Das beste Gericht

Als Gotthold bei einem Gastmahl unter guten Freunden war, gab er denselben zur ergötzlichen Zeitkürzung die Frage auf, welches das beste Gericht wäre, das bei einer Bewirthung könnte aufgetragen werden. Hierauf fielen nun unterschiedliche Antworten. Einer sagte, das freundliche, vertrauliche und erbauliche Gespräch guter Freunde und ihr friedfertiges Wohlbegehen wäre das beste Gericht, weil auch der weise König sagt: Es ist besser ein Gericht Kraut mit Liebe, denn ein gemästeter Ochs mit Haß. Sprüchw. 15, 17. Ein anderer sagte: das beste Gericht wäre, wenn die Wirthin freundlich und reinlich wäre, denn, wenn sie ihre Geberden verstellt und so scheußlich wird, als ein Sack, Sir. 25, 23., oder wenn sie zottig und unsauber daher geht und einem Vermuthung macht, daß sie mit den Speisen auch unreinlich umgehe, so sei wenig Freude und Schmack auch bei kostbaren Gerichten. Der dritte sagte: er hielte das fürs beste Gericht, was einem, der Hunger hätte, zuerst vorgesetzt würde; denn, daß sich die üppigen Menschen mit so vielen Speisen bedienen lassen, und doch oft kaum eine darunter ist, die ihnen recht schmecken will, ist keine andere Ursache, als daß sie ehe und mehr essen, als die Nothdurft erfordert, und den Hunger niemals zum Vorleger gebrauchen. Der vierte sagte: das beste Gericht seines Erachtens wäre ein wohlmeinendes und aufrichtiges Herz des Wirths, denn wenn einer erachten muß, daß die Einladung aus falschem, gewinnsüchtigem und gezwungenem Gemüth geschehen und ihm jeder Bissen in den Mund gezählt und jedes Wort aus dem Mund aufgefangen und beigelegt wird, so wird ihm wol kein Gericht recht schmecken können. Gotthold schloß endlich und sprach: Ihr habt nicht ungereimt geantwortet, doch will ich auch meine Meinung entdecken. Ich halte fürs beste Gericht das, was durch ordentliche ehrliche Mittel mit gutem Gewissen erworben ist und mit Dankbarkeit gegen Gott in seiner heiligen Furcht genossen und dabei des armen Lazarus nicht vergessen wird. Denn, wie kann das ein gut Gericht heißen, das mit den Thränen und Seufzern der bedrängten Christen und mit dem Fluch Gottes abgewürzt ist? Kein Gericht ist gut, ohne was einem wohl bekommt. Wie kann einem aber wohl bekommen, was man mit solcher Brühe genießt? Wo man auch der Dankbarkeit gegen Gott und der Wohlthätigkeit gegen den dürftigen Nächsten vergißt, da pflegt der Schlaftrunk im höllischen Feuer zu erfolgen, wie es dem reichen Schlemmer widerfahren. Luc. 16, 23. Ach, mein Herr Jesu! gieb mir ein Stücklein Brods, das mit deinem Segen betrieft, in deinen Wunden gefeuchtet und von deiner Liebe schmackhaft ist, das will ich mit meinem dürftigen Bruder willig theilen; mehr und bessere Gerichte begehr ich nicht.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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