Buch-Rezension: Bildungspflicht statt Schulzwang - Staatsrecht und Elternrecht angesichts der Diskussion um den Hausunterricht

Bildungspflicht statt Schulzwang

Autor:

»Der Staat…verbürgt sich, das unveräußerliche Recht und die unveräußerliche Pflicht der Eltern zu achten, je nach ihren Mitteln für die religiöse, moralische, geistige, körperliche und soziale Erziehung ihrer Kinder Sorge zu tragen. Es steht den Eltern frei, für diese Erziehung in ihrer Privatwohnung, in Privatschulen oder in staatlich anerkannten oder vom Staat eingerichteten Schulen zu sorgen. Der Staat darf die Eltern nicht dazu verpflichten, ihre Kinder unter Verletzung ihres Gewissens und ihrer rechtmäßigen Vorliebe in staatliche Schulen oder irgendeinen besonderen vom Staate vorgeschriebenen Schultypus zu schicken«.

So sollte es in den jeweiligen Verfassungen deutscher Bundesländer verankert sein (denen ja in unserem Land die Kultur- und Schulhoheit zusteht). Aber weit gefehlt! So steht es in vorbildlicher Weise in der Verfassung von Irland (Art. 42,1-3) – und ähnlich auch in den meisten anderen europäischen Ländern. Deutschland hingegen ist europaweit und – von einigen Diktaturen einmal abgesehen – weltweit das Land, das mit einem absoluten und strafbewehrten Verbot jeglichen Hausunterricht verbietet und für seine Gängelung von Privatschulen unter allen Ländern den schlechtesten Ruf hat. Deutschland verletzt in der Bildungsfrage systematisch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn es dort heißt:

»Der Staat hat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen« (Art 2).

Für viele Eltern in Deutschland ist das aber kein Menschenrecht, sondern menschenverachtende Wirklichkeit. Eltern, die in den deutschen Bundesländern (Ausnahme Niedersachsen) für ihre Kinder eine Hausschule wünschen und ihre Kinder zu Hause unterrichten möchten, werden mit Gerichtsbeschlüssen, Polizeieinsatz und Gefängnisstrafen „fertig gemacht“, wie Kriminelle stigmatisiert und ausgegrenzt. „Homeschooling“ – ist hierzulande die „Todsünde“ im staatlichen Schulsystem.

In 41 Thesen beleuchtet Thomas Schirrmacher diesen himmelschreienden Skandal deutscher Schulwirklichkeit und bezieht dazu kompetent, sachkundig, gut informiert und engagiert Stellung. Seine Thesen sind unter anderem auch als idea-Dokumentation (4/2005) erschienen – und somit allen Interessierten problemlos zugänglich. In seinem akribisch genauen und engagierten Plädoyer „Bildungspflicht statt Schulzwang“ unterzieht er nicht nur die deutsche Schulwirklichkeit einer schonungslos-sachlichen Kritik, sondern zeigt in seinen Thesen auch die Möglichkeiten von guten, praktikablen Alternativen und Lösungen auf. Ihm geht es nicht darum, staatliche Schule zu verunglimpfen oder um billige Kritik. Auch nicht darum, jede Form des Unterrichts zu Hause zu glorifizieren. Ihm geht es darum, die Überreaktionen des deutschen Staates (genauer der Bundesländer und ihrer Schulbehörden) offenzulegen, der den im Ausland gängigen pädagogischen Konzepten nicht mit Argumenten entgegentritt, sondern mit Strafe, Gefängnis und Polizei.

Sein Fazit: Der strafbewehrte Schulzwang, in Deutschland 1938 von Hitler eingeführt, gehört in unserer Demokratie dringend zugunsten einer in vielfältiger Form erfüllbaren Bildungspflicht abgeschafft.

Diese Dokumentation, ursprünglich vom Autor als Stellungnahme des Martin Bucer Seminars für einen Sammelband für Erziehungswissenschaft der Universität Bonn in einer pädagogischen Fachreihe erstellt, bietet eine sehr sorgfältig belegte Fülle an Fakten, Informationen und Argumenten in der Auseinandersetzung von Staatsrecht und Elternrecht angesichts der Diskussion um den Hausunterricht. Alle Eltern, die schulpflichtige Kinder haben, sollten diese aufrüttelnde Dokumentation unbedingt lesen und kennen – unabhängig von ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Überzeugung, wie es mündigen Staatsbürgern entspricht. Für alle Pädagogen aber (und die es werden wollen) sowie für alle verantwortlichen Lehrer und weisungsbefugten Leitern in den Schulbehörden sollte diese Dokumentation unabdingbare Pflichtlektüre sein.

Als Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, da war das für die Kirche seiner Zeit der Auslöser und Beginn einer Reformation. Ob die 41 Thesen von Thomas Schirrmacher im gegenwärtigen Zustand deutscher Schulpolitik auch zum Umdenken und zu einer Reformation führen, bleibt angesichts der Wirklichkeit fraglich. Zu wünschen wäre es aber – zumindest dies, dass der bisherige „Terror“ von Schulbehörden gegen Eltern und ihren Kindern in Deutschland mit Gerichtsbeschlüssen, Polizei und Gefängnis ein Ende hat, und ihnen die überall in Europa gewährte Entscheidungsfreiheit lässt, ihr Kind auf eine Schule zu schicken oder es kompetent und sachkundig zu Hause unterrichten zu lassen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Manfred Bönig
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Verlag für Kultur und Wissenschaft
  Jahr: 2005
  ISBN: 3-938116-04-8
  Seiten: 92
 €    Preis: 5,90 Euro

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