Die Gnadenwahl

Ein trauriges Herz klagte Gottholden, daß es oft wider seinen Willen in die Gedanken von der ewigen Gnadenwahl geriethe und in Betrachtung der Vielheit der Verworfenen und der Wenigkeit der Auserwählten zweifeln müßte, ob es sich auch unter die wenigen rechnen und, daß es zum ewigen Leben verordnet, glauben könnte. Er antwortete und sagte: Es geht euch wie den unverständigen Kindern, die oft aus Fürwitz und Einfalt auf einer Leiter oder Stiege sich in die Höhe machen und sich also vergehen und versteigen, daß sie nicht wissen, wo sie wieder herunter kommen sollen. Ich weiß ein Exempel, daß ein kleines Kind aus einem hohen Fenster auf die Bretter, welche dahin gelegt waren, etliche Blumen- und Kräutertöpfe darauf zu setzen, sich begeben und bis an des Vaters Studierstüblein mit großer Gefahr gegangen und durch die Fenster zu ihm hineingesehen, da er es dann mit höchstem Schrecken zu sich hinein genommen. So macht ihr es auch, ihr begebt euch in Gefahr und klettert in die Höhe und wollt zu Gott in seine Rathstube sehen; Lieber, wer hat euch das befohlen? Haltet gewißlich dafür, daß diese Gedanken des Teufels Irrwisch sind, dadurch er euch in Noth und Gefahr eurer Seele und in stetige Traurigkeit stürzen will. Denn was die Schrift von der Gnadenwahl sagt, sagt sie nicht, die armen angefochtenen Seelen, so ihre Sünde fühlen und gerne los wären, damit zu bekümmern und zu schrecken, sondern vielmehr zu trösten. Und eben darum ist Gottes einiger und liebster Sohn zu uns auf Erden gekommen, daß wir nicht dürfen mit gefährlichen Gedanken hinauf gen Himmel flattern, zu erfahren, wie Gott gegen uns gesinnt sei, und was er von unserer Seligkeit beschlossen habe; darum ist er so niedrig geworden, daß wir an ihn uns halten, in ihm ein gutes Vertrauen zu Gott und fröhliche Hoffnung von unserer Seligkeit schöpfen sollten. Seine Windeln, Krippe, Armuth, Traurigkeit, Todeskampf, Geißelung, Kreuz und Grab sind lauter Stufen zum Himmel; steiget durch dieselben im Glauben hinaus, so wird euch seine mächtige Hand halten, daß ihr in Ewigkeit nicht fallen werdet. Könnt ihr denn ja solche ängstliche Gedanken nicht los werden, so lernet, wie sie euch vermittelst göttlicher Gnade können zum Besten dienen. Kehret die Schlußrede des Satans, damit er euch an eurer Erwählung zweifelnd machen will, gerade herum und saget: eben daraus schließe ich, daß ich erwählt bin, weil ich über meine Erwählung so ängstlich bin und so viel ängstliche Seufzer deßfalls zu meinem lieben Gott aufschicke, und weiß gewiß, daß mein getreuer Gott sich stellt, als wollt er mich fallen lassen, daß ich ihn desto fester ergreifen und halten soll. Und wer ist’s, der die unaussprechlichen Seufzer meines bekümmerten Herzens wirkt und schafft, als der Geist Gottes? Daraus ich unfehlbar schließen kann, daß ich Gottes Kind sei und mich nichts, nichts von der Liebe Gottes in Christo Jesu scheiden wird. Will denn dieses alles nicht helfen, so trauet denen, die es erfahren haben, daß nichts besser sei, wie allezeit, also in diesem Fall sich ganz und gar in Gottes gnädiges Gericht ergeben und sich ins Meer seiner Barmherzigkeit und Güte stürzen und, wenn also zu reden vergönnt ist, sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben. Denn den angefochtenen Herzen ist zu Muth, als einem, der an einer hohen Klippe etwa einen schwachen Zweig ergriffen hat, zwischen Himmel und Erde schwebt und an nichts, als an seinen Fall gedenkt, bis ihm seine Freunde eine Streu von Betten, Stroh und andern Dingen machen, darauf er ohne Schaden fallen kann. Wenn euch denn solche ängstliche Gedanken verleiten und ihr ja. fallen sollt, so fallet auf Gottes unbegreifliche, unendliche Güte, Gnade und Barmherzigkeit, in Christo Jesu allen Menschen verheißen, sagend: Mein getreuer Gott! du Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, ich stürze mich in den Abgrund deiner Güte! ich bin dein Geschöpf, ich bin auch dein Eigenthum, durch das Blut deines Sohnes erkauft, ich verzage und verzweifle an aller meiner Würdigkeit, an allen meinen Kräften, an aller menschlichen und engelischen Hülfe; nur allein an deiner Gnade verzage ich nicht. Sollte ich versinken und vergehen, so will ich in deiner Gnade vergehen; auf deine Gnade und Barmherzigkeit in Christo Jesu will ich leben und sterben, und, wenn es möglich ist, zur Hölle fahren!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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