Antwort A
Die Christenheit bis zu Seiner Wiederkunft bezeichnet der Herr Jesus öfter mit dem Ausdruck: „Reich der Himmel.” Es ist die Zeit der Entwicklung Seines Reiches während Seiner Abwesenheit. Es ist ähnlich wie Mt. 13,24-30; 24,43-51; 25,14-30 usw., je nach den einzelnen Umständen handelt es sich um die Verantwortlichkeit der Bekenner Jesu Christi.
In unserem vorliegenden Gleichnis haben wir wohl ein Bild von dem Zustande der bekennenden Christenheit, aber wir dürfen die Kreise dennoch etwas enger ziehen und sagen: Es bezieht sich mit auf den himmlischen Charakter der Christen, denn es ist die Rede davon, dass sie ausgehen, um dem zur Hochzeit wiederkehrenden Bräutigam entgegenzugehen. Also spricht das Gleichnis nicht von einer Braut und ihrer Herrlichkeit, sondern vielmehr von der Verantwortlichkeit, auf den HERRN zu warten und Seine Zeugen zu sein. Es handelt sich aber dennoch um zwei Klassen, um Kluge und Törichte. Wenn wir den Entwicklungsgang verfolgen, werden wir finden, dass es sich zu Anfang nur um kluge Jungfrauen gehandelt haben kann, um solche, die wirklich zu Jesu bekehrt waren und Öl, Leben aus Gott, empfangen hatten, denn Apg. 5,13 lesen wir: „Von den übrigen aber wagte keiner sich ihnen anzuschließen” usw. Es handelt sich also um eine Schar, die aus den Juden und Heiden ausgegangen war. Im Laufe der Zeiten kamen auch Weltförmige, die „die Form der Gottseligkeit hatten, aber die Kraft verleugneten”, auf diesen Boden, und je länger der Bräutigam verzog, desto mehr Verwischung und Vermischung gab es, Weltförmigkeit und Schläfrigkeit hielten in den Reihen der Bekenner ihren Einzug, die kostbare Hoffnung der Erwartung des HERRN vom Himmel trat in den Hintergrund, die Gläubigen lebten nicht mehr als Abgesonderte. Das beste Beispiel finden wir bei vielen Gläubigen unserer Tage, die sich auf den Boden einer sogenannten christlichen Welt ziehen lassen und da alle religiösen Feste und auch das Abendmahl, welches nur den Gläubigen gehört, mitfeiern; wo das Gedächtnis des HERRN nur noch eine Formsache und nicht der Tisch des HERRN oder die Verkündigung Seines Todes ist. Aber über diesem allen steht der HERR, der in Seiner Liebe an die Seinen denkt. Je länger die Schatten und je dunkler die Umrisse werden, desto näher ist Er den Seinen. In das Dunkel der Mitternacht wird Sein Ruf erschallen, und die in treuem Ausharren immer wieder rufen: „Komm, Herr Jesu!”, die haben auch „Ohren zu hören”. So ist in der gegenwärtigen Zeit des Verfalls der HERR an der Arbeit des Sammelns und des Aus- und Absonderns, und die Treuen im Lande, ähnlich wie Mal. 3,16, unterreden sich miteinander, d. h. sie warten auf den kommenden HERRN und lassen sich als Erlöste auch loslösen von allen äußeren Formen der Namenbekenntnisse und wandeln einzig allein mit dem HERRN, d. h. der Herr Jesus genügt ihnen. Wir sehen also, es handelt sich einerseits um Wachsamkeit, um den Bräutigam zu erwarten, und andererseits um die persönliche Treue im Dienst. Ebenso handelt es sich nicht um eine bestimmte Parteigruppe, sondern zu der Zeit des wiederkehrenden Bräutigams wird dieses Reich der Himmel lediglich auch nur von solchen dargestellt, die von der Welt und jeder Religion, die mit dem Fleische in Verbindung steht, ausgegangen sind. So betrifft unser Gleichnis weder Israel noch die Gemeinde, sondern zunächst in weiten Umrissen die Christenheit in der Abwesenheit Christi, dann aber auch die Glieder der Gemeinde, welche der HERR in dieser Wartezeit gesammelt hat und die in wartender Stellung dastehen. Möge der HERR uns alle wachend und wartend finden!
Pb. W.
Antwort B
Beides nicht. Es bezieht sich weder auf die Gemeinde noch auf Israel, sondern auf das Reich. Der HERR sagt: Alsdann (Mt. 24,45-51) wird das Reich der Himmel gleichgeworden sein zehn Jungfrauen. Es ist bereits in den früheren Jahrgängen über das „Reich der Himmel” eingehend geschrieben worden, und es empfiehlt sich, an Hand der Schriftstellenverzeichnisse nachzulesen, was insonderheit über Mt. 13 gesagt ist (z. B. Jahrg. I (1913), S. 49-54 und Jahrg. III (1915), S. 23-32 u. a.).
Das Reich der Himmel umfaßt die Zeit der Abwesenheit des HERRN und Königs. Es ist die Zeit, in welcher auf dem „Acker” der Menschenwelt der gute Same (aber dazwischen auch das Unkraut) gesäet wird. Im Reich der Himmel wird die Frucht der zweierlei Aussaat gefunden, sowohl die Söhne des Reiches, als auch die Söhne des Bösen, die törichten als auch die klugen Jungfrauen (Mt. 13,38). Es umschließt Gläubige und ungläubige - alle jene, die den Namen Christi und das Wort und Zeugnis Gottes empfangen, annehmen und bekennen.
Obgleich das Gleichnis die ganze Zeit des „Reiches der Himmel” umfaßt, gibt uns der HERR doch darin ein besonderes Bild von der Endperiode. Er zeichnet uns die dunkelste Zeit des Reiches der Himmel - die Mitternachtszeit. Zur Mitternachtszeit geht der Ruf durch das Reich: „Siehe, der Bräutigam!” („kommt” fehlt im Urtext). Dieser Ruf wendet sich an das Herz, es für den Kommenden zu erwecken. Wir haben es in dem Gleichnis weniger mit dem Ereignis Seines Kommens, sondern mehr mit der Person des Kommenden zu tun: „Siehe, der Bräutigam!” Der Ruf enthält die Aufforderung, die Welt und was in ihr ist zu verlassen und Ihm zu begegnen.
Die klugen Jungfrauen sind im Gegensatz zu den törichten solche, die aus dem „guten Samen”, aus dem Worte, gezeugt sind und so Leben aus Gott besitzen. Das Öl wird bei ihnen gefunden. Die Salbung (sie geschiebt mit Öl) wird in der Schrift als Bild vom Heiligen Geiste gebraucht (1. Joh. 2,20.27).
Wenn auch die törichten Jungfrauen als „Jungfrauen” angeredet werden, so haben wir deshalb ebenso wenig an Gläubige zu denken, als wenn der HERR in Verbindung mit diesem Gleichnis von dem guten und bösen „Knechte” redet. Wir haben es hier eben mit einem „Gleichnis” zu tun.
v. d. K.
Anmerkung des Herausgebers
Da vorliegender Frage nach nicht eine Auslegung des Gleichnisses verlangt wird, so beschränken wir uns, was dessen Allgemeinverständnis angeht, auf ein paar Bemerkungen: Die Braut wird hier nicht genannt, da es hier nicht auf ihr persönliches Verhalten ankommt, sondern auf die Verantwortlichkeit des Wartens auf den Bräutigam, und diese teilen die Brautjungfern mit der Braut. Denn nach der damaligen jüdischen Sitte musste der Bräutigam kommen, um die Braut in sein Haus zu holen zur Hochzeit, und die Brautjungfern hatten ihn zu erwarten. In vorliegendem Falle gingen sie ihm, da er lange verzog, entgegen, als sie den sein Kommen ankündigenden Ruf hörten. Es kommt also gar nicht auf die Braut als solche an, sondern auf die Wartestellung derer, die zu warten hatten, bis er käme. Diese sind hier dargestellt unter der Zahl 10, mit welcher in der Schrift die menschliche Verantwortlichkeit ausgedrückt wird (vergl. das Gesetz, ferner Dan. 1,12; Lk. 17,17 und 19,13 u. a.!), und unter dem Bilde von Jungfrauen - auch die Braut ist gemeinhin eine Jungfrau! -, die gemäß der ungewöhnlichen Stunde des Kommens des Bräutigams brennende Lampen tragen mußten. Als Jungfrauen werden die Wartenden gekennzeichnet, weil in diesem Begriff die Reinheit, Unberührtheit durch die Dinge und das Wesen der Welt, Aufgeschlossenheit für die Schönheit und Güte des Erwarteten usw. liegt (vergl. 2. Kor. 11,2; Off. 14,4 [Mt. 1,23; Lk. 1,27]).
Wie sehr derartige Fragen wie die in obigen klaren Antworten behandelte die Herzen vieler Gläubigen bewegen, zeigt die in diesem Heft neugestellte Frage unter e), die vor kurzem aus dem Felde einlief. Was beweist dies? Einmal, dass jene traurige Lehrrichtung, wonach das Matthäusevangelium nur dem Volke Israel gehöre, unter Gottes Volk leider viel an Boden gewonnen hat, und zweitens, dass im allgemeinen unter uns Gläubigen wenig Verständnis besteht über das, was die Schrift meint unter den Begriffen „Reich der Himmel” und ähnlichen. Frage 6 in Band III (1915) beschäftigt sich, wie auch oben in Antwort B bemerkt ist, eingehend mit diesem kostbaren Gegenstand. Möchten wir alle davon noch fortgesetzt lernen!
Wie unendlich weiser ist doch das untrügliche Wort Gottes, als wir Menschen sind mit unseren Fragen, wen das Gleichnis betreffe: „ob Gemeinde?” - „ob Israel?” Nur ein Beweis dafür! Wie könnte sich das Gleichnis auf die Gemeinde, den Leib Christi beziehen, bei dem es kein getrenntes Glied geben wird am Ende, wenn der HERR gekommen ist, Seinen Leib vollendet darzustellen, während doch dem Gleichnis nach solche da sein werden, die zurückbleiben! Ist denn der Leib Christi zerteilt? Es gibt leider Gläubige, die annehmen, dass nur eine Auswahl entrückt wird: Sie verstehen noch nicht, was es ist um den „einen Leib”, an dem Christus das Haupt ist! „Wir werden alle verwandelt, in einem Nu, in einem Augenblick” usw. (1. Kor. 15,51). - Andererseits: Wie könnte es sich auf Israel beziehen, wo von dem Öl, dem Geist, geredet ist, der „in ihren Gefäßen” ist, was doch hinweist auf den in uns wohnenden Geist (vergl. Joh. 14.17; 1. Kor. 6,19; Eph. 1; 1. Joh. 2,27! siehe auch 2. Kor. 3,18 und 4,7!). Wo aber in der Schrift wäre wohl davon die Rede, dass der Geist in dem Israeliten, d. h. in dem einzelnen Vertreter des gläubigen Überrestes wohnte? (vergl. Joel 2, 28-32 mit Apg. 2, 17ff.!). - Wo aber solche sind, die äußerlich als Jungfrauen gesehen werden, da kann erwartet werden, dass auch der Geist in ihnen wohnt; jedoch an ihnen wird offenbar, daß, „wer Christi Geist nicht hat, nicht Sein ist,” wenn er sich auch sonst in nichts von den echten Bekennern unterscheidet.
Nein, die Schrift sagt nicht, dass es ein Gleichnis von Israel oder von der Gemeinde oder beiden sei, sondern sie sagt, dass es ein Gleichnis vom „Reich der Himmel” ist. Dieses in der dunklen Mitternachtsendzeit, dann, „wenn der böse Knecht seine Mitknechte schlägt,” umfaßt alle, d. h. Bekehrte und Unbekehrte, Glieder der Gemeinde (des Leibes), Judenchristen und Heidenchristen, ob dem Namen nach oder in Wahrheit usw., sofern sie nur den äußeren Jungfrauen-, d. h. den Bekennercharakter tragen, also mit anderen heute oft gehörten Worten „nicht so ganz ungläubig” sind. Einstmals, als der Säemann anfing zu säen, war es anders, aber alsdann, wann der HERR verzieht und schon lange fern ist - also gegenwärtig nicht nur, sondern schon lange, lange - da wird es so sein, ja, da ist es so, wie diese Stellen uns zeigen; jedoch wiederum auch nur so lange, als der Herr jener Knechte, der Bräutigam, der König fern ist. Sobald Er kommt, sehnlichst erwartet von den Seinen, dann wird die tatsächliche Wirklichkeit des Lebens aus Gott (des Lebens „durch den Geist”, Gal. 5,25) das Entscheidende sein. Vor den Augen des Königs ist das äußere Bekenntnis ohne das Leben aus Gott wertlos wie ein Nichts und „vergeht”! Wie ernst für die törichten Jungfrauen zu aller Zeit, seit sie da sind, und heute auch, die in Selbsttäuschung dahingehen, deren so viele sind! lasst uns sie warnen, solange Gnadenzeit ist, - dass sie doch noch beizeiten sich mit Öl versorgen, d. h. Leben aus Gott empfangen! (Joh. 7, 37-39a; Off. 22,17 usw.) Und lasst uns immer wachsamer, freudiger und stets glücklichen Herzens Ihm entgegengehen, „der da kommt”!