Freier Wille? Läuft alles nach Gottes Plan?

Wie vereinbart man die christliche Vorstellung, daß der Mensch einen freien Willen hat damit, daß gleichzeitig alles scheinbar auf Gottes Plan hinausläuft bzw. Teil davon ist? Für mich ist das einer der groben Widersprüche des christlichen Glaubens, durch den er an Schlüssigkeit verliert und sich selbst auflöst.

1. Widerspruch oder Geheimnis?

Ich möchte die Antwort gleich vorwegnehmen und sie dann erläutern:

Es handelt sich nicht um einen Widerspruch sondern um ein göttliches Geheimnis. Die Bibel lehrt sowohl das souveräne Planen und Walten Gottes als auch den freien Willen und die Verantwortlichkeit des Menschen. Sie wirken auf eine den menschlichen Intellekt übersteigende Art zusammen und erzeugen eine gesunde Spannung, sodaß sich der Mensch weder vor Gott seiner Leistungen rühmen noch sich seiner Verantwortung vor ihm entziehen kann.

Es ist nicht etwa so, daß ein Autor der Bibel dies und ein anderer jenes sagt. Wir haben es hier nicht mit einem Widerspruch zu tun, der sich daraus ergibt, daß viele Leute über viele Jahrhunderte vieles gesagt und geschrieben haben. Die Autoren halten bewußt auf konsistente Art und Weise beide Tatsachen fest - oft sogar innerhalb eines Verses oder eines Absatzes (siehe Beispiele weiter unten).

Jesus selbst hat sehr klar an den Willen des Menschen appelliert und gleichzeitig Gottes Plan und Wirken in allem gesehen. Das ist für mich der deutlichste Hinweis, daß es sich nicht um einen Widerspruch handelt. Denn Jesus war in seinem Denken und Leben alles andere als widersprüchlich. Er war der "ganzheitlichste" Mensch, der jemals lebte. Und nicht nur das - er war Gottes fleischgewordenes Wort.

C.H. Spurgeon, der bekannte Evangelist des 19. Jahrhunderts antwortete auf die Frage, wie er diese beiden Konzepte versöhne: "Ich würde es gar nicht versuchen. Ich versöhne niemals Freunde."

Die Widerwilligkeit, beide Konzepte festzuhalten kommt daher, daß Menschen nur ungern die Grenzen ihres Verstandes erkennen, Gott Gott sein lassen und Geheimnisse in der Offenbarung Gottes akzeptieren.

Jes 55,9 "Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken."

Aus diesem Grund wird es, muß es - solange wir auf der Erde leben - Dinge geben, die wir nur glauben, aber nicht verstehen können. Das soll keine Absage an den Verstand sein. Es heißt nur, daß der Verstand unser Diener ist und wir seine Grenzen anerkennen müssen - wenn nicht, begehen wir den großen Fehler der Anmaßung und Selbstüberschätzung, den Gott nicht hinnehmen wird:

Jak 4,6 "Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade."

2. Beispiele

Damit die Antwort nicht zu abstrakt ausfällt, möchte ich das Zusammenwirken von Gottes Plan und dem Willen des Menschen anhand von ein paar Beispielen zeigen:

2.1. Hiob

Im ältesten Buch der Bibel lesen wir:

Hi 1,8-11 "Da sprach der HERR zum Satan: Hast du meinen Knecht Hiob beachtet? Denn seinesgleichen ist nicht auf Erden, ein so ganzer und gerader Mann, der Gott fürchtet und vom Bösen weicht. Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ist Hiob umsonst gottesfürchtig? Hast du nicht ihn und sein Haus und alles, was er hat, ringsum eingehegt? Das Werk seiner Hände hast du gesegnet und seine Herden breiten sich im Lande aus. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat; laß sehen, ob er dir dann nicht ins Angesicht den Abschied geben wird!"

Gott gestattet Satan, Hiob alles bis auf sein Leben zu nehmen, und nun beginnt ein moralischer Kampf auf der Bühne der Weltgeschichte: Wird Hiob sich von Gott lossagen (was ihm sogar seine eigene Frau empfiehlt), nachdem ihm alles bis auf sein Leben - Besitz, Kinder, Gesundheit - geraubt wurden? Obwohl Hiob mit Gott hadert, hält er doch an ihm als seiner einzigen Hoffnung fest. Am Ende der Geschichte hat Hiob viel dazu gelernt, Gott gibt ihm alles, was er vorher hatte, doppelt zurück. Die Rechnung Satans geht nicht auf. Sein böse gemeinter Anschlag auf Hiob dient letztlich dem Plan Gottes, Hiob zu segnen und zu zeigen, daß es echte Gottes-Leute gibt, die - wenn auch mit Schwachheit behaftet - Gott nicht aus Berechnung sondern von Herzen fürchten und lieben.

2.2. Josef

Im 1. Buch Mose lesen wir die Geschichte von Josef: Er wurde von seinen eifersüchtigen Brüdern als Sklave nach Ägypten verkauft (ursprünglich wollten sie ihn sogar umbringen). Gott führte es, daß er dort bis zum Stellvertreter des Pharao aufstieg und mit der Getreidesammlung und -verteilung während der jahrelangen Hungersnot betraut wurde. Als seine Brüder kommen, um Getreide zu kaufen und er sich ihnen schließlich zu erkennen gibt, sagt er:

1Mo 45,5 "Aber ihr braucht euch nicht zu fürchten. Macht euch keine Vorwürfe, daß ihr mich hierher verkauft habt, denn Gott wollte es so! Er hat mich vorausgeschickt, um euch zu retten."

Unter Verwendung des schuldhaften Handelns der Brüder wirkte Gott, um ganz Ägypten und das entstehende Volk Israel aus der Hungersnot zu erretten.

2.3. Jesus

Joh 6,37 "Alle Menschen, die mir der Vater gibt, werden zu mir kommen, und keinen von ihnen werde ich zurückstoßen."

Mt 11,28 "Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet! Ich werde euch Frieden geben".

Für Jesus ist das kein Widerspruch: Er ladet alle sich Abmühenden ein, zu ihm zu kommen. Er wird keinen abweisen, der zu ihm kommt. Aber er weiß auch, daß nur diejenigen kommen werden, die ihm der Vater gegeben hat, und die der Vater zieht. Zugleich ist er zutiefst traurig über diejenigen, die nicht zu ihm kommen wollen, weil er weiß, daß sie dem Verderben entgegen gehen:

Lk 19,41-42 "Als Jesus Jerusalem vor sich liegen sah, weinte er über die Stadt. Der Friede war dir so nahe, warum nur wolltest du ihn nicht haben? Und auch jetzt willst du ihn nicht, sagte Jesus traurig."

2.4. Die ersten Christen

Apg 4,24-28 "Da beteten alle gemeinsam zu Gott: Herr, du hast den Himmel, die Erde und das Meer erschaffen und dazu alles, was lebt. Es sind deine Worte, die unser Vater David, dein Knecht, durch den Heiligen Geist gesprochen hat: ´Warum toben die Heiden, und weshalb schmieden die Völker ihre nutzlosen Pläne? Die Machthaber der Erde rüsten auf, und alle Herrscher verbünden sich zum Kampf gegen Gott und seinen Christus.´ Genau das ist in dieser Stadt geschehen. Sie haben sich verbündet: Herodes und Pilatus, die Römer und ganz Israel. Sie sind eins geworden im Kampf gegen Jesus, deinen heiligen Sohn, den du erwählt hast. Doch sie erfüllen nur, was du in deiner Macht schon seit langem beschlossen hast."

Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die ersten Christen alles Böse, das Jesus angetan wurde, als von Gott seit langem beschlossen und vorhergesagt erkannten.

2.5. Paulus

Phil 2,12-13 "Darum, meine Geliebten, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch vielmehr in meiner Abwesenheit, vollendet eure Rettung mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen wirkt, nach Seinem Wohlgefallen."

Daß Gott das Wollen und das Ausführen zu seinem Wohlgefallen wirkt, ist nicht Grund, die Hände in den Schoß zu legen und die eigene Verantwortung auf Gott zu schieben, sondern vielmehr, gehorsam zu sein und mit Furcht und Zittern die Errettung zu vollenden (wörtl.: auszuwirken).

1Kor 15,10 "Alles, was ich bin, bin ich allein durch Gottes vergebende Gnade. Und seine Gnade hat er mir nicht vergeblich geschenkt. Ich habe mich mehr als alle anderen eingesetzt, aber das war nicht meine Leistung, sondern Gott selbst hat dieses in seiner Gnade bewirkt."

Paulus weiß: Durch Gottes Gnade ist er, was er ist. Und gerade dieses Wissen beflügelt ihn, sich mehr als alle anderen anzustrengen - aber eigentlich ist es nicht seine sondern Gottes Leistung.

2.6. Die Weltgeschichte

Was wir an einzelnen Beispielen gesehen haben, vollzieht sich auch, wenn man das große Bild der Weltgeschichte betrachtet: Satan meint es böse, möchte Gott ins Handwerk pfuschen, möchte seinen Plan verderben, und zu diesem Zweck spannt er auch die von ihm verführten Menschen ein. Doch Gott wird alles zu seinem Ziel bringen, nichts und niemand kann ihn davon abhalten, aber alle, die gegen ihn kämpfen - ob bewusst oder unbewusst - tragen die Verantwortung und die Konsequenzen dafür, sie werden keine Ausrede vor dem gerechten Weltenrichter haben. Andererseits werden alle reichlich belohnt, die sich unter die mächtige Hand Gottes unterordnen und Gottes Mitarbeiter werden wollen. Doch der Ruhm dafür gebührt Gott, weil seine Gnade es gewirkt hat.

3. Schlussfolgerung

Wie betrifft uns nun das Spannungsfeld zwischen Gottes Souveränität und unserem freien Willen. Wir können fragen:

Röm 9,19 "... Wie kann Gott dann noch von unserer Schuld sprechen? Wer kann denn etwas gegen Gottes Willen unternehmen?"

Der heilige Geist antwortet darauf durch Paulus:

Röm 9,20 "Darauf kann ich nur antworten: Wer seid ihr denn eigentlich, ihr Menschen, daß ihr meint, Gott zur Rechenschaft ziehen zu können? Glaubt ihr wirklich, daß sich der Schöpfer vor seinen Geschöpfen verantworten muß?"

Wenn Gott, unser Schöpfer und Richter mit einem Gebot, nämlich dem Gebot der Umkehr und des Glaubens an Jesus Christus, an uns herantritt, wenn er an unseren Willen appelliert, gibt es nur eines: Gehorsam. Jedes Theoretisieren, ob man überhaupt einen freien Willen hat, ob Gott nicht widersprüchlich ist, ob er nicht ungerecht ist, ist fehl am Platz und wird uns nichts nützen - im Gegenteil, wir überantworten uns damit selbst Gottes gerechtem Gericht. Jesus sagte:

Joh 12,48 "Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, hat den, der ihn richtet: das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am letzten Tag."

Ein Mensch, der Gott gehorcht hat, indem er umgekehrt ist und sich Jesus anvertraut hat, weiß einerseits, daß Gott souverän herrscht, daß ihm nichts entglitten ist und nichts entgleiten kann, und er zieht gerade daraus seinen Trost, seine Zuversicht: Dieser große Gott will mich segnen - denn er liebt mich, und er kann mich segnen - denn er herrscht unumschränkt, und niemand kann seinem Willen widerstehen. Auch weiß er, daß er alles Gute in seinem Leben, ja sogar den Glauben selbst, Gott zu danken hat und nicht sich selbst.

Andererseits weiß er, was von ihm erwartet wird, wenn Gott ihn durch sein Wort ermahnt, ihn auffordert, das Böse zu lassen und das Gute zu tun: Ein willentliches Ja zu Gottes Geboten und der praktische Gehorsam - begleitet vom Gebet, daß Gott Kraft und Gelingen geben möge.


Beantwortet von: Matthias Aberham
Quelle: http://www.life-is-more.at