Der indianische oder türkische Hahn

Etliche Knaben hatten ihr Spiel mit einem türkischen Hahn; sie zerrten ihn mit Pfeifen und einem rothen Tuch, welches er, wie bekannt, nicht wohl leiden kann; darüber ereiferte er sich und kollerte seiner Art nach. Gotthold sah dieses und fand bald an ihm ein Bild eines boshaftigen und neidischen Menschen, sagend: Wie dieser Hahn die rothe Farbe und das Pfeifen nicht leiden kann, davon er doch keinen Schaden hat, als den er sich selbst durch seine Thorheit verursacht, so sind die Neider mit anderer Leute Freude und Wohlstand nicht zufrieden, ob schon ihnen daran nichts abgeht. Dies ist gar ein teuflisches Laster, das seinesgleichen nicht viele hat, welches über anderer Leute Unglück sich freut und über ihr Glück sich betrübt. Es ist gar ein verkehrtes Laster, weil es aus fremder Freude seine Traurigkeit und in anderer Leute Aufnehmen seinen Fall und Verderben sucht, maßen denn der Neid ist wie der Holzwurm, der das Holz frißt und verzehrt, darin er gewachsen ist; er muß immer etwas zu nagen haben; kann er eines andern Herz nicht erlangen, so muß er sein eignes fressen. Dem Mißgünstigen ist es - leid, daß Gottes Güte und Müdigkeit so groß ist und ihre Strömlein so häufig ergießt; könnte er zu dieser Quelle kommen, er würde sie unverstopft nicht lassen. Das Herz des Mißgünstigen ist eine Pfütze, darinnen alle andern Laster zusammenlaufen; er liebt Gott nicht, sondern haßt ihn wegen seiner Güte und Vollkommenheit; er betet nicht, sondern murrt und grunzt; er hilft niemand, sondern schadet jedermann, wo er kann; er ist ein Schadenfroh, voller Falschheit, Haß und Feindseligkeit, voller Eigennutz und Geiz, voll Lügen und Betrugs, mit einem Wort, ein rechtes Bild des Teufels, dessen Lust ist, wenn er etwas verderben kann. Und weiß ich nicht, ob man an einem Laster klärlicher erkennen kann, wie viel Gifts der Schlangenkopf in die menschliche Natur geblasen, und wie sehr sie verderbt ist. Ach, mein Gott! reinige mein Herz von diesem schändlichen Laster und gieb mir die Gnade“ daß ich fröhlich sei mit den Fröhlichen und traurig mit den Traurigen. Warum sollt ich meinem Nächsten nicht gönnen, Ms du ihm gönnst?

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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