Ich habe einen reichen Vater
Im Jahre 1771 kam Heinrich Jung-Stilling nach Straßburg, wo er mit Goethe studierte. Ohne jegliche Mittel, aber mit einem starken Glauben trat er die Reise an. Zu Frankfurt begegnete er einem Bekannten, der Kaufmann in Elberfeld war und ihn zum Abendessen einlud. Während des Mahles fragte plötzlich der Gastgeber seinen Gast: "Sagen Sie mir, woher bekommen Sie Geld zum studieren?"
"Ich habe einen reichen Vater, der wird mich versorgen", antwortete ausweichend Jung-Stilling.
Darauf der Kaufmann: "Aber wieviel Geld haben Sie denn?"
"Einen Reichstaler."
Der Kaufmann erschrak, besann sich kurz und erklärte feierlich: "Nun gut, ich bin einer von Ihres Vaters Zahlmeistern." Dann zog er den Beutel, zählte ihm 33 Taler aus und erbat sich als einzigen Dank, dass von der Sache nicht weiter geredet würde. Aus dieser ersten Probe schöpfte Stilling den Glauben, Gott werde ihm gewiss durch alles durchhelfen.
Als Goethe ein andermal bei Jung-Stilling war, erfuhr er, dass dieser bis zum nächsten Tage hundert Taler haben musste. Goethe war verwundert, dass Jung sich gar nicht beunruhigte, obwohl er noch keinen Pfennig hatte, und auch nicht wusste, wie er das Geld beschaffen sollte. Aber Jung sagte: "Ich weiß, dass Gott mir das Geld senden wird." - Kurz darauf fragte Goethe: "Hast du das Geld bekommen?" - Jung erwiderte: "Gewiss, Gott hat es mir zur rechten Zeit geschickt." Goethe lachte und sprach: "Du Tor. Ich habe dir das Geld geschickt." Da sagte Jung: "Der Tor bist du! Du hast gar nicht verstanden, dass Gott der Herr dich gebraucht hat, um mir aus der Not zu helfen."
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