Widersprüchen in dem Verhalten des Herrn Jesus

Wie der Herr Jesus es macht, ist es doch immer gut, aber was kann man Gegnern sagen, wenn sie einem von Widersprüchen in dem Verhalten des HErrn sprechen und dabei hinweisen z. B. auf Joh. 7,8 u. 10?

Antwort A

Ehe ich zur Erklärung der Stelle in Joh. 7,8 und 10 und damit zur Lösung jenes scheinbaren Widerspruches kommen werde, wobei ich mich gern als Schüler von Professor Godet bekenne, erlaube ich mir, einiges Grundsätzliches über die Methode des Feindes zu sagen, mit der er den Glauben an die Worte Jesu zu hintertreiben versucht. Ich meine jetzt das schwere Geschütz: den Zweifel! Schon im Paradiese begann die Schlange mit dieser Waffe, wenn sie fragt: „Sollte Gott gesagt haben?” Und es ist ja auch gar nichts anderes zu erwarten, denn weil der Satan „der Vater der Lüge”, die Bibel aber „das Buch der Wahrheit” ist, muss der Feind einen erbitterten Kampf gegen dieses Buch, gegen die Wahrheit aufnehmen, will er sich nicht selbst aufgeben. Dass aber die Bibel das Buch der Wahrheit ist, dafür gibt es keinen absolut den natürlichen Menschen überzeugenden Beweis philologischer, philosophischer oder gar mathematischer Art, sondern einzig und allein den Erfahrungsbeweis der aus Wort und Geist Geborenen. „Du hast Worte ewigen Lebens” ist das Bekenntnis des Petrus, weil er es erlebt hat. Die Schrift ist also nicht nur die schlichte Offenbarung der Wahrheit, sondern das Wort des HERRN erzeugt im Geiste des Menschen, der es annimmt, ewiges Leben. Der Grund für diese einzigartige, wunderbare und unerklärliche Wirkung liegt in der Tatsache, dass die Bibel „pneumatikos”, d. h. „vom Geist inspiriert”, „geistdurchweht” und „geistmitteilend”, „geistaushauchend” ist.

Haben wir es nun zu tun mit Menschenkindern, die wirklich ehrlich die Wahrheit suchen - mit anderen sich abzugeben ist wertlos -, so ist es wichtig, wollen wir solchen Menschen dienen, dass wir selbst uns immer wieder auf diese Grundlage stellen und dieser Tatsache uns erinnern. Nur so werden wir in der Lage sein, mit dem Wort, das uns der HERR anvertraut hat, zum Licht zu führen, zu überführen und geistlich zurechtzubringen, was der hehren Majestät und Größe des Wortes sich zu beugen gewillt ist.

Aller sonstigen Zweifelsucht oder besser Kritik am Worte Gottes aber schleudern wir ein unduldsames Nein entgegen. Warum sollten wir tolerant sein, ist es Gott in diesem Falle doch nicht, unser so überaus gnädiger und barmherziger Gott und Vater! Wir verdammen niemanden, aber die Schrift tut es. Wer nicht glaubt, nicht glauben will, wird abgetan. (Mk. 16,16 oder Joh. 3,18) Und das ohne zu fragen, welche Umstände und Zweifel den Menschen am Glauben hindern. Oder wie sagt der Apostel Paulus Gal. 1,8? Der Totalitätsanspruch des Wortes Gottes ist eben ein vollständiger, dem wir kleinen Menschenkinder mit unserem so beschränkten, durch die Sünde degenerierten und dezimierten Verstande uns zu beugen haben. Und wie glückselig, wer es getan hat und es immer wieder tut! Und je öfter und wirklicher wir es auch in bezug auf unser irdisches und praktisches Leben tun, um so wirklicher werden wir die Wahrheit des Wortes aus dem Wort erfahren: „Euer Glaube beruht nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.” Und nun zur Betrachtung unserer Stelle in Joh. 7,8.10!

Zunächst ist zu sagen, dass man eine Stelle nur immer im Zusammenhang mit dem Vorangehenden, mit der Situation des Gesagten auszulegen versuchen soll. Hier ist der Zusammenhang folgender: Die Brüder Jesu, die noch nicht an Ihn glauben (V. 5), fordern Ihn auf, Sich in Jerusalem als Messias zu zeigen und dann die Anerkennung dieser Würde durchzusetzen, die Ihm ja sicher nicht versagt werden könnte, wenn Er wirklich das war, was Er behauptete. Nun konnte der HERR Seinen Brüdern nicht den Grund angeben, warum Er ihrem Wunsche nicht willfahren konnte, denn Er hätte ihnen sagen müssen, dass die Offenbarung als Messias, die allerdings einmal kommen solle, der Auftakt zu Seiner Kreuzigung sein würde. Angedeutet hat Er es aber in den Worten Vers 7: „Die Welt haßt Mich” ... Dafür aber ist Seine Zeit, griechisch kairos, d. h. „günstiger Augenblick”, noch nicht gekommen. Für sie ist es der günstige Augenblick, durch ihr Hinaufziehen nach Jerusalem sich als gläubige Israeliten zu erweisen, Er aber kann Sich noch nicht als Messias offenbaren, weil Seine Zeit (kairos) noch nicht gekommen ist. (Vers 8)
Sehr deutlich wird dieser Sinn der Entgegnung Jesu durch die Worte: Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest, „um Mich als Messias zu offenbaren”, kann man weiter lesen. Dass Er einmal die große messianische Kundgebung, nach der Seine Brüder verlangten, ausführen müßte, wußte Er wohl. Aber das sollte nach Vollendung Seines Auftrags in Israel und zum Passahfest geschehen. Darum zog Er nicht zu diesem Fest, um Sich als Messias zu offenbaren. Dass die Brüder Ihn so verstanden haben, beweist, dass sie, als sie sich einige Monate später bekehrten, in den nachfolgenden Ereignissen die vollkommen genügende Erklärung dieses Wortes fanden und daher nicht im geringsten an der Wahrhaftigkeit ihres göttlichen Bruders zweifelten.

In Vers 10 erhält diese Auslegung eine Bekräftigung durch die Umstandsbestimmung: „wie im Verborgenen”. Der HERR war sonst kein Mensch, der Sich versteckte, aber Er fühlte nicht die Freiheit, in diesem Falle öffentlich, etwa mit einer Karawane, nach Jerusalem zu gehen, weil dadurch leicht das Ende Seiner Tätigkeit, wenigstens nach dem Willen der Gegner, hätte beschleunigt werden können, was nur unnötigen Kampf bewirkt hätte. Es konnte leicht ein neuer Sturm der Begeisterung losbrechen wie der in Kap. 6, ohne dass es dann vielleicht möglich sein würde, ihn zu beschwichtigen. Der Zustand der Gemüter, wie er in Vers 11-13 geschildert wird, beweist, dass die Gefahr sehr nahe lag. So aber konnte der HERR den feindseligen Maßnahmen der Behörde vorbeugen. Aber wie anders gestaltete sich doch Sein Einzug in Jerusalem dieses Mal: In Kapitel 2 sehen wir Ihn noch in königlicher Würde den Tempel reinigen, in Kapitel 5 war Er als einfacher Pilger gekommen, jetzt sieht Er Sich genötigt, inkognito (als Unbekannter) hinzugehen.

Dass der HERR doch nach Jerusalem geht und nicht einfach fern bleibt, hat seinen Grund darin, dass Sein Werk in Israel noch nicht zum Abschluß gekommen war. Und wie deutlich hat Er gerade bei diesem Besuch in Jerusalem Sich als der Prophet Gottes erwiesen, der noch manches zu sagen hatte! (V. 14ff.)
H. K. in W.

Antwort des Schriftleiters

Diese schöne, klare Antwort sucht der Schwierigkeit aus dem Zusammenhang heraus Herr zu werden, und ich glaube, dass es dem Verfasser gelungen ist, den Fragenden den - gewiß - nur scheinbaren Widerspruch zu lösen. Wirkliche Widersprüche sind ja nicht in der Schrift, Schwierigkeiten aber werden für unsere stückweise Erkenntnis oft noch lange bleiben. Wer aber bezüglich dieser Stelle sagt - und das ist gesagt worden, und zwar in ungeziemenderen Worten als ich wage hier wiederzugeben -, dass an dieser Stelle Jesus bewußt die Unwahrheit gesagt habe (ein solcher Kritiker sagt natürlich nur „Jesus”, nicht „der Herr Jesus”, darum habe ich es auch so hergesetzt!), der hat sich noch nie Mühe gegeben, die Schwierigkeit zu lösen, und der scheint sogar Gefallen daran zu haben, die Sache so aufzufassen, d. h. eine ausreichende Erklärung für das Gegenteil wäre ihm womöglich gar nicht lieb, weil sie zu seinem menschlich - allzu menschlichen „Jesusbilde” nicht passen würde, zu jenem wissenschaftlichen, liberaltheologischen „Jesusbilde”, das die absolute metaphysische (übersinnliche) Gottessohnschaft des HERRN nicht anerkennt. Solchen Leuten wie den Kritikern des Wortes Gottes gegenüber keine Toleranz, wie unser lieber Mitarbeiter sehr richtig und wichtigerweise betont!
Unser herrlicher HERR blieb stets Er Selbst! Er konnte nicht auf ein Fest als solches gehen, um dort - wie Seine Brüder wünschten - sozusagen zu „glänzen”. Dann wäre Er den Festefeiernden gleich gewesen. Solche, die die wahre Bedeutung des Laubhüttenfestes nicht kannten, die nur ein rauschendes Volksfest liebten, durften nicht erwarten, den Herrn Jesus als den ihrigen dabei zu finden. „Dieses” Fest war nicht Sein Fest! Man beachte das zweimalige (!) „dieses” in Vers 8! Wenn einst Sein Reich gekommen sein wird, dann wird Er, der König, mit Seinem Volke Seine Feste, „die Feste Jehovas”, in Herrlichkeit feiern, aber jetzt war Er in Niedrigkeit und verworfen, da hätte ein Auftreten Seinerseits, so wie sie es wünschten, nur Ihn ihnen gleichgemacht, und wie hätte das sein können?! Wünschte Er etwa äußeren Beifall? Nie! Und wenn Er nun doch hinaufgeht? O so tut und tat Er es gerade nicht aus dem von Seinen Brüdern gewünschten Grunde, sondern nur einfach, um das Wort zu bringen (keine Zeichen!). Er bleibt eben stets das Licht und die Wahrheit!

Aber noch einmal zu der Schwierigkeit! Ich finde es geradezu wunderbar und sehe es als ein Zeugnis für die Wortinspiration an, dass der Schreiber des Evangeliums sich keine (menschliche) Mühe gibt, hier eine andere („plausible”!) Erklärung einzufügen. Johannes schrieb, wie er inspiriert schreiben mußte, und wenn die Schrift, die königliche Schrift, nicht selber davor zurückschreckt, dass hier ein Schatten auf den HERRN fallen könnte, nun wohl - er hat keine Aufgabe, Schatten, welche die unverständigen Menschen sehen, zu beseitigen! Wenn aber die Kritiker sagen, der HERR habe bewußt die Unwahrheit gesagt, so wird es ihnen vielleicht nicht viel nützen, wohl aber den Angefochtenen, sich daran erinnern zu lassen, dass unser geliebter Herr Jesus als der Sohn nie selbständig handelte, sondern immer und überall in ausschließlich vollem Gehorsam gegen Seinen Gott und Vater, der Ihn Augenblick für Augenblick leitete, gleichsam in Vollerfüllung von Ps. 32,8.
Hierüber gibt uns Joh. 5,19f. u.a. klares, helles Licht! Wenn wir dies beachten - tun wir's nicht, so sind wir selber schuld an unseren Irrtümern über Ihn, den Sohn! -, so wird es uns doch ganz einfach, dass der Vater Ihn leitete zu der Antwort auf die wundersüchtigen Wünsche Seiner leiblichen Brüder: „Gehet ihr hinauf zu diesem Feste, Ich gehe nicht hinauf zu diesem Feste.” Dann sind sie gegangen, sicher bald, um den Anfang nicht zu verpassen, denn der Weg von Galiläa ist weit bis nach Jerusalem. Hinaufgehen mußten sie ja nach dem Wort Jehovas (5. Mo. 16,16), und Er, der freiwillig „unter Gesetz” war (Gal. 4,4!), Er ging auch, aber nicht mit ihnen, nicht vor ihnen, nicht nach ihnen, nicht ihnen nach, nicht wie sie, nicht mit den gleichen Wünschen wie sie, nicht um Seinetwillen, sondern um derer willen, die Ihn brauchten. (7,37ff.!) Wann ging Er denn? Als der Vater es Ihm sagte, als Er des Vaters Gebot erhielt zu gehen, da ging auch Er, nicht offenbarlich, sondern wie im Verborgenen. So konnte es geschehen, dass die Juden, die Ihn suchten, Ihn nicht fanden. (V. 11) „Wo ist jener?” Ach, hätten sie Ihn gesucht mit heißen, verlangenden Herzen, wie gern hätte Er Sich finden lassen! Es ist heute nicht anders! „Den Aufrichtigen lässt er es gelingen.” (Spr. 2,7) Aber dann, „um die Mitte des Festes” war Er plötzlich da, da war Seine Zeit erfüllt. (V. 8) Wie einfach dies alles, wenn man gemäß obiger Antwort sieht, warum Er nicht mit ihnen gehen konnte - etwa in äußerer Hinsicht! -, und wenn man beachtet, dass Er nur tat, was der Vater Ihm zeigte - innerster Grund! Wo bleibt da Raum für auch nur den allergeringsten Schatten einer Unwahrheit?! Dergleichen ist ja bei Ihm unmöglich, Er ist die Wahrheit, aber abgesehen von dieser Grundtatsache - wo ist denn hier etwas Unwahres? Er sagt Seinen Brüdern, was Er ihnen sagen musste und - „dieses” Fest sah Ihn nicht! Er tut, was der Vater Ihm auftrug, und war dann da, wo Er Gelegenheit hatte, Seine Lehre hörenden Ohren und Sein Leben (Seinen Geist) verlangenden Herzen mitzuteilen; und diese Gelegenheit war am reichsten vorhanden auf dem Feste, auf solchem Feste, wo so viele zusammenkamen. Wie einfach das alles, wenn man Zusammenhang (Antw. A) und den Willen (die Leitung) des Vaters beachtet und sich nicht von übelwollender Kritik beeinflussen läßt! Herrlicher HERR, wir glauben an Dich und an Dein Wort, und wir danken Dir, dass Du es so und nicht anders uns gesagt hast und uns überliefern ließest! Schenke uns Gnade, Dir allezeit zu trauen und Dich zu betrachten, um mehr in Dich hineinverwurzelt und in Dein Bild verwandelt zu werden (2. Kor. 3,18), auf dass wir Deine treuen, gläubigen Zeugen seien in Wort, Werk und allem Wesen! Gepriesen und angebetet sei Dein so überaus kostbarer Name! Amen.
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 19 (1934)