Ich bitte um eine Erklärung zu Hebräer 4,15

Ich bitte um eine Erklärung zu Hebr. 4,15, besonders den Schluß dieses Verses betreffend.

Antwort

Welch ein schönes Vorbild ist der alttestamentliche Hohepriester auf den Herrn Jesus hin als Den, der die Seinen allezeit vor Gott vertritt und Sich für sie verwendet „in den Sachen mit Gott” (Hebr. 2,17), und bezüglich „unserer Schwachheiten” (4,15). Was manchem in Hebr. 4,15 nicht klar ist oder falsch gedeutet wird, sind diese drei Dinge: „unsere Schwachheiten”, „versucht werden” und „ausgenommen die Sünde” (oder wie Luther übersetzt: „ohne Sünde”).

Dass mit „Schwachheiten” nicht das gemeint ist, was die Menschen meist damit bezeichnen: Verfehlungen, also Sünden, ist uns klar, da der HERR nicht mit Sünden Mitleid haben kann. Aber Er weiß um unsere Schwachheit, den mancherlei Versuchungen gegenüber standzuhalten, sie siegreich zu bestehen. Wir sind in der Gefahr, ungeduldig zu werden, zu verzagen, einer Lockung zu folgen, aufgeregt zu werden, uns zu etwas hinreißen zu lassen usw. Wir gleichen einer Festung, die an manchen Stellen nicht gut befestigt und deshalb an diesen Stellen besonders angreifbar ist, wenn auf sie nicht besondere Wachsamkeit verwendet wird. Denken wir uns z. B. ein Kind Gottes, das von Natur zu Jähzorn neigt. Irgendein Umstand kann dieses Kind Gottes zu einem Ausbruch von Jähzorn bringen. Mit dem Jähzorn selbst würde der HERR kein Mitleid haben können. Aber Er kennt die Schwachheit des dazu neigenden Kindes Gottes in dieser Sache und die ihm darum drohende Gefahr und fühlt mit ihm, wenn die Versuchung an dasselbe herantritt, und verwendet sich darum vor Gott für dieses Kind Gottes, damit es „Barmherzigkeit empfängt und Gnade findet zur rechtzeitigen Hilfe” (Vers 16), was allerdings nur dann sein kann, wenn dieses Kind Gottes Ihn als seinen Hohenpriester kennt und von dem Vorrecht Gebrauch gemacht hat, „mit Freimütigkeit hinzuzutreten zu dem Thron der Gnade”. Ist dies der Fall, so bleibt es bewahrt in der Versuchung und wird nicht jähzornig. So ist es in all den verschiedenen Versuchungen, die uns auf dem Wege durch diese Welt begegnen.

Mit den Schwachheiten der Seinen Mitleid haben, mit ihnen fühlen in ihren Versuchungen, kann der HERR darum, weil Er Selbst durch diese Welt ging als Mensch und alle die Versuchungen, welche an uns herantreten, in gleicher Weise an Ihn herangetreten sind. Er ging durch dieselben Umstände wie wir und war umgeben von ebensolchen sündigen Menschen, wie uns umgeben. Was irgend uns auf die Probe stellt und was irgend geeignet ist, uns zu Sünde zu verleiten, ist auch Ihm auf Seinem Wege begegnet. Er ist „in allem versucht worden in gleicher Weise”.

Ausgenommen die Sünde.” Besser: „ohne Sünde.” Nicht richtig ist die auch vorkommende Übersetzung: „doch ohne zu sündigen”. Letzteres ist nicht der Gedanke. Es handelt sich nicht darum, festzustellen, dass Er nicht sündigte, wenn Er versucht wurde, sondern die Feststellung geht dahin, dass Er ohne Sünde war, in Ihm nicht Sünde war, im Unterschied von uns, in denen die Sünde wohnt. (Siehe Röm. 7,17) Das betreffende Wort im Grundtext hat auch den Sinn von „ausgenommen”, doch ist hier der Gedanke der, dass in Ihm Sünde nicht da war. Bei uns ist sie da und findet die Versuchung in ihr einen Anknüpfungspunkt. Bei Ihm war das nicht, weil in Ihm Sünde nicht war. Wir bedürfen der „Barmherzigkeit” und der „Gnade zur rechtzeitigen Hilfe”; Er bedurfte dessen nicht. Diese Feststellung des Nichtdaseins von Sünde bezüglich Seiner herrlichen Person ist notwendig, weil gesagt ist, dass Er „versucht worden ist in gleicher Weise wie wir”.

Zum Schluß sei noch auf den Unterschied aufmerksam gemacht zwischen dem Dienst des HERRN als „Hoherpriester” und dem als „Sachwalter” (oder „Fürsprecher”). Als „Hoherpriester” ist der HERR für uns vor Gott und verwendet Er Sich zu dem Ende, uns in dem rechten Verhältnis zu Gott und vor dem Unterliegen in den uns begegnenden Versuchungen zu bewahren. Als „Sachwalter” (oder „Fürsprecher”) aber ist Er für uns beim Vater und tritt Er für uns dann in Tätigkeit, wenn wir gesündigt haben, zum Zwecke unserer Wiederherstellung. Wir bedürfen Seiner in beiden Beziehungen. Welche Liebe und Gnade Gottes, dass Er so für unsere Bedürfnisse gesorgt hat! -
Theodor Küttner.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 23 (1938)