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Predigten zu Apostelgeschichte 19,36

"Da nun dieses unwidersprechlich ist, so geziemt es euch, ruhig zu sein und nichts Übereiltes zu tun."

Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Die Weisheit des Kanzlers in der Behandlung der erregten Menge

Wir lauschen hier der Ansprache eines Weltmenschen, eines hohen Beamten der Stadt Ephesus. Auch von solchen können Christen etwas lernen. Die Lage des Kanzlers war nicht ganz einfach. Es galt, die erregte Volksmasse wieder in ruhige Bahnen zurückzuführen. Ein einziges, unweises Wort hätte die Volksleidenschaft neu entfesseln und unberechenbaren Schaden anrichten können. Auf der einen Seite musste er jede unnötige Schärfe vermeiden, auf der anderen die nötige Festigkeit zeigen. Es gelang ihm, seine Aufgabe zu erfüllen. Die weise Ansprache des Kanzlers kann allen, welche andere von einem falschen Weg zurückbringen möchten, drei Hinweise geben.

1. Bevor er tadelt, lobt er.

Ehe er das unrichtige Verhalten des Volkes rügte, sprach er zuerst einige anerkennende Worte. Er lobt ihren religiösen Eifer in der Dianaverehrung. Im Sinne jenes Heiden war dies etwas Gutes. Damit verschaffte er sich Eingang und machte die Herzen williger, nachher ein tadelndes Wort anzunehmen.

Hier wollen wir etwas lernen. Selbstredend verwerfen wir jedes unwahrhaftige Schmeicheln und Buhlen um die Gunst der Zuhörer. Aber bei aller Wahrhaftigkeit gilt es auch zart vorzugehen im Behandeln von irregeleiteten Seelen. Wir dürfen sie fühlen lassen, dass wir gern alles Anerkennenswerte bei ihnen gelten lassen. Auch Jesus hat in den Sendschreiben erst gelobt, bevor er tadelte (Offenbarung 2, 2. 3. 13. 19).

2. Er spricht seinen Tadel in der mildesten Form aus.


Die Worte des Kanzlers enthielten einen scharfen Tadel für die versammelten Epheser. Er setzte ihnen klar auseinander:

1. Euer Verhalten ist unvernünftig. Jedermann weiss ja längst, dass die hiesige Bevölkerung die Göttin Diana eifrig verehrt, also ist diese Kundgebung ganz zwecklos.

2. Dies Benehmen ist ungerecht, denn die gewaltsam hergebrachten Anhänger der christlichen Religion sind Leute, denen man nichts Schlimmes zur Last legen kann.

3. Endlich ist eure Handlungsweise ungesetzlich, weil ihr nicht den vorgeschriebenen Beschwerdegang bei den geordneten Behörden eingeschlagen habt. So seid ihr in strafbarem Gegensatz zu den römischen Gesetzen. Diese Vorwürfe warf aber der Redner der Menge nicht einfach an den Kopf. Er sprach sie gar nicht direkt aus. Sie liegen nur in seiner sachlichen Darlegung des ganzen Vorkommnisses enthalten.

Man sieht: Der vorsichtige Kanzler hüllt die bittere Pille, die er eingeben muss, so ein, dass sie leichter angenommen wird. Würde er die Leute spöttisch und scharf behandelt haben, so hätte er ihre Empfindlichkeit und ihren Nationalstolz wachgerufen, sie gekränkt und nichts erreicht. Nun aber bringt er mit dieser Milde und Zartheit in der Form seiner Rüge die Volksmenge zur Erkenntnis ihres Irrtums. Sie lassen sich diese Worte gefallen und gehen bereitwillig auseinander.

Lasst uns beim Strafen behutsam werden in der Form und hierin gern von dem Kanzler lernen. Wenn die menschliche Bildung eines Heiden solche Weisheit verleihen kann, sollte die Schule des Geistes Gottes dieses nicht auch vermögen? (Matthäus 7, 3 - 5; Galater 6, 1; Psalm 141, 5).

3. Der Kanzler schließt sich selbst mit ein bei seinen Worten.

Ein Wörtlein des Kanzlers kann uns - wenn wir es in der rechten Weise brauchen - den Eingang in viele Herzen öffnen.

Es ist das Wörtlein "Wir" ("Wir stehen in Gefahr" der Anklage). Der Kanzler schließt sich durch dieses Wort ganz mit dem fehlenden Volk zusammen. Er hebt die Gemeinsamkeit im Tragen der entstehenden Schwierigkeiten hervor. Er hätte ja sagen können: "Euch wird es schlecht gehen, wenn der römische Statthalter eine Untersuchung einleitet. Ihr werdet sehen, was dann für Freiheitseinschränkungen über euch verfügt werden" und dergleichen. Das tat er nicht. Vielmehr ließ er als Stadtoberhaupt, obgleich er selbst unschuldig war, die Leute fühlen: Wir gehören zusammen. Etwaige Folgen treffen uns gemeinsam. Er stellte sich also nicht hoch über die Zuhörer und weit abseits von ihnen, sondern mitten unter sie.

Damit gibt er allen denen, die Sünder vom Irrweg bekehren möchten, einen recht schönen Hinweis. Lasst uns doch (nicht aus diplomatischer Schlauheit, um etwas zu erreichen, sondern) aus wahrer Herzensdemut die Kunst lernen, uns mit den allerverirrtesten Menschen zusammenzuschließen. Dann wird Gott unseren Dienst segnen können. In dieser Hinsicht nehmen wir auch den heidnischen Kanzler von Ephesus gern als unseren Lehrmeister an (Epheser 4, 15; Römer 14, 19; Galater 6, 10).