Namen der Stämme

Warum sind wohl in 1. Mose 49 (2. Mose 1) und 5. Mose 33 die Namen der Stämme in gänzlich verschiedener Reihenfolge aufgeführt? Liegen darin geistliche Fingerzeige oder Belehrungen, auch fürs Neue Testament?

Antwort A

Irrtum vorbehalten finden sich Aufstellungen der Söhne Jakobs oder Stämme Israels im Alten Testament einundzwanzig, im Neuen Testament eine, und jedesmal ist die Reihenfolge eine andere. Der Grund der jeweiligen Aufstellung ist zum Teil zu erkennen, zum Teil nur zu ahnen, zum Teil weder das eine noch das andere; über die Aufstellungen der drei genannten Abschnitte ist zu sagen:

In 2. Mose 1 ist die Reihenfolge eine dem natürlichen Empfinden entsprechende: Der Geburtsfolge nach die sechs Söhne der erstgeheirateten Frau und der eine Sohn der zweitgeheirateten; dann der Geburtsfolge nach die Söhne der Mägde. Joseph kann nicht dastehen, weil er nicht mit Jakob nach Ägypten kam, sondern da war. (Verse 1 u. 5)

In 1. Mose 49 gibt der Segen Jakobs über seine Söhne, welche „die zwölf Stämme Israels sind” (Verse 1.2 u. 28), eine prophetische Schau über die Geschichte des Volkes von der Zeit seines Entstehens an bis hinein in die kommende Segenszeit unter der Herrschaft Dessen, welcher sowohl der Abgesonderte unter Seinen Brüdern, der Hirte und Stein Israels, ist als auch der Löwe aus Juda, der nach Kampf und Sieg als Friedefürst das Zepter führen wird. (Verse 26.24.9.10) Was später getrennt als Propheten-, Priester- und Königtum in Erscheinung trat, war in den Vätern Abraham, Isaak und Jakob unausgesprochen vereinigt. Ps. 105,14.15: „Er ließ keinem Menschen zu, sie zu bedrücken, und ihretwegen strafte Er Könige: Tastet Meine Gesalbten nicht an, und Meinen Propheten tut nichts Übles.
Die Unterlage der Schau bilden Charaktereigenschaften, Handlungen und Stellung der zwölf Erzeuger der zwölf Stämme. Der prophetische Charakter der Schau wird gewährleistet durch den Ausspruch Jakobs: „Ich will euch verkünden, was euch begegnen wird in künftigen Tagen.” (Vers 1) Und das, was im Laufe der Zeiten kund wurde und in deren fernerem Lauf noch kund werden wird, gliedert sich, von unserem jetzigen Standpunkt aus gesehen, in eine frühere, eine gegenwärtige und eine zukünftige Geschichte. Bei genau der Hälfte der Stämme ist die Geschichte unschwer aus dem Leben der Väter herauszulesen, für die andere Hälfte der Söhne Jakobs sind wir hinsichtlich ihres persönlichen Charakters auf die hier gegebene Schilderung angewiesen. Später gegebene Offenbarungen der Schrift und die Geschichte erweisen die Schilderung als zutreffend.

Ruben, Simeon und Levi weisen die Kennzeichen des natürlichen Menschen auf: Sünde durch Übermut und Gewalttat. Joseph steht da als im voraus zum Retter der Welt und Segensspender abgesondert. Juda, der Garant Ben Jamin's, des „Sohnes der Rechten” (Kap. 43,9 u. 44,32ff.), dem Charakter nach mit diesem verbunden, veranschaulicht deutlich die Führerschaft unter den Stämmen.
In kürzester Zusammenfassung ergibt sich folgende Gesamtübersicht der Geschichte Israels:
Frühere Geschichte der Nation.

Ruben: Der Anfang und Fortgang ihrer Geschichte weist Unstetigkeit und Götzendienst auf.
Simeon und Levi: Volk und Priester vereinigt zu Grausamkeit und Bosheit (siehe die Propheten!), dieses auslaufend in die Ermordung des Messias.
Juda: Königtum und königliche Herrschaft in Christo eingesetzt. (Ps. 2)
Gegenwärtige Geschichte der Nation.
Sebulon: Israel der Mittelpunkt des Welthandels.
Issaschar: Israel williger Tributzahler in Unterwürfigkeit unter die Nationen.
Zukünftige Geschichte des Volkes.
Dan: Die Macht und Energie Satans und der Schrei des Überrestes in der kommenden Krisis (Drangsal).
Gad: Der Überrest überwunden in der Drangsal, schließlich aber selber Überwinder.
Aser: Die Erde gibt dem siegreichen Israel ihren Ertrag.
Naphtali: Genuß der Freiheit, welche die Gnade gebracht hat, und Siegesjubel.
Joseph und Benjamin: Persönliche Vorbilder des HERRN, vereinigt in Herrlichkeit und Macht zu Israels Gunsten.

Reihenfolge der 12 Stämme hier.

Ruben |
Simeon, Levi |
Juda } die sechs Söhne Leas.
Sebulon |
Issaschar |
Dan, Sohn der Magd Rahels |
Gad, Sohn der Magd Leas } Söhne der Mägde.
Aser, Sohn der Magd Leas |
Naphtali, Sohn der Magd Rahels |
Joseph } die beiden Söhne Rahels.
Benjamin |

Die vier ersten und die zwei letzten, eben diejenigen, von denen wir sagten, dass ihre Geschichte unschwer aus dem Leben der Väter herauszulesen sei, stehen nach der Geburtsfolge, die anderen nicht.
Ein in die Augen springender Punkt der Reihenfolge ist dieser: Die Anordnung entspricht dem, was die Heiratsgeschichte Jakobs vorschattend veranschaulicht: Rahel, die Erstgeliebte, wurde dem Jakob erst als zweite gegeben. So Israel. Der HERR starb für die Nation, und doch wurde Ihm zuerst die Ekklesia, die Versammlung, gegeben. Dieser entspricht Lea. Rahel stellt die Juden dar: Aus ihr, aus ihnen ist am Ende der in Herrlichkeit und Macht erscheinende Messias. Geht Lea, die nicht direkt begehrt war, der Rahel voran, so ist es auch so mit ihren Kindern. Und zwar werden ganz schicklich Sebulon und Issaschar, obwohl nach den Söhnen der Mägde geboren, den Söhnen der Mägde vorangestellt. „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung.” (1. Kor. 14,33)

In 5 Mose 33 ist zu beachten, dass dies letzte der fünf nach Mose benannten Bücher ein Rückblick auf die vierzig Jahre seit dem Auszug ist und ein erneutes Vorstellen der Bedingungen, unter deren Erfüllung sie im Lande würden wohnen bleiben können, ansonsten sie aus demselben vertrieben werden würden. Dieses Gestelltsein unter Gesetz wird in den Versen 2-5, in hochpoetischer Form zusammengefaßt, dem Segen vorangesetzt und gibt den Gedanken ein, dass der Inhalt dieses Segens es mit ihrem Wohnen im Lande zu tun haben könnte. Der Inhalt bestätigt das, und es ist nicht nur das Wohnen vor der Wegführung, sondern allgemein, auch im kommenden Reiche. Die Zeit des Nichtwohnens im Lande viele Jahrhunderte hindurch bleibt außer Betracht, nur ein einziges Mal, Vers 7, findet sich eine Anspielung darauf: das Zurückbringen Judas zu seinem Volke. Es ist einfach die Beziehung des zwölfstämmigen Volkes im Lande zu Gott gemäß Seiner Regierung.
Ähnlichkeiten mit Jakobs Aussprüchen finden sich in Rubens Kleinbleiben, Judas mächtigem Emporkommen, Josephs Segnungen, Sebulons kaufmännischem und Issaschars geruhsamem Lebensstil und Gads kühnem Draufgängertum. Gegensatz ist festzustellen bei Levi, dessen gottehrende Einstellung bei der Sache des goldenen Kalbes die durch Jakob angedrohte Zerstreuung in Israel, obwohl sie eintrat, in eine solche verwandelte, die als Segen gewertet werden durfte, weil Levi Diener des Heiligtums wurde und Gott Selber sein Erbteil sein wollte. Simeon fehlt in der Aufstellung, weil für ihn die Ahndung durch Jakob bestehen blieb: Er bekam sein Erbteil nicht gesondert, sondern wohnte mit Juda zusammen mitten in dessen Erbteil. (Jos. 19,1.9) Dafür wurde Joseph in das Erstgeburtsrecht eingesetzt (1. Chr. 5,1.2), wurde in Ephraim und Manasse zu zwei Stämmen. (1. Mo. 48,5) Von Benjamin, Dan, Naphtali, Aser wäre Besonderes zu sagen.
Reihenfolge in 5. Mose 33.
Ruben |
Juda } drei älteste Söhne Leas.
Levi |
Benjamin }zwei Söhne Rahels.
Joseph { Ephraim } |
| Manasse |
Sebulon } zwei jüngere Söhne Leas.
Issaschar |
Gad, ältester Sohn von Leas Magd |
Dan, ältester Sohn von Rahels Magd } Söhne der Mägde.
Naphtali, jüngster Sohn von Rahels Magd |
Aser, jüngster Sohn von Leas Magd |
Wenn die Aufeinanderfolge dem Auge so vorgeführt und dabei festgehalten wird, dass die Anordnung von Gott ist, so erscheint eine moralische Ordnung, der wir unsere Bewunderung nicht versagen können.

1. Die drei Ältesten der ersten Frau kommen zuerst, dabei Juda vor Levi, weil er der würdigere ist.
2. Der Liebling Jehovas und der Nasiräer unter seinen Brüdern kommen nun. Beide Söhne der „geliebten Frau”. Meint man nicht in dieser Folge von Nummer 1 und 2 einen Wiederschein von 5. Mo. 21,15-17 zu sehen? Man lese die drei Verse. Ganz so konnte es ja nicht sein, aber Zurückhaltung in die zweite Nummer ist doch treffend. Der Erstgeborene zuerst, mag er sein, wie er will. Dann der Königliche, dann der Priesterstamm. Dass darin „der Liebling” kommt, in dessen Gebiet (in Jerusalem) der Thron und der Tempel Jehovas zu stehen kommen würden, verwundert nicht. Da Joseph nun aber doch das Erstgeburtsrecht besaß, so musste sein Platz zum mindesten jetzt gleich nach den erstgeborenen Söhnen der gehaßten Frau kommen.
3. Die jüngeren Söhne Leas, der Gehaßten. (1. Mo. 29,31) Zuletzt, wie treffend und richtig,
4. die Söhne der Mägde.
*

Im Meere ist Dein Weg,
Und Deine Pfade in großen Wassern,
Und Deine Fußtapfen sind nicht bekannt.

(Ps. 77,19)
*

Deine Gerechtigkeit ist gleich Bergen Gottes,
Deine Gerichte sind eine große Tiefe.

(Ps. 36,6)
*

Die geistlichen Fingerzeige oder Belehrungen sind in vorstehendem zugleich mit der Antwort auf das, „warum” die Reihenfolge verschieden ist, gegeben. Dass eine Belehrung fürs Neue Testament darin läge, kommt mir nicht zum Bewußtsein. Bedauerlich ist nur, dass dem Fragebedürfnis nach näheren Erläuterungen, das durch die knapp gehaltenen Ausführungen geweckt werden wird, wegen Platzmangels nicht entsprochen werden kann.
F. Kpp.

Zusätze des Schriftleiters

Vorstehende höchst belangreiche Antwort wird manche Leser ebenso überraschen wie die Frage selbst. Bezieht diese sich doch auf ein Gebiet, das für die meisten sozusagen „terra nova”, gänzlich „unerforschtes Gebiet”, „Neuland” ist, weswegen die Antwort mehr als nur „interessant” ist. Jedenfalls aber ist wieder einmal zu sehen, dass die Heilige Schrift unerschöpflich, dass in ihr nichts von ungefähr ist und dass die absonderlichsten Fragen in ihr von hohem geistlichem Wert und keineswegs überflüssig sind. Fast könnte man sagen: Wer hätte gedacht, dass es auf diese Frage eine so schöne Antwort geben könnte! Und wenn unser Mitarbeiter bedauert, auf weitere Erläuterungen verzichten zu müssen, so ist dazu nur zu sagen: Möge nur jeder Leser sich Mühe geben, weiter zu forschen, und wenn sich daraus noch neue Fragen ergäben, so wäre es ja nicht schwer, dann später, so Gott will, auf solche noch in diesen Blättern einzugehen. Möge es zunächst nur allen so gehen, dass sie bewundernd ausrufen: „Wohlgeläutert ist Dein Wort, und Dein Knecht hat es lieb!” (Ps. 119,140)

Mit wenigen Gedanken möchte ich noch auf den letzten Teil der Frage zu sprechen kommen wegen Belehrungen fürs Neue Testament aus dieser Frage.
Es geht mir ungefähr so wie unserem lieben Mitarbeiter, dass Belehrungen in dieser Hinsicht nicht unmittelbar zu sehen seien. Aber doch finde ich eine insofern, als auch im Neuen Testament öfter Namensverzeichnisse aufgeführt werden, in denen kleine Verschiedenheiten in der Reihenfolge zu sehen sind. Wir haben z. B. viermal eine Aufzählung der zwölf Apostel des HERRN. Und während in diesen (Mt. 10,2-4; Mk. 3,16-19; Lk. 6,14-16; Apg. 1,13.14.16ff.) immer Simon Petrus an der Spitze steht, schließt die Reihe stets mit Judas Iskariot, bis dieser dann in Apg. 1 unter der Zahl fehlte, aber gleich darauf wird von seinem Ende gesprochen, und er wird in tiefbewegender Weise ersetzt durch Matthias. Sehr bemerkenswert ist auch die Verschiedenheit der Namen (siehe Judas = Lebbäus oder Thaddäus und Simon der Kananäer, d. i. Zelotes, der „Eiferer”). Fragen möchte ich, warum wohl später nie mehr von dem Beinamen des Jakobus und Johannes „Boanerges, d. i. Söhne des Donners”, die Rede ist!. Ob es genügte, dass der HERR ihnen diesen Namen gab, um sie nie wieder solchem Namen gemäß handeln zu lassen? (Etwa wie Lk. 9,54!) Eine ganze Reihe von Fragen können sich erheben im Blick auf die verschieden angeführten Namen, ihr Verhältnis zum HERRN, ihre Fähigkeit, ihr zum Teil frühzeitiges Nichtmehrgenanntwerden in der Schrift, kommt doch sogar Petrus schon ab 15,8 in der Apostelgeschichte nicht mehr vor, und über ihre Wahl durch den HERRN im einzelnen, die manches offen läßt, so z. V. ob Nathanael in Joh. 1,45 und 21,2 wirklich Bartholomäus ist und warum er in den Verzeichnissen statt mit dem schönen ersteren Namen (d. i. „Gott gibt”) nur mit dem Zunamen Bartholomäus genannt wird. Und dann: Warum enthält das Johannesevangelium kein Verzeichnis, während es doch so ganz besonders viel Persönliches aus der Geschichte der einzelnen Apostel und Äußerungen von ihnen anführt, so in Kap. 1 und z. B. 6,6.7; 12,21; 14,8 (Philippus); 11,16 (Thomas); 13,23; 19,26; 21,7.20 (Johannes); 6,8; 12,22 (Andreas); 14,22 (Judas); 20,24ff. (Thomas) usw. Das Johannesevangelium stellt eben alles an seinen rechten Platz, entsprechend dem Charakter Christi als der Wahrheit, und so haben wir wohl in ihm gerade keine Aufzählung der Jünger, aber mehr: eine wunderbare Charakteristik von ihnen.

Aber genug dieser Hinweise, die ich nur gab als Vergleich mit jenen alttestamentlichen Aufzählungen der Söhne Jakobs, der Stämme Israels. lasst uns solche Dinge nicht „trocken” nennen, lasst uns vielmehr forschen wie jene Einsenderinnen vorliegender Frage (einige ziemlich einsame treue Schwestern!), dann wird uns in allem Der groß, der Kern und Stern der Schrift ist und der Sich so oder so mit „Seinen Leuten” beschäftigt, um uns zu zeigen, wie sie alle Ihm am Herzen liegen, was wohl wiederum uns, den Seinen heute, zeigen soll, wieviel Ihm an uns liegt; denn von Dem, den man lieb hat, sieht man gern Bilder, und welche Bilder wären wohl schöner, herrlicher, aber auch wahrer als die, welche Sein Wort uns gibt?! Und am schönsten, ja, unendlich viel schöner als alle ist Er Selber! Darum „betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesum ...”! (Hebr. 3,1ff.) Da werden wir nie müde, Schönheitszug um Schönheitszug zu entdecken, zu bewundern und zu preisen, und so werden wir in Sein Bild umgewandelt nach 2. Kor. 3,18! Möge es immer mehr so geschehen! Ihm aber sei die Ehre, Ihm auch der Dank für Sein kostbares Wort!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 20 (1935)