Die sieben Sendschreiben

Haben die sieben Sendschreiben Offb. 2 und 3 eine kirchengeschichtliche - d. h. prophetische - Bedeutung?

Antwort

Ja. Es gibt Auslegungen, welche dies bestreiten und den Sendschreiben nur geschichtliche und belehrende Bedeutung beimessen. Aber dem können wir nach dem Charakter des Buches und dem Zusammenhang nicht beipflichten.

Die Offenbarung ist ein prophetisches Buch. Was wir in ihm lesen, sind „Worte der Weissagung”. (1,3; 22,7.10.18) Es zeigt uns, was Gott vorhat mit dieser Erde am Ende dieses Zeitalters, den Abschluß der Wege Gottes mit dieser Erde und der Menschheit. Dieser prophetische Charakter des Buches tritt vom ersten Verse an zutage. Welchen Sinn hätte es dann, erst von sieben Gemeinden zu sprechen, welche zur Zeit der Niederschrift dieses Buches bestanden, wenn es nur dazu geschehen sollte, uns deren Zustande zu zeigen und uns damit gleichsam einen Spiegel vor unsere Augen zu halten, in dem wir uns prüfen können, so wertvoll letzteres auch für uns ist? Und welchen Sinn hatten die Worte Kap. 4,1 an den Schreiber des Buches. „... Ich werde dir zeigen, was nach diesem geschehen muß”, wenn das vorher, in Kap. 2 und 3, Gesagte nur die Zustände von sieben Gemeinden zur Zeit der Niederschrift dieses Buches zeigen sollte? Das „nach diesem” bedeutet doch, dass das, was nun (von Kap. 4 an) gezeigt wird, sich an das anschließt, was in Kap. 2 und 3 gezeigt ist bzw. womit Kap. 3 schließt. Also muss das in Kap. 2 und 3 Gezeigte sich bis dahin erstrecken, wo das von Kap. 4 an Gezeigte beginnt. Das, „was nach diesem geschehen muß”, sind die Dinge, welche nach der Entrückung der Gemeinde ihren Anfang nehmen und vor sich gehen werden. Das ist der Hauptgegenstand des Buches. Da aber bis dahin noch eine Zwischenzeit lag und noch liegt, entspricht es ganz dem Charakter des Buches, wenn Gott auch im Blick auf diese Zwischenzeit „Seinen Knechten” einen Vorausblick gibt hinsichtlich des Wichtigsten in dieser Zwischenzeit, d. i. Seines Zeugnisses, welches Er Menschen anvertraut hat in Seiner Gemeinde und wofür diese damit betrauten Menschen verantwortlich sind. Das ist das, was in Kap. 1,19 als „was ist” bezeichnet ist, weil es zur Zeit der Niederschrift des Buches bereits bestand und fortbestanden hat und fortbestehen wird bis zur Hinwegnahme der Seinen von der Erde durch die Entrückung. Darauf folgt dann „was nach diesem geschehen wird” („was nach diesem zu geschehen im Begriff steht”) bzw. „was nach diesem geschehen muß”. (1,19; 4,1) Nach all dem sind wir überzeugt, dass die sieben Sendschreiben prophetische Bedeutung haben (außer ihrer geschichtlichen Wahrheit und belehrenden Bedeutung), d. h. dass sie die Geschichte der Gemeinde auf der Erde in den verschiedenen Zuständen zeigen, welche sie unter der Verwaltung des Menschen angenommen hat und am Ende haben wird, von der Zeit der Apostel an bis zum Ende ihres Hierseins. Es ist ein trauriges Bild, welches uns gezeigt wird - ein Bild des Abweichens und fortschreitenden Verfalles, welcher begonnen hat mit dem Verlassen der ersten Liebe (2,4) und enden wird mit einem Zustande der Lauheit, der dem HERRN so zuwider ist, dass Er sagt: „... weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde Ich dich ausspeien aus Meinem Munde.” (3,16)

Wenn gesagt wird, es gäbe keinen Verfall der Gemeinde Gottes, ist das richtig im Blick auf das, was von Gott ist. Was Er geschaffen hat in Seiner Gemeinde, ist unantastbar, unzerstörbar. Aber zur Verwaltung Seiner Gemeinde auf der Erde benützt Er Menschen, und was Menschen anvertraut ist, geht immer abwärts, verfällt, verdirbt. So ist es auch mit der Gemeinde. Nehmen wir als Beispiel die Einheit der Kinder Gottes: Die von Gott geschaffene Einheit durch Innewohnen des Geistes in jedem Glaubenden ist seit dem Bestehen der Gemeinde immer vorhanden gewesen und bleibt es; die dem Menschen anvertraute aber, die äußere, ging sehr bald verloren und bleibt es. Da haben wir gleich eins der unzähligen Zeichen des Verfalles. Schon in der Apostelgeschichte von Kap. 5 an sehen wir den Eintritt des Verfalls, und weiter in den Briefen, besonders klar in 2. Tim. Und in den Sendschreiben haben wir ein ganz besonderes Bild davon. Zwei der Sendschreiben - das an Smyrna und das an Philadelphia - zeigen keine Abwärtsbewegung. Das an Smyrna ist wie ein Ruhepunkt auf dem Wege, und das an Philadelphia ist eine Erquickung und ein Trost. Aber die anderen fünf zeigen, wie es Stufe um Stufe abwärts gegangen ist und geht. Welche Zeitabschnitte in der Geschichte der Gemeinde wir in den verschiedenen Sendschreiben erkennen können, dürfen wir wohl als den meisten Lesern bekannt annehmen. Darum wollen wir es in nur wenigen Worten anführen. Wir finden in Ephesus („die Liebliche”, „Geliebte”, „Liebende”): die Zeit um die Niederschrift der Offenbarung. Hier sehen wir den Anfang des Verfalls in dem Verlassen der ersten Liebe.

Smyrna („Bitterkeit”): die Zeit der schweren Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten. Hier hat der HERR keinen Tadel, sondern nur Ermunterung.
Pergamus („Burg”, „Hochburg”): die darauffolgende Zeit, als Konstantin der Große das Christentum zur Staatsreligion erhob und die Gemeinde sich in der Welt niederließ („Ich weiß, wo du wohnst ...”: „wohnen” - „niederlassen”; nicht das gleiche Wort wie Ev. Joh. 1,14, wo es „zelten” bedeutet) und die Welt in die Gemeinde einzog und verderbliche Lehren geduldet wurden.

Thyatira („die Opfernde”, „Weihrauchspendende”): die dunkle Zeit des Mittelalters, wo die Kirche (zu einer solchen war die Gemeinde geworden) nach Macht und Herrschaft in der Welt strebte, in schreckliche Irrtümer und Götzendienst verfiel und die wahren Christen blutig verfolgte. Sardes („Überrest”, „Entronnenes”): die Zeit nach der Reformation. Das, was infolge der Reformation aus der in „Thyatira” gezeigten Kirche herausgegangen war. Aber auch da der Verfall: der HERR musste klagen: Du hast den Namen, dass du lebest, und bist tot!

Philadelphia („Bruderliebe”): die Zeit der Rückkehr zum ganzen Wort. Die Gläubigen, für welche Sein Wort allein entscheidend ist, die Seinen Namen nicht verleugnen, ein Zeugnis für Ihn sind und auf Seine Wiederkunft warten. Hier finden wir wie bei Smyrna keinen Tadel, sondern nur Ermunterung. Laodicäa („die Volksgerechte”): die Endzeit. Die Kirche, welche allen gerecht wird und daher beansprucht, die ideale Kirche zu sein („... du sagst: Ich bin reich ...”). Aber der Herr muss hier den schärfsten Tadel aussprechen (V. 15.17) und droht, sie auszuspeien aus Seinem Munde! - Es ist nicht schwer, die vorstehend aufgeführten kirchengeschichtlichen Zeitabschnitte in den sieben Sendschreiben zu erkennen. Auf die einzelnen darauf hinweisenden Züge einzugehen ist hier nicht Raum.

Die in den sieben Sendschreiben gezeigten und im Laufe der Zeit in dem, was allgemein mit „Christenheit” bezeichnet wird, in Erscheinung getretenen Zustände haben nicht einander abgelöst, sondern sind einer zu dem anderen hinzugekommen, so dass gegenwärtig alle erkennbar vorhanden sind. Auch der in Laodicäa gezeigte Zustand des Endes ist bereits vorhanden, wird aber noch mehr und mehr hervortreten.

Als Körperschaft betrachtet sehen wir die Gemeinde in den ersten drei Sendschreiben ungeteilt. Mit dem vierten beginnen die Abzweigungen, und von da an bestehen die verschiedenen Teile nebeneinander (wobei natürlich die, außer den im vierten und fünften Sendschreiben klar hervortretenden uns bekannten großen Kirchengebilden, nach und nach entstandenen vielen kleineren oder größeren Körperschaften oder Gruppen je ihrem Wesen nach in einen der vom vierten Sendschreiben an uns gezeigten Hauptteile eingeschlossen sind). Als Körperschaft besteht „Laodicäa” noch nicht, doch zweifeln wir nicht, dass es am Ende als die letzte, große, die ganze Bekennermasse in sich schließende Körperschaft da sein wird. -

Wir danken Gott, dass Er uns in den Sendschreiben dieses prophetische Bild gegeben hat, welches uns eine große Hilfe und Lichtquelle für unseren Weg ist. -
Theod. Küttner.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 23 (1938)