Miterben der Verheißung in Christo

Warum sagt der Apostel Paulus in Eph. 3,1-6, dass es „in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden sei, ... dass die aus den Nationen Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber Seiner Verheißung in Christo Jesu durch das Evangelium“, - während doch Jakobus in Apg. 15,13-17 ein Wort aus Amos (9,11.12) zitiert und es anwendet auf die bekehrten Heiden?

Antwort des Schriftleiters

Die „Antwort” lässt sich ganz kurz geben, indem man sagt, sie läge schon in der Fragestellung drin! Denn indem der Fragende (ein Bruder in Polen!) fast die ganze kostbare Epheserstelle wörtlich ausführt, muss er doch eigentlich selber schon sehen, dass sie viel mehr enthält, als was Jakobus in der Apostelgeschichte Kap. 15 sagt in seinem Zitat aus Amos! Der Fehler, den der teure Frager begeht und den sehr viele Geliebte des HERRN begangen haben, ist der, die Haushaltungen Gottes nicht auseinanderzuhalten sowie die Unterschiede in der Redeweise der Schrift nicht genügend zu berücksichtigen.
Nach dieser kleinen Einleitung, die uns die Wichtigkeit des „Rechtteilens” des Wortes Gottes (2. Tim. 2,15) andeuten soll, will ich ein wenig auf die Frage selber eingehen.

Das Alte Testament enthält manche der Amos-Stelle ähnliche Bemerkungen. Frage 9 dieses Jahres zeigt das auch! Es ist die wunderbare Gnade des HERRN, dass das einst bekehrte Israel die übrigen Nationen im größten Stil missionieren wird, so dass die Stelle aus Amos dann herrlich in Erfüllung gehen wird, während das, worauf Jakobus - ganz im Rahmen jüdischer Verheißungen stehend - die Stelle bezieht, als eine Art Vorerfüllung angesehen werden darf (wie Apg. 2,16ff. von Joel Kap. 2,28ff.). Offensichtlich will Jakobus mit dieser Darlegung die ängstlichen, engen Gemüter seiner judenchristlichen Brüder beruhigen, denen die Missionsweise des Paulus nicht richtig zu sein schien. (Vgl. später in Apg. 22,21.22 den Grund des Angriffs der Juden gegen ihn!) Darum auch betonte Petrus die ihm besonders zuteil gewordene Auserwählung, dass die Nationen durch seinen Mund das Evangelium hören und glauben sollten. (15,7) Wir sind stets gewohnt, Petrus den Apostel für die Beschneidung zu nennen, und gewiß mit Recht, gemäß Gal. 2,7.8, aber hier in Apg. 15 spricht Petrus von sich als von auserwählt zu sein, den Nationen das Evangelium zu verkünden, und es ist uns sicher, dass er nur den Vorgang in Apg. 10 meinen kann. (Später hat er dann - wie ich überzeugt bin! - in seinen Briefen jener Auserwählung gemäß in besonderen Maße auch den Heidenchristen Kleinasiens gedient!) Die Judenchristen gewöhnten sich nur sehr schwer daran, dass den Nationen das Heil ebenso gälte wie ihnen, die sie doch die ersten Verheißungen hatten. (Vgl. Röm. 3,1ff.; 9,4.5 u.a.) Aber sie begingen den gleichen Fehler wie in den letzten Jahrhunderten die Christen, und im umgekehrten Sinne: Diese meinen, ihnen gehörten alle Segnungen, die einst dem Volke Israel zugesprochen seien, während die Strafen jenem immer noch gälten, und jene meinen, die Heiden seien ausgeschlossen vom Heil und nur sie seien die Begnadigten. Aber beiden tut not, ernstlichst zu beachten, was Paulus in Röm. 9-11 schreibt; besonders in 11!

Das Volk Israel, besonders der zur Zeit der Apostel gläubig gewordene „Überrest”, hätte sich der vielen Stellen aus den Propheten erinnern sollen, die von der Bekehrung derer aus den Nationen handelten, dann wären sie sich ihrer Verantwortung für das Gläubigwerden der Heiden mehr bewußt gewesen und hätten sich herzlicher gefreut über die Segenstätigkeit des Barnabas und vor allem des Paulus, aber der nationale Stolz verblendete ihnen die Augen - doch den Aposteln, Gott sei Lob, nicht! - Hier nun noch einige Stellen ähnlich der Amos-Stelle (dem Sinne nach): Jes. 49,6! 45,21.22; 60,1ff.; 66,18-21; Sach. 8,20-23 u. a. - Wenn also Jakobus die Amos-Stelle gebraucht, um den Judenchristen zu helfen, die Bekehrung derer aus den Nationen - die aber nicht etwa erst Juden werden mußten! - im biblischen Lichte zu sehen, so befindet er sich vollkommen auf dem Boden der Schrift, auf dem Grunde alttestamentlicher, klarer, göttlicher Verheißungen (- nicht aber auf dem neutestamentlicher, himmlischer Segnungen, wie sie der Lehre nach nur dem Apostel Paulus anvertraut sind!). Der Praxis nach hatten die Gläubigen aus den Juden ebenso wie die Apostel natürlich alle daran (d. h. an der himmlischen Berufung) teil, was es aber war, woran sie teil hatten, was es inGottes Augen bedeutete, das wußten die neutestamentlichen Gläubigen nicht eher, als bis der Heilige Geist ihnen durch Paulus darüber Belehrung gab. Gewiß hatte der Heilige Geist sie am Pfingsttage und weiterhin des unnennbaren Vorrechts teilhaftig werden lassen, der Gemeinde Jesu Christi (von der der HERR inMt. 16 gesprochen hatte!) anzugehören (2,29ff.; in V. 29 auch der apostolische Hinweis auf die „Fernen”, die Heiden! 4,32; 5,12-14 usw.), und durch die Belehrungen des Geistes wuchsen sie mehr und mehr hinein in dies erhabene Vorrecht, aber was die Gemeinde ist, was sie eigentlich ist, wer dazu gehört und was sie nicht ist usw. - das hat Gott erst durch Paulus geoffenbart, und seine Briefe tun es auch uns noch kund. Während aber der 1. Korintherbrief die Gemeinde unter fast nur irdisch-praktischen Gesichtspunkten des „Leibes in Christo” (vgl. Röm. 12,5) zeigt (vgl. z. B. Kap. 12!) und die Timotheusbriefe sie im Bilde des Hauses Gottes unserem geistlichen Gewissen nahebringen, ist es dem Paulus erst mit den beiden köstlichsten „Gefangenschaftsbriefen” an die Epheser und Kolosser vorbehalten, uns die Lehre von dem „Geheimnis” der Gemeinde von höchsten Gesichtspunkten aus zu offenbaren. (Vgl. auch die kurze Notiz Röm. 16,25-27: Paulus wußte dies „Geheimnis” schon früher!) (Der Epheserbrief zeigt uns, was die Gemeinde für den Christus, das Haupt, ist und der Kolosserbrief, was der Christus, das Haupt, für Seine Gemeinde ist!)
Und welches ist dies „Geheimnis”? Der Fragende zeigt es selbst, wenn er in der Frage die 3 wichtigen „Mit...” aufzählt: „Miterben”, „Miteinverleibte”, „Mitteilhaber”. Das war im Alten Testament nicht verheißen, wahrlich nicht! Die Lehre von der Gemeinde als Geheimnis kann im Alten Testament wohl in Gleichnisform gefunden werden (vgl. Eph. 5,22-33, was wir im Vorbild sehen in Adam und Eva), aber nie als Lehre. Wer's gleichwohl versucht, bringt alles durcheinander; auch die Lehre von der christlichen Taufe findet sich nicht im Alten Testament, sie dennoch dort zu suchen und zu finden führt zu mancherlei Irrtümern, wie z. B. dem, sie mit der alttestamentlichen Beschneidung zu verwechseln! Nein, die Lehre von der Gemeinde (oder Versammlung) ist dem Apostel Paulus anvertraut, und er gibt sie uns in unnachahmlicher, weil eben ganz und durchaus geisteingehauchter Weise. Es hieße den Rahmen und Raum einer „Antwort” weit überschreiten, wollte ich diese Lehre hier ausführlich bringen. Es ist auch nicht nötig. Oft haben die „Handr.” in früheren Jahrbüchern über die Gemeinde geschrieben, in Fragebeantwortungen (u. a. durch den unvergeßlichen entschlafenen K. O. St.) und Aufsätzen, letztere sonderlich durch den Mitschriftleiter Br. A. v. d. K. (Vgl. z. B. Jahrb. 5!) Aber in Kürze: Ich frage den Fragenden: Wo ist in Apg. 15 in des Jakobus Worten auf Grund von der Amos-Stelle etwa eine Andeutung von der kostbaren Tatsache auch nur des „Mitleibes”? „Miterben”, „Mitteilhaber” sollen die „Fernen” aus den Nationen sein! Mit wem? Mit Israel freilich, aber dies Israel ist nicht das zukünftige des Tausendjährigen Reiches, nicht das der Prophetenstellen - es sind die zuerst vielen, jetzt wenigen, die, herausgerettet aus der widerspenstigen und um ihres Ungehorsams jetzt in dieser Zeit der Gemeinde beiseite gesetzten Nation, mit den ebenso aus den Nationen Herausgeretteten zu der „Herausgerufenen” (der „Ekklesia”) gebildet, zusammengefügt, zusammengeschweißt (durch Seinen Geist!) werden und den „Mitleib” darstellen, den der HERR, das Haupt Seines Leibes, kennt, sieht, beaufsichtigt, heilt, heiligt, reinigt (Kap. 5) usw., usw. „Sein Leib” ist sie, die Gemeinde, Sein Leib - „die Fülle” „Dessen, der alles in allem erfüllt”. (1,23) Ich bitte Euch, geliebte Leser, ich frage den Frager: ist dies nichts? Ist dies nichts anderes wie die Amos-Stelle, von der Apg. 15, wie gesagt, eine Vorerfüllung gibt, aussagt? Ist es nicht viel, viel, ja unendlich viel mehr? O Geliebte, wir wissen wirklich nicht genügend, was die Gemeinde - trotz all ihrer Schwäche hienieden! - sie, die himmlische Brautgemeinde - was sie für Ihn ist! Wüßten wir es besser, schätzten wir sie höher ein, ja, so wie Er nach dem Epheserbrief, wir würden oftmals anders handeln und wandeln. (Vgl. 4,1-7!! Siehe hierzu Jahrb. 11/2.) Aber ich will darüber nichts weiter sagen. Beugen wir uns, Geliebte, in den Staub über unsere so häufige Gleichgültigkeit Seiner Gemeinde, den Belangen derselben, die Seine Belange sind, gegenüber! „Wache auf, der du schläfst!” steht auch im Epheserbrief 5,14. Der Epheserbrief mit seinen mehr als 20 Aussagen über die „Liebe” und „Geliebtsein” (Christus „der Geliebte”, 1,6) kann allein - wenn überhaupt noch etwas es kann - auch in heutiger Zeit unserer Verantwortung für Seine Gemeinde, zu der gehören zu dürfen unser größtes Vorrecht ist, uns bewußt machen. Möge es dem HERRN gelingen, und möge Er dazu dies schwache Zeugnis vorliegender Fragebeantwortung mit benutzen wollen!

Aber noch einen ganz kleinen Hinweis muss ich geben: Das Geheimnis des „Mitleibes” (siehe dazu die Belehrungen in Kap. 2,14ff.!!) hat viele wichtige Folgen für die in Gottes Augen Miteinverleibten, und eine dieser Folgen ist die Tatsache, dass in der Gegenwart (d. h. seitdem die Gemeinde gebildet wird, bis zum Abschluß derselben, der Entrückung der Seinen, vgl. Frage 10 dieses Jahrbuches!) Israel als Volk Gottes Alten Testaments keine Sondervorrechte innerhalb der Gemeinde des HERRN hat. „Die Berufung Gottes bleibt unbereubar” (Röm. 11,29), wir werden das einst zu sehen bekommen - aber „in der jetzigen Zeit” besteht „ein Überrest nach Wahl der Gnade” (11,5), und der ist mit uns aus den Nationen zusammengeschlossen zu Seiner „Ekklesia”, Seiner „Herausgerufenen”, wo nicht mehr ist „Grieche und Jude” usw. (Kol. 3,11), sondern wo „wir alle in einem Geiste, zu einem Leibe getauft sind, es seien Juden oder Griechen (Heiden aller Rassen!), es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden”. (1. Kor. 12,12.13; vgl. Eph. 2,15.16!) Manche möchten diese Konsequenzen nicht ziehen, aber sie sind wichtig für uns, sonderlich in heutiger Zeit, wie es ebenso wichtig ist, dass die aus den Nationen keine Sondervorrechte um ihrer Nationalität willen innerhalb der Gemeinde des Leibes Christi haben. Diese beiden Seiten müssen beachtet werden von uns aus Gnaden Gläubigen (Eph. 2,5.8), die wir bewußt die Gemeinde des HERRN bilden. Was wir als Menschen sind, hat innerhalb der Gemeinde und auf ihrem Boden nichts zu sagen, soviel es in anderen Hinsichten auch bedeuten mag.
Das Große der Frage ist das unvergleichlich Kostbare: Wir, die wir „Fremdlinge sind betr. der Bündnisse der Verheißung” (2,12) usw., wir aus den Nationen sind „Miteinverleibte” usw. in Seinen Leib, in „den Christus”, denn „Er ist unser Friede” - Er hat „aus beiden (Israel und Nationen) eines gemacht”, hat die zwei „Frieden stiftend zu einem neuen Menschen geschaffen”! (2,15) Das ist: der Christus! Welche Erhabenheit, welch ein Neues, welche Kostbarkeiten!
Gepriesen sei Sein so überaus herrlicher Name! Dank sei Gott!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 19 (1934)