1. Mose 4,16 - Prophetie

Kann man Näheres erfahren über das ergreifende Wort 1. Mose 4,16 und seine Beziehungen zur Schrift Alten und Neuen Testaments sowie zur heutigen Zeit, möglichenfalls auch zur Prophetie?

Antwort A

Das weitere über Kain folgt in den Versen 17-24. Das brauchte nicht gefragt zu werden. Bei dem Land „Nod” ist es zwecklos, nach einem speziellen Bezirk der Erdoberfläche zu fragen. Der Name ist nach seiner Bedeutung zu werten, und die ist „Flucht”, nach dem Worte Jehovas in Vers 12: „unstet und flüchtig sollst du sein auf der Erde.

Wenn nach den näher bezeichneten Beziehungen gefragt wird, dann ist aber auch das Vorhergehende und Nachfolgende in Kap. 4 einzuziehen. Da geht dann von Vers 4 sofort eine direkte Verbindungslinie zu Hebr. 11, Vers 4 hin. Wie Scheinwerferlicht erleuchtet letztere Stelle die erstere und lässt deutlich erkennen: Abel stellte sich auf den Boden einer irgendwie beiden zuteil gewordenen Belehrung: Der sündige Zustand des Menschen erfordert, dass ein Stellvertreter den Tod erleide, sollte der dem Tode verfallene Mensch dem Tode auf die eine oder andere Weise entrinnen können. (Welches die Art und Weise des Entrinnens ist, wurde später erst geoffenbart: Auferstehung oder Entrückung, nicht „bewahrt bleiben vor dem leiblichen Tode”.) Abel wird „ein Gerechter” betitelt, weil er den rechten, den von Gott, der die Todesstrafe verhängt hatte, gewiesenen Weg ging.

Die Linie geht weiter zum 1. Brief des Johannes, Kap. 3,7-12, wo Abels Tun, Abels Darbringung eines stellvertretenden Opfers, geradezu als der Inhalt seiner ganzen Lebensführung dargestellt wird, als „seine Werke”. Dadurch erfährt die Linie eine Rückführung zur Epistel des Jakobus, Kap. 2,14-26: Die Werke sind der Beweis, dass der Glaube, d. i. „die Verwirklichung dessen, was man hofft, die Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht”, tatsächlich vorhanden ist. Ohne diesen Beweis ist das Sagen: „Ich habe Glauben” eine Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Kain hatte auch Werke. Auch seine ganze Lebensführung wird „seine Werke” betitelt. Er spiegelte nichts vor. Er gab sich, wie er war. Seine Werke hatten nur den einen Fehler: Sie waren böse und taten kund, dass er selber „aus dem Bösen” war. Er wollte nicht anerkennen, dass sein Zustand als ein dem Todesurteil verfallener Mensch Stellvertretung im Sterbenmüssen erheische. Er wollte eigenwillig Gott zufriedenstellen durch Darbringen von etwas Eigengewirktem, das vom verfluchten Erdboden stammte.

Kommen wir um die Folgerung herum: Wer in derselben Verfassung ist wie Kain, steht auch unter der gleichen Beurteilung: Er ist aus dem Bösen, und seine Werke sind böse? Dies Urteil empört den Menschen. Dann muss ihn aber auch das Urteil Gottes über Kain empören. Denn Kain meinte, er handle gut und recht, während Gott urteilte, dass seine Werke, der Ausdruck seiner Lebensführung, seiner Gesinnung, böse seien. Ist es verwunderlich, dass „der Weg” eines, der aus dem Bösen ist, zu herausforderndem Verhalten Gott gegenüber führt? Siehe die Epistel des Judas, Vers 11, zu der die Linie der Schrift weiter führt!

Ungut getan” nennt Jehova Kains Darbringung seiner Opfergabe. Zurechtbringen ließ Kain sich nicht. 1. Mo. 4,7. So führte ihn „sein Weg” zum Brudermord. Die Gesinnung „aus dem Bösen” zeitigte die Tat, die auf der Linie liegt, die wir in der Schrift zurück zum Evangelium Johannes, Kap. 8, ziehen: Vers 41: Die wie Kain werkefrommen Juden tun die Werke ihres Vaters (sie suchen den Gerechten zu töten, Vers 37!); sie sind aus ihrem Vater, dem Teufel, und wollen die Begierden ihres Vaters tun, der von Anfang an ein Menschenmörder ist, Vers 44.

Der Weg Kains und der Weg der Juden sind ein und derselbe. Kain tötet seinen Bruder, den gerechten Abel, die Juden sind die Mörder „des Gerechten” geworden. (Apg. 3,14.15 u. 7,52) Dafür ist Kain verflucht vom Erdboden hinweg und ist unstet und flüchtig auf der Erde. Doch sorgt Jehova vor, dass sich niemand an Kains Leben vergreife. Er sollte nur der ständige Beweis des vergeltenden Strafurteils Gottes sein. Man übersehe nicht: Es handelt sich um irdische Strafe. Was jenseits der Grenze der sichtbaren Welt ist, kommt hier nicht in Frage.

Genau so ist es mit den Juden. Das Blut des Gerechten, dessen Mörder sie sind, schreit zu Gott von der Erde. Nach ihrem eigenen Willen, Mt. 27,25, ist es über sie gekommen und kommt weiter über sie. „Der Zorn ist völlig über sie gekommen.” (1. Thess. 2,16) Unstet und flüchtig irren sie in der Welt umher. Fern vom „Land der Zierde” sind sie, wie Kain fern von Eden ist. Wenn sie sich auch ansässig machen, wie Kain ein Stadterbauer wurde, so sind ihre Wohnsitze doch „Nod”, d. i. Flucht, Verbannung. Ebensowenig hilft über das „in Nod Wohnen” hinweg, dass sie den Gegenden ihrer Niederlassungsorte ihren Stempel dadurch aufdrücken, dass sie, im ganzen gesehen, die ausgeprägtesten Materialisten sind, wie Kain seine Stadt nach dem Namen seines Sohnes benannte und seine Nachkommen ebenso unentwegte Materialisten waren und in der Gottesferne sich so einrichteten, dass es sich ohne Gott leben ließ, wie diese Juden tun; denn obwohl sie Juden bleiben, leben sie ohne Gott. Die gegenwärtige Zeit hat ihnen ja den Titel geprägt: „der ewige Jude”, d. i. der immerfort Wandernde. Die stets andauernden Judenverfolgungen, zu denen sie selbst Anlass geben, unterstreichen die Ruhelosigkeit, zu der sie verurteilt sind.
Das wäre die Beziehung der Stelle 1. Mo. 4,16 zur gegenwärtigen Zeit, übertragenauf das getreue Gegenbild Kains, die Juden. Gleichzeitig ist damit auch vorbildlich eine Beziehung zur Prophetie des Alten und Neuen Testaments gegeben. Diese hat ja zum eigentlichen Gegenstand den verheißenen Weibessamen, der von Seth kommen würde. Und Seth war Ersatz für Abel. Neben diesem eigentlichen Gegenstand läuft die Geschichte des anderen her, dem die Stellung und Würde eines Erstgeborenen gehörte wie Kain: 2. Mo. 4,22: die Geschichte Israels. Dieser erstgeborene Sohn Israels ist die Jahrhunderte hindurch das getreue Spiegelbild Kains, des Erstgeborenen Adams, gewesen: Gott sich nicht unterwerfen, mit Haß verfolgen und umbringen alle, die den Charakter Abels tragen. „Wehe euch ... ihr bauet die Gräber der Propheten und schmücket die Grabmäler der Gerechten und saget: Wären wir in den Tagen unserer Väter gewesen, so würden wir nicht ihre Teilhaber an dem Blute der Propheten gewesen sein. Also gebet ihr euch selbst Zeugnis, dass ihr Söhne derer seid, welche die Propheten ermordet haben; und ihr, machet voll das Maß eurer Väter ... damit über euch komme alles gerechte Blut, das auf der Erde vergossen wurde, von dem Blute Abels des Gerechten an ... Dieses alles wird über dieses Geschlecht kommen ...

Es ist über sie gekommen, wie zu Anfang ausgeführt, und wird noch weiter über sie kommen. Es besteht also wirklich eine überaus bemerkenswerte Beziehung zwischen dem in der Tat ergreifenden Inhalt des Wortes von 1. Mo. 4,16, wenn es nicht für sich allein, sondern als Mittelpunkt des ganzen 4. Kapitels genommen wird, und der ganzen übrigen Schrift Alten und Neuen Testaments bis zum heutigen Tage. Denn nicht der erstgeborene Sohn Jehovas, Israel, hat Abels Blut vergossen, sondern der erstgeborene Sohn Adams, Kain, dessen Name im Alten Testament nur in 1. Mo. 4 vorkommt. Und doch wird die Schuld Kains diesem Israel, genauer den Juden, aufgebürdet. Warum? Weil nach Gottes Regierungswegen immer das Ende die Last trägt! Die Juden haben in ihrem Verhalten Kains Erbschaft angetreten, darum liegt auf ihnen die Last, und sie müssen dieselbe tragen.

Dass es in Mt. 23,35 heißt: „bis zum Blute Zacharias, des Sohnes Barachias, den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar ermordet habt”, meint: alles vergossene Blut, wovon das ganze Alte Testament spricht. Denn in der hebräischen Bibel sind die Bücher der Chronika die letzten der Reihenfolge nach, weil sie als letzte des Kanons nach der Rückkehr aus Babylon geschrieben wurden, was aus ihrem Inhalt leicht zu beweisen ist. Im 2. Buch, Kap. 24, Vers 21, ist diese Mordtat verzeichnet. Jener Sekarja oder Zacharias war zwar buchstäblich der Sohn Jojadas; wer aber schon die Geschlechtsregister studiert hat, weiß, dass es gang und gäbe war, einen Mann als Sohn eines früheren Ahnherrn zu bezeichnen, wenn das Familiengeschlecht hervorgehoben werden soll. Z. B. der Prophet Sacharja (Sekarja, Zacharias) heißt in seinem Buch auch „Sohn Berekjas”, mit der Hinzufügung: „des Sohnes Iddos.” In Esra 5,1 und 6,14 heißt er aber der Sohn Iddos, in Neh. 12,16 ebenfalls, wo zugleich zu sehen ist, dass er zu den Priestern gehörte. Oder in 1. Chr. 4,1 heißt Hur „Sohn Judas” im fünften Geschlecht! Vgl. 1. Chr. 2,4.5.9 (Kelubai = Kaleb)
und Vers 19.20 mit 2. Mo. 31,1.2. Die Sache weiter zu verfolgen ist hier nicht der Ort, so interessant es wäre. Auch wenn der Prophet Sacharja gemeint sein sollte, käm's der Zeit und dem Zweck nach aufs gleiche heraus: Das Blut aller Märtyrer in eurer Geschichte vom 1. Buch Mose an bis zum letzten Buch wird euch zugerechnet.
Vorstehender Umriß wird genügen, um den Frager zufriedenzustellen.
F. Kpp.

Antwort des Schriftleiters

Zu dieser geradezu wunderbaren Antwort, die uns ein gewaltiges Gemälde darbietet, gebe ich zunächst einen Hinweis! Der Verfasser spricht auch über die Stelle Mt. 23,35.36. Über diese ist im Jahrbuch 15 aus der Feder unseres teuren Mitarbeiters Th. K. auch eine kostbare Antwort gegeben. (Frage 1 über die Parallelstelle Lk. 11,50.51) Das Ergebnis beider Mitarbeiter ist im wesentlichen das gleiche.

Die Antwort selber geht weit über das hinaus, was die Fragenstellerin meinte, aber gerade das wird ihr zu dem, was sie selber von der in Frage stehenden Stelle meint, sehr wichtig sein als Erweiterung. Sie dachte vor allem daran, was doch alles darin liege und liegen könnte, dass ein Mensch „unstet und flüchtig”, fern von Gott, sein Leben zubringen müsse, womit er doch ein Bild der ganzen Menschheit sei, die, solange sie in Sünde lebe, fern von Gott durch die Welt irren müsse.

Und das ist so, und gerade darum wird diese in obiger Antwort gegebene biblische Erweiterung der Sachlage der Fragenden viel geben, denn eben in Israel sehen wir das Kaindasein sich noch schärfer kristallisieren als in der Menschheit im allgemeinen. Es ist ja auch so, dass Gott uns an einem Volk, das Er noch dazu mit hohen Verheißungen ausgestattet hatte, das allgemeine Verderben des Menschen im Fleisch vor Augen führen wollte (Röm. 2 u. 3!), so dass die Wege, Um- und Abwege dieses Volkes und ebenso seine dereinstige Umkehr uns zeigen, wer und was wir sind ohne Gott und in der Sünde und wie allein es ein Heraus aus dem Elend für uns gibt: durch Buße, zu der Gottes Güte uns leiten will. (Röm. 2,4)

Wichtig, aber nicht schwer zu sehen ist, wie bei der Darstellung in Antwort A nicht etwa davon geredet wird, dass Israel dem Fleische nach Kains Nachkomme sei; gewiß nicht, aber ebenso sind wir übrigen Nationen es nicht. Israel stammte von der sethitischen Linie ab, über Noah zu Sem. Doch ebenso stammen wir Nationen von Adam-Seth-Noah ab, nur über Japhet. Doch die Nachkommen Seths haben sich wie die Kains in gleicher Weise verderbt, so dass auch sie dem Gericht der Sintflut überliefert werden mußten, und nur Noah blieb mit den Seinen nach Gottes Ratschluß übrig, denn er „fand Gnade bei Gott” (1. Mo. 6,8), d. h. neutestamentlich ausgedrückt: Er bekehrte sich!

Auch aus diesen Erwägungen heraus ist es vollauf berechtigt, Kain als das Urbild des Volkes Israel anzusehen, das, wofern es nicht Buße tut, dem Verderben preisgegeben bleiben muß. Es hat den Gerechten getötet - ja, aber es hat auch nicht Buße getan bis heute, und so muss es tragen, was es selber verschuldete. Welch ein Bild bietet uns doch die ganze, auch heutige, Weltgeschichte von der Gerechtigkeit Gottes in bezug auf Sein Volk. Diejenigen, die immer nur die unleugbar schlimmen Seiten dieses Volkes sehen, verurteilen und sich grauenerfüllt von ihm abwenden, sehen nicht, wie der Fluch, zu dem dieses Volk für andere geworden ist, tatsächlich der Fluch Gottes, Sein Gericht, Seine gerechte Vergeltung gegen dasselbe ist. Und weil die Menschheit im allgemeinen diese Unheilswirkung Israels nicht mit Gottes Gericht in Verbindung bringt, sondern sie in der Rasse an sich sieht, deswegen verstehen sie auch nicht, dass es nicht immer so bleiben muß. Einmal, aber erst nachdem es durch Gott gerettet ist, einmal soll es nach der Schrift auch zum Segen sein! (Sach. 8,13!) Dann wird sein Kaincharakter aufhören. Aber davon weiß die Kaingeschichte nichts zu sagen. Ja, dann hört Kain auf, ein Bild für Israel zu sein! Gepriesen sei Gott! Doch heute -: „sie sind den Weg Kains gegangen.” (Jud. V. 11)

Aber uns sagt die Schrift: „Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich.” (Röm. 11,20) Uns! auf uns, die Nationen, trifft das Bild von Kain: „unstet und flüchtig” nicht so unmittelbar zu, wenigstens nicht äußerlich, oder nur in einem bedingten Maße. Jedoch insofern, als die Sünde in sich stets die Wirkung hat, eine Scheidung zwischen den Menschen und Gott zu bringen - außer dem, dass Gott eine solche gerichtlich über die Menschheit verhängt hat: „... du wirst sterben!” (1. Mo. 2,17; 4,11; Röm. 6,23a) -, insofern ist die Menschheit auch vor Gott auf der Flucht (vgl. Lk. 15,13ff.), weil im tiefsten Kern ihres Wesens „unstet und flüchtig”. Erst wenn sie zum Glauben kommt, sich zurückfindet zu Ihm, wie der jüngere verlorene Sohn, dann kommt sie wahrhaft zur Ruhe. Nichts kann dem verlorenen Menschen helfen wie echte Buße; dass Kain sie nicht tat (ebensowohl wie Judas Iskariot, entgegen Simon Petrus!), das ist sein eigengewähltes Verhängnis und macht ihn zum Vorbild aller, die - wiewohl sie ihr Gericht „unstet und flüchtig” fühlen, und wiewohl sie unter ihrem Verhängnis leiden - dennoch nicht umkehren, sondern „fern” bleiben, wie Israel bis heute! Kain „ging weg vom Angesicht des HERRN” - wie schrecklich, ja, aber auch wie zielbewußt: Kein Abel störte ihn mehr in seinem Wege und in seiner Religion, kein Seth kam bis zu ihm hin, die Strahlen göttlicher Huld blieben ihm verborgen, dem Bruderhasser, dem Brudermörder, dem Menschenmörder (1. Joh. 3,15) - welch furchtbare, aussichtslose Perspektive für die, so nicht Buße tun! Welche Mahnung aber auch für uns Gläubige zur Bruderliebe! Möge sie nur ungeheuchelt sein! (1. Petr. 1,22)

Was lehrt uns doch alles jenes zur Frage stehende Wort! Wie wunderbar ist „Sein Wort, das unseres Fußes Leuchte ist und ein Licht für unseren Pfad”. (Ps. 119,105)
Nicht wie Kain!” (1. Joh. 3,12) Das ist ja auch ein Mahnwort, an Gläubige gerichtet! „Nahet euch Gott, und Er wird Sich euch nahen! Säubert die Hände ... Demütiget euch vor dem HERRN, und Er wird euch erhöhen!” (Jak. 4,8-10)
Nahe bei Jesu, o Leben, so schön, seliges Wandeln auf sonnigen Höhn!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 21 (1936)