Die Perlenschnur

Als Gotthold eine kostbare Perlenschnur, die neulich einer Jungfrau zum Schmuck erkauft war, vorgezeigt wurde, sagte er: Des h. Apostels Erinnerung wird heutiges Tags wenig geachtet, der da will, daß die Weiber in zierlichem Kleide mit Scham und Zucht, nicht mit Zöpfen oder Gold oder Perlen oder köstlichem Gewand sich schmücken sollen. 1. Tim. 2, 9. Niemand will jetzt keine Perlen tragen, als die sie nicht hat und nicht bezahlen kann; das wäre aber noch zu erleiden, weil ja das Frauenvolk den Schmuck von Natur liebt, wenn nur bedingt würde, daß keiner Perlen zu tragen sollte erlaubt sein, die nicht von denselben Anlaß zur gottseligen Erinnerung zu geben und zu nehmen wüßte. Die Perle, wie die meisten Naturkundigen bezeugen, wird vom Thau des Himmels empfangen; denn, wenn die Muschel und Perlenmutter helles und heiteres Wetter merkt, soll sie sich gegen den Morgen, wenn der Thau fällt, eröffnen und die silberhellen Thautropfen begierig empfangen, welche bei ihr erhärten und nachher mit ihrem hellweißen Glanze ihren himmlischen Ursprung beweisen. Also sollen unsere Herzen begierig und offen sein, den himmlischen Gnadenthau aufzufangen, wenn derselbe bei der Predigt des Worts herunter fällt. Wie die Perlen an eine Schnur gezogen und zum Schmuck umgebunden werden, so soll man die theuren Sprüche der Schrift, die den Kern, Saft und Kraft der himmlischen Weisheit in sich haben, an der Schnur seines Gedächtnisses zusammenfassen, daß man im Leben und Sterben sich derselben bedienen könne. Ich wüßte mich nicht zu erinnern, daß eine gottselige Frau oder Jungfrau in Todesnoth nach ihren Perlen und anderem Schmuck sich umgesehen hätte. Jene gottselige Fürstin, als sie im Todbette lag, sagte von ihren Perlen und Edelsteinen: Hinweg mit dem Unflath! Herr Jesu Christe, kleide meine Seele mit deinem Ehrenschmuck! Darum sammelt euch solche Perlen, die eurer Seele Stärkung im Tode sein, und die euch vor dem Angesicht Jesu Christi schmücken können. Zuvörderst, so oft ihr die hellglänzenden Perlen zu eurem Schmuck umthut, erinnert euch, daß auch eure Seele einen solchen Glanz von Tugend, Gottseligkeit und guten Sitten haben müsse; sonst schämen sich die edlen Perlen, daß sie einen so unfläthigen Balg decken und schmücken müssen. Mein Gott! meine Perlen sollen meine Thränen sein. Gieb mir Gnade, über meine Sünde vor Herzeleid, über deine Güte vor Freuden und über deine himmlische Seligkeit vor Verlangen zu weinen, so begehr ich keiner Perlen mehr.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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