Judas Tod - ein Widerspruch in der Bibel?

Gibt es doch Widersprüche in der Bibel? Über den Tod des Judas heisst es einmal, dass er hinging und sich erhängte (Mt 27,5). Doch dann erwähnt Petrus, wie er vornüber fiel und zerbarst und alle seine Eingeweide heraustraten (Apg 1,18).

Spricht man das Thema über Widersprüche in der Bibel an, wird oft der Tod des Judas genannt. Sogar sich als evangelikal bezeichnende Bibellehrer und Christen zitieren immer wieder diese Begebenheit, um ein wörtliches Verständnis der Bibel als intellektuell eher naiv bis unredlich zu klassifizieren. Vor Jahren antwortete mir ein Student eines freikirchlichen Seminars auf meine Frage, wo es denn in der Bibel Widersprüche gebe: Der Tod des Judas.

Was ist nun tatsächlich geschehen? Riss der Strick, an dem sich Judas erhängte? Und fiel er dann so unglücklich, dass er zerbarst? Ein Harmonisierungsversuch, der gewöhnlich milde belächelt wird.

Zur damaligen Zeit des Tempeldienstes gab es eine Vorschrift, die besagte: Wenn jemand während der hohen Feste Israels in Jerusalem unter diesen Umständen zu Tode kam, sollte dessen Leichnam sofort entfernt werden, indem er über die Mauer geworfen werden sollte. (Siehe: Arnold Fruchtenbaum, Messianic Christology – A Study of Old Testament Prophecy, Ariel Ministries 1998, S. 153-154)

Nun hatte mit dem Passahfest eines der wichtigsten Feste überhaupt begonnen. Jerusalem, die heilige Stadt, wie sie in Matthäus 27,53 genannt wird, durfte nichts Unreines dulden. Es heisst wörtlich in Johannes 11,55: «Es war aber das Passah der Juden nahe. Und viele aus dem ganzen Land gingen vor dem Passah nach Jerusalem hinauf, um sich zu reinigen.» Da die Priester die Lämmer zeremoniell zu schlachten hatten, mussten sie kultisch rein sein und deswegen war alles Unreine so schnell wie möglich zu entfernen; besonders Leichname, da man durch Berührung eines Toten für sieben Tage unrein war (4.Mo 19,11). Wer also durch solch einen Kontakt verunreinigt war, konnte nicht mehr teilnehmen an dem hochheiligen Passahfest und die lange Reise nach Jerusalem war umsonst gewesen.

Man warf den Leichnam sogleich über die Stadtmauer. Allerdings war es nur gestattet, den Toten in Richtung Ben Hinnomtal, wo der Unrat gesammelt wurde, zu entfernen. Apostelgeschichte 1,18 sagt wörtlich, jemanden «kopfüber machen», also runterwerfen. Damals bedeutete dies einen Fall aus 40 Meter Höhe. Jerusalem war bekannt für seine hohen Mauern.

Erst nach Abschluss der zeremoniellen Feierlichkeiten wurden die sterblichen Überreste aufgelesen und nach jüdischer Tradition beerdigt. Nun hatte sich Judas zu Beginn dieses hohen Festes in Jerusalem erhängt. Sein Leichnam wurde sofort entfernt, indem man ihn in dieses Tal hinabstürzte. Dabei ist sein Leib zerrissen, wie Petrus es so deutlich schildert. Da damals jedermann wusste, wie solche Toten beseitigt wurden, gibt sich der Apostel keiner Mühe hin, für uns diesen Sachverhalt zu erklären bzw. diesen angeblich klassischen «Widerspruch» zu harmonisieren.


Beantwortet von: Alexander Seibel
Quelle: Zeitschrift Mitternachtsruf, April 2009, Seite 28