen? Nimmermehr! So ist auch der geistliche Same des Davidssohnes in Gefahr abzuirren; aber werden sie deshalb verworfen? Nicht ein Wort berechtigt zu solcher Annahme, sondern das Gegenteil ist wahr. Gar manche Schriftausleger schütteln in ihrer Furcht vor der calvinistischen Lehre die Furcht, zum Worte Gottes etwas hinzuzufügen, leichter Hand ab; sonst würden sie ihre Zeit nicht damit vertun, von Bedingungen dieses schlechthin bedingungslosen Bundes zu reden.

32. So sie meine Ordnungen entheiligen und meine Gebote nicht halten. Wieder wird die schreckliche Möglichkeit in andern Worten vorgeführt und dem traurigen Fall ins Auge geblickt. Aber wenn das Befürchtete geschieht, was dann? Soll das Haus Davids verworfen oder zum Aussterben verurteilt werden? O nein, Gott sei Dank, nein! Ob die Sünde der Nachkommen Davids sich mehr positiv oder negativ gestalte, ob sie unachtsame Unterlassung oder freche Entweihung sei, ob es sich dabei um die Übertretung der gottesdienstlichen Ordnungen oder der sittlichen Gebote oder beider zugleich handle - dennoch wird mit keinem Wort dem Geschlechte der endgültige Untergang angedroht, sondern das Gegenteil bezeugt. Der gesetzliche Geist kommt immer mit seinen Wenn, aber der HERR schlägt die Bedenklichkeiten nieder, sowie sie sich erheben. Das ewig gültige "Ich will" macht mit all unseren Wenn und Aber kurzen Prozess.

33. So will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen. Nicht mit dem Schwert, nicht mit Tod und Verderben; wohl aber mit der empfindlich schmerzenden Rute. Wollen die Begnadigten sündigen, so müssen sie es büßen; dafür wird Gott sorgen. Er hasst die Sünde zu sehr, als dass er sie nicht heimsuchen sollte, und er liebt seine Auserwählten zu brünstig, als dass er sie ohne Züchtigung dahingehen lassen könnte. Gott spielt nie mit seiner Rute, er lässt sie seine Kinder gehörig fühlen. Er sucht die Seinen heim mit seinen Züchtigungen in ihren Familien, an ihrem Leibe und ihrem Herzen und lässt es sie recht spüren, dass ihre Wege ihm missfallen. Er schlägt tüchtig zu und vergilt ihre Missetat mit (Plagen, besser:) Schlägen, mit wenigen oder mit vielen, je nachdem wie ihr Herz sich durch die Züchtigung beeinflussen lässt. Die Rute gehört mit zu den Bundessegnungen und ist dazu bestimmt, gebraucht zu werden. Leider wiederholt sich das Sündigen häufig; darum hat die Rute nie lang Ruhe. In Gottes Familie wird der Stock nicht gespart; der himmlische Vater verzieht seine Kinder nicht. Er schlägt sie mit der Rute; aber er errettet ihre Seele von der Hölle (Spr. 23,14).

34. Aber - fürwahr ein herrliches Aber - meine Gnade will ich nicht von ihm wenden. O köstliches, alle Furcht bannendes Wort! Das krönt den Bund mit strahlender Herrlichkeit. Ob die Gnade von den Erwählten anscheinend weiche, sie wird sich ihnen doch niemals gänzlich und für immer entziehen. Jesus steht noch immer bei Gott in Huld, und wir sind in ihm; darum wird auch in den traurigsten Umständen das Erbarmen, mit dem der HERR einen jeglichen seiner Auserwählten umschließt, jeden Druck und Reiz aushalten. Könnte der Bund durch unsre Sünde zunichte gemacht werden, so wäre er längst dahin. Und würde er dann auch wieder erneuert, so wäre er doch nicht auf eine Stunde gesichert, wenn sein Bestand von uns abhinge. Gott kann die Seinen wohl eine Zeit lang verlassen, und sie werden darunter viel zu leiden haben und mögen dabei tief fallen, aber gänzlich und völlig kann er ihnen nimmer seine Liebe entziehen; denn das würfe einen Schatten auf seine Wahrhaftigkeit, und solches wird er nie zulassen. Darum fügt er hinzu: und (will) meine Wahrheit (Treue) nicht lassen fehlen, oder nach kräftigerer Übersetzung: und will nicht zum Lügner werden an meiner Treue. Die Menschen täuschen in allen Stücken, Gott in keinem. Die Treue ist einer der ewig unveränderlichen Kennzüge des göttlichen Wesens, und in ihr offenbart Gott stets sonderlich seine Herrlichkeit. Seine Wahrhaftigkeit ist einer seiner kostbarsten Schätze, einer der herrlichsten Edelsteine seiner Krone, und er wird nie und nimmer dulden, dass dieses Kleinod auch nur im Geringsten um seinen Glanz gebracht werde. Unsre Stelle macht es uns auf die köstlichste Weise gewiss, dass die Erben der Herrlichkeit nie gänzlich weggeworfen werden sollen. Möge, wer Lust dazu hat, die ewige Bewahrung der Gläubigen leugnen; wir haben Christus nicht also gelernt. Wir glauben an die väterliche Züchtigung, aber nicht an das Richtschwert für alle diejenigen, welche Gott zu Kindern angenommen hat.

35. Ich will meinen Bund nicht entheiligen. Es ist ja Gottes eigener Bund. Er hat ihn ausgedacht und aufgesetzt und ist aus freien Stücken in ihn eingetreten; darum schätzt er ihn hoch. Es ist nicht eines Menschen Bund; der HERR nimmt ihn als seinen eigenen in Anspruch. Schon unter Menschen gilt es als etwas Arges, bundbrüchig zu sein; so Verachtungswürdiges soll nie dem Höchsten zur Last gelegt werden können. Und nicht ändern, was aus meinem Munde gegangen ist. Abänderungen und Nachgedanken sind angemessen bei kurzsichtigen Wesen, die auf unerwartete Begebenheiten stoßen, welche sie bewegen, ihren Sinn zu wechseln; aber der HERR, der von Anfang an alles überblickt und durchschaut, hat keinerlei Veranlassung, seinen Standpunkt zu ändern. Er ist überdies unwandelbar in seiner Natur und seinen Plänen; er kann sein Herz nicht ändern, darum auch seine Verheißungen nicht. Das gegebene Wort ist heilig; ist ein Versprechen uns einmal über die Lippen gegangen, so verbietet es uns die Ehrenhaftigkeit, dasselbe zurückzunehmen - es müsste denn sein, dass das Versprochene unmöglich oder unsittlich wäre. Weder das eine noch das andre kann bei Gottes Zusagen eintreffen. Wie tröstlich und glaubenstärkend ist es, Gott so entschlossen zu sehen! Er bekräftigt in den vorliegenden Worten seinen Bund und bekennt sich aufs neue zu den von ihm aus freier Gnade übernommenen Verpflichtungen. Das tut er in solcher Weitläufigkeit und mit solchem Nachdruck, dass es ersichtlich ist, wie er an jenem altehrwürdigen, feierlichen Vertrage seine Freude hat. Wenn derselbe ihn, was ohnehin an sich undenkbar ist, gereut hätte, so würde er wahrlich nicht bei seinen Zusagen so verweilen und sie mit solch starker Betonung wiederholen.

36. Ich habe einmal geschworen bei meiner Heiligkeit, ich will David nicht lügen. Da er bei keinem Größeren schwören konnte, schwur er bei sich selbst, und zwar bei jener ihn besonders auszeichnenden Eigenschaft, welche seine höchste Ehre und der Gegenstand der tiefsten Anbetung aller himmlischen Heerscharen ist. Gott verpfändet damit die Krone seines Reiches, setzt die höchste seiner Vollkommenheiten, das Innerste seines Wesens, ein. Er sagt damit so viel, als dass er, wenn er aufhörte, seinem Bunde treu zu sein, seinen heiligen Charakter verwirken würde. Was kann er Größeres sagen? In welchen stärkeren Ausdrücken könnte er seinen unabänderlichen Entschluss kundgeben, bei der Wahrheit seiner Verheißung zu bleiben? Der Eid macht ein Ende alles Haders; dieser Eid sollte billig auch allen Zweifeln bei uns ein Ende machen. Es ist ja unmöglich, zu denken, dass Gott lügen könnte; und doch stellt er es so dar, dass er, wenn der Bund von ihm nicht gehalten würde, es selber als eine Lüge ansehen würde. Wohlan, liebe Seele, hier ist Felsengrund, auf den du dich stützen magst! Gebe der HERR, dass unser Glaube von der Art sei, zu welcher diese Bürgschaften uns berechtigen! - Nun wird noch einmal kurz der Inhalt der Bundeszusage vorgeführt.

37. Sein Same soll ewig sein. In der Person Jesu ist Davids königliche Linie eine endlose, und das Geschlecht Jesu, das sich in den aufeinanderfolgenden Generationen der Gläubigen darstellt, zeigt keine Abnahme. Keine Macht, weder menschliche noch satanische, kann die christliche Sukzession unterbrechen. Wohl sterben die Heiligen, aber andre kommen auf und füllen ihre Stelle aus, so dass bis zum Jüngsten Tage Jesus einen Samen haben wird, der ihm dient. Und sein Stuhl vor mir wie die Sonne. In unserm König Jesus bleibt die Dynastie Davids beständig auf dem Thron. Jesus dankt nie ab und geht nie in die Verbannung. Er herrscht, und er muss herrschen, solange die Sonne auf die Erde scheint. Same und Thron, das sind die beiden großen Bundesverheißungen, und sie sind für uns von ebenso großer Wichtigkeit wie für den Herrn Jesus selbst; denn wir sind der Same, der ewig bleiben soll, und wir werden beschützt und gefürstet von eben jenem König, dessen Herrscherrechte ohne Ende bestehen sollen.

38. Wie der Mond soll er ewiglich erhalten sein. Vor sterblichen Augen mag das Reich bald zunehmen, bald abnehmen; aber bleiben soll es, solange der Mond in seinem Silberglanz am Himmel wandelt. Und gleich wie der Zeuge in den Wolken gewiss sein. So übersetzt Luther und denkt dabei wohl an 2. Samuel 7,16. Der Zeuge in den Wolken wäre dann der Regenbogen. Allein es fehlt im Grundtext das Vergleichungswort; und da das Wort, welches Luther mit Wolken übersetzt (was es auch heißen kann), hier, wie sonst öfters, ein dichterischer Ausdruck für Himmel sein dürfte, ist vielmehr zu übersetzen: Und der Zeuge in der Höhe ist zuverlässig. Manche Ausleger verstehen darunter den Mond, was schwerlich richtig ist. Eher wäre die Sonne aus V. 37 dazuzunehmen und die Stelle nach Jer. 33,20-22, vergl. 31,35-37, zu erklären, wo Gott die Gesetze der Sonne, des Mondes und der Sterne sowie des Himmels und der Erde zu Bürgen seines Bundes mit David und Israel aufstellt. Wahrlich, wenn Himmel und Erde zeugen und Gott der HERR selber schwört, so gibt es für den Zweifel keine Entschuldigung, und der Glaube darf sich in zuversichtlicher Erwartung freudig der Ruhe hingeben! - Manche bedeutende Ausleger ziehen aber zur Erklärung Hiob 16,19 herbei. Danach wäre Gott selbst dieser zuverlässige Zeuge, vergl. 5. Mose 7,9; Off. 3,14 Bezieht man die Worte noch in die Rede Gottes ein, so würde der Höchste damit am Schluss seine eidliche Zusage noch feierlich besiegeln. Man mag aber auch die Worte Gottes mit V. 38a schließen lassen, so dass der Psalmdichter, sich und andern zur Stärkung, mit der Versicherung: Und der Zeuge in der Höhe ist zuverlässig! den Bundeszusagen das Amen des Glaubens hinzufügte.

39. Aber nun verstößest Du und verwirfest
und zürnest mit deinem Gesalbeten.
40. Du zerstörest den Bund deines Knechtes
und trittst seine Krone zu Boden.
41. Du zerreißest alle seine Mauern
und lässest seine Festen zerbrechen.
42. Es berauben ihn alle, die vorübergehen;
er ist seinen Nachbarn ein Spott geworden.
43. Du erhöhest die Rechte seiner Widersacher
und erfreuest alle seine Feinde.
44. Auch hast du die Kraft seines Schwerts weggenommen
und lässest ihn nicht siegen im Streit.
45. Du zerstörest seine Reinigkeit
und wirfest seinen Stuhl zu Boden.
46. Du verkürzest die Zeit seiner Jugend
und bedeckest ihn mit Hohn. Sela.
47. HERR, wie lange willst du dich so gar verbergen
und deinen Grimm wie Feuer brennen lassen?
48. Gedenke, wie kurz mein Leben ist!
Warum willst du alle Menschen umsonst geschaffen haben?
49. Wo ist jemand, der da lebet und den Tod nicht sähe,
der seine Seele errette aus der Hölle Hand? Sela.
50. Herr, wo ist deine vorige Gnade,
die du David geschworen hast in deiner Wahrheit?
51. Gedenke, Herr an die Schmach deiner Knechte,
die ich trage in meinem Schoß von so vielen Völkern allen,
52. mit der, HERR, deine Feinde schmähen,
mit der sie schmähen die Fußtapfen deines Gesalbeten!


39. Aber nun hast Du verstoßen und verworfen, eigentl. verschmähet6. Der HERR hatte verheißen, den Samen Davids nicht zu verstoßen, und doch sieht es nun so aus, als ob er es getan hätte, und zwar mit aller Heftigkeit des Zorns, als verschmähte und verabscheute er des Königs Person. Es hat manchmal den Anschein, als wäre, was Gott tut, das gerade Gegenteil dessen, was er zugesichert hat; das Beste, das wir dann tun können, ist, im Gebet vor den HERRN zu treten und ihm die Sache gerade so vorzulegen, wie sie sich uns darstellt. Das dürfen wir wagen; denn der heilige, von Gottes Geist geleitete Dichter unsers Psalms hat es so gemacht, ohne dass er deshalb getadelt worden wäre. Nur dass es in Demut und im Glauben geschehe! Und zürnest mit deinem Gesalbeten. Ohne Zweifel hatte der Same Davids es verdient, dass Gott mit ihm zürnte. (Vergl. 1. Könige 11 und 12.) Allein worauf der Psalmist hinweist, ist dies, dass Gottes Handeln dem Gnadenbund zu widersprechen schien. Da legt er denn dem HERRN die Sache offen dar und wagt es, freimütig mit ihm zu reden. Und der HERR hat es gern, wenn seine Knechte es also machen. Es beweist, dass sie glauben, Gott habe seine Zusagen ernst gemeint.

40. Du hast zerstöret (wohl besser: verabscheut) den Bund deines Knechtes. Die Anordnungen der Vorsehung sahen danach aus, als hätte Gott den heiligen mit seinem Knechte David geschlossenen Vertrag aufgehoben, oder als hätte er, wie wir das schon den alten Übersetzern schwer verständliche Wort des Grundtextes vielleicht besser übersetzen, ihn mit Abscheu von sich geschüttelt. So schien es, wiewohl es in Wirklichkeit nicht so war. Und hast seine Krone (sie) zu Boden (tretend) entweiht. (Wörtl.) Der König war solcher Not und Schmach ausgesetzt, dass sein Diadem ihm, sozusagen, vom Haupte gerissen, auf den Boden geworfen und in den Staub getreten war. Er war ja ein theokratischer König, und Jehova, der ihm die Krone verliehen, hatte sie von ihm genommen und verächtlich behandelt. In unseren trüben Tagen mögen wir wohl die gleiche Klage vorbringen; denn Gott lässt es geschehen, dass auf vielen Kanzeln Jesu nicht gehuldigt und seine Krone auf mancherlei Weise entweiht wird. Wenn wir sehen, dass Könige und Königinnen zu Häuptern der Kirche erhoben werden, dass ein Priester sich gar den Stellvertreter Christi nennt, dass Parlamente und staatliche Behörden es sich herausnehmen, der Gemeinde Gottes Gesetze zu geben, dann haben wir allen Grund, es schmerzlich zu beklagen, dass die Dinge sich so traurig gestaltet haben. Es gibt nur wenige, die die Kronrechte des Königs Jesus ungeschmälert anerkennen; die ganze Sache erscheint nicht mehr zeitgemäß. Ach HERR, wie so lange!

41. Du hast alle seine Mauern zerrissen. Der König war nicht mehr vor den lästerlichen Angriffen böser Zungen geschützt; die heilige Scheu, die den königlichen Namen wie eine Mauer hätte umgeben sollen, hatte aufgehört, ihn von den andern vom Weibe Geborenen zu scheiden. Die göttliche Autorität, welche den Fürsten schirmt, war gewichen. Bis dahin war das königliche Haus einem umzäunten Weinberge ähnlich gewesen; jetzt aber waren alle seine Mauern niedergerissen, so dass der edle Weinstock allen Schutzes entbehrte. Es ist eine traurige Wahrheit, dass an vielen Orten die Umzäunungen der Kirche zerstört sind; die Grenzlinie zwischen der Gemeinde des HERRN und der Welt ist beinahe verschwunden, und die von Gott geordneten Ämter sind vielfach von gottlosen Menschen besetzt. Ach Gott, soll das denn immer so bleiben? Willst du, großer Weingärtner, deinen edlen Weinstock für immer preisgeben? O richte die Grenzen wieder auf und halte deine Gemeinde als deinen Weinberg für dich allein! Und seine Festen in Trümmer gelegt. Die Bollwerke des Landes befanden sich in der Feinde Gewalt und waren geschleift; die Verteidigungswerke des Reiches waren bezwungen. So ist es auch je und je geschehen, dass kostbare Wahrheiten, welche die Bollwerke der Gemeinde waren, von Irrlehrern bestürmt und die Burg der gesunden Lehre dem Feinde ausgeliefert worden sind. O Gott, wie kannst du das zulassen? Willst du, du Gott der Wahrheit, dich nicht erheben und die Lüge niedertreten?

42. Es berauben ihn alle, die vorübergehen. Nichtsnutzige Müßiggänger, die nichts anders zu tun haben, müssen durchaus an diesem Weinstock pflücken und zausen, und sie tun es ohne Mühe, da die Zäune niedergerissen sind. Trübe Zeiten fürwahr, wo jeder Schwätzer seine Einwürfe gegen die Religion zu machen wagt und die Leute beim vollen Becher von Einwendungen gegen Jesu Evangelium überfließen! Der Gekreuzigte gilt ihnen nichts, sie gehen an ihm vorüber, ohne auch nur zu fragen, was er für sie getan; aber bietet sich irgendeine Gelegenheit, dass sie ihm noch einen Nagel durch die Hände treiben oder dabei helfen können, ihn aufs neue zu kreuzigen, dann haben sie Zeit zum Verweilen, solange man nur will. Mit dem Finger des Glaubens wollen sie ihn nicht berühren; aber mit der Hand der Bosheit ihn zerreißen, das täten sie gern. Er ist seinen Nachbarn ein Spott geworden. Die Nachfolger Davids hatten gar unnachbarliche Nachbarn, die ein Hohn auf die Kameradschaft waren, weil sie nichts lieber taten, als ihren Nachbarn verhöhnen. Die Juden wurden stets von den sie umgebenden Heiden arg gehöhnt und aufgezogen, wenn sie in Not geraten waren. Und auch jetzt ist das Volk Gottes, das dem HERRN von ganzem Herzen und in allen Stücken nachzufolgen sucht, tausend Vorwürfen und Schmähungen, und manchmal der kränkendsten Art, ausgesetzt. Solche Beschuldigungen sind in Wahrheit Schmähungen Christi; sie gelten im Grunde ihm. Soll das stets so fortgehen? Soll Er, der auf die Anbetung allen Anspruch hat, fort und fort der allgemeinen Verachtung preisgegeben werden? Gott, wo bleibt deine Bundestreue?

43. Du erhöhtest die Rechte seiner Widersacher. Das hast Du getan, du, der du geschworen hattest, ihm Hilfe und Sieg zu geben; statt dessen hast du dich auf die Seite seiner Feinde gestellt und deine Macht ihnen geliehen, so dass sie die Oberhand bekommen und sich zu Herrschern über dein Volk und deinen Gesalbten aufgeworfen haben. Und erfreutest alle seine Feinde. Sie prahlen über ihn, sie frohlocken über seine Niederlage, und das ist dein Tun, o Gott! Wie geht das zu? Wo bleibt der Bund? Hast du deine Verheißungen und Versicherungen vergessen?

44. Auch hast du die Kraft seines Schwerts weggenommen7. Wenn er in den Krieg zieht, so muss er vor dem Feinde weichen; sein Schwert gibt nach, als wäre es von Blei statt von kieselhartem Stahl. Seine Waffen versagen und er muss schmählich fliehen. Und ließest ihn nicht siegen (nicht aufkommen) im Streit. Der Mut lässt ihn im Stich wie das Schwert; er wankt, er fällt. Das ist auch tapfere Männer angekommen - unheimliche Furcht hat sie entnervt und geschwächt. In unseren Tagen verfügt die Gemeinde des HERRN über wenige Schwerter von echtem Jerusalemstahl; ihre Söhne sind biegsam, ihre Diener weichen vor dem Druck. Wir brauchen Männer, deren Schwert nicht gebogen werden kann, Helden, die fest für die Wahrheit einstehen, kühn gegen den Irrtum auftreten, scharf auf die Sünde dreinhauen und mit der Schneide der Wahrheit den Menschen bis ins Herz dringen. Mut und Entschiedenheit tun mehr Not als je; denn Milde gegen Grundlagen stürzende Irrtümer ist heute der Modeartikel in Verbrechen, und Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit unter dem Namen der Weitherzigkeit die Haupttugend unsers Zeitalters. Der HERR sende uns Männer von der Art eines Elia oder doch eines Luther und John Knox!8.

45. Du hast seinem Glanz ein Ende gemacht. (Grundtext) Der Glanz seiner Regierung und das Glück seines Hauses sind dahin, sein Ruhm ist verblichen, seine Ehre befleckt. Und seinen Stuhl zu Boden geworfen. Er hat die Macht verloren, sowohl daheim zu herrschen als auch draußen zu siegen. Solches widerfuhr Königen aus Davids Haus und widerfährt, noch trauriger zu sagen, in unseren Tagen dem sichtbaren Reich des Herrn Jesus. Wo ist die Herrlichkeit des Pfingsttages, wo die Majestät der Reformation? Wo bricht das Reich Gottes mit Macht hervor unter den Menschenkindern? Wehe uns, die Herrlichkeit ist dahin, und der Thron des Herrn Jesus ist vor unseren Augen verborgen!

46. Du hast verkürzt die Zeit seiner Jugend. Nur kurz war die Zeit gewesen, da der König mit jugendlicher Kraft hatte herrschen können; er ward hinfällig vor der Zeit. Und hast ihn mit Hohn bedeckt. Schmach ward auf ihn gehäuft, Scham umhüllte ihn, weil seine Kraft so schnell gebrochen war und er vor den Feinden so erbärmlich unterlegen war. Das erfüllte den Psalmdichter, der offenbar einer der treuesten Anhänger des Hauses Davids war, mit tiefem Schmerz. In unseren Tagen haben wir den Mangel an Tatkraft in Sachen der Religion tief zu beklagen: die Heldenzeit der Christenheit ist dahin, ihre rabenschwarzen Locken sind mit vorzeitigem Grau vermischt. Stimmt dieser Verfall mit dem Bund? Lässt sich das mit den Zusagen des HERRN vereinigen? Lasst uns mit der Kühnheit und der Demut eines Abraham mit dem gerechten Richter aller Welt reden, lasst uns ihn anflehen, dass er sein Wort erfülle, nach welchem alle, die des HERRN harren, neue Kraft kriegen sollen!
  Sela. Der fürbittende Dichter schöpft in seinem bangen Klagen Atem; er hört nun auf, die Nöte des Reichs zu schildern, und verlegt sich darauf, flehend mit dem HERRN zu ringen.

47. HERR, wie lange? Dieser Aufschrei des gequälten Herzens richtet sich an Jehova, und seine Klage ist, dass die Prüfung so lang währe. Eine Züchtigung mit der Rute ist doch nicht eine Sache, die sich endlos in die Länge zieht; darum ruft er zu Gott, dass er die Trübsal kürze. Wie lange willst du dich so gar (wörtl.: für immer) verbergen? Hast du nicht verheißen, dass du für deinen Knecht eintreten werdest? Willst du ihn denn nun doch für immer im Stich lassen? Und deinen Grimm wie Feuer brennen lassen? Soll dieser immerfort lodern, bis sein Opfer ganz verzehrt ist? O dass es dir gefalle, ihm eine Grenze zu setzen! Wie weit willst du in deinem Eifer gehen? Willst du den Thron einäschern, den du geschworen hast ewig bestehen zu lassen? Gerade so möchten wir den HERRN in unseren Tagen beschwören, der Sache Christi zu gedenken. Kann er seiner Gemeinde so zürnen, dass er sie noch viel länger in solchem Zustand lässt? Wie weit wird er es kommen lassen? Soll die Wahrheit untergehen, soll es mit den Heiligen gar aus sein? Wie lange wird er den Dingen noch ihren Lauf lassen? Wahrlich, er muss bald eingreifen; denn wenn er es nicht täte, so würde die wahre Anbetung Gottes bald gänzlich wie mit Feuer verzehrt sein.

48. Gedenke. wie kurz mein Leben ist! Ist es denn so kurz, dann lass es doch nicht lauter Bitterkeit sein! Brennt dein Zorn noch länger, so wird er die Zeit dieses sterblichen Lebens überdauern, und dann wird für deine Gnade keine Zeit mehr sein, mich zu erquicken. Einige Ausleger deuten diese Worte wie die vorhergehenden Vers auf den Zustand des Herrn Jesus in den Tagen seiner Erniedrigung, und das gibt einen lehrreichen Sinn. Wir ziehen es aber vor, alles durchweg au die Gemeinde anzuwenden, welche der Same des Herrn Jesus ist, gerade wie die Nachfolger Davids dessen Same waren. Wir haben gesündigt und bekommen deshalb die Rute zu fühlen; wir flehen aber zum HERRN, dass er mit seinen wuchtigen Streichen nicht immerzu fortfahre, damit nicht unser ganzes Leben in Elend zerrinne. Warum willst du alle Menschen umsonst geschaffen haben?9 Lässt der HERR nicht seine Gnade über seinem Werk leuchten, dann leben wir umsonst. Das ist für uns kein Leben mehr, wenn seine Sache nicht gedeiht. Wir leben, wenn der König lebt, sonst nicht. Ist unser Glaube eitel, dann ist alles eitel. Fällt das Himmelreich zusammen, dann stürzt alles ein. Hört die Treue Gottes auf, kann sein Gnadenbund aufgelöst werden, dann ist die ganze Schöpfung eine Missgeburt, die Vorsehung ein Irrlicht, unser Dasein eine Hölle. Kann das Evangelium als eine Lüge erwiesen werden, dann bleibt für uns und alle Menschenkinder nichts übrig, was das Leben als des Lebens wert erscheinen ließe.

49. Wo ist jemand, der da leben bliebe (Grundtext) und den Tod nicht sähe? Alle Menschen müssen sterben. Niemand von unserm Geschlecht kann die hier gestellte Frage anders als verneinend beantworten; es gibt keinen, der für sich das Vorrecht beanspruchen dürfte, den Pfeilen des Todes zu entgehen. Der seine Seele errette aus der Hölle (der Unterwelt) Hand? Weder durch Kraft noch durch Weisheit noch durch Tugend kann irgendeiner dem allgemeinen Schicksal entrinnen; zu Staub müssen alle werden. Weil wir denn alle sterben müssen, so mache doch, o HERR, dies Leben nicht zu lauter Jammer, indem du uns so lange züchtigst! Dein Sohn, unser Bundeshaupt, starb, und wir werden auch sterben; lass uns denn in dieser kurzen Spanne Zeit nicht so von dir dahingegeben werden, dass es uns ganz unmöglich wird, von deiner Treue Zeugnis abzulegen! Nimm uns das Gefühl, als hätten wir umsonst gelebt! So werden die Kürze des Lebens und die Gewissheit des Sterbens von dem Beter als Gründe zur Rettung vor dem HERRN verwendet.
  Sela. Hier halten wir wieder inne und rüsten uns zu neuem Flehen.

50. HERR, wo ist deine vorige Gnade (Grundtext Mehrzahl: Gnadenverheißungen), die du David geschworen hast in deiner Treue? Nun wird das Ringen des Psalmisten gewaltig. Wir dürfen den HERRN an seine ersten Liebeswerke mahnen, an seine vormalige Liebe zu seiner Gemeinde, seine früheren Gnadenerweisungen gegen uns. Wir dürfen ferner ihm seinen Eid vorhalten und ihn bitten, daran zu gedenken, dass er geschworen hat, seine Erwählten zu segnen. Wir dürfen hart mit ihm ringen, indem wir ihm ernstlich seine eigenen Charaktereigenschaften vor Augen stellen und auf seiner unverletzlichen Wahrhaftigkeit Fuß fassen. Wenn die Dinge so düster aussehen, dürfen wir ihn mit starken Gründen anlaufen und die Angelegenheit mit unserm leutseligen Gott ernstlich durchsprechen. Hat er doch selbst gesagt: "Kommt und lasst uns miteinander rechten!" (Jes. 1,18.)

51. Gedenke, HERR, an die Schmach deiner Knechte! Wegen ihrer großen Trübsale waren sie der Spott gottloser Menschen geworden, und daraufhin wird der HERR um Mitleid gebeten. Wird ein Vater ruhig zusehen, wie seine Kinder verhöhnt werden? Ethan fleht den HERRN an, sich doch über den Jammer seiner Knechte zu erbarmen, der durch die Sticheleien und Hohnreden ihrer Widersacher, die sich wegen ihrer Leiden über sie lustig machen, über sie gebracht ist. Die ich trage in meinem Schoß von so vielen Völkern allen.10 Der Psalmist nahm sich die Schmähungen, die Gottes König und Gottes Knechte trafen, persönlich zu Herzen. Es war ihm, als säßen all die Pfeile, welche das Volk des HERRN verwundeten, ihm selber in den Eingeweiden; darum schüttet er sein Herz in heiligem Mitgefühl vor dem HERRN aus. Wir sollen ja weinen mit den Weinenden; die Schmach, die den Heiligen und der Sache des HERRN angetan wird, sollte uns schwer bedrücken. Können wir es ruhig anhören, wie Christus verlästert wird, können wir zusehen, wie seine Knechte geschmäht werden, ohne tief davon ergriffen zu werden, so ist nicht der Geist eines rechten Israeliten in uns. Unser Leid über die Leiden seines Volkes sollen wir dem HERRN im Gebet klagen; das wird ihm wohlgefallen.
  Es gibt noch eine andre Auffassung der Textesworte, die wir nicht übergehen dürfen. Es liegt nahe, zu übersetzen: (Gedenke,) dass ich in meinem Busen trage alle die vielen Völker,11 und manche ältere Ausleger haben das als Flehen der Gemeinde gedeutet, der HERR möge ihrer gnädig gedenken, weil sie, wie es ja der 87. Psalm weissagt, die Mutter vieler Völker werden solle. Sie steht nahe daran, Völker zur Geburt zu bringen; aber wie sollen die Kinder geboren werden, wenn sie selber inzwischen stirbt? Die Gemeinde Gottes ist die Hoffnung der Welt. Hauchte sie ihr Leben aus, so könnten die Völker nie zum Leben der Wiedergeburt kommen, sondern müssten im Tode bleiben.

52. Mit der, HERR, deine Feinde schmähen. Noch ein triftiger Grund. Die Spötter sind des HERRN Feinde so gut wie die unsrigen, und ihr Hohn trifft ihn so sehr wie uns. Deshalb rufen wir den HERRN an, dass er darein sehe. Wird Jehovas hochheiliger Name in den Streit hineingezogen, dann wird der HERR sich gewiss zum Kampf erheben. Mit der sie schmähen die Fußtapfen deines Gesalbten. Sie folgen seiner Spur, aber nicht als treue Nachfolger, sondern um bei jedem seiner Tritte eine Ursache zur Lästerung zu finden. Sie lauern nicht nur auf seine Worte und Werke, sondern schmähen sogar seine harmlosesten Schritte. Weder Christus noch seine Gemeinde können es der Welt recht machen; wohin sie auch ihre Schritte wenden mögen, Verächter und Spötter werden stets etwas zu schelten und zu höhnen haben. Uns fällt bei diesem Vers das so häufig gehörte Schmähwort ein: "Wo ist die Verheißung seiner Zukunft?" Ach, wie sehnen wir uns nach dem Geräusch jener Fußtritte, die sich noch immer nicht wollen hören lassen; aber die Welt spottet über das lange Verziehen des Messias! Ach HERR, wie lange soll dieser abgenutzte Spott immer wieder vorgebracht werden? Wie lange, HERR, wie lange?

53. Gelobet sei der HERR ewiglich!
Amen, Amen.


53. Dieser Vers ist die Lobpreisung, welche das dritte Psalmbuch schließt. Doch sind wir es gewohnt, ihn mit dem Psalm zusammen zu lesen, und das nicht zu unserm Schaden. Wir schließen gern den Psalm so, wie er angefangen hat. Lasst uns Gott loben, bevor wir beten und während wir beten und wenn wir zu beten aufhören; er hat es stets von uns verdient! Können wir ihn nicht immer verstehen, so wollen wir ihm doch niemals misstrauen! Gehen seine Wege über unser Urteilsvermögen, so lasst uns auch nicht so töricht sein, sie beurteilen zu wollen! Das täten wir aber, wenn wir seine Führungen als unfreundlich oder untreu ansähen. Er ist, er muss und soll sein unser ewig hochgelobter Gott. Amen, Amen. So sprechen unser aller Herzen. Ja, so sei es, HERR, wir wünschen es immer und immer wieder: Sei hochgelobt ewiglich!

 

 


Erläuterungen und Kernworte

V. 2. Dieser eine kurze Vers schließt in sich Summa, Kern und Grund des ganzen langen Psalms. Man achte auf des Sängers Lied und des Sängers Lust! Das Lied besingt die Gnade und Wahrheit, welche der HERR dem Hause Davids und damit dem ganzen Volke bewiesen hat. Des Sängers Lust ist es, die Gnadenerweisungen und -Verheißungen allezeit zu preisen. Und das will er tun mit seinem Munde (V. 2) und mit seinem Gemüt, wie es der folgende Vers andeutet: Und sage also, d. h. ich behaupte es; ich glaube es mit meinem Herzen, darum bezeuge ich es mit meinem Munde. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. John Boys † 1625.
  Ich will singen. Nicht nur reden, sondern singen will er von der Gnade des HERRN. Das Erheben der göttlichen Güte weckt die Freude des frommen Gemütes, und diese kann sich nicht besser äußern als im Liede. Die überströmende Fröhlichkeit eines beglückten Herzens ergießt sich durch den Gesang in Ohr und Herz andrer; sie hat auf diese Weise eine wunderbare Macht, das Gemüt zu bewegen. Der Heilige Geist hatte daher eine besondere Absicht dabei, dass er je und je fromme Gemüter drängte, das wunderbare Gnadenwirken Gottes in eigens dazu gedichteten Liedern den Seelen vorzuführen und diese Lieder der Nachwelt zu überliefern und zum öffentlichen Gebrauch nutzbar zu machen. Wolfgang Musculus † 1563.
  Der Sänger musste von dem damaligen Zustand des Hauses Davids ein sehr trauriges Bild entwerfen; dennoch begann er seinen Psalm mit Lobpreis. Wir sollten in der Tat lernen, allezeit und in allen Lagen zu danken. Wir meinen, wenn wir in Not sind, durch Klagen Erleichterung zu finden; aber durch Loben kommen wir viel eher und besser zu wahrer Herzensruhe, ja zu Freude im Leid. Verwandeln wir denn unsre Klagen in Dankeslieder! Wir werden bei der Betrachtung dieses Psalms solches finden, das uns auch in den schlimmsten Zeiten, sei es persönlicher, kirchlicher oder nationaler Not, Stoff die Fülle zum Loben und Danken an die Hand gibt. Matthew Henry † 1714.
  Gregor von Nazianz († 390) wirft hier die Frage auf, wie ein beständiges Lobsingen von der Gnade Gottes mit der durch nichts zu trübenden Seligkeit des Himmels vereinbar sei, da doch das Gedenken an die Gnade die Erinnerung an die Sünde und das Elend, die uns der Gnade bedürftig machten, in sich schließe und Jesaja sage, es solle der vorigen Ängste vergessen sein und überhaupt der vorigen Schöpfung mit ihrem Leid nicht mehr gedacht werden. (Jes. 65,16 f.) Gregor antwortet, es werde dies Gedenken gleich sein dem, wie man in gesunden Tagen auf die überstandene Krankheit zurückblicke; solche Erinnerung werde ohne Schmerz sein, werde das Glück der Erlösten nicht im mindesten stören, sondern nur dazu dienen, ihre Wonne durch den Gegensatz zu der Vergangenheit zu steigern und ihre Liebe und Dankbarkeit gegen Gott zu mehren. Neale und Littledale 1860.
  Mit meinem Munde. Ich habe eine Zunge, die schon halb vom Krebs zerfressen war, beständig Gott loben hören. Lieber Leser, wie brauchst du deine Zunge? Philipp Bennet Power 1862.


V. 3. Ewig wird die Gnade gebaut werden. (Wörtl.) Welche Gnade ist das, als eben die des herrlichen und gnadenreichen Heilsplans, des wunderbaren Rettungsbaues, der gegründet ist auf den ewigen Gnadenrat Gottes, zur Ausführung gebracht durch die Seelenarbeit und das Todesleiden Jesu Christi und dann in den Herzen aufgerichtet durch die erleuchtende und bekehrende Macht des Heiligen Geistes? Diese Gnade ist vor Grundlegung der Welt geplant und wird keinen Untergang oder Verfall kennen, selbst in der unmessbaren Ewigkeit. Wer ist denn der Erbauer dieses Gebäudes? Nicht des Menschen freier Wille, nicht des Menschen Gerechtigkeit oder Weisheit, nicht des Menschen Macht oder Kunstfertigkeit. Gott allein ist es, der den Tempel seiner Gemeinde erbaut, und ihm allein gebührt die ganze Ehre. Dieser Bau wird im Gegensatz zu allen andern Gebäuden unter dem Mond nimmer verfallen und niemals abgebrochen werden. Wie nichts zu ihm hinzugefügt werden kann, so auch nichts abgenommen. Feuer kann ihn nicht schädigen, Stürme können ihn nicht stürzen, Alter ihn nicht schwächen. Er ist so unerschütterlich wie der Fels, auf dem er steht. Aug. Montague Toplady † 1778.
  Aufgebaut. Frühere Gnaden bilden die Unterlage zu späteren. Die Gnadenerweisungen, welche wir heute genießen, sind gegründet auf diejenigen früherer Zeiten. Diese Barmherzigkeiten der Vergangenheit sollten wir freudig und dankbar rühmen. John Howe † 1705.
  An den Himmeln, den über das Entstehen und Vergehen hienieden erhabenen, befestigt Gott seine Treue, so dass sie fest wie die Sonne über der Erde steht, obgleich ihr der Stand der Dinge hienieden zuweilen zu widersprechen scheint. (Vergl. Ps. 119,89.) Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 4. Ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwähleten. Lasst uns mit andächtigem Staunen darüber nachsinnen, dass es Gott gefallen hat, mit dem Menschen einen Bund zu schließen, der Unsterbliche mit dem Sterblichen, der Allmächtige mit dem Schwächsten, der Allergerechteste mit dem Allerungerechtesten, der Reichste mit dem Ärmsten, der Allerseligste mit dem Elendesten! Der Dichter des achten Psalms wunderte sich, dass Gott des Menschen gedenke und sich der Menschenkinder annehme. Wieviel erstaunlicher aber ist es, wenn Gott sich mit dem Menschen verbindet, und zwar in der feierlichen Weise eines Bundes! Hätte der Mensch es aus sich selbst behauptet, dass Gott durch einen Bund mit ihm vereinigt und ihm verpflichtet sei, wer hätte ihn nicht der Frechheit bezichtigt? Es ist aber Gott selbst, der es in den hier angeführten Worten beteuert, dass er mit dem Menschen einen Bund gemacht habe. Welcher Gläubige staunt hier nicht über die Leutseligkeit Gottes? Wolfgang Musculus † 1563.


V. 6. Wörtlich: dein Wunder; nicht: deine wunderbaren Werke, sondern: deine Wunderbarkeit, dein wunderbares, geheimnisvolles, von allen Geschöpfen unterschiedenes Wesen. J. J. St. Perowne 1864.
  Dein Wunder: dein wunderbares Heil, in welches alle Propheten, ja selbst die Engel gelüstet hineinzuschauen. Es sind bald sechstausend Jahre her, seit die Engel im Himmel gleichsam in ein Meer des Staunens stürzten über diesem großen Heil, und ebenso lange, seit Abel ob solcher wunderbaren Seligkeit anbetete. Und was meint ihr, dass er heute tut? Er staunt noch immer darüber. Andrew Gray 1716.
  Die mit dem Himmel parallel stehende Gemeinde der Heiligen sind nicht die Israeliten, sondern die Engel. Vergl. V. 8; Hiob 5,1; 15,15; Sach. 14,5. Die Treue Gottes konnten die Engel preisen, weil sie die Erfüllung der Verheißung voraussahen. Prof. Friedrich Baethgen 1892.


V. 7. Denn wer mag in den Wolken (in den Himmelshöhen) dem HERRN gleich gelten? Sonne, Mond und Sterne wurden nicht nur von den Persern, sondern auch von manchen götzendienerischen Juden wegen ihres Glanzes und ihrer Schönheit angebetet. Aber welches dieser Himmelslichter ist mit dem Vater des Lichts und der Sonne der Gerechtigkeit zu vergleichen? Jene mögen in der Nacht des Heidentums wie Glühwürmchen im Dunkeln leuchten; aber wenn die Himmelssonne aufgeht und der Tag anbricht, verlöschen und verschwinden sie alle. - Andre beziehen den Vergleich auf die Engel. Auch unter den Cherubim und Seraphim, den Erzengeln und allen Engelfürsten mag keiner dem Vater der Geister gleich gelten. George Swinnock † 1673.


V. 8. Gott ist sehr schrecklich oder sehr zu fürchten in der Versammlung der Heiligen. Der Dienst Gottes ist mit großer Furcht und Ehrerbietung auszurichten, ganz im Gegensatz zu der äußerlichen, geist- und andachtslosen, nachlässigen oder tändelnden Art, die wir so oft bei denen antreffen, die des Gottesdienstes pflegen. Joh. Flavel † 1691.
  Der Heiligen. Diejenigen Gläubigen, die in inniger Gemeinschaft mit Gott wandeln, haben etwas Ergreifendes und Ehrfurcht Gebietendes in ihrem Wesen. Ihr Übertreter, ihr Rückfälligen, ihr geheimen Sünder, ich wende mich in euer Gewissen; jagt euch nicht die Nähe eines geheiligten Gotteskindes einen Schrecken ein? Als einst die Schergen zu Basilius dem Großen († 379) hinzutraten, um ihn zu greifen, strahlte eine solche Majestät, ein solcher Glanz aus seinem Angesicht, dass die Häscher rückwärts zu Boden fielen und nicht imstande waren, die Hand an ihn zu legen. Jeremiah Burroughs † 1646.


V. 9. Und deine Treue ist rings um dich her. Gerade wie die Tyrannen dieser Welt von Gottlosigkeit, Geldgier, Gottesverachtung und Hochmut als einer Leibgarde umgeben sind, so sitzt Gott auf seinem erhabenen Thron, umgeben von Hoheit, Treue, Gnade, Liebe zu all den Seinen wie von einem güldenen Gewand. Giambattista Folengo † 1559.
  Was Gott immer tun mag, stets ist er seiner Treue und darum auch seines Bundes eingedenk. Seine Wahrhaftigkeit umgibt ihn auf allen Seiten, so dass er, wohin er auch schaut, sie immer vor Augen hat. Und wiewohl er seine Engel stets um sich hat und sie je und je als seine Boten zur Erde nieder sendet, so hat er doch noch bessere Boten als diese; das sind seine Gnade, Wahrheit und Treue, die stets dienstbereit um ihn her sind. Thomas Goodwin † 1679.


V.10. Du herrschest über das ungestüme Meer. Wiewohl das Meer ein Riese ist, vor welchem selbst ein Herz von Erz zergeht, so ist dasselbe vor Gott doch nur gleichsam ein Kindlein. Er wickelt’s ein und legt es schlafen. Was mag dann Gott noch zu groß und zu stark sein? Joseph Caryl † 1673.
  Ein Beispiel davon finden wir in dem Stillen des Meeres durch den Herrn Jesus. "Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und ward eine große Stille." (Mk. 4,39) Was Jesus bei dieser einen Gelegenheit tat, das tut Gott fort und fort im Walten seiner Vorsehung. Der Ozean wird nicht willkürlich durch die Winde bewegt und wird nicht still nach toten Naturgesetzen. Gott beherrscht das Meer unmittelbar. Er hebt die Wellen empor, er legt sie still darnieder. Gleiches tut Gott auch im Reich der Gnade. Er lässt es zu, dass sich die Wut der Feinde gegen seine Sache erhebt; aber er stillt ihr Toben auch, wenn es ihm beliebt. Alexander Carson † 1844.


V. 11. Du hast zermalmt - zerstreut. Gott hat mehr als eine Weise, wie er mit den Feinden seiner Gemeinde handelt. Matthew Henry † 1714.


V. 12. Dein ist der Himmel, dein auch die Erde (wörtl.): darum preisen wir dich, darum vertrauen wir dir, darum wollen wir uns nicht fürchten vor dem, was Menschen uns tun könnten. Matthew Henry † 1714.


V. 15. Gerechtigkeit und Gericht ist deines Stuhls Festung. Der Heilige Geist spielt hier auf die Throne irdischer Fürsten an, die mit Säulen gestützt waren, wie der Thron Salomos mit Löwen, sowohl zur Stütze als zur Zierde. (1. Könige 10,19 f.) So sind Gerechtigkeit und Recht die Pfeiler, auf welchen Gottes Thron ruht. Sie sind, wie Calvin es auslegt, Königsmantel und Krone, Purpur und Zepter, kurz, die Abzeichen der königlichen Würde, mit welchen Gottes Königsthron geziert ist. George Swinnock † 1673.
  Das Fundament der Herrschaft Jehovas, das, worauf sie ruht, sind Gerechtigkeit und Gericht. Unter der Gerechtigkeit ist jedenfalls die wohlbekannte Eigenschaft Gottes zu verstehen, unter dem Gericht die unparteiische Ausübung dieser Eigenschaft. Würde der Höchste in seiner Weltregierung nicht Unparteilichkeit walten lassen, so würde er, wenn es erlaubt ist, den Ausdruck zu gebrauchen, dem Thron entsagen; seine Herrschaft würde zusammenstürzen. Abraham Booth † 1806.
  Gerechtigkeit, kraft welcher er seine Untertanen schützt und jedem sein Recht widerfahren lässt; Gericht, welches die Aufrührer bändigt und dem Unrecht wehrt. Gnade, die Mitleid übt, Verzeihung gewährt und die Schwachen trägt; Wahrheit oder Treue, die alles zustande bringt, was er verheißen hat. William Nicholson † 1671.
  Der griechische Dichter Pindar (geb. 521 v. Chr.) nennt die Wahrheit eine Tochter Gottes. Epaminondas, der berühmte Feldherr der Thebaner († 362 v. Chr.), war so wahrheitsliebend, dass man von ihm sagte, er habe sich nicht einmal im Scherz eine Unwahrheit erlaubt. Das ist an den königlichen Höfen eine seltene Tugend. Thomas Le Blanc † 1669.
  Gnade übt Gott im Verheißen, Treue im Vollbringen; Treue im Halten des Worts, Gnade in der Überschwenglichkeit der Erfüllung. Matthew Henry † 1714.
  Wenn der HERR hervorgeht, kündigt Gnade ihn an, und Treue meldet sein Erscheinen. Gnade und Treue begleiten sein Wirken, wo immer sein Wille zur Ausführung kommt; denn Liebe ist sein Wesen. Dabei bleiben aber Gerechtigkeit und Gericht seiner Herrschaft Grundfeste. J. N. Darby 1860.


V. 16. Wohl dem Volke. Das Volk, welches einem solchen Gott zugehört, wandelt im Licht und frohlockt - und dadurch wird der Ruhm des HERRN noch besonders vollständig. Das Jubel kennt, d. i. welches Gottes Herrlichkeit mit Verständnis und Dankbarkeit so an sich und in der Schöpfung wahrnimmt, dass es darüber in Jubel ausbricht, sei es mit dem Munde, 4. Mose 23,21.23, sei es mit Trompeten und Posaunen, Ps. 27,6; 4. Mose 10,1-10, an den Festen und sonst, Jos. 6,5.20; 1. Samuel 4,5 f.; 2. Samuel 6,15. - Kommentar von Prof. Fr. W. Schultz 1888.
  Erinnert an die Posaunen, welche bei den großen Festen und sonderlich am ersten Tag des siebenten Monats (3. Mose 23,24) als Freudenklang ertönten, dann auch bei außerordentlichen Gelegenheiten, so namentlich an dem zehnten Tage des siebenten Monats des je fünfzigsten Jahrs nach dem jährlichen Versöhnungsopfer, als an dem Jubeltag, an welchem den Leibeigenen die Freiheit und denen, die ihr Erbteil eingebüßt hatten, die Wiedereinsetzung in ihren Besitz verkündigt wurde. (3. Mose 25,8-10) Wie dieses Halljahr mit seiner Freude erst nach dem Versöhnungstag eintrat, so können auch die Freude und die Freiheit des Evangeliums erst dann uns zuteil werden, nachdem wir Christus als unsre Versöhnung kennen gelernt haben. - An den Freudentagen sollten sie die Drommeten blasen bei ihren Brand- und Dankopfern, dass ihrer gedacht werde vor dem HERRN, ihrem Gott (4. Mose 10,10). David samt dem ganzen Israel führten die Lade des HERRN hinauf nach der Stadt Davids mit Jauchzen und Posaunen (2. Samuel 6,15). Nach 4. Mose 23,21 pries Bileam an Israel: Jehova, sein Gott, ist mit ihm, und Königsjubel erschallt bei ihm. Vergl. Ps. 98,6; 27,6. A. R. Fausset 1866.
  Sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln. Neben der Liebe des Herzens Gottes schätzt der Gläubige am meisten das freundliche Leuchten seines Angesichts. Dieses bringt, gleich dem Leuchten der Sonne, die Knospen der bewussten Freude, die Blätter des frischen Bekenntnisses, die mannigfachen Blüten der heiligen Stimmungen und die köstlichen Früchte der Gerechtigkeit hervor. Die Leute täuschen sich sehr, die da meinen, die Segnungen des Evangeliums machten träg oder nachlässig im Erfüllen der Pflichten. Unser Bibelwort sagt: Die Gläubigen werden wandeln im Licht des göttlichen Angesichts. Wandeln heißt aber vorwärts schreiten. Die Gnade macht unsre Knöchel fest, dass wir wandeln können, und sie wird uns im Fortschreiten und Fortwirken erhalten bis ans Ende. Aug. Montague Toplady † 1778.


V. 18. Durch deine Gnade ist unser Horn hoch erhoben. Von einem Mann, der sich stolz gebärdet, sagt man im Morgenland, er trage sein Horn hoch. Zu jemand, der sich von oben herab in die Angelegenheiten andrer einmischt, sagt man: "Warum zeigst du hier dein Horn?" Andre solche Redensarten sind: "Schaut den an, was für ein feines Horn er hat! Der wird den Leuten Beine machen!" "Wahrhaftig, mein Herr, Sie haben ein großes Horn!" "Chinnan hat sein Geld verloren und sein Horn dazu." "Wehe mir, ich bin wie ein Hirsch, dem das Geweih abgefallen ist." Joseph Roberts 1844.


V. 20. rWxbIf, welches meistens Auserwählter übersetzt wird, fasse ich hier in der Bedeutung Jüngling: noch ein Jüngling wurde David aus seiner Niedrigkeit (78,71) hoch über das Volk emporgerückt. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 26. Seine linke Hand soll über das Mittelländische Meer und seine rechte über die großen Ströme im Osten, den Euphrat usw., herrschen. Ein ähnlicher Ausdruck wurde einst von den szythischen Gesandten Alexander dem Großen gegenüber gebraucht, als sie sagten: "Hätten die Götter dir einen Körper gegeben so groß wie dein Geist, so würde die ganze Welt dich nicht fassen können. Du würdest mit der einen Hand bis zum Osten, mit der andern zum Westen reichen." John Kitto † 1854.


V. 27. Wann hat David je zu Gott gesagt: Du bist mein Vater? Es ist auffallend, dass wir im Alten Testament nirgends die Erzväter oder die Propheten Gott als ihren Vater anrufen hören. Sie kennen ihn als solchen nicht. Erst in Christus ist dies Wort nach seinem vollen Inhalt erfüllt. Capel Molyneux † 1855.
  Christus fing seine Arbeit auf Erden damit an, dass er von seinem Vater zeugte; denn in Lk. 2,49 sagt er: "Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?" Und seine letzten Worte waren: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände." So sprach er auch während seines ganzen Lebens Gott als Vater an. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.


V. 28. Jesus Christus ist der erstgeborne Sohn Gottes, erstens weil er nach der Ordnung der Vorherbestimmung der erste ist; denn in ihm als dem Haupte sind wir erwählt, vergl. Eph. 1 Sodann, weil er der Erstgeborne aus den Toten ist (Kol. 1,18; Off. 1,5). Und drittens, weil er die Rechte des Erstgebornen hat; denn er ward gesetzt zum Erben über alles (Hebr. 1,2). Und mehr als das: er ist auch von Gott gemacht zum Höchsten unter den Königen der Erde, zum König aller Könige. Kardinal Robert Bellarmin † 1621.
  Das Erstgeburtsrecht schloss nach der uralten Ordnung dreierlei in sich: erstens ein zwiefaches Teil von dem irdischen Besitz des Vaters (5. Mose 21,17), zweitens Autorität über die jüngeren Glieder der Familie (2. Chr. 21,3), und drittens die Ausübung des Priesterdienstes (4. Mose 8,13-18). Die Verheißung unsrer Psalmstelle reicht aber noch weiter und stellt etwas Außerordentliches in Aussicht. David war der jüngste Sohn Isais, der letzte, von dem man eine Erhöhung über alle andern hätte erwarten können. Dennoch ward an ihm, dem Erwählten Gottes, die Verheißung buchstäblich und wunderbar erfüllt. So verhält es sich auch mit Jesus. Was er von seiner Mutter und Joseph zu erwarten hatte, war nur ihre Armut; es war keinerlei Aussicht da, dass er die königlichen und priesterlichen Würden erlangen würde, die ihm zugesagt waren. Aber was Jehova verheißen ist herrlich in Erfüllung gegangen. Jesus ist der Erste und Höchste, hoch erhöht über alles, das genannt mag werden. David Pitcairn 1846.
  Nach hebräischem Sprachgebrauch waren die Könige Söhne Gottes (vergl. Ps. 82,6); aber David ist unter ihnen der vornehmste, Gottes Erstgeborner. Ähnlich nannte man bei den Griechen die Könige Pfleglinge Jupiters. Alexander Geddes † 1802.


V. 31-35. Ist der himmlische Vater genötigt, seinen Zorn zu zeigen, so gebraucht er doch die Vaterrute, nicht das Henkerbeil. Er wird seinen Kindern weder die Knochen brechen noch den Bund. Er züchtigt in Liebe, mit Maßen, voll Mitleid und Erbarmen. Thomas Lye † 1684.
  Dass die Kinder Gottes dies doch bedächten, damit sie sich, wenn sie gefallen sind, wieder zu ihm kehrten und es ihm dann überließen, was er mit ihnen machen wolle! Ob er sie auch haue, schneide oder brenne, solange er sie nur nicht abschneidet! Sie sollen bedenken, wie sein Zweck nur ist, dass sie seine Heiligung erlangen. Ja ob es sogar schiene, als wollte Gott sie abschneiden, so ist es doch nur so gemeint wie bei dem blutschänderischen Korinther: zum Verderben des Fleisches, auf dass der Geist selig werde (1. Kor. 5,5). Thomas Goodwin † 1679.
  Wie erstaunt würden manche sein, wenn sie wüssten, wie es tatsächlich um solche steht, die sie vielleicht bewundern und für im göttlichen Leben besonders fortgeschritten ansehen; wenn sie wüssten, wie oft sie in Gedanken, Worten und Taten sich versündigen und welch tiefe Schmerzen sie ob solchen Übertretungen leiden. Capel Molyneux 1855.
  Enthielte der Gnadenbund nicht diesen Paragrafen, betreffend die väterliche Zucht zur Erweckung der Buße, mit der Zusicherung, dass der Reumütige, wenn er im Glauben Gott nahe, Vergebung und Barmherzigkeit finden werde, so fiel dieser Bund geradeso hin wie der Werkbund. David Dickson † 1662.


V. 34. Die in diesem Vers gegebene Milderung ist nicht dahin misszuverstehen, als bezöge sie sich auf die Individuen, gegen die Natur der Sache und gegen die Geschichte, nach der über die abtrünnigen Mitglieder des davidischen Geschlechtes vernichtende Gerichte ergingen, sondern der Gegensatz ist der der Heimsuchung der Sünde an dem Individuum und der dem Geschlechte stets bleibenden Gnade. Man darf ja nicht übersehen, dass es nicht heißt: "Aber meine Huld werde ich ihnen, den Sündern, nicht entziehen," sondern: "ihm", dem Geschlechte als solchem. Jetzt, da das Reich von dem sündigen Samen Davids auf den heiligen (Christus) übergegangen ist, hat die direkte Anwendbarkeit des Abschnittes aufgehört. Der in der Verheißung vorgesehene Fall kann jetzt nicht mehr eintreten. Doch findet ein analoges Verhältnis, wie zwischen David und seinem Samen, zwischen Christus und seiner Gemeinde statt. Wie Davids Geschlecht in ihm erwählt war (vergl. 1. Könige 11,36; 2. Könige 8,19; Jes. 37,35; 2. Chr. 6,42), so dass es ungeachtet des Abfalls und der Verwerfung seiner einzelnen Glieder immer im Besitze der Gnade Gottes blieb, so ist die Kirche in Christus erwählt, und die Sünden ihrer Glieder können wohl ihnen, nicht aber ihr schaden. Trotz des Abfalls ganzer Generationen blüht sie stets herrlich wieder auf, und hinter dem unerbittlichen Gericht, das durch die Erscheinung Christi nicht aufgehoben, sondern geschärft ist, ist stets die erbarmende Gnade verborgen. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.


V. 35. Vorher hatte er von dem Fall gesprochen, dass die Kinder seinen Bund entheiligten, und darauf anspielend erklärt er nun, dass er ihnen nicht vergelten werde wie sie ihm vergalten: Ich will meinen Bund nicht entheiligen. Johannes Calvin † 1564.


V. 37. Sein Same soll ewig sein. Er soll beständig bleiben, erstens in der Folgereihe des Geschlechts bis an das Ende der Welt. Das Geschlecht soll nie ausgerottet werden. "Die Kirche ist in Gefahr!" Ei, welche Kirche? Christus sagt von seiner Gemeinde, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen sollen. Zweitens soll der Same beständig bleiben, indem ihr christlicher Charakter bewahrt wird aus Gottes Macht durch den Glauben. "Sein Same bleibet in ihm" (1. Joh. 3,9). Drittens soll der Same ewig bleiben in dem verklärten Zustand der Gläubigen. Wer den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit. Alle irdische Herrlichkeit ist nur für dieses Leben; oft währt sie nicht einmal so lange. Des Christen Herrlichkeit aber fängt an - nicht mit dem Tode, sondern mit dem ersten wahren Gebet: aber dann, mit dem Tode, wächst sie und wird vollendet. William Jay † 1853.


V. 39. Aber nun verstößest Du usw. Die Klagen der Heiligen gehen manchmal so über das Maß hinaus, dass sich in ihnen mehr die seelischen Gefühle kundtun als der Glaube. Aber Gottes Güte ist so groß, dass er sich durch diese Klagen nicht beleidigen lässt, solange der Glaube nicht völlig erlischt. H. Moller 1639.


V. 41. Mauern, Festen. Zugrunde liegt das Bild eines Weinbergs, in welchem der Weinstock den König darstellt. Die Weinberge waren gewöhnlich von einer steinernen Mauer eingehegt, und drinnen war ein Häuschen oder ein kleiner Turm, in dem der Weinbergshüter wohnte, welcher Eindringlinge abzuwehren hatte. War die Mauer eingerissen oder umgefallen, so konnte jeder Vorübergehende von der Frucht pflücken, und stand der Turm nicht mehr, so war der Weinberg den Nachbarn offen, dass diese darin machen konnten, was sie wollten. Ist die Gemeinde nicht mehr von der Welt getrennt, und hat der göttliche Hüter keine Wohnstätte mehr in ihr, so ist es fürwahr schlecht um sie bestellt! C. H. Spurgeon 1874.


V. 44. Auch hast du die Kraft seines Schwertes weggenommen. Als die Gallier von den Römern überfallen wurden, kannten sie kein Mittel, das Eisen zu härten. Bei jedem Hieb bogen sich ihre Schwerter, so dass sie sie, ehe sie einen neuen Streich führen konnten, unter dem Fuß oder über dem Knie wieder geradebiegen mussten. Bevor ihnen das gelang, hatte aber meist der besser gerüstete Feind ihnen schon das Leben genommen. Adam Clarke † 1832.


V. 46. Du verkürzest die Zeit seiner Jugend. Viele der jüdischen Könige erreichten nicht die halbe Lebenszeit. Die vier letzten regierten nur kurze Zeit und starben entweder durch das Schwert oder in der Gefangenschaft. Joahas regierte nur drei Monate und wurde als Gefangener nach Ägypten abgeführt, wo er starb. Jojakim regierte nur elf Jahre und wurde den Chaldäern zinspflichtig. Nach der Weissagung des Jeremia sollte er wie ein verendetes Tier vor die Tore Jerusalems hinausgeworfen werden (Jer. 22,18 f.; 36,30). Jojachin regierte drei Monate und zehn Tage; er wurde dann gefangen nach Babel gebracht. Siebenunddreißig Jahre war er daselbst im Gefängnis; dann wurde er zwar von dem König Evil-Merodach zu fürstlichen Ehren erhöht, starb aber doch im fremden Lande (Jer. 22,24 ff.; 52,31 ff.). Zedekia, der letzte von allen, hatte erst elf Jahre regiert, als er, nachdem seine Söhne alle vor seinen Augen hingerichtet worden waren, geblendet und in Ketten nach Babel geführt wurde, wo er bis an sein Lebensende im Kerker blieb (Jer. 52,10 f.). So wurden diesen Königen die Tage ihrer Jugend, ihrer Macht, ihrer Würde, ihres Lebens verkürzt und sie selbst mit Hohn bedeckt. Adam Clarke † 1832.
  Bedeckest ihn mit Hohn, oder: Du hast ihn um und um in Schande eingehüllt, hast ihn in das Grabtuch der Schmach eingewickelt. John Trapp † 1669.


V. 47-49. Das klingt ja, als hoffte der Psalmist auf nichts jenseits des Grabes, als wäre mit der Niederlage des Reichs alle Freude dahin, als wüsste er nichts von einem zukünftigen Reich, das die Hoffnungen des Glaubens erfüllen würde. Wir täten Ethan aber Unrecht, wollten wir ihn so genau beim Wort nehmen. Sind seine Worte doch die Sprache der Erregung, nicht der ruhigen Überlegung. "Die Art, wie der Psalmdichter sich hier auslässt," sagt der berühmte Prediger John Howe († 1705), "ist etwas leidenschaftlich." Das kommt daher, dass sich ihm die trostlose Lage des Reichs und des Königshauses plötzlich in ihrer ganzen Stärke aufs Gemüt legte. Er sah nur auf die gegenwärtige Not. Es war ihm in dem Augenblick nicht möglich, weiter hinaus zu blicken auf einen besseren zukünftigen Stand der Dinge. Ist unser Auge durch einen heftigen Schmerz getrübt, dann sieht es nicht weit und umfasst nicht so viel, wie es sonst tun würde und bald hernach tun wird, wenn die Tränen aus dem Auge gewischt sind und wieder Klarheit des Blicks eintritt. Es wäre darum unverantwortlich, aus Ethans leidenschaftlichem Herzenserguss schließen zu wollen, dass den Gläubigen, die zu der Zeit der Könige lebten, die Hoffnung des ewigen Lebens fremd gewesen sei. Ich bin geneigt, sogar weiterzugehen und gerade auf diese Klagetöne hinzuweisen als auf ein Anzeichen, dass in ihrem Herzen eine ununterdrückbare Ahnung der Unsterblichkeit war. Das Vöglein, das in seinem Käfig aufgeregt hin und her flattert und sich an den Stangen die Flügel verwundet, zeigt eben damit, dass seine Heimat die freie Luft ist. Ist in dem Herzen eines Menschen die Hoffnung eines zukünftigen Lebens durch die tötende Sinnlichkeit erstickt, dann äußert sich die trostlose Leere des Herzens nicht in ernsten Klagen wie bei Ethan, sondern in erzwungenen Zotenliedern nach der Melodie: "Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!" William Binnie 1870.


V. 47. Wie Feuer: ein Element, das kein Erbarmen kennt. W. Nicholson † 1671.


V. 53. Diese Doxologie gehört zu allen Psalmen des dritten Buchs und sollte nicht als der letzte Vers des Psalms, welchem sie beigefügt ist, angesehen werden. Sie sollte im Druck so hervorgehoben werden, dass Gottes Volk eingeladen würde, sie entweder als besondere Lobpreisung oder in Verbindung mit irgendeinem der Psalmen zu singen. William Binnie 1870.


Homiletische Winke

V. 2. 1) Gottes Gnade und Treue sollen in Ewigkeit gepriesen werden; 2) von denen, die sie erfahren haben: 3) darum müssen diese auch ewig leben.
  Gottes Wahrheit sollen wir verkündigen 1) dem eignen Geschlecht, 2) den kommenden Geschlechtern.
V. 3. 1) Die Beständigkeit der Gnade. a) Sie feiert ihre Siege von Stunde zu Stunde. b) Sie erhält, was sie gewonnen, auf ewige Zeiten. 2) Die Beständigkeit der Wahrheit. Sie bleibt, solange die Ordnungen des Himmels währen. 3) Die Bürgschaften für solche Beständigkeit. Diese beruhen a) auf der Schrift, b) auf der Erfahrung, c) auf der Vernunft und d) auf dem Zeugnis andrer Gläubigen.
  Der ewige Himmelsbau des Gnadenbundes.
V. 4.5. Der Bund. 1) Mit wem ward er geschlossen? Mit David, und in ihm mit Davids Herrn und Sohn (dem wahren David, dem Auserwählten Gottes, dem Knecht des HERRN in dem Werk der Erlösung). 2) Für wen ward er geschlossen? a) Für den Samen Davids. David sollte einen Samen haben, und dieser sollte ewiglich bestätigt werden. b) Für David selbst, seinen Stuhl usw. 3) Wie wurde der Bund festgemacht? a) Durch Gottes Ratschluss. b) Durch Gottes Verheißungen. c) Durch Gottes Eid.
V. 7. Vergleichung zwischen Gott und den Vortrefflichsten im Himmel und auf Erden. 1) Der wahre Gott, der Herrscher über alles, ist unvergleichlich groß in seinem Wesen und Dasein als a) der aus sich selber Ewige, b) der Vollkommene, c) der Selbständige, d) der Unveränderliche. 2) Gott ist unvergleichlich groß in seinen Eigenschaften und Vollkommenheiten als a) der Heilige, b) der Allweise und Allwissende, c) der Allmächtige, d) der Gerechte, e) der Langmütige, f) der Gnädige. 3) Gott ist unvergleichlich groß in seinen Werken a) der Schöpfung, b) der Vorsehung, c) der Erlösung, d) der Verklärung. Theophilus Jones 1830.
V. 7.8. 1) Als der Schöpfer ist Gott unendlich erhaben über alle anderen Wesen. 2) Als Erlöser ist er noch weitaus größer denn als Schöpfer.
V. 10.11. Wie Gott jetzt mitten unter allem Aufruhr und aller Verwirrung herrscht, und wie er einst alle seine Widersacher zermalmen und zerstreuen wird.
V. 12. 1) Gottes Herrschaft über den Himmel ist das Vorbild seiner Herrschaft über die Erde. 2) Sein Herrschaftsrecht an die Erde ist unantastbar und wird einst unfehlbar in volle Erscheinung treten. 3) Welches Verhalten ergibt sich aus diesen beiden Wahrheiten für Gottes Volk?
V. 13. Die Freude der Schöpfung an ihrem Schöpfer.
V. 14. "Der gewaltige Arm." Pred. von C. H. Spurgeon. Siehe Botschaft des Heils, 2. Jahrg. S. 753, 1876, und Hauspostille, S. 417, 1892. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 15. 1) Die Gerechtigkeit des göttlichen Waltens. Unter der alles umfassenden Herrschaft Gottes kann keiner Unrecht leiden. 2) Die Vortrefflichkeit des göttlichen Waltens. Gnade und Wahrheit. Gnade, gegründet auf Wahrheit und erfüllt in Treue.
V. 16. Dreierlei Weisen, das Evangelium zu erkennen: 1) verstandesmäßig, 2) erfahrungsmäßig, 3) lebensmäßig. W. Dransfield 1859.
V. 17. 1) Die Freude, die das Evangelium bringt. a) Über Gottes Namen, d. i. sein geoffenbartes Wesen; über den Gott des Heils, aller Gnade, des Trostes usw. b) Täglich, morgens, über Tag, des Abends, in der Nacht, allezeit. 2) Die Herrlichkeit, die das Evangelium schenkt. Erhöhung a) nicht durch eigene Gerechtigkeit, sondern b) durch deine Gerechtigkeit. Für die Gläubigen erworben: durch eine göttliche Person; ihnen zugerechnet. Gottes Gerechtigkeit und doch die unsre. Die Gerechtigkeit Gottes als Eigenschaft Gottes könnte uns nicht erhöhen, wohl aber seine Gerechtigkeit als des Gottmenschen. Der Hölle entrissen, erhöht über Welt, Paradies und Engel, zu Freunden Gottes, Kindern Gottes und Erben des Himmelreichs.
  Der Gläubige ist durch Gottes Gerechtigkeit 1) erhöht a) über das Gesetz, b) über die Welt, c) über die Macht und List des Satans, d) über den Tod, e) über jede Beschuldigung (Röm. 8,33 f.); 2) erhöht a) zu einem Zustand des Friedens mit Gott, b) zur Kindschaft, c) zu der Gemeinschaft mit Gott und zu freiem Zutritt zu ihm, und endlich d) zu endloser Herrlichkeit. Ebenezer Erskine † 1754.
V. 18. 1) Das Glück der Gerechten. a) Ihre innere Herrlichkeit. Vertrauen auf Gottes Kraft. b) Ihre innere Würde. Erhöhung durch die Gnade. 2) Unser Anteil an diesem Glück. "Ihr - unser." Ihre Stärke unser Horn. Wohl denen, die mit Bezug auf alle Vorrechte der Gläubigen dies "ihr" in "unser" wandeln können.
  1) Unsre natürliche Schwäche. 2) Unsre göttliche Kraft 3) Gott allein aller Ruhm dafür!
V. 20. 1) Die rechte Hilfe. a) Von Gott selbst geplant. b) Zur Versöhnung Gottes mit dem Menschen und des Menschen mit Gott. 2) Der Helfer. a) Menschlich, "aus dem Volk". b) Göttlich, "deinem Heiligen". 3) Die erforderlichen Eigenschaften. a) Ein Held. b) Mit Gottes Beistand begabt ("ich habe meine Hilfe auf ihn gelegt") und erhöht.
V. 21.22. Der Messias 1) Davids Same, der wahre David; 2) des Vaters Knecht; 3) von Gott gesalbt; 4) von Gott gestärkt; 5) von Gott beschützt.
V. 23.24. Eine Weissagung von dem Messias 1) in seinem Kampf mit dem Satan, der ihn weder durch List noch durch Macht überwältigen soll; 2) in seinem Streit mit seinen irdischen Widersachern, die vor ihm geschlagen werden sollen; 3) in der Bestrafung seiner Hasser. (Zerstörung Jerusalems usw.)
V. 27. Des Heilands Kindessinn, und wie dieser sich offenbarte.
V. 31-35. In Anwendung auf den Neuen Bund. 1) Von wem ist hier die Rede? Von Gottes Kindern. 2) Was wird von ihnen ausgesagt? a) Sie mögen fallen (wiewohl nicht gänzlich abfallen). b) Das ist sogar vorauszusetzen, denn sie sind von fern nicht vollkommen. c) Das ist tatsächlich vorgekommen (wie bei David und andern). 3) Was wird ihnen angedroht? Die Drohung wird a) klar ausgesprochen: "mit der Rute heimsuchen, mit Plagen"; b) bestimmt in Aussicht gestellt: "ich will". 4) Wie wird die Drohung eingeschränkt? a) Die Gnade soll dennoch nicht von ihnen gewendet werden, b) ob es auch scheinen mag, als werde die Rute im Zorn geschwungen.
  Ein Wenn (wo), ein Dann (so), ein Aber.
V. 40. 1) Die Wege der Vorsehung scheinen oft mit Gottes Verheißungen in Widerspruch zu stehen. 2) Doch bleiben diese in Wesen und Wahrheit mit jenen im Einklang. So bleibt dennoch das Wort fest von Gottes Bund, Gottes Knecht und dessen Krone.
  Wie kann der Thron des Königs Jesus geschändet werden?
V. 39-47. 1) Was hatte Gott getan? V. 39-46. 2) Was hatte Gott nicht getan? Den Schmerz über Gottes Entfernung und das Verlangen nach seiner Wiederkehr weggenommen.
V. 44. Beispiele, wie Gott die Kraft des Schwertes seines Evangeliums wegnimmt.
V. 45. Die Herrlichkeit der ersten Christenheit, und inwiefern diese Herrlichkeit von uns gewichen ist.
V. 45.46. Eine Weissagung auf den Heiland. 1) Er ist sanftmütig und demütig. Du hast seinem Glanz ein Ende gemacht. 2) Des Vaters Knecht. Und seinen Stuhl zu Boden geworfen. 3) In der Mitte seiner Tage aus dem Lande der Lebendigen weggerissen. Hast verkürzt die Zeit seiner Jugend. 4) Eines schmählichen Todes gestorben. Hast ihn mit Hohn bedeckt.
V. 47. Gottes Walten soll man anerkennen 1) in der Art der Trübsal: Willst du dich verbergen? 2) In der Dauer der Trübsal: HERR, wie lange? 3) In der Heftigkeit der Trübsal: Und deinen Grimm wie Feuer brennen lassen? 4) In dem Ausgang der Trübsal: Wie lange? Für immer? In allen diesen Beziehungen sind die Worte sowohl auf Christus als auf die Seinen anwendbar.
V. 48. Gedenke. Der Ruf des sterbenden Schächers, des geängsteten Gläubigen, des verfolgten Christen.
  1) Eine Berufung auf Gottes Güte. Gedenke usw. Lass doch mein Leben nicht eitel Sorge und Schmerz sein! 2) Eine Berufung auf Gottes Weisheit. Warum willst du usw. Ist denn der Mensch nur da, um zu leiden? Wird er nicht umsonst geschaffen sein, wenn sein Leben so gar kurz und das kurze Leben lauter Leid ist?
V. 53. 1) Der Jubelruf: Gelobet sei der HERR ewiglich - in allen seinen Werken und Wegen, in seinen Gerichten wie in seinen Gnadenerweisungen. 2) Der Widerhall: Amen, Amen! Amen rufen die Gemeinde auf Erden, die Gemeinde im Himmel, die Engel Gottes, das ganze selige und heilige Weltall, die vergangenen und die kommenden Ewigkeiten.

Fußnoten

1. Wir würden lieber übersetzen: und es preisen die Himmel dein Wunderwalten.

2. Siehe die Anm. zu Ps. 29,1, Bd. I, S. 530. - Hier hat Luther nicht wie Ps. 29,1 Gewaltige, sondern Kinder der Götter übersetzt. Die parallelen Ausdrücke Heilige und Gottessöhne beweisen (gegen Spurgeon), dass unter beiden die Engel gemeint sind.

3. Vergl. Hiob 4,18 Grundtext: Sieh, seinen Dienern selbst vertraut er nicht, und seinen Engeln misst er Irrtum bei. Ähnl. 15,15.

4. Alle alten Übers. und viele Handschriften lasen übrigens, wie auch unsre heutigen hebr. Bibeln, die Mehrzahl. Unter den Frommen versteht Delitzsch Samuel und Nathan.

5. Es ist allerdings wahr, dass der Bund mit David und seinem Samen bedingungslos geschlossen ist: die Verheißung kann durch Sünde der Nachkommen nicht ungültig gemacht werden, sondern kommt ganz abgesehen von allem Tun der Menschen unwiderruflich zur Erfüllung. Der "Same" kann gezüchtigt, aber nicht verworfen werden. Dies gilt jedoch von dem Samen als ganzem; einzelne Glieder der Kette können wohl verworfen werden, zeitlich und auch ewiglich. Das beweist mit furchtbarem Ernst die Geschichte, und David selber hat die Verheißung auch so verstanden, siehe 1. Chr. 28,9. Aber nie soll es mit Davids Haus gehen wie mit dem Hause Sauls, 2. Samuel 7,15. Man vergl. den Auszug aus Hengstenberg in den Erläut. und Kernworten zu V. 34. Zu wünschen wäre auch, dass Spurgeon den Begriff "Same " etwas bestimmter erklärt hätte. Der Same Davids ist nicht gleichbedeutend mit Davids ganzer Nachkommenschaft, sondern er ist die königliche Linie des Geschlechtes Davids. James Millard

6. Wörtl. kräftiger: Und Du (derselbe, der solches zugesagt und beschworen) hast verstoßen usw. Auch in den folgenden Versen ändern wir, dem Grundtext entsprechend, mehrfach die Zeitform.

7. Grundtext: Auch ließest du weichen (wendetest du rückwärts) seines Schwertes Kiesel, d. h. sein Schwert so hart wie Kiesel, vergl. Jes. 5,28. Andre verstehen das Wort rWc nach dem Arabischen von der Schneide des Schwerts.

8. Der Ruhm des auf den Galeeren gestählten schottischen Reformators war bekanntlich, dass er nie das Angesicht eines Menschen gefürchtet habe.

9. Diese Übersetzung ist falsch, denn hm ist mit )w# von den Punktatoren aufs engste verbunden. Daher ist zu übersetzen: (Gedenke,) zu welcher Nichtigkeit du alle Menschenkinder geschaffen hast.

10. So kann nur gewaltsam übersetzt werden, denn das von fehlt. Will man den gleichen Sinn - und dieser liegt doch näher als jener der zweiten von Spurgeon gegebenen Übersetzung - so wird man entweder tybr vor oder statt Mybr lesen (Hupfeld, Kautzsch) oder lk als Verstümmelung von tmIalikI: ansehen müssen (Bäthg. nach Syr. u. Targ.). Auch die engl. Bibel ergänzt tprx und mildert die Härte des Mybr-lk, indem sie .... als stark an Zahl gleich mächtig auffasst: wie ich trage in meinem Busen die Schmach all der mächtigen Völker.

11. Die Übers. ist richtig, die folgende Anwendung falsch; denn qyx heißt Brust, Busen, nie Mutterleib. Im Busen tragen steht sonst immer von liebreicher Pflege; es müsste daher hier ironisch gemeint sein. Der Dichter würde, sich mit der Gemeinde zusammenfassend, sagen, dass er - statt der lieben Kinder, die man sonst im Busen trägt, 4. Mose 11,12; Jes. 40,11 - solche da tragen, hegen und pflegen müsse (ohne sich ihrer erwehren zu können), die ihm nur eine widerwärtige Last sein können, nämlich all die vielen Völker, die jetzt eindringen und das Land aussaugen. (Fr. W. Schultz, ähnl. Delitzsch.) Immerhin wäre die Ausdrucksweise auffallend. Im folgenden Vers wäre dann das Gedenke dem Sinn nach abermals zu wiederholen: (Gedenke,) dass da schmähen deine Feinde usw.

12. Wohl Anspielung auf Miltons gleichnamige (1645 erschienene) Gedichte.