Warum schreibt Jakobus an die zwölf Stämme?

Warum schreibt Jakobus an die zwölf Stämme (Jak. 1,1), die doch zu seiner Zeit in der Zerstreuung und gar nicht mehr erreichbar waren?

Antwort A

Gar nicht mehr erreichbar? Das gilt heute. Damals galt das noch nicht. Freilich waren die zwölf Stämme nicht ein zusammengefügtes Ganzes seit den Tagen der assyrischen Gefangenschaft, aber vorhanden waren sie „in der Zerstreuung”, und als Israeliten kannten sie sich untereinander, wenn auch die namentliche Stammeszugehörigkeit bei manchen nicht mehr gekannt sein mochte. Und mit Gottes Gedanken gedacht, waren immer, was Israelite war, die zwölf Stämme Seines Volkes. Müssen wir annehmen, dass die in Apg. 2,9.10 Aufgezählten nur Juden oder Benjaminiter waren, nicht auch aus den anderen Stämmen? Parther, Meder, Elamiter, Mesopotamier z. B. konnten nach 2. Kön. 17,6 andere als nur Juden umfassen. Übrigens kam es vor dem Exil vor, dass welche aus den zehn Stämmen zu den zwei Stämmen übersiedelten. In 2. Chr. 30 z. B. lesen wir, dass etliche aus Aser, Manasse und Sebulon nach Jerusalem kamen. Aus diesen Aseriten wird wohl die Prophetin Anna in Lk. 2 gewesen sein. Jakobus meint: Mein Schreiben gilt allen, welche sie sein mögen, die aus den zwölf Stammen sind, die überallhin zerstreut, aber durch das Erscheinen des Messias Gegenstände der Begnadigung Gottes geworden sind. Er schrieb seine Epistel eine Reihe von Jahren vor der Zerstörung Jerusalems. Nachdem Stadt und Tempel als Mittelpunkt des religiösen Systems vom Erdboden verschwunden waren und im Laufe der Jahrhunderte auch die Wohnsitze der Stämme verschiedene Male unter andere Botmäßigkeit kamen, erlosch nach und nach das Wissen um die zehn Stämme.
Der uns Heutigen unbegreifliche, aber zur Zeit des Jakobus wirklich bestehende Zustand war, wie wir's bei der Versammlung in Jerusalem sehen, dass die an den Messias Jesus Gläubigen sich nicht von der Synagoge und dem Tempel trennten, sondern ruhig mit den nicht an Jesum Glaubenden zusammen Gottesdienst hielten. Der Inhalt der Epistel entspricht ja auch ganz diesem unnormalen Zustande.
F. Kpp.

Antwort des Schriftleiters

Ja, das Volk Israel blieb immer das zwölfstämmige! Kein Mensch hat das schöner gesagt, weil in keiner entgegengesetzteren Lage, als der Apostel Paulus in Apg. 26,7! Der Herr Jesus deutet dasselbe an in Mt. 19,28 und Lk. 22,30 (siehe auch Off. 21,12 und Apg. 7,8). Das Volk Gottes irdischer Berufung, mochte es auch noch so sehr geistlich heruntergekommen und eben zerstreut - „in der Zerstreuung” - sein (griechisch in der „Diaspora!”), es blieb in Gottes Augen stets das ganze, ungeteilte, und so wird es auch einst errettet werden, nämlich als ein Ganzes, gleichsam als ein „Ganz-Israel”. (Röm. 11,25.26) Ich empfehle hierzu dringend das Nachlesen von Frage 1 in Jahrbuch 6! Ganz Israel, Israel als Ganzes (Ungeteiltes), ist auch gemeint in Apg. 2,36 u. a. (Vgl. 2. Chr. 12,1 und 35,3! und vgl. zu dem Gebrauch des Wortes „ganz” auch Mt. 2,3 oder 8,34, d. h. nicht jeder einzelne, sondern die Stadt - das Volk als ein Ganzes.)

Der HERR hat” immer „ein Auge auf die Menschen und auf alle Stämme Israels”, heißt es Sach. 9,1, als auch schon lange nicht mehr alle Stämme beisammen waren, und in Hes. 47,13, das auf die zukünftige Herrlichkeit im Lande geht, wird gesagt: „So spricht der Herr Jehova: Dies ist die Grenze, nach welcher ihr euch das Land als Erbe verteilen (oder erben!) sollt nach den zwölf Stämmen Israels.” Als Hesekiel dies herrliche Gesicht der Zukunft Israels sah, waren die Stämme längst zerstreut, und nur die zwei bekannten, Juda und Benjamin (mit etlichen aus Levi), kehrten aus der (babylonischen) Gefangenschaft zurück. (Vgl. z. B. Esra 1,5 u. 4,1!)
Dennoch blieb in den Treuen stets der Gedanke an das ganze Volk lebendig, das zeigt uns z. B. Esra 8,35, eine köstliche Stelle, die der Jakobusstelle würdig an die Seite zu setzen ist. Der treue Überrest, zu dem auch Jakobus gehörte, richtete stets den Blick gleichsam auf die „unbereubare Berufung Gottes” (Röm. 11,29) und handelte demgemäß. (Sollten wir es in den heutigen Tagen der Zerrissenheit des einen Volkes Gottes, Seiner Gemeinde, des unteilbaren Leibes Christi, des Volkes der himmlischen Berufung [Epheserbrief] anders machen? Sollten wir uns durch die fleischlichen Trennungen abhalten lassen, den Blick auf das Ganze gerichtet zu halten? Gewiß nicht! Und Joh. 17,20.21.24 kommt auch zu Seiner Zeit noch zur Erfüllung!)

Und so schrieb der treue Jakobus (der jüngere, der „Bruder des HERRN”) seinen den Umständen entsprechenden (vgl. die schöne Antwort A am Schluß!) Brief an die zwölf Stamme in der Zerstreuung. Sicher waren in Jerusalem am Pfingsttage viele solche zugegen gewesen, und ebenso sicher gehörten in den vielen zum Teil judenchristlichen Gemeinden in der Diaspora etliche den zehn Stämmen an. („Ephraim” in den Propheten, vgl. Hosea, u. a. Kap. 12!) Aber eine Unterscheidung war ihnen und ist uns nicht mehr möglich. Der HERR wird sie zu finden wissen, sie, die über den ganzen Erdball verstreut sind, an Seinem Tage, der nicht mehr fern ist. Und denen, die dem Charakter Elias entsprechen, der allein übriggeblieben zu sein glaubte und der doch erfahren mußte, dass der Überrest außer ihm noch 7000 umfaßte (1. Kön. 19), nämlich die, welche Beter sind wie Elia (Jak. 5,17.18), die warten mit Ausharren auf die Ankunft des HERRN, des Richters, der alles, auch was die zwölf Stämme angeht, zurechtbringen wird; und mit ihnen lassen auch wir es uns gerne sagen, was Jakobus spricht in 5,8: „Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen, denn die Ankunft des HERRN ist nahegekommen!” - Ihm sei Dank und Preis!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 20 (1935)