Sünde - Wortbedeutung

Wenn das Neue Testament von Sünde redet, dann denkt es erst in zweiter oder dritter Linie an die einzelnen moralischen Fehltritte, die wir in unserem Sprachgebrauch zuerst und zunächst mit diesem Wort verbinden. Was ist aber dann die Sünde, wie sie die Bibel meint? Wir können diesen Begriff in einer doppelten Weise erklären, aus der deutschen und aus der griechischen Grundbedeutung.
In der deutschen Sprache hängt Sünde zusammen mit Sund. Als Sund bezeichnen wir einen Meeresgraben, der zwei ursprünglich zusammengehörende Landteile voneinander trennt. So scheidet z. B. der Große Sund das südliche Skandinavien von Dänemark und der deutschen Ostseeküste. Sünde ist also der Sund, die Meerestiefe, die zwei von Anfang her aufeinander angelegte und zueinander gehörende Partner, nämlich Gott und den Menschen, voneinander scheidet.
Gehen wir von der griechischen Grundbedeutung des Wortes aus, so sehen wir ein anderes Bild. Es besagt im Grunde aber dasselbe. Hamartia, das griechische Wort für Sünde, stammt aus der Anschauungswelt des antiken Soldaten. Wir müssen uns hier einen Bogenschützen des Altertums vorstellen, der versucht, mit seinem Pfeil eine Zielscheibe genau in der Mitte, bei der Zahl 12, zu treffen. Durch falsches Zielen oder durch äußere Einflüsse, durch ungünstige Luftströmungen oder starken Wind verfehlt er aber sein anvisiertes Ziel und trifft die Scheibe nur bei der Zahl 3. Die Strecke, die zwischen dem beabsichtigten Ziel in der Mitte der Scheibe und dem tatsächlich erreichten Ziel in Ring 3 liegt, nannte man hamartia. Zielverfehlung.
Damit ist klar, was die Bibel meint, wenn sie von Sünde redet. Sie meint die Zielverfehlung im menschlichen Leben. Unser Leben ist in seinem Ursprung auf Gott hin angelegt. Er ist das Ziel unseres Lebens. Aber nun werden wir durch innere oder äußere Einflüsse von diesem Ziel, von Gott, abgedrängt und jagen anderen Zielen nach. Das ist die Grundsünde unseres Lebens, dass wir in eine falsche Richtung gehen und verkehrten Zielen nachstreben. Sünde ist also nicht zuerst ein falsches Tun, sondern eine verkehrte Lebensrichtung. 
(Theo Sorg)

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1182
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