Archelaus vor Augustus. Der Einspruch seiner Verwandten. Glückliche Verteidigung durch Nikolaus. Unschlüssigkeit des Kaisers.


Nun begab sich Archelaus in Begleitung seiner Mutter und seiner Freunde Poplas, Ptolemäus und Nikolaus zur See hinab, während er zu Jerusalem Philippus in der Eigenschaft eines Verwalters der königlichen Paläste und Hüters seines Hauses zurückließ.

Zu gleicher Zeit mit Archelaus reisten auch Salome mit ihren Kindern, sowie seine Brüder und Schwäger ab, vorgeblich, um sich für die Thronfolge des Archelaus ins Zeug zu legen, in Wirklichkeit aber, um ihn wegen der im Heiligtum verübten Gesetzesfrevel zu verklagen.


In Cäsarea begegnete ihm der kaiserliche Schatzmeister von Syrien, namens Sabinus, der eben nach Judäa hinauf wollte, um die Cassen des Herodes in seine Obhut zu nehmen. Doch war noch zur rechten Zeit der Statthalter Varus, den Archelaus durch Vermittlung des Ptolemäus inständig um seine persönliche Dazwischenkunft hatte ersuchen lassen, hier angekommen, um den Sabinus von der Fortsetzung seines Weges abzuhalten.

Aus Rücksicht für Varus unterbrach denn Sabinus seine gar eilige Reise nach den Schlössern des Herodes, wo er sonst dem Archelaus die Schatzkammern seines Vaters vor der Nase versiegelt haben würde, und gab auch das Versprechen, bis zum Erkenntnis des Kaisers nichts weiteres unternehmen zu wollen.

Er blieb also in Cäsarea. Sobald aber die unbequemen Persönlichkeiten sich wieder entfernt hatten, und zwar die eine nach Antiochien aufgebrochen, Archelaus aber nach Rom abgesegelt war, machte sich Sabinus schleunig auf den Weg nach Jerusalem und setzte sich dort in den Besitz der königlichen Paläste. Er ließ dann die Kommandanten der verschiedenen Schlösser, wie auch die königlichen Verwalter zu sich kommen, um auf diesem Wege die Verzeichnisse der Schätze auszuschnüffeln und sich auch der Schlösser zu versichern.

Aber die Schlosshauptleute setzten sich sowenig über die Befehle des Archelaus hinaus, dass sie im Gegenteil unentwegt alles und jedes sorglich hüteten und überdies auch so vorsichtig waren, sich für ihr Benehmen nicht so sehr auf Archelaus, als vielmehr auf den Kaiser selbst zu berufen.


Unterdessen zog ein neuer Gegner des Archelaus von Judäa nach Rom: es war das Antipas, der ihm mit der Behauptung, dass das eigentliche Testament, in welchem er selbst als König gestanden, doch rechtskräftiger sein müsse, als der Nachtrag dazu, die Krone streitig machen wollte. Er hatte zudem selbst von Salome und vielen Verwandten, die mit Archelaus nach Rom fuhren, schon vorher das Versprechen erhalten, dass sie sich seiner Sache annehmen würden,

und suchte auch seine Mutter, sowie den Bruder des Nikolaus, den Ptolemäus, auf seine Seite zu ziehen, eine Persönlichkeit, die ihm wegen des Vertrauens, das sie bei Herodes genossen hatte, von ausschlaggebender Bedeutung zu sein schien. Ptolemäus hatte ja unter allen Freunden bei Herodes das größte Ansehen. Die größte Hoffnung jedoch setzte Antipas in den Rhetor Irenäus, von dessen gewaltiger Beredsamkeit er sich einen so sicheren Erfolg versprach, dass er in der Erwartung desselben alle noch so gut gemeinten Mahnungen, dem Archelaus als dem ältesten Bruder und durch das Codicil allein berechtigten Thronfolger doch keine Schwierigkeiten zu bereiten, barsch von sich wies.

Nach seiner Ankunft in Rom wandten ihm schließlich alle seine Verwandten, denen Archelaus immer verhasster wurde, ihre Sympathien zu. In erster Linie wünschte sich freilich ein jeder die volle Autonomie unter der Aufsicht eines römischen Legaten: würde man aber das nicht erreichen können, so wollte man noch lieber Antipas, als Archelaus, auf dem Throne sehen.


Diese Action der Verwandten gegen Archelaus unterstützte auch noch Sabinus durch Briefe, die er an den Kaiser richtete und die über Archelaus nur Klagen, über Antipas dagegen das höchste Lob brachten.

So machte sich denn die Partei der Salome daran, die verschiedenen Beschwerdepunkte in einer Klageschrift zusammenzustellen, die sie dann beim Kaiser einreichte. Darauf antwortete Archelaus mit einer Gegenschrift, welche die Hauptpunkte seiner Rechtsansprüche darlegte, und ließ zugleich durch Ptolemäus den Siegelring seines Vaters, wie auch dessen Papiere dem Augustus übergeben.

Der Kaiser zog zunächst die von beiden Seiten vorgebrachten Gründe, sowie den Umfang des Königreiches und die Höhe seiner Einkünfte, außerdem noch die zahlreichen Glieder des herodianischen Hauses bei sich in Erwägung, las dann die von Varus und Sabinus hierüber eingelaufenen Berichte durch und versammelte hierauf den Staatsrath, an welchem er auch seinen Adoptivsohn Cajus, den Sohn des Agrippa und seiner Tochter Julia, zum erstenmal teilnehmen ließ. Hier erteilte er nun den Parteien das Wort.


Zuerst trat Antipater, der Sohn der Salome, entschieden der tüchtigste Redner der Gegenpartei, in die Schranken und begann seine Anklagerede: Wenn Archelaus, so führte er aus, in diesem Augenblicke um den Thron sich bemühe, so sei das ein bloßes Geflunker mit Worten, weil er sich in der Tat schon längst als König geberdet habe und die jetzige feierliche Audienz vor dem Kaiser zu einem bloßen Possenspiel herabwürdige. Hätte er ja doch seine Entscheidung im Punkte der Thronfolge gar nicht erst abgewartet, wenn anders es Tatsache sei, dass er nach dem Ableben des Herodes heimlich Leute bestellt und unter die Volksmenge gesteckt habe, die ihm das Diadem umwinden sollten, dass er feierlich auf einem Throne Platz genommen und wie ein König in verschiedenen Anliegen Audienzen erteilt, wichtige Aenderungen in der Heeresorganisation getroffen und Avancements gestattet,

ja auch dem Volke alles versprochen habe, was es nur immer von ihm und zwar in einem Tone, als sei er schon wirklicher König, zu erlangen wünschte, und dass er endlich auch die von seinem Vater auf die schwersten Anschuldigungen hin in Haft gesetzten Personen ohne weiters freigelassen hätte. Und jetzt komme er daher, um sich von seinem höchsten Herrn eine Schattenkrone zu erbitten, indes er die wirkliche sich selbst schon eigenmächtig aufs Haupt gesetzt habe, um auf solche Art den Kaiser aus einem Gewalthaber zu einem Titelverleiher zu machen.

Überdies erhob Antipater gegen Archelaus den entehrenden Vorwurf, er habe selbst mit der Trauer über seinen Vater nur eine niedrige Farçe gespielt, indem er am Tage das jämmerlichste Gesicht gemacht, des Nachts aber sich so angezecht, dass er es wie der tollste Nachtschwärmer getrieben habe. Dies sei auch, erklärte Antipater, der eigentliche Grund gewesen, warum das über ein solches Treiben ganz empörte Volk zum Aufruhr gegriffen habe.

Hier setzte der Redner zum entscheidenden Angriff ein: es war die Hinmordung sovieler Menschen in den Räumen des Heiligtums. „Diese armen Leute,“ rief er aus, „sind zur Festfeier gekommen, um über ihren eigenen Opfern selber unbarmherzig hingeschlachtet zu werden, und die Menge der im Tempel aufgetürmten Leichen erreichte eine solche Höhe, wie sie nicht einmal ein heidnisches Kriegsheer, und wäre es selbst ohne jede Kriegserklärung über die Stadt hergefallen, hätte aufhäufen können.

Selbst der eigene Vater hat schon diesen grausamen Charakter des Archelaus rechtzeitig durchschaut und ihm darum auch nicht die leiseste Hoffnung auf die Krone gegeben – abgesehen von jener Stunde, wo er, schon kränker am Geist als am Leibe und eines gesunden Gedankens nicht mehr mächtig, einen Thronfolger ins Codicil schrieb, den er nicht einmal mehr kannte, wohlgemerkt, ohne dass der König gegen den Erben im Haupttestamente, das er noch bei voller Gesundheit des Leibes und bei voller Geistesklarheit verfasst hatte, auch nur die geringste Beschwerde gehabt hätte.

Wollte aber schon jemand durchaus dem Urteile eines schwerkranken Mannes eine größere Rechtskraft zuschreiben, so hat sich doch Archelaus selbst nachträglich durch seine die Krone schändenden Frevel die Herrschaft aberkannt. Oder was für ein sauberer Regent möchte doch wohl nach erlangter kaiserlicher Bestätigung aus einem Menschen werden, der schon vor dieser Bestätigung so viele Leute hat hinmetzeln lassen?


Nachdem Antipater noch viele ähnliche Beschwerden durchgegangen und jeden einzelnen Punkt durch die Zeugenaussagen seiner Verwandten, von denen er die meisten für sich citieren konnte, belegt hatte, schloss er seine Anklagerede.

Hierauf erhob sich Nikolaus zur Verteidigung des Archelaus und wies zuerst nach, dass das Gemetzel im Tempel ein Gebot der Notwendigkeit gewesen sei, weil die niedergehauenen Empörer dadurch, dass sie den Thron des Herodes angriffen, auch die kaiserliche Oberherrlichkeit über denselben, von der gerade die gegenwärtige Gerichtssitzung feierliches Zeugnis gebe, angegriffen hätten.

Auf die anderen Beschuldigungen übergehend, konnte sich der Redner darauf berufen, dass gerade die Ankläger es gewesen seien, die dem Archelaus zu diesen Maßregeln geraten hatten. In Betreff des Nachtrages zum Testamente endlich glaubte der Verteidiger ganz besonders aus dem Grunde die Rechtsgiltigkeit vertreten zu können, weil Herodes darin auch die Bestätigung des Thronfolgers durch Augustus ausdrücklich festgesetzt habe.

Denn wer noch so weit seiner mächtig gewesen ist, dass er dem Herrn des römischen Reiches seinen Thron zur Verfügung stellen konnte, der hat sich,“ schloss Nikolaus, „wohl auch in dem Erben nicht geirrt: gewiss hat der noch bei vollem Bewusstsein den Thronbewerber vorgeschlagen, der das eine noch klar wusste, bei wem sich derselbe um die Bestätigung zu bewerben habe.


Nachdem so auch der Verteidiger alle Gesichtspunkte erschöpft hatte, trat Archelaus vor und warf sich schweigend dem Kaiser zu Füßen. Dieser aber hieß ihn freundlich aufstehen und deutete ihm an, dass der Übernahme des väterlichen Thrones in Ansehung seines Charakters nichts entgegenstehe; doch gab er noch keine bindende Erklärung und entließ einstweilen die Versammelten, um die gewonnenen Eindrücke bei sich zu verarbeiten, weil er noch nicht wusste, ob er wirklich einen bestimmten Thronfolger aus den in beiden Testamenten bezeichneten Persönlichkeiten ernennen oder aber das Reich auf das ganze Haus des Herodes verteilen sollte, da ihm die zahlreichen Mitglieder desselben doch eine standesgemäße Versorgung zu erheischen schienen.