Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 95 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Der Psalm hat keine Überschrift. Der Schreiber des Hebräerbriefes führt Kap. 4,7 eine Stelle unseres Psalms als von dem HERRN "durch David" gesagt an, was allerdings vielleicht nur sagen will, dass sie in der davidischen Psalmensammlung enthalten sei, wie denn "der David" auch später ein für den Psalter üblicher Name war; wir neigen aber dennoch zu der Ansicht, dass David der Verfasser des vorliegenden Liedes sei. Der Psalm ist seiner ursprünglichen Bedeutung nach ein echt israelitisches Lied, er richtet sich sowohl in seinem Aufruf zur Anbetung wie in seiner Warnung vor dem Ungehorsam an das Volk des Alten Bundes; wir haben aber von dem Heiligen Geiste selbst in dem Briefe an die Hebräer die Ermächtigung, seine Ermahnungen und Aufforderungen auch auf die Gläubigen des Neuen Bundes anzuwenden. Der Psalm ruft zur Anbetung auf. Er klingt wie Glockenklang, und gleich dem Geläute der Kirchenglocken tönt er lieblich heiter und wieder feierlich ernst. Erst lädt er mit lebhaftem, fröhlichem Klingen zum Gottesdienst; dann senkt sich sein Ton zu dem Schall der Totenglocke, als läutete er dem Geschlecht, das in der Wüste umkam, feierlich dumpf zu Grabe.

Einteilung. Es wäre ganz dem Inhalt des Psalms entsprechend, ihn in eine Einladung und eine Warnung zu teilen und demnach den zweiten Abschnitt desselben mit dem letzten Satz des 7. Verses beginnen zu lassen. Aber im Ganzen genommen mag es dienlicher sein, den 6. Vers mit Hengstenberg als "das schlagende Herz des Psalms" zu betrachten und somit den Einschnitt am Schluss von Vers 5 zu machen. So stellt sich uns der Psalm dar als eine Aufforderung, die zuerst mit Gründen und sodann mit Warnungen eindrücklich gemacht wird.


Auslegung

1. Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken
und jauchzen dem Hort unseres Heils!
2. Lasset uns mit Danken vor sein Angesicht kommen
und mit Psalmen ihm jauchzen!
3. Denn der HERR ist ein großer Gott
und ein großer König über alle Götter.
4. Denn in seiner Hand ist, was unten in der Erde ist,
und die Höhen der Berge sind auch sein.
5. Denn sein ist das Meer, und Er hat’s gemacht;
und seine Hände haben das Trockne bereitet.


1. Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken. Andre Völker jauchzen ihren Göttern zu, lasst uns Jehovah mit frohen Lobestönen erheben. Wir lieben, wir bewundern, wir verehren ihn; so lasst uns den Gefühlen unseres Herzens auch in auserlesener Weise Ausdruck geben, indem wir die edelste Gabe, die wir besitzen, den Gesang, zu ihrem edelsten Zwecke gebrauchen. Es ist gut, wenn wir andere so auffordern, den HERRN zu preisen; aber wir wollen wohl dazu sehen, dass wir selber darin mit würdigem Beispiel vorangehen, damit wir nicht nur rufen können: "Kommt", sondern auch hinzufügen mögen: "Lasst uns frohlocken (oder singen)", weil wir selber dabei sind, zu singen und zu lobpreisen. Wir haben wohl leider Ursache, zu befürchten, dass sehr viel auch von dem Singen im Gottesdienst nicht dem HERRN zu Ehren, sondern den Ohren der Versammelten zuliebe geschieht. Das ist aber doch das Erste, worauf wir bei dem Gesang, wenn er wirklich ein Teil des Gottesdienstes sein soll, zu achten haben, dass er mit einfältigem und brünstigem Herzen dem HERRN selber dargebracht werde. Und jauchzen dem Hort unseres Heils. Lasst uns mit heiliger Begeisterung singen: schon der frohe Schall unserer Lieder soll zeigen, dass es uns ganz ernst ist. Lasst uns mit überströmender Freude unsere Stimme erheben, belebt durch die heitere und friedvolle Stimmung, welche von der kindlich zutraulichen Liebe doch gewiss in uns erzeugt und genährt werden muss. Wie die Kinder Israel vor Freude jubelten, als der Fels auf das Geheiß des Stabes Moses seine kühlen Wasser hervorsprudeln ließ, so lasst uns jauchzen dem Fels unseres Heils. Der Dichter dieses Psalms sieht mit den Augen seines Geistes den Felsen am Horeb, die Stiftshütte, das Rote Meer und den Berg Sinai vor sich und deutet auf das alles in dem ersten Teil seines Liedes hin. Gott ist unser ewiger, unveränderlicher und mächtiger Hort oder Fels, wir finden bei ihm Rettung und Sicherheit; darum geziemt es uns, ihn Tag für Tag mit Herz und Mund zu lobpreisen. Und sonderlich sollte dies uns eine Wonne sein, wenn wir uns als sein Volk zum Gottesdienst versammeln.

2. Lasset uns mit Danken vor sein Angesicht kommen. Hier nimmt der Dichter wohl Bezug auf die besondere Gegenwart Gottes im Allerheiligsten, über dem Gnadenstuhl, wie auch auf die Lichtherrlichkeit, die aus der Wolke, welche die Stiftshütte überschattete, hervorleuchtete. Überall ist Gott ja gegenwärtig, aber es gibt eine besondere Gegenwart Gottes in Gnade und Herrlichkeit, zu der die Menschen niemals anders als mit tiefster Ehrfurcht nahen sollten. Wir dürfen freimütig in die unmittelbare Nähe des HERRN - vor sein Angesicht - treten, denn die Stimme des Heiligen Geistes ladet uns in diesem Psalm dazu ein; und wenn wir zu dem HERRN nahen, sollen wir uns seiner großen Güte, uns so tausendfach aufs herrlichste erwiesen, erinnern und sie mit freudigem Danke anerkennen. Unsere Anbetung soll sich so gut auf die Vergangenheit wie auf die Zukunft beziehen; denn wie könnten wir vernünftigerweise weitere Wohltaten von dem HERRN erwarten, wenn wir ihm nicht zu danken wüssten für das, was wir bereits empfangen haben! Es ist uns erlaubt, mit Bitten vor ihn zu kommen; daher ist es unsere Ehrenpflicht, ihm auch den Dank zu bringen. Und mit Psalmen ihm jauchzen. Unser Gesang soll so frohlockend sein wie das Siegesgeschrei der Krieger, und doch dabei so feierlich wie der Psalmengesang im Tempel. Es ist nicht immer ganz leicht, Begeisterung mit Ehrfurcht zu vereinen; man macht gar häufig den Fehler, dass man die eine dieser so wichtigen Eigenschaften zerstört, indem man nach der anderen ringt. Der vollendetste Gesang ist der, welcher Freude mit Würde, Hochgefühl mit Demut, Inbrunst mit Nüchternheit harmonisch vereinigt. - Die Aufforderung des ersten Verses wird somit in dem zweiten wiederholt, unter Beifügung von Winken, welche das, was der Psalmist im Auge hat, genauer anzeigen. Wir können uns David gut vorstellen, wie er sein Volk in herzlichen Worten beredet, mit ihm unter Harfenklang und Psalmengesang in heiliger Freude zu den Gottesdiensten Jehovahs hinaufzuziehen. Bemerkenswert ist der fröhliche Ton, der in seiner Mahnung obwaltet: das Volk des HERRN soll. jubeln, sein Herz und Mund sollen jauchzen. Wir fürchten, dass dies im Gottesdienst sehr häufig übersehen wird. Die Leute sind so einseitig von dem Gedanken beherrscht, dass man in der Kirche ernst sein muss, dass sie ein trübseliges Gesicht machen und ganz vergessen, dass die Freude ebenso sehr ein Merkmal der wahren Anbetung ist wie die Feierlichkeit.

3. Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. Ohne Zweifel wähnten die umher wohnenden Völker, Jehovah sei eine bloße Orts- oder Landeshoheit, der Gott eines kleinen Volkes und daher eines der niederen göttlichen Wesen, die es nach ihrer Meinung überall gab. Der Psalmdichter weist aber diese Vorstellung gänzlich zurück. Die Götzendiener duldeten viele Götter und viele Herren (1. Kor. 8,5) und erkannten ihrer jedem ein gewisses Maß von Ehrerbietung zu; der israelitische Glaube an einen Gott gab sich aber mit dieser Bewilligung nicht zufrieden, sondern beanspruchte mit Recht für Jehovah den ersten Platz und die höchste Macht. Er ist groß, denn er ist alles in allem; er ist ein großer König über alle anderen Gewalthaber und Würdenträger, seien sie Engel oder irdische Fürsten, denn sie verdanken ihr Dasein ihm. Was aber die Götzen betrifft, so sind sie nicht der Erwähnung wert. Dieser und der folgende Vers begründen die Anbetungswürdigkeit Gottes aus seinem Dasein, seiner Erhabenheit und seiner souveränen Herrschermacht.

4. Denn in seiner Hand (Gewalt) ist, was unten in der Erde ist, oder das Inwendige der Erde. Er ist der Gott der Täler wie der Hügel, der Höhlen wie der Berge. Tief drunten, wo die Bergleute ihre Schächte anlegen, noch tiefer, wo die verborgenen Meere fluten, die die Quellen nähren, und am tiefsten in den unbekannten Abgründen des Innersten der Erde, wo die mächtigen Feuer lodern, überall macht sich Jehovahs Gewalt fühlbar und steht alles unter der Leitung seiner Hand. Wie der Kaiser die sinnbildliche Weltkugel, so hält der HERR in der Tat und Wahrheit die Erde selber in der Hand. Als Israel von dem kristallklaren Quell trank, der aus der großen Tiefe aufsprudelte, da wusste es, dass das Inwendige der Erde in der Hand des HERRN ist. Und die Höhen der Berge sind auch sein. Als der Sinai ganz in Rauch eingehüllt war, da erfuhren die Stämme, dass Jehovah sowohl ein Gott der Berge als der Täler ist. Überall und zu allen Zeiten ist dies wahr, der HERR herrscht auf den Höhen der Erde in einsamer Majestät. Die ungeheuren Berggründe, die gigantischen Spitzen, die unberechenbaren Felsmassen, die noch von keinem Menschenfuß berührten Höhen, sie alle sind des HERRN. Sie sind seine Festungen und Schatzkammern, wo er Sturm und Regen aufspeichert, von wo er auch die Gletscher zu Tal sinken und die Lawinen niederdonnern lässt. Die granitenen Spitzen und die diamantenen Nadeln sind sein, und sein die schwindligen Abgründe und die aus der Tiefe ragenden Klippen. Die Übersetzung Höhen beruht auf einer Vermutung, ist aber durch den Zusammenhang sehr wahrscheinlich gemacht. Die englische Bibel übersetzt (nach dem Targum zu 4. Mose 23,22 und Kimchi): Die Kraft der Berge ist sein. Kraft ist der erste Gedanke, der sich uns aufdrängt, wenn wir die ungeheuren Bollwerke von Klippen betrachten, die dem tobenden Meer die Stirn bieten, oder die unermesslichen Alpengipfel, welche die Wolken durchbrechend in den azurnen Himmel spähen. Aber für das fromme Gemüt ist diese Kraft der Berge die Kraft Gottes; Fingerzeige der Allmacht geben uns diese unerschütterlichen Felsen, die der Wut der Elemente trotzen und gleich Mauern von Erz all des Anstürmens der wild erregten Natur spotten.

5. Denn sein ist das Meer. Dies gab sich so recht zu erkennen am Roten Meer, als die Wasser ihren Gott sahen und gehorsam beiseite traten, einen Weg für sein Volk zu öffnen. Es war nicht Edoms Meer, wiewohl es rot war,1 noch Ägyptens Meer, wiewohl es sein Land bespülte. Der Höchste thront, wie einst über der Sintflut, so noch heute und in Ewigkeit als König über den Fluten. (Ps. 29,10.) So steht es mit dem weiten Weltmeer, ob Atlantischer oder Stiller Ozean, Mittelländisches oder Polarmeer benannt; niemand kann es vermessen und sagen: "Es gehört mir!" denn die unermessliche Domäne der Wasser kennt keinen andern Herrn als Gott allein. Der Allmächtige herrscht über die Wogen. Drunten in den ungeheuren Tiefen, in die noch kein Menschenauge hineingeblickt und kein Fuß eines Tauchers je hinabgedrungen ist, ist er der alleinige Eigentümer, und jede schäumende Welle, jede rollende Woge erkennt ihn als Monarchen an. Neptun ist nur ein Hirngespinst, Jahovah ist der Gott der Wasser. Und Er hat’s gemacht. Daher sein Besitzrecht und seine Herrschaftsgewalt. Er grub das unergründbare Bett und goss darein die unermesslichen Fluten; die Meere sind nicht durch den Zufall gestaltet, so wenig wie ihre Ufer durch den nur in der Einbildung lebenden Finger des Schicksals entworfen ist. Gott hat die hohe See geschaffen, und jede Bucht und jeder Golf, jeder Meeresstrom und jede rauschende Flut erkennen die Hand des großen Schöpfers an. Heil dir, du Bildner und Beherrscher der Meere! Mögen alle, die mit geschwellten Segeln über das wunderbare Reich der Wasser fahren, dich allein anbeten!
  Und das Trockne, das seine Hände bereitet (wörtl.: gebildet) haben.2 Sei es fruchtbares Feld oder sandige Wüste, er hat alles gemacht, was die Menschen terra firma (Festland) nennen; er hat es aus den Fluten herausgehoben und gegen die überströmenden Wasser abgegrenzt. Die Erde ist des HERRN und was drinnen ist. Er gebot den Inseln, dass sie ihr Haupt emporhoben, er ebnete das weite Flachland, er formte die Hochebenen, warf die welligen Hügel auf und türmte die Alpengipfel. Wie der Töpfer den Ton, so formte Jehovah mit seiner Hand den Erdboden. So kommt denn herzu (V. 6), die ihr auf dieser schönen Welt wohnt, und betet ihn an, der allerorten, wo ihr nur hintretet, aus seinen Werken erkennbar ist. Achtet die Erde als eine Vorhalle seines himmlischen Tempels; denn überall auf ihr sind die Fußstapfen der allnahen Gottheit euren Augen schaubar, wenn ihr sie nur sehen wollt. Der Beweisschluss ist überwältigend, wenn das Herz richtig steht; die Aufforderung zur Anbetung ist ebenso sehr eine Folgerung der Vernunft wie eine Wirkung des Glaubens.


6. Kommt, lasst uns anbeten und knien
und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat.
7. Denn er ist unser Gott,
und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand.
Heute so ihr seine Stimme höret,
8. so verstocket euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah,
wie zu Massa in der Wüste,
9. da mich eure Väter versuchten,
mich prüften und sahen mein Werk.
10. Vierzig Jahre hatte ich Mühe mit diesem Volk
und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will
und die meine Wege nicht lernen wollen;
11. dass ich schwor in meinem Zorn:
Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.


6. Nun wird die Aufforderung, den HERRN anzubeten, wiederholt, und zwar wird sie jetzt mit einem Grunde gestützt, der damals bei Israel und jetzt bei den Christen ganz besonders mächtig ist; denn beide, das Israel nach dem Fleisch und das Israel des Glaubens, können als das Volk seiner Weide beschrieben werden, und von beiden wird der Höchste "unser Gott" genannt. Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. Die Anbetung soll demütig sein. Das Jauchzen und Jubeln sei verbunden mit der tiefsten Ehrerbietung. Wir sollen in solcher Weise anbeten, dass schon unsre Gebärde anzeigt, dass wir uns für nichts achten in der Gegenwart des allherrlichen HERRN. Schon das erste, in unserer Bibel mit anbeten wiedergegebene Wort heißt ursprünglich niederfallen und scheint hier in dieser Bedeutung genommen werden zu sollen, so dass wir etwa übersetzen: Kommt, lasst uns niederfallen und uns beugen, lasst uns knien vor Jehovah, unserem Schöpfer, oder mit Delitzsch: Kommt, wir wollen uns niederstrecken und hinsinken, wollen hinknien usw. Als demütig Bittende müssen wir kommen; freudig, aber nicht anmaßend, zutraulich, wie Kinder vor ihren Vater treten, aber dabei voller Ehrfurcht, als Geschöpfe, die ihrem Erschaffer nahen. Stellung und Gebärde ist nicht alles, aber wahrlich auch nicht nichts. Wir mögen so beten, dass wir erhört werden, auch wenn wir die Knie nicht beugen können; aber es ist geziemend, dass die anbetende Seele ihre Ehrfurcht durch Niederwerfen des Körpers und Beugen der Knie anzeige.

7. Denn Er ist unser Gott. Das ist der Hauptgrund, warum wir ihn anbeten sollen. Jehovah ist mit uns in einen Bund getreten und hat uns von aller Welt zu seinem Eigentum erkoren. Verweigern andere ihm die Huldigung, so wollen wir doch wenigstens sie ihm freudig darbringen. Er ist unser, darum wollen wir ihn lieben; er ist unser Gott, darum wollen wir ihn anbeten. Wohl dem, der aufrichtig glauben kann, dass dieser Satz auch in Beziehung auf ihn wahr ist. Und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand. Wie er uns angehört, so wir ihm. "Mein Freund ist mein und ich bin sein." Und zwar gehören wir ihm als seine Leute, die er täglich nährt und beschützt. Die Auen, auf denen wir weiden, sind nicht unser sondern sein; wir empfangen unsere Versorgung aus seiner Fülle. Wir gehören ihm zu eigen, gerade wie die Schafe dem Hirten, und seine Hand ordnet, leitet, beherrscht, beschützt und versorgt uns. Israel wurde durch die Wüste geführt und wir werden durch dies Leben geleitet von dem großen Hirten der Schafe (Hebr. 13,20). Jene Hand, die einst das Meer spaltete und Wasser aus dem Felsen hervorbrachte, ist noch mit uns und wirkt gleiche Wunder. Können wir die Aufforderung abweisen, niederzufallen und anzubeten, wenn wir darüber Klarheit haben, dass dieser Gott unser Gott ist immer und ewiglich, dessen treue Hut wir im Leben und im Sterben erfahren werden?
  Aber was ist das für eine Warnung, die nun folgt? Ach, sie war dem alten Volk des HERRen dringend nötig und ist für uns wahrlich auch nicht überflüssig. Das auserwählte Volk ward taub für seines Herrn Befehle; es erwies sich, dass sie nicht in Wahrheit seine Schafe waren, von denen geschrieben steht: Meine Schafe hören meine Stimme. Soll sich das auch bei uns herausstellen? Das verhüte Gott! Heute so ihr seine Stimme höret. So hat die griechische Bibel hier übersetzt, die Worte als Vordersatz zu V. 8 fassend, und ihr ist der Schreiber des Hebräerbriefs bei der Anführung dieser Stelle (Hebr. 3,7) gefolgt. Danach hat auch Luther an beiden Orten so übersetzt. Aber im Grundtext steht hier der Schluss von V. 7 für sich als Ausruf: Wenn ihr heute (doch) auf seine Stimme hörtet!3 Schreckliches Wenn! Viele wollten nicht hören, sie wiesen die Ansprüche der Liebe von sich und reizten ihren Gott. Heute, an dem Tag der Gnade, werden wir geprüft, ob wir für die Stimme unseres Schöpfers ein Ohr haben. Nichts wird von morgen gesagt, "er bestimmt einen Tag", wie es im Hebräerbrief (4,7) heißt; er drängt darauf, dass man seine Stimme alsbald beachte, um unser selbst willen verlangt er augenblicklichen Gehorsam. Geben wir dem Rufe Gehör? Der Heilige Geist sagt: "Heute!" Wollen wir ihn durch Säumen betrüben?

8. Verstocket euer Herz nicht. O dass ihr hörtet und euch fürchten lerntet! Land und Meer gehorchen ihm; erweist euch doch nicht als widerspenstiger denn sie! Gebt doch seinem Liebeswerben nach! Wir können unser Herz nicht erweichen, wohl aber können wir es verhärten, und die Folgen davon würden schrecklich sein. Das Heute ist ein zu guter Tag, als dass wir ihn verschleudern dürften, indem wir unser Herz gegen unser eigenes Heil verstockten. Dieweil die Gnade herrscht, lasst nicht die Verstockung rebellieren. Wie zu Meriba geschah, wie zu (wörtl.: wie am Tage von) Massa in der Wüste. Seid nicht mutwillig, halsstarrig, widerspenstig, aufrührerisch. Lasst euch das Beispiel jenes unglücklichen Geschlechtes zur Warnung dienen; wiederholt nicht die Missetaten, die schon mehr als genug den HERRN gereizt haben. Gott gedenkt der Sünden der Menschen, und umso lebhafter, wenn es Sünden sind, die von hoch bevorzugten Leuten gegen zahlreiche Mahnungen, in trotziger Verachtung schrecklicher Gerichte und inmitten überschwenglicher Gnaden-Erweisungen begangen werden; solche Sünden schreiben ihre Urkunde in Marmor ein. Lieber Leser, dieser Vers geht dich an, ja dich, auch wenn du sagen kannst: Er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide. Suche nicht die scharfe Spitze der Warnung von dir abzuwenden; du hast die ernste Mahnung äußerst nötig, behalte sie wohl in Acht.

9. Da mich eure Väter versuchten. So viel an ihnen war, versuchten sie Gott, seine gewöhnliche Weise zu verlassen und ihr sündiges Bitten zu erhören; und wiewohl er nicht versucht werden kann zum Bösen und gottlosen Begehren nie willfahren wird (es sei denn zur Strafe), so ging doch ihre Absicht dahin, darum auch ihre Schuld um nichts geringer war. Gottes Weg ist heilig, und wenn wir wollen, dass er ihn uns zu Gefallen ändere, so machen wir uns der Versuchung Gottes schuldig. Die Tatsache, dass wir das vergeblich tun und die Heiligkeit des HERRN dadurch nur desto heller hervorstrahlt, ändert an unserer Straffälligkeit nicht das Mindeste. Wir stehen am meisten in Gefahr dieser Sünde, wenn wir Zeiten der Not durchmachen, denn dann sind wir sonderlich geneigt, in den Unglauben zu fallen und eine Änderung der Anordnungen der Vorsehung zu begehren, die doch ein Spiegelbild vollkommener Heiligkeit und unbegrenzter Weisheit sind. Sich in den Willen Gottes nicht ergeben, das ist dem Wesen nach: Gott versuchen, dass er seine Pläne so wandele, dass sie unseren mangelhaften Anschauungen darüber, wie die Welt regiert werden sollte, entsprechen. Mich prüften. Sie stellten den HERRN ganz unnötigerweise auf die Probe, indem sie neue Wunder und Zeichen seiner Gegenwart verlangten. Kommt es bei uns nicht auch vor, dass wir launisch noch andere Beweise der Liebe Gottes heischen als diejenigen, welche uns jede Stunde unseres Lebens darbietet? Sind wir nicht geneigt, außerordentliche Dinge zu verlangen und dabei heimlich zu drohen, dass wir, wenn sie nicht auf unser Geheiß gegeben werden, den Glauben kündigen wollen? Es ist wahr, der HERR ist sehr herablassend und gewährt uns oft wunderbare Beweise seiner Macht; aber wir sollten sie nicht fordern. Ausdauerndes Vertrauen gebührt uns doch dem gegenüber, der so beharrlich gütig ist. Nach so vielen klaren Zeichen seiner Liebe ist es von uns sehr undankbar, wenn wir ihn aufs Neue auf die Probe zu stellen wünschen, es wäre denn, dass es sich um solches handelte, wovon er selbst gesagt hat: Prüft mich darin. (Mal. 3,10) Wollten wir immer und immer wieder die Liebe unserer Ehefrau oder des Ehemannes auf die Probe stellen und uns selbst nach jahrelanger Erfahrung der Treue noch nicht für überzeugt halten, so würden wir auch die äußerste menschliche Geduld erschöpfen. Freundschaft gedeiht nur in der Luft des Vertrauens, Argwohn ist ihr tödliches Gift; sollte denn der ewig treue, unwandelbare Gott Tag um Tag von seinem eigenen Volke beargwöhnt werden? Muss ihn das nicht zum Zorn reizen? Und sahen (doch) mein Werk. Sie stellten immer neue Proben an, vierzig Jahre lang, wiewohl Gottes Tun fort und fort ein voll genügender Beweis seiner Treue war. Nichts konnte sie auf die Dauer überzeugen. Wankelmütigkeit steckt dem Menschen im Blut; der Unglaube ist eine der Sünden, die uns am hartnäckigsten ankleben. Wenn wir nicht immer und immer sehen, so wankt unser Glaube. Das ist keine geringe Beleidigung Gottes und eine Sünde, die auch nicht leichte Heimsuchungen nach sich ziehen wird.

10. Vierzig Jahre hatte ich Ekel an diesem4 Geschlechte. (Grundtext) Der Eindruck auf Gottes Gemüt ist äußerst lebhaft; der HERR sieht das Geschlecht noch vor sich. Er überlässt es nicht den Propheten, die Sünde des Volkes zu schelten, sondern bringt selbst die Beschuldigung vor und bezeugt, er habe an dem Volke Verdruss, ja Ekel empfunden ganze vierzig Jahre lang. Das kann nichts Geringes sein, was unseren langmütigen Gott in solchem Maße entrüstet, wie es das hebräische Wort hier anzeigt; und wenn wir einen Augenblick darüber nachdenken, werden wir bald erkennen, wie stark die Reizung war. Denn niemand, der auf seine Wahrhaftigkeit hält, kann es ertragen, dass man ihm argwöhnt, ihm misstraut und ihn zum Lügner macht, wo doch keinerlei Ursache dazu vorhanden ist, sondern im Gegenteil die überzeugendsten Gründe zum Vertrauen vorliegen. Solch schmählicher Behandlung war der gute Hirte Israels nicht einen Tag oder Monat, sondern vierzig Jahre in einem Stück ausgesetzt, und das nicht von etlichen einzelnen Ungläubigen, sondern von einem ganzen Volke; nur zwei Männer wurden in Israel so völligen Glaubens erfunden, dass sie von dem Gerichtsurteil ausgenommen wurden, welches schließlich über das ganze Geschlecht gesprochen wurde. Worüber sollen wir uns mehr wundern, über die Unverschämtheit der Menschen oder über die sanfte Geduld des HERRN? Was lässt den stärksten Eindruck in unserem Gemüt zurück, die Sünde oder die Strafe, der Unglaube oder dass die Pforten der Ruhe Jehovahs den Ungläubigen verschlossen wurden? Und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will, und die meine Wege nicht lernen wollen. Sie wichen nicht nur hier und da von dem rechten Wege ab, sondern sie waren beständig und hartnäckig darauf aus, Irrwege einzuschlagen. Es war nicht ihr Kopf, der irrte, sondern ihr Herz war verkehrt. Die Liebe, die um ihren willigen Gehorsam warb, konnte sie nicht zurechtbringen. Das Herz ist die Triebfeder des Menschen; ist die nicht in der rechten Verfassung, so kommt sein ganzes Wesen aus der Ordnung. Wenn die Sünde nur in die Haut eindränge, wäre dem Übel wohl beizukommen; da sie aber die Seele befleckt und das Herz angreift, ist die Sache in der Tat schlimm. Da Jehovah selber sie in die Schule genommen und seine Lehren mit den Wundern, die ihnen täglich in dem Manna vom Himmel und dem Wasser aus dem Felsen5 vorgeführt wurden, so anschaulich gemacht hatte, so hätten sie wohl etwas lernen sollen, und es war eine Schmach und Schande, dass sie hartnäckig unwissend blieben: sie wollten nichts von Gottes Wegen wissen, darum lernten sie sie auch nicht gehen. Wie sie dem Leibe nach den größten Teil dieser vierzig Jahre umherwanderten ohne Zweck und Ziel, so wanderten sie auch mit dem Herzen ruhelos hin und her, und die so deutlichen, geraden Führungen der Güte des HERRN waren ihren blinden Augen ein so wirres Labyrinth wie die verschlungenen Wege, auf welchen er sie durch die Wüste leitete. Sind wir besser als sie? Sind wir nicht geradeso geneigt, das Walten des HERRN zu missdeuten? Haben wir auch so viel umsonst erlitten und genossen? Bei vielen steht es wirklich so. Eine vierzigjährige, ja wohl gar eine noch längere Erfahrung der weisesten Fürsorge hat nicht hingereicht, sie heitere Zuversicht und festes Vertrauen zu lehren. Wir haben allen Grund, in dieser Beziehung unser Herz zu durchforschen. Viele behandeln den Unglauben als einen Fehler geringeren Grades, sie sehen ihn viel mehr als eine Schwachheit denn als ein Verbrechen an; aber der HERR urteilt anders darüber. Der Glaube ist ganz einfach das, was Jehovah gebührt, und sonderlich von solchen, die den Anspruch erheben, das Volk seiner Weide zu sein, am allerersten aber von denjenigen, deren langes Leben eine Kette von Beweisen seiner Güte ist. Der Unglaube beleidigt eine der kostbarsten Eigenschaften Gottes, und zwar ganz ohne Not und ohne den geringsten Grund; ja, vollständig genügenden und uns mit der ganzen Beredsamkeit der Liebe ans Herz dringenden Beweisen zum Trotz. Lasst uns bei dem Lesen dieses Psalms uns selber prüfen und diese Dinge wohl zu Herzen nehmen.

11. Dass ich schwor in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen. Für ein ungläubiges Herz kann es keine Ruhe geben. Wenn das Manna und die andern Wunder Israel nicht zufrieden stellten, so hätte ihnen auch das Land, das von Milch und Honig floss, nicht genügt. Kanaan sollte das vorbildliche Land der Gottesruhe sein, wo seine heilige Lade blieb und der ganze Gottesdienst und das religiöse Leben überhaupt seine feste Gestalt fand. Der HERR hatte nun vier Jahrzehnte die Unarten des Geschlechts, das aus Ägypten gezogen war, ertragen, und es war nicht mehr als billig, dass er nun beschloss, nichts mehr mit ihm zu schaffen zu haben. War es nicht genug, dass sie den ganzen wunderbaren Wüstenzug hindurch sich fort und fort gegen ihn empört hatten? Sollte ihnen gestattet sein, neue Massas und Meribas in dem verheißenen Lande selber auszurichten? Das hatte Jehovah nicht im Sinn. Er sagte nicht nur, sondern schwor feierlich, dass sie zu seiner Ruhe nicht gelangen sollten, und dieser Eid schloss ihrer jedem die Pforten des gelobten Landes zu - ihre Leiber verfielen in der Wüste. Wahrlich eine ernste Warnung für alle, die den Weg des Glaubens und Gehorsams verlassen, um die Pfade unverschämten Murrens und Misstrauens zu wandeln. Jene Aufrührer der alten Zeit konnten nicht hineinkommen um des Unglaubens willen; so lasset uns nun fürchten, da noch eine Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, übrig ist, dass nicht etwa einer von uns dafür gelten müsse, zurückgeblieben zu sein. (Hebr. 4,1 Grundtext)
  Die von dem Hebräerbrief aus unserem Psalm gezogene Folgerung darf nicht vergessen werden. Es ist klar, dass es eine Ruhe Gottes gibt und dass etliche zu derselben kommen sollen. Da aber die, denen es zuerst verkündigt ist, nicht dazu gekommen sind um des Unglaubens willen, darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Die Ungläubigen konnten nicht hineinkommen; aber wir, die wir glauben, gehen in die Ruhe. Lasst uns sie genießen und den HERRN allezeit dafür preisen. Unser ist die wahre Sabbatruhe, unser Vorrecht ist es, zu ruhen von unseren Werken, gleichwie Gott von den seinen ruhte. Im Genuss solcher Sabbatruhe lasst uns denn mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Die sechs Psalmen 95-100 gehören dem Inhalt nach eng zusammen. Jeder derselben hat sein besonderes Thema, das aber ein Stück des allen gemeinsamen Hauptthemas, der Aufrichtung des messianischen Reiches, ist. Der 95. Psalm bekräftigt die Gottheit Jehovahs und seine über die ganze Natur sich erstreckende Gewalt und mahnt sein Volk, ihm zu dienen. In dem 96. Psalm werden alle Völker aufgefordert, sich seiner Verehrung anzuschließen, weil er kommt, die ganze Menschheit, Juden und Heiden, zu richten. In dem 97. Psalm herrscht Jehovah über alle Welt; die Götzen sind verlassen, der gerechte König wird verherrlicht. Nach dem 98. Psalm hat der HERR Wunder getan und sich selber den Sieg erfochten; er hat sein Heil geoffenbart, hat seiner Barmherzigkeit gegen Israel gedacht, und er kommt, alle Welt zu richten. In dem 99. Psalm thront Jehovah über den Cherubim in Zion, der sichtbaren Kirche, herrscht über die ganze Welt und ist wegen der Gerechtigkeit seines Regiments zu preisen. In dem 100. Psalm werden alle Lande aufgerufen, den HERRN, den Schöpfer, zu preisen, dessen Gnade und Treue ewig währen. Samuel Horsley † 1806.


V. 1. Kommt. Ist es wahr, dass ein "Kommt, lasst uns dies und das tun" wirksamer ist als zwanzig "Geht, tut das und das", wie sorgsam sollten dann solche, die Gott auf einen hervorragenden Platz gestellt hat, danach streben, dass ihr Vorbild eine Jakobsleiter sei, die da Menschen zum Himmel helfe, und nicht dem Leben des Jerobeam gleiche, der Israel Steine des Anstoßes in den Weg legte und das Volk sündigen machte. Charles Herle † 1659.
  Ihr haltet es im Irdischen für eine gute Regel, euren Knechten und Mägden nicht immer nur rauhe Befehle zu erteilen, sondern zu ihnen zu sprechen: Komm, lass uns gehen, lass uns dies und das tun. Sollen denn auch darin die Kinder dieser Welt klüger sein als die Kinder des Lichts? Empfehlen wir solches Verfahren in den weltlichen Dingen und vernachlässigen wir es in den geistlichen? Wahrlich, wenn unser Eifer für den HERRN so groß wäre wie unsre Liebe zu der Welt tatsächlich ist, so kämen die Herren nicht, wie so viele es tun, ohne ihr Gesinde zur Kirche und das Gesinde nicht ohne seine Herrschaft, nicht die Eltern ohne ihre Kinder und die Kinder ohne ihre Eltern, nicht die Männer ohne ihre Frauen und die Fragen ohne ihre Männer, sondern wir alle würden einer dem andern zurufen wie der Psalmist hier, oder wie es in Jes. 2,3 steht: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! John Boys † 1625.
  Unser Fuß hat eine viel größere Neigung, hinwegzugehen zu dem Acker, den Ochsen, dem Weibe, als zu kommen zu den heiligen Vorhöfen des HERRN. Lk. 14,18 ff. Martin Geier † 1681.
  Dem Hort unseres Heils. Jesus ist der ewige Fels, aus welchem uns ein Born des Heils wider alle Sünde und Uneinigkeit fließt, der Fels, der der Gemeinde in der Wüste mit folgt und ihr Wasser des Lebens darreicht, der Fels, der uns eine sichere Feste bietet gegen jeden Feind, und Schatten und Erquickung in der Hitze und der Einöde. Bischof George Horne † 1792.


V. 2. Psalmen. Das hier stehende twrmz ist der Psalmenname nach 2. Samuel 23,1, während rwmzm nur als technischer Ausdruck gebräuchlich ist. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 3. Über alle Götter. Gangbare Formel wie 96,4; 97,9. Es könnte zwar an sich auch Engel bezeichnen (wie Calvin anheimgibt), aber schwerlich in dieser Formel und ähnlichen, die die unvergleichliche Erhabenheit Gottes über die "Götter" besagen, wie 2. Mose 18,11; 15,11 usw. Mit Recht erklärt sich Hengstenberg gegen den Schluss daraus auf die Annahme einer wirklichen Existenz der heidnischen Götter, vergl. 96,5, wo sie elihim, Nichtige (wie so oft bei Propheten neben Hauch und dergleichen) genannt werden, im Gegensatz mit Jehovah, der "den Himmel gemacht hat", d. i. Schöpfer der Welt ist. (Vergl. auch hier die folgenden Verse.) Es ist das so klar und allgemein anerkannt, dass die älteren Theologen und Ausleger sich zu einer Verwahrung dagegen nicht veranlasst finden konnten; aber der neuesten theologischen Weisheit gegenüber, die in ihrem blinden mythologischen Drang (und daher schnöden Rückfall in das spätere Judentum) nun auch an der Realität der heidnischen Götter angelangt ist, ist sie als Zeugnis nicht mehr überflüssig. Prof. Herm. Hupfeld 1862.


V. 4. In seiner Hand. Das Herrschaftsrecht Gottes ist auf seine Erhaltung der Dinge gegründet. "Der HERR ist ein großer König über alle Götter." Warum? "Denn in seiner Hand ist das Inwendige der Erde usw." Seine Hand hält alles, darum hat seine Hand Herrschermacht darüber. Wer einen Stein in seiner Hand hält, übt eine Herrschaft aus über dessen natürliche Neigung, indem er ihn vom Fallen abhält. Die ganze Schöpfung ist in ihrer Erhaltung völlig von Gott abhängig; sobald die göttliche Hand, die alles trägt, sich zurückzöge, würde ein ohnmächtiges Zusammensinken alles Geschaffenen die unmittelbare Folge sein. Stephen Charnock † 1680.
  Was unten in der Erde ist. Wie wunderbar gibt sich doch Gottes Macht und Weisheit in den Bergwerksschätzen kund. Wären die Steinkohlen z. B. noch in ihrer ursprünglichen Tiefe gelagert, d. h. lägen die geologischen Schichten noch horizontal, wären sie nicht durch Gottes Allmacht vielfach verschoben und aufgerichtet, so hätte der Mensch diese Schätze nimmer entdecken können. Gott hat dem Menschen im Innern der Erde wunderbare Reichtümer an Kohlen, Metallen und andern nützlichen und wichtigen Stoffen aufgespeichert, und zwar so, dass sie dem Fleiß des Menschen zugänglich sind und doch nur allmählich abgebaut, nicht von einem Geschlecht verschwendet werden können. Wie fürsorglich ferner, dass die Kohlenflötze durch Gesteinsmassen voneinander geschieden sind, so dass nicht das Ganze beim Abbau zusammenbricht. Alles ist planvoll für den Menschen, den Herrn der Erde, bereitet. - Nach G. Hartwig † 1866.
  In seiner Hand sind die Tiefen der Erde. Das ist gar tröstlich auch für diejenigen, die zur Verherrlichung des göttlichen Namens in Kerkern und unterirdischen Höhlen verschlossen sind; denn sie wissen, dass sie selbst dort nichts scheiden kann von der Gegenwart Gottes, ihres Heilandes. Er erhielt den Joseph, als er von seinen Brüdern in die Grube und hernach von seiner schamlosen Herrin ins Gefängnis geworfen worden war; desgleichen den Jeremia, als er in die Grube, den Daniel, als er zu den Löwen, und seine Gefährten, als sie in den feurigen Ofen geworfen worden waren. Gleicherweise erhält und errettet er noch heutigen Tages alle, die mit festem Glauben an ihm hangen. Salomon Geßner † 1605


V. 5. Das Meer, das Trockne. Das räumliche Verhältnis des Festlands zum Wasser übt einen großen, ganz wichtigen Einfluss aus auf die Verteilung der Hitze, die Verschiedenheiten des Lustdrucks, die Richtung der Winde und die für alles Leben so wichtige Feuchtigkeit der Luft. Fast drei Viertel der Erdrinde sind mit Wasser bedeckt. Und wiewohl die Tiefe des Ozeans so wenig wie die Höhe des Luftkreises schon genau von uns gemessen ist, wissen wir doch so viel, dass bei jeder beträchlichen Vermehrung oder Verminderung der gegenwärtigen Wassermasse die Gestalt und Größe des Festlandes sich so verändern müsste, dass die jetzt bestehende Harmonie der irdischen Dinge in vielen Beziehungen aufhören würde. Das Verhältnis von Wasser und Land ist genau dasjenige, welches die Welt bedarf; und die ganze Masse von Erde, Meer und Luft muss mit der größten Genauigkeit gegeneinander abgewogen worden sein, ehe auch nur ein Krokus aufrecht stehen oder ein Schneeglöcklein sein Köpfchen zur Erde neigen konnte. Die Maßverhältnisse von Land und Meer sind ihren wechselseitigen Verrichtungen genau angepasst. Das ist ein sicheres Ergebnis der Wissenschaft. Edwin Sidney 1866.

  Als ich die Erde schuf, wo warest du?
  So sag’ es doch, du Meister vom Verstande!
  Wer teilte - weißt du’s? - ihr die Maße zu?
  Wer ist’s, der über sie die Richtschnur spannte?
  Worauf ruht ihrer Fundamente Last
  Und wer hat ihr den Schlussstein eingepasst,
  Als der Gestirne Chor in Morgenschöne
  Erklang und jauchzten alle Gottessöhne?

  Wer schloss in Türen ein des Meeres Weite,
  Als es dem Mutterschoß entquoll mit Macht,
  Als ich ihm das Gewölk zum Kleide,
  Zur Windel gab die Nebelnacht;
  Als ich die schroffe Wand ihm rings gebrochen
  Und Riegel gab und Tore, und gesprochen:
  Bis hierher sollst du kommen, weiter nicht!
  Hier sei’s, wo deiner Wellen Stolz sich bricht!?

  Bist du gedrungen zu des Meeres Quellen,
  Hast dich ergangen in der Tiefe Graun?
  Sind vor dir aufgedeckt des Todes Schwellen?
  Magst du des Schattenlandes Tore schaun?
  Hast du im Blick die Erde weit und breit?
  Wenn du es alles weißt, gib mir Bescheid!

  Hiob 38,4-11.16-18 nach G. Kemmler 1877.6


V. 4.5. Wo Gott selbst, Hiob 38, in der aus dem Gewitter erschallenden Rede eine unumschränkte Herrscherfreiheit verteidigt, zieht er die hauptsächlichsten Beweise aus der Erschaffung der Welt. So auch der Apostel Paulus in der Predigt an die Athener. Weil Gott die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, wird er genannt ein Herr Himmels und der Erde. (Apg. 17,24.) Sein Besitzrecht wird Ps. 89,12 auf eben dasselbe gegründet. Und weil er Israel als Geschöpf oder vielmehr als Kirche gebildet hat, verlangt er, dass das Volk ihm als seinem Herrn diene. (Jes. 44,21) Die Oberherrschaft Gottes ergibt sich als etwas ganz Selbstverständliches aus der Beziehung, in welcher alle Dinge zu ihm als ihrem Schöpfer stehen, und aus ihrer natürlichen und unlösbaren Abhängigkeit von ihm in Hinsicht ihres Daseins und Wohlseins. Stephen Charnock † 1680.

  Die Erde war geformt, jedoch im Schoß
  Der Wasser noch als ungereifte Frucht.
  Ein großes Meer floss auf der Erdenfläche
  Doch tätig, denn mit fruchtbar warmem Nass
  Den Ball erweichend sanft, befruchtete
  Es diese große Mutter zur Empfängnis,
  Die mit der Zeugungskraft gesättigt ward.

  Gott sprach: Nun sammelt euch, ihr Wasser all’,
  In einem Raum, und zeuget festes Land!
  Im Nu erschienen ungeheure Berge
  Und reckten ihre breiten kahlen Nacken
  Zum Wolkenreich, die Gipfel stießen hoch
  Am Himmel an; so hoch Gebirge sich
  Erhob, so tief versank der hohle Boden
  Als Bett der Wasser; dahin fluten sie
  In froher Hast.

  John Milton, Verl. Paradies, 7. Buch. (Nach Ad. Böttger)


V. 6. Lasst uns niederfallen. Das sich auf den Boden Werfen ist eine Gebärde der Anbetung, die sich nicht nur ziemt, wenn der Anbetende von Trauer erfüllt ist, sondern auch, wenn er voller Freude ist. Von den Weisen aus dem Morgenland heißt es, sie seien hoch erfreut gewesen, als sie dank der Leitung des Sternes das Kindlein gefunden hätten, und alsbald wird weiter gesagt: Sie fielen nieder und beteten es an. Und ebenso wenig ist diese Körperhaltung auf Zeiten und Anlässe besonderer Freude oder besonderen Schmerzes beschränkt, sondern ganz allgemein lautet die Aufforderung: Kommt, lasst uns niederfallen und hinsinken usw. Joseph Caryl † 1673.
  Niederfallen, nämlich so, dass der Anbeter, auf Hände und Füße hingestreckt, mit seiner Stirn den Boden berührt. Siehe 2. Chr. 7,3. John Fry 1842.
  Kimchi unterscheidet die verschiedenen hier empfohlenen Körperstellungen. Das erste Wort, das wir mit anbeten übersetzen, bezeichne das Niederwerfen des ganzen Körpers mit ausgestreckten Händen und Füßen. Das zweite zeige ein Neigen des Hauptes mit teilweiser Beugung des Körpers an, und das dritte das Knie Beugen. Samuel Burder 1839.


V. 7. Jesu Christe, du göttlicher Hirt unserer Seelen, der uns nicht nur nährt auf seiner Weide, sondern uns auch führt mit seiner Hand! Liebevoller Hirte, der du uns nicht nur auf den grünen Auen der Heiligen Schrift weidest, sondern uns sogar mit deinem eigenen Fleische nährst! Was für Anlass zu nimmer endender Anbetung für eine Seele, die von diesen erhabenen Wahrheiten durchdrungen ist! Wohl mögen da Tränen der Freude quillen beim Anblick solch überschwänglicher Gnade! Pasquier Quesnel † 1719.
  Heute. Wenn wir die Buße einen Tag aufschieben, so haben wir einen Tag mehr zu bereuen und einen Tag weniger zum Bereuen. William Mason † 1791.
  Er, der uns Vergebung zugesichert hat, wenn wir Buße tun, hat nicht versprochen, uns das Leben zu erhalten, bis wir Buße tun. Francis Quarles † 1644.
  Ihr könnt nie zu früh bereuen, weil ihr nicht wisset, wie bald es zu spät sein mag. Thomas Fuller † 1661.
  So ihr seine Stimme höret. Israel hörte die Stimme unter den Donnern des Sinai, jene Stimme der Worte, welcher sich verweigerten, die sie hörten, und also schrecklich war das Gesicht, dass selbst Mose sprach: Ich bin erschrocken und zittere. (Hebr. 12,19 ff.) Aber sie hörten auch die stille, sanfte Stimme der Liebe des HERRN in dem Manna, das um ihr Lager fiel, und in dem erquickenden Rauschen des Wassers, das aus dem Felsen quoll. Dennoch läuft der Bericht der Undankbarkeit Israels Seite an Seite neben dem Bericht der Wohltaten des HERRN. "Aber mein Volk hörte nicht auf meine Stimme, und Israel war mir nicht willfährig." (Ps.81,12 Grundtext) Barton Bouchier 1855.
  So ihr usw. Und doch ist es, wie Bernhard von Clairvaux bemerkt, gar nicht schwierig sie zu hören; im Gegenteil, die Schwierigkeit besteht darin, die Ohren wirksam gegen diese Stimme zu verschließen - so klar ist sie im Ausdruck und so beständig dringt sie an uns heran. Und doch sind, wie Hugo a St. Caro sagt, ihrer so viele, die sie nicht hören - weil sie ihr zu fern sind oder weil sie taub sind, weil sie schlafen, weil sie den Kopf wegkehren, weil sie sich die Ohren verstopfen, weil sie davon fliehen, um nicht zu hören, oder weil sie tot sind. So verschiedenartig und verschiedengradig ist der Unglaube. James Millard Neale 1860.
  Es wird morgen für dich ebenso schwierig, ja noch schwieriger sein, zu Christo zu kommen, als es heute ist. Darum brich das Eis jetzt und wage dich im Glauben an das, was dir zu tun befohlen ist. Du wirst niemals wissen, wie sanft das Joch Christi ist, bis es um deinen Nacken gelegt ist, noch wie leicht seine Last, bis du sie aufgenommen hast. Solange du die Heiligkeit von ferne beurteilst als etwas, das außer dir und wider dich ist, wirst du sie niemals mögen. Komm ihr ein wenig näher; lass dich mit ihr ein, nimm sie in dich auf und übe sie aus, so wirst du bald finden, wie köstlich sie ist. Thomas Cole † 1697.


V. 8. So verstocket euer Herz nicht. Ein betagter Mann nahm eines Tages ein Kind auf den Schoß und bat es, es möchte doch jetzt Gott suchen, zu ihm beten und ihn lieben. Auf einmal fragte das Kind, indem es dabei ihm in die Augen blickte: "Aber warum suchst du denn Gott nicht?" Tief bewegt erwiderte der Greis: "Ich möchte wohl, Kind; aber mein Herz ist hart, mein Herz ist hart." K. Arvine 1859.
  Herz. Damit werden bald die einzelnen Fähigkeiten der Seele - Verstand, Gemüt und Wille - für sich, bald alle miteinander, also die ganze Seele zeichnet. So hier. Bei der Herzensverhärtung kommen Blindheit des Verstandes, Hartnäckigkeit des Willens und Stumpfheit des Gemütes zusammen. William Gouge † 1653.


V. 9. Man kann die Worte auf zweierlei Art deuten. Da Gott versuchen nichts anderes ist als einem krankhaften und unverantwortlichen Begehren frönen nach Proben seiner Macht, können wir den Vers in einem Zuge lesen: Sie versuchten mich und prüften mich, wiewohl sie mein Werk bereits gesehen hatten. Gott beklagt sich billig darüber, dass sie auf neuen Erprobungen bestanden, nachdem seine Macht sich schon so reichlich durch unleugbare Erweise bezeugt hatte. Man kann dem Worte prüfen aber noch einen anderen Sinn geben, wonach sich die Bedeutung der Stelle folgendermaßen darstellen würde: Eure Väter versuchten mich, indem sie fragten, wo Gott: sei, ungeachtet all der Wohltaten, die ich ihnen erwiesen hatte. Und sie erprobten mich, d. i. sie bekamen eine tatsächliche Erfahrung von dem, was ich bin, insofern als ich nicht aufhörte, ihnen offenkundige Erweise meiner Gegenwart zu geben; und somit sahen sie mein Werk. Jean Calvin † 1564.
  Wir sind es vielleicht nicht gewohnt, den Unglauben oder das Murren als nichts Geringeres denn ein Versuchen Gottes anzusehen, und legen darum dieser so allgemeinen Sünde nicht den ihr zukommenden Grad der Verabscheuungswürdigkeit bei. Es ist uns so natürlich, unzufrieden zu sein, sobald Gottes Tun uns nicht ganz genehm ist, zu vergessen, was er uns bereits alles Gutes getan hat, sobald unsere Wünsche durchkreuzt scheinen, unter jedem neuen Kreuze ungeduldig und mürrisch zu sein, dass wir uns dabei kaum bewusst werden, dass wir eine Sünde begehen, und noch viel weniger, dass es eine außerordentlich schwere ist. Aber so hart das Urteil scheinen mag - wir können in der Tat Gott nicht misstrauen, ohne ihn eines Mangels an Macht oder an Güte zu beschuldigen. Du kannst nicht murren, nicht einmal missvergnügt sein, ohne damit tatsächlich Gott zu bedeuten, dass seine Ratschlüsse nicht die besten, seine Führungen nicht die weisesten seien, die er in Bezug auf dich hatte treffen können. So ist demnach deine Furcht, dein Verzagen oder dein ängstliches Sorgen in Verlegenheiten oder Gefahren nichts Geringeres als ein Auffordern Gottes, von seinem festen Plane abzugehen, ein Argwöhnen oder vielmehr ein Behaupten, dass er in einer seines Wesens würdigeren Weise vorgehen könnte, und darum eine Herausforderung, er solle sein Verhalten ändern, wenn er erweisen wolle, dass er die Vollkommenheiten wirklich besitze, die er für sich in Anspruch nehme. Du magst es nicht beabsichtigen, Gott solcherweise anzuklagen oder herauszufordern, wenn du murrst, aber dein Murren tut das tatsächlich, darüber kann kein Zweifel sein. Henry Melvill † 1871.


V. 10. Vierzig Jahre usw. O der verzweifelt bösen Vermessenheit des Menschen, seinen Schöpfer vierzig Jahre zu beleidigen! O der Geduld und Langmut seines Schöpfers, dass er ihm vierzig Jahre ihn zu kränken zulässt! Die Sünde beginnt in dem Herzen, indem es begehrt, Irrwege zu gehen und nach Verbotenem umherzustreifen. Daraus folgt dann Unachtsamkeit auf die Wege Gottes, auf seine Führungen und unsre Pflichten. Böse Lust im Herzen greift bald den Kopf an und benebelt das Verständnis. Bischof George Horne † 1792.
  Deren Herz immer den Irrweg will. Es gibt ein Irren aus Unwissenheit, aber das hier erwähnte Irren kommt aus der Verderbtheit und Verkehrtheit des Herzens, aus einem Gemüt, das Gott abgeneigt, seinem Willen und seinen Wegen entfremdet ist. Wolfgang Musculus † 1563.
  Vorher hat er sie Schafe genannt, und nun stellt er ihre Neigung zum Irregehen und ihre Untauglichkeit, sich führen zu lassen, fest; denn sie erkannten die Fußstapfen ihres Hirten nicht, geschweige denn dass sie ihnen folgten. C. H. Spurgeon 1874.
  Sie erkannten meine Wege nicht (buchstäblich), d. h. sie achteten nicht auf sie, erkannten sie nicht an, sie wollten nichts von ihnen wissen; denn in anderem Sinn waren sie nicht unwissend in Betreff ihrer. Sie hörten ja Gottes Worte und sahen seine Werke wohl. David Dickson † 1662.
  Unter Gottes Wegen können entweder seine Führungen oder seine Vorschriften verstanden werden. Die Ersteren verstanden sie nicht richtig, und was die Letzteren betrifft, so weigerten sie sich hartnäckig, sie erfahrungsmäßig - und das ist darin doch die einzige schätzenswerte Weise der Erkenntnis - kennenzulernen. John Brown 1862.


V. 11. Dass ich schwor. Das Wort schwören ist sehr bedeutsam und scheint mir hier zweierlei anzuzeigen. Erstens die Gewissheit des hier gesprochenen Urteils. Jedes Gotteswort ist wahr und kann nicht anders sein, denn es ist unmöglich, dass Gott lüge. Wenn ein Gotteswort aber mit einem Eide bekräftigt wird, so ist es unwiderruflich, wie ein Gesetz der Meder und Perser; es kann, mögen die Menschen ihr Verhalten ändern, wie sie wollen, nicht zurückgenommen oder abgeändert werden. Zweitens deutet es die Schrecklichkeit des Urteils an. Wenn die Kinder Israel schon bei der Gesetzgebung riefen: "Lass Gott nicht mit uns reden, sonst müssen wir sterben!" (2. Mose 20,19), was würden sie erst gesagt haben, wenn Gott wider sie geschworen hätte! Es ist schon schrecklich, einen Schwur aus dem Munde eines armen Sterblichen zu hören; aber aus dem Munde des allmächtigen Gottes ergreift er nicht nur, sondern macht in Bestürzung verstummen, verstört und vernichtet. Ein Schwur von Gott ist Wahrheit, gesprochen im Zorn, Wahrheit, gesprochen mit der Heftigkeit der Rache, wenn ich mich so ausdrücken darf. Wenn Gott spricht, so ist es die Pflicht des Geschöpfes, zu hören: wenn er schwört, zu zittern. Robert South † 1716.
  Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen. Diese Gottesruhe war das Land Kanaan. Es ist so genannt, weil Gott dort sein Werk an Israel vollenden und weil er dort das Sinnbild seiner Gegenwart unter dem Volke zu einer festen Stätte machen wollte. Sie sollten dort ruhen von ihrem Wandern und sicher unter ihres Gottes Schutze leben. Es ist seine Ruhe, weil er sie ihnen bereitet und weil sie dort mit ihm und gleich ihm ruhen sollen. - Wir sind keineswegs berechtigt zu schließen, dass alle die, welche in der Wüste starben, um die ewige Seligkeit gekommen seien. Wohl haben wir Grund zu fürchten, dass es bei vielen, ja bei den meisten von ihnen der Fall gewesen sei; aber der über sie ausgesprochene Fluch ging zunächst nur auf ihre Ausschließung aus dem irdischen Kanaan. Bei uns jedoch handelt es sich, wie um das ewige Heil, so um die ewige Verdammnis. John Brown 1862.


V. 6-11. Die Aufmunterung zum Frohlocken, Jauchzen und Danken geht voran, und wird das Herz hierzu in Erkenntnis der Größe Gottes erweitert. Wenn aber die Freude im Herzen wohnhaft und gewurzelt wird, so geht es dann mehr ins stillere Anbeten und gebeugt Niederfallen, und zwar mehr aus Erkenntnis dessen, was er an uns durch unsere Begnadigung und Annahme vor allen andern getan hat. Kommt schon das Knie Beugen und Niederfallen bei der heutigen kaltsinnigen Welt in Abgang, lass du es dir um deswillen nicht verleiden; du hast an vieltausend heiligen Engeln und Anbetern vor dem Thron Gottes Vorgänge und Exempel genug. - Wie einer mit Gottes Wort umgeht, so wird er auch dazu zum Anbeten gestimmt. Der Glaube macht ein weiches, auch zum Gebet ausfließendes Herz; der Unglaube ein hartes und zum Gebet verschlossenes Herz. Und wie der dem Wort der Verheißung schuldige Glaube im Herzen abnimmt, so gewinnen hingegen alle Lüste des Fleisches Eingang und Meisterschaft, und es gibt hernach in der Versuchungswüste bei eines jeden Lauf solche missliche Örter wie Massa und Meriba, dass man ins Murren wider Gott, ins Versuchen und Ansprüche Machen hineingerät. O was ist es um einen gebeugten, zufriedenen, anbetenden, jauchzenden, lobenden Glauben! Ach, lasst uns bei demselben Fleiß tun, dass wir die Verheißung, zu seiner Ruhe einzukommen, nicht versäumen, und unser doch keines dahinten bleibe! Ach, lasse du, unser Bundesgott, zu deiner Ruhe und deinem Abendmahl uns zu! Karl Heinrich Rieger † 1791.


Homiletische Winke

V. 1. Eine Aufforderung, den HERRN zu preisen. 1) Eine vorzügliche Weise der Anbetung: frohlockender Gesang. 2) Eine zum Singen trefflich passende Stimmung: fröhliche Dankbarkeit. 3) Was uns zu beidem, zu Dankbarkeit und frohlockendem Lobgesang, anregen mag: der HERR ist der Hort unseres Heils.
  Der Hort unseres Heils. Ein vielsagendes Bild. Dieser Fels bietet Zuflucht, Herberge, festen Grund und auch Versorgung (Wasser aus dem Felsen).
V. 2. 1) Was das heißt: vor sein Angesicht kommen. Wahrlich nicht wallfahren zu heiligen Orten usw. 2) Welche Opfergaben uns am meisten ziemen, wenn wir vor sein Angesicht kommen.
V. 3. 1) Die Größe Gottes nach seiner göttlichen Vollkommenheit, Güte, Macht, Herrlichkeit usw. 2) Seine Herrschaft über alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 3) Die Anbetung, die ihm demgemäß gebührt.
V. 4.5. Wie allumfassend Gottes Herrschaft ist. Sie umfasst 1) alle Teile der Erdkugel, 2) das ganze Gebiet der Vorsehung, 3) alle sittlichen Entwicklungsstufen. Oder: Dunkle Tiefen und schwindlige Höhen sind in Gottes Hand; das Unbeständigste, Grauenhafteste und Unbezwingbarste - das Meer - steht unter seiner Aufsicht so gut wie die terra firma des Friedens und Wohlergehens.
V. 5. Das Meer! Das Meer! Eine Predigt für Seeleute von C. H. Spurgeon. Phil. Bickel, Hamburg.
V. 6. Die richtige Erkenntnis Gottes erzeugt 1) Geneigtheit zur Anbetung, 2) gegenseitige Anreizung zur Anbetung, 3) tiefe Ehrfurcht bei der Anbetung, 4) ein überwältigendes Gefühl der Gegenwart Gottes bei der Anbetung. Charles A. Davis 1874.
V. 6.7. Wir sollen Gott anbeten 1) als unseren Schöpfer: Er hat uns gemacht; 2) als unseren Erlöser: das Volk seiner Weide; 3) als unseren Erhalter: Schafe seiner Hand. George Rogers 1874.
V. 7. 1) Der dringende Ruf des Heiligen Geistes. "Der Heilige Geist spricht" (Hebr. 3,7) a) in der Heiligen Schrift, b) in den Herzen der Kinder Gottes, c) in dem Gemüt der Erweckten, d) durch sein Gnadenwirken. 2) Eine dringende Pflicht: hören auf seine unterweisende, befehlende, einladende, versprechende, warnende Stimme. 3) Ein zur Entscheidung drängender Zeitpunkt: Heute. Da Gott spricht, nach solcher langen Zeit (Hebr. 4,7), am Tage der Gnade, jetzt, in eurem gegenwärtigen Zustand. 4) Die dringende Gefahr: Verstockt euer Herz nicht durch Gleichgültigkeit, Unglauben, Fordern von Zeichen, Vermessenheit, weltliche Lüste usw.
  Ihr Sünder, hört Gottes Stimme, denn 1) das Leben ist kurz und unsicher. 2) Ihr könnet nicht über das verfügen, was gar nicht euer ist. 3) Wenn ihr, ob auch nur bis morgen, zaudert, so verhärtet ihr damit euer Herz. 4) Es ist aller Grund zu der Befürchtung, dass ihr, wenn ihr eure Sinnesänderung auf morgen verschiebt, niemals damit beginnen werdet. 5) Gott hört nach einer gewissen Zeit auf, mit dem Sünder zu ringen. 6) Ein gottseliges Leben bringt weder Qual noch Langeweile, ist weder ermüdend noch widerwärtig, dass ihr wünschen müsstet, das Beginnen desselben möglichst lange hinauszuschieben. Edward Payson † 1827.
  Der Unterschied der Zeiten in geistlicher Hinsicht. 1) Früher oder später sind sich nicht gleich in Hinsicht auf die Ewigkeit. 2) Zeiten der Unwissenheit und Zeiten der Erkenntnis sind nicht gleich. 3) Vor der freiwilligen Begehung wesentlicher Sünden oder hernach ist nicht gleich. 4) Vor der Aneignung böser Gewohnheiten oder hernach ist nicht gleich. 5) Die Zeiten besonderer göttlicher Gnadenheimsuchungen und die Zeit, da er uns seine gnädige Gegenwart und Hilfe entzieht, sind nicht gleich. 6) Die Zeit, da wir in Gesundheit und Kraft stehen, und die Zeit der Krankheit, Schwachheit und des nahenden Todes sind nicht gleich. 7) Jetzt und hernach, Gegenwart und Zukunft, diese Welt und die zukünftige sind nicht gleich.
V. 7.8. Das Hören auf Gottes Stimme, sonderlich auf die im Evangelium erschallende Stimme Christi, ist das beste Mittel, der Verstockung des Herzens vorzubeugen. Das Evangelium macht und erhält das Herz weich. William Gouge † 1653.
V. 9. 1) Israels schrecklicher Versuch, Gott zu versuchen. 2) Die furchtbare Wirkung dieses Versuchs. 3) Lasst uns den Versuch nicht wiederholen. Charles A. Davis
V. 10. Welches Irren und welche Unwissenheit verhängnisvoll sind.
V. 11. Der verhängnisvolle Augenblick, da eine Seele von Gott aufgegeben wird. Wie dieses Gericht beschleunigt werden kann, was die Zeichen davon sind und was die schrecklichen Folgen.
V. 10.11. Das Erglimmen, Auflodern und volle Brennen des göttlichen Zornes und dessen entsetzliche Wirkungen.

Fußnoten

1. Vielleicht haben die Alten den persischen Meerbusen (mit dem Schilfmeer) von seinem Korallenreichtum das Rote Meer genannt, vielleicht auch von seinen braunroten Anwohnern, den Edomitern und andern. (Edom hat ja seinen Namen von der rötlichen Farbe.) Vergl. Calwer Bibellexikon, Artikel Schilfmeer.

2. t$ebIeya ist, wie das Fehlen des Artikels zeigt, stat. constr., das Folgende ein Relativsatz. Vergl. 90,15. Schultz, Keßler.

3. Beweis dafür ist eben, dass bI: (ma$f nicht heißt etwas hören, sondern auf etwas hören, gehorchen.

4. Der hebr. Text liest freilich: an einem Geschlecht, und diese Richtdeterminierung könnte allerdings beabsichtigen, das Generelle hervorzuheben: an einem ganzen Geschlecht (vergl. Delitzsch und Moll), oder die Entrüstung auszudrücken: an einem solchen Geschlecht! (Kautsch.) Die alten Übersetzer haben aber, wie Luther und die meisten neueren, gelesen: an diesem Geschlecht.

5. Vergl. die Anm. Bd. II, S. 612 zu Ps. 78,16.

6. Hiob. In dichterischer Form wiedergegeben von Pf. G. Kemmler, Calver Vereinsbuchhandlung.