Die Sommerfliegen

Gotthold sah etliche Knaben in einem Garten den Sommer- oder Butterfliegen und Raupenschmeißern nachlaufen und hatte seine Lust daran, daß diese einfältigen Vogelsteller es sich so sauer werden ließen, das bunte Ungeziefer zu fangen. Er sagte zu einem guten Freunde: Wißt ihr, wem diese Kinder gleich sind? Sie sind den gelehrten und sinnreichen Leuten gleich, die in Erregung mancherlei unnützer Fragen ihre Kunst und Verstand nicht so sehn als ihren Fürwitz und Stolz beweisen. Was sind die hochfliegenden unnützen Gedanken und Fragen anders, als dieses Ungeziefer? Und warum sollte nicht die Thorheit der Gelehrten so groß sein, als dieser Kinder, die da vermeinen, etwas Sonderliches erjagt zu haben, wenn sie allerlei seltsame, wunderliche, verworrne Fragen und Gedanken in geistlichen und weltlichen Dingen können vorbringen? Oder saget mir, was einer mehr Nutzen, als der andere von seinem Fang hat? Und dennoch ist’s leider fast dahin gekommen in der Welt, daß, wer nicht solche bunte Mücken und bunte Fliegen mitjagen und fangen will oder kann, derselbe für einen ungeschickten Menschen gehalten wird. Ich meinestheils halt es dafür, daß, wie in weltlichen Dingen ein Unterschied ist unter einem gelehrten und klugen Mann, also auch in geistlichen Dingen nicht weniger ein Unterschied sei unter einem gelehrten und gottseligen Mann. Sind sie beide zusammen, so ist’s, als wenn der Diamant im Golde spielt und leuchtet, oder als goldene Aepfel in silbernen Schalen. Soll ich aber nur eines davon haben, so wünsche ich mir die Gottseligkeit und will lieber mit den Ungelehrten den Himmel zu mir reißen, als mit großer Kunst und Geschicklichkeit verdammt werden. Was ist Wissen ohne Gewissen? Was hilft alles lernen und des Vornehmsten vergessen? Ich habe Leute gesehen, die viel Bücher hatten nur zu dem Ende, daß sie auf Befragen sagen konnten, sie hätten sie; ich habe Handwerker gekannt, die viele und gute Werkzeuge hatten, von ihren Eltern ererbt, oder von andern erkaust, und wußten sie doch nicht zu gebrauchen. Mein, was war allen beiden damit gedient? Eben so viel, als einem Gelehrten mit aller seiner Kunst, die er nicht als ein Werkzeug zu Gottes Ehren und sein selbst und seines Nächsten Besserung gebraucht. Ich wollte nicht zweifeln, daß bei weitem mehr sinnreiche und gelehrte Leute würden in den Himmel kommen, wenn nicht der Gelehrteste unter allen Gelehrten gesagt hätte, daß an jenem Tage er zu vielen, die in seinem Namen geweissagt, werde sagen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Uebelthäter. Matth. 7, 22. 23. Es sind zweierlei Leute, die vergebliche Arbeit thun und Herzeleid zu Lohn haben, die viel Geld und Güter sammeln und genießen ihrer nicht, und die viel Gutes erlernen und wissen und stellen ihr Leben nicht darnach an. Mein Gott! ich weiß, daß unser Wissen in diesem Leben ist Stückwerk, und daß die edelste und höchste Wissenschaft in deiner und des Herrn Jesu Erkenntniß besteht. Darum will ich allen meinen Fleiß dahin richten, daß ich an den gekreuzigten Herrn Jesum glauben, ihn lieben und in Geduld folgen möge, und wenn ich hievon nur ein weniges erfasse, will ich mit dem Gelehrtesten der Welt nicht tauschen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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