Über blutrünstige Bibelgeschichten

Warum stehen in der Bibel so grausame Berichte wie über die Vergewaltigung einer Frau von den Männern einer Stadt und der anschliessenden Zerstückelung des Leichnams durch den eigenen Mann? Aus welchem Grund ist eine solche blutrünstige Geschichte ausgerechnet in Gottes Wort zu finden?

Warum stehen in der Bibel so grausame Berichte wie über die Vergewaltigung einer Frau von den Männern einer Stadt und der anschliessenden Zerstückelung des Leichnams durch den eigenen Mann? Aus welchem Grund ist eine solche blutrünstige Geschichte ausgerechnet in Gottes Wort zu finden? Ihre Frage bezieht sich auf die Ereignisse im Buch Richter, Kapitel 19-20. Hier schildert uns der biblische Bericht den schändlichen Missbrauch einer Frau, anschliessend die barbarische Tat ihres Mannes und den darauf folgenden Bruderkrieg. Wenn wir die geschilderten Ereignisse sowie das ganze Buch Richter verstehen wollen, müssen wir den sogenannten «Schlüsselvers» beachten. Diesen finden wir in Richter 21,25: «Zu der Zeit war kein König in Israel; jeder tat, was ihn recht dünkte.» Das war zusammengefasst die Situation des Volkes Israel zur Zeit der Richter, nicht lange nach dem Tod Moses und Josuas. Wenn jeder tut, was ihn recht dünkt, sind Chaos und Anarchie die Folge. Das Buch der Richter sagt sogar, dass die gleichen sündigen Verhaltensweisen praktiziert wurden wie in Sodom und Gomorra (vgl. 1.Mo 19; Ri 19,22-25). Diese moralische Degeneration machte selbst vor der geistlichen Führung des Volkes nicht Halt!

In Kapitel 19 wird uns von einem Leviten berichtet, der wusste, dass das Gesetz für Hurerei die Todesstrafe fordert. Doch er setzte sich über dieses Gebot hinweg und handelte entsprechend dem allgemeinen Trend: «Jeder tat, was ihn recht dünkte.» Dazu vernachlässigte er in schändlicher Weise die Fürsorgepflichten gegenüber seiner Frau. Um sich selbst zu schützen, überliess er seine Frau den Männern der Stadt. Diese vergingen sich derart an ihr, dass sie an den Folgen starb. Der Levit realisierte das Geschehene erst, als er vom Schlaf aufstand, um weiterzuziehen. Die Leichenschändung, die er dann beging, und der kurze Zeit später aufflammende Bruderkrieg waren dann «nur» noch das Tüpfelchen auf dem «i» (Ri 19,26 - 20,48).

Dass die Bibel diese Schandtaten nicht verschweigt, zeigt mit aller Deutlichkeit die Konsequenzen des Abfalls von Gott: Chaos und Anarchie! Auch die weiteren Ereignisse in Kapitel 20 müssen aus diesem Blickwinkel betrachtet werden. In Vers 1 heißt es: «Da zogen die Israeliten aus und die Gemeinde versammelte sich wie ein Mann – von Dan bis nach Beerscheba und vom Lande Gilead – vor dem Herrn in Mizpa.» Erschüttert durch die Umstände, versammelten sie sich vor dem Herrn. Doch dieses Versammeln vor dem Herrn war eher eine äusserliche Formsache als heiliges Erschrecken über den grausamen Vorfall, denn die begangene Schandtat wurde nicht beweint. Überdies wurde der Levit nicht zur Rechenschaft gezogen, obwohl er eine offenkundige Lüge aussprach: «Da machten sich gegen mich auf die Bürger von Gibea und umstellten meinetwegen das Haus des Nachts. Mich wollten sie töten und meine Nebenfrau haben sie geschändet, sodass sie gestorben ist» (V 5). Ja, trotz des «Aufschreis» des Volkes war keine Buße zu erkennen. Niemand fragte, wie Gott das Ganze beurteilte. Vielmehr wurde in eigener Regie beschlossen, die Übeltäter zu bestrafen (V 12-13). Erst nachdem der Beschluss schon feststand, in den Krieg zu ziehen, fragten die Israeliten Gott: «Wer von uns soll zuerst hinaufziehen in den Kampf gegen Benjamin? Der Herr sprach: Juda soll anfangen» (V 18). Das Resultat des eigenmächtigen Handelns fiel entsprechend aus: Zweimal wurde das Volk empfindlich geschlagen. Erst nach diesen zwei tragischen Niederlagen lesen wir, wie Israel sich auf die richtige Vorgehensweise besann: «Da zogen alle Israeliten, das ganze Kriegsvolk, hinauf und kamen nach Bethel und hielten Klage und blieben dort vor dem Herrn und fasteten an diesem Tag bis zum Abend und opferten Brandopfer und Dankopfer vor dem Herrn. Und die Israeliten befragten den Herrn. – Es war aber zu jener Zeit die Lade des Bundes Gottes dort und Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, versah den Dienst vor ihm in jener Zeit. – Und sie sprachen: Sollen wir abermals ausziehen, um gegen die Benjaminiter, unsere Brüder, zu kämpfen, oder sollen wir es lassen? Der Herr sprach: Zieht hinauf; morgen will ich sie in eure Hände geben» (V 26-28). Nachdem Israel den Herrn gesucht, geklagt, gefastet, Ihm Brandopfer (= Buße) und Dankopfer (= Lob) dargebracht und bewusst nach Seinem Willen gefragt hatte, gab Gott den Sieg.

Diese Geschichte ist voller Parallelen für unser Leben und unseren Alltag. Wir können Gott um Seinen Segen und Seine Hilfe bitten. Doch solange wir an unserem falschen Weg festhalten, die Sünde nicht aus unserem Leben entfernen und nicht Buße tun, kann Gott unsere Gebete nicht erhören. Wir werden ein Spielball des Feindes sein und bleiben. Möge der Herr uns davor bewahren! Und möge Er uns helfen, die entsprechenden Konsequenzen für unser Leben zu ziehen.


Beantwortet von: Samuel Rindlisbacher
Quelle: Zeitschrift Mitternachtsruf, September 2009, Seite 28