Der Feind

Einer klagte oft über seinen Feind, der ihm viel zu thun machte, und zeigte genugsam an, daß sein Herz voll Hasses gegen denselben wäre und er bei gegebener Gelegenheit ihn als einen Feind zu behandeln nicht unterlassen würde. Gotthold sagte: Ihr habt immer einen Feind im Munde und zweifelsfrei auch im Herzen, der aber, den ihr euren Feind nennt, kann euch nicht schaden, so ihr Gott vertraut und dem Guten nachkommt. Hütet euch nur vor euch selbst, die öffentlichen Feinde sind nicht so gefährlich, als die heimlichen. Der fleischliche Mensch aber ist sein selbst eigner Feind, indem er die, so er für seine Feinde hält, haßt und an ihnen sich zu rächen beflissen ist. Hiedurch macht er sich Gott zum Feinde, der von unversöhnlichen, zanksüchtigen und feindseligen Herzen nichts wissen will. Wenn ihrs aber recht bedenkt, so könnt ihr von eurem vermeinten Feinde so viel Gutes haben, daß ihr ihn für euren Freund und Wohlthäter zu halten und Gott für seine Schickung zu danken Ursache habt. Ein Feind ist oft wie eine Arznei, die zwar anfangs Beschwerde und Schmerzen macht, hernach aber nur das Böse abführt und die Gesundheit wirkt; ein Feind lehrt uns behutsam wandeln, weil wir uns allemal seiner scharfen Aufsicht befahren müssen und wohl wissen, daß er unsere Fehltritte zu bemerken und zu unserem Schaden und Schimpf auszubreiten nicht unterlassen wird. Ein Feind treibt uns zum Gebet und lehrt uns die Freundschaft Gottes desto höher halten. Er übt uns in der Geduld, bewährt unsern Glauben, versucht die Liebe, pflanzt die Sanftmuth, unterdrückt den Stolz, verleidet uns die Welt und macht süß den Himmel. Wie wollte aus einem unförmlichen Stück Goldes ein köstlicher Pokal zur königlichen Tafel werden, wenn nicht das Feuer und der Hammer das Beste dabei thäten? Und wie wollten aus uns fleischlichen Menschen gottselige Christen werden, wenn nicht allerlei Widerwärtigkeit dazu käme? Darum seht nicht so sehr auf den Hammer, als auf den, der ihn führt zu eurem Besten. Mein Gott! wie soll ich dir genug danken, daß du auch mir meiner Feinde Zorn, Bitterkeit, Schmach, Verleumdung und Neid hast lassen zum Besten dienen; sie gedachtens böse zu machen, du aber nach deiner Weisheit und Güte hast auch ihrer Bosheit zu meiner Erbauung dich zu bedienen gewußt. Der Welt Feindschaft hat die beste Freundschaft unter uns gestiftet. Mein getreuer Gott! du hast alles wohl gemacht.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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