Der Schnee

Als zur Winterszeit alles mit Schnee und Eis bedeckt war, kam Gotthold mit einem guten Freunde vom Schnee zu reden und sagte: Der Schnee gehört auch mit zu den wunderbaren Dingen, die Gott aus dem Schatz der Natur hervorbringt, und haben viel weise Leute, die manchen Schnee gesehen und darüber ein schneeweißes Haupt bekommen, bisher von Erzeugung desselben nichts Eigentliches und das für einen scharfsinnigen Kopf genug wäre, berichten können. Der Höchste aber gebrauchet ihn entweder zu der Menschen Vortheil, oder zuweilen um der Sünde willen zu ihrem Schaden. Der Schnee ist kalt und muß doch auf Gottes Geheiß die Wintersaat als ein weißer Pelz bedecken und vor Kälte schützen, wohin zweifelsfrei der Prophet gesehen, wenn er spricht: Er giebt Schnee wie Wolle. Ps. 147, 16. Darum es auch für ein Zeichen eines fruchtbaren Jahres gehalten wird, wenn, wie unsere Landleute im Sprüchwort reden, die weiße Gans wohl brütet, sie wollen sagen, wenn der Schnee die Aecker den Winter über bedeckt hat. Doch kann auch eben dieses Geschöpf großen Schaden thun, wenn es vom Zorn Gottes einen Nachdruck hat. In den mitternächtlichen Ländern ist es zuweilen geschehen, daß ein zu Anfang ganz geringes Schneeklöslein, von einem Vogel oder sonst durch einen Zufall erregt, im Herunterlaufen von dem hohen Gebirge dermaßen gewachsen und aufgeklumpt ist, daß es ganze Städte eingedrückt und verderbt hat. Solche Fälle sollen in den Alpengebirgen auch nicht selten sein und werden Schneelawinen (lewinnen) genannt, weil sie den Reisenden und andern oft mehr Schaden zugefügt, als eine erzürnte Löwin thun könnte. Wie auch der viele Schnee im Gebirge, wenn er im Frühling plötzlich zergeht, die Ströme aufschwemmen und zu großem Schaden der Bewohner ergießen machen kann, haben wir oft mit Herzeleid erfahren. Mein Gott! es ist alles an deiner Gnade oder Ungnade gelegen. Das Schädlichste ist nicht schädlich, wenn deine Gnade es hemmt und regiert. Das Nützlichste ist nicht nützlich, wenn du den Einfluß deiner Gnade zurückhältst. Das allerverachtetste von deinen Geschöpfen ist mächtig genug, uns Ungehorsamen Schaden zu thun, wenn du es durch deinen Zorn wichtig machst. Ach, Herr! du wollest deine Barmherzigkeit nicht von mir wenden, laß mich deine Güte und Treue allewege behüten! Ps. 40, 12.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
© Alle Rechte vorbehalten