Judas der Galiläer. Die drei Sekten der Essener, Pharisäer und Sadduzäer.


Das Land, über welches Archelaus geherrscht hatte, wurde nun zu einer förmlichen römischen Provinz bestimmt, und als Landpfleger ein römischer Ritter, namens Coponius, dahin abgeschickt, der vom Kaiser auch das Recht des Blutbannes erhalten hatte.

Unter diesem trat ein Mann aus Galiläa, Judas mit Namen, auf, welcher seine Mitbürger zum Abfall von Rom zu verleiten suchte und sie für Feiglinge erklärte, wenn sie es über sich brächten, an die Römer Steuern zu entrichten, und wenn sie außer Gott dem Herrn noch sterblichen Gewalthabern dienen wollten. Er gründete auch mit seinen Ansichten, die mit den übrigen keinerlei Verwandtschaft haben, eine eigene Sekte.


Es bestehen nämlich bei den Juden drei Arten von philosophischen Sekten: die Anhänger der ersten heißen Pharisäer, die der zweiten Sadduzäer, die der dritten führen den Namen Essener, da sie in der Tat auch im Rufe einer besonderen Pflege der inneren Frömmigkeit stehen.

Obschon Juden von Geblüt, wie die anderen, hängen sie doch weit mehr aneinander, als das bei den übrigen der Fall ist. Sie fliehen die Vergnügungen als etwas verwerfliches und sehen in der Enthaltsamkeit und in dem Widerstande gegen die Leidenschaften die wahre Tugend. Die Ehe steht bei ihnen in keiner besonderen Achtung, dafür nehmen sie aber die Kinder anderer Leute an, solange dieselben noch im zarten Alter stehen, wo sie am gelehrigsten sind. Sie halten dieselben dann so, als wären sie ihre leiblichen Kinder, und bilden sie ganz nach ihrem eigenen Muster.

Sie tun das aber nicht aus dem Grunde, weil sie etwa die Ehe und die Zeugung einer ehelichen Nachkommenschaft ganz beseitigen möchten, sondern bloß darum, weil sie die Zügellosigkeit der Weiber fürchten und von der Überzeugung ausgehen, dass keine einzige Frau ihrem rechtmäßigen Gatten die Treue bewahre.


Sie sind Verächter des Reichtums, und es herrscht ein ganz wunderbarer Geist der Gütergemeinschaft unter ihnen, so dass man wohl niemand bei ihnen antrifft, der ein hervorragenderes Besitztum hätte. Denn es ist Gesetz bei ihnen, dass alle, die in die Sekte eintreten, ihr Vermögen der ganzen Körperschaft opfern müssen, was zur Folge hat, dass man unter ihnen nirgends weder vom Elend der Armut noch von des Reichtums Überfluss etwas gewahrt, sondern, da das Besitztum eines jeden mit dem der übrigen verschmolzen ist, alle Mitglieder, wie Brüder, nur ein einziges Eigentum zusammen besitzen.

Öl besudelt nach ihrer Anschauung den Menschen: wenn sich einer darum notgedrungen hat salben müssen, so wird der Leib wieder abgerieben, da sie große Stücke auf eine Haut halten, die nicht fettig ist, wie auch auf das beständige Tragen von weißen Kleidern. Jene Personen, welche die Sorge um die gemeinsamen Güter auf sich zu nehmen haben, werden auf dem Wege der Wahl dazu bestimmt, und zwar wird jeder einzelne zu seinem Amte immer von der Gesammtheit gewählt.


Sie wohnen nicht in einer eigenen Stadt beisammen, sondern es gibt in jeder Stadt ihrer viele. Mitgliedern, die von anderwärts herkommen, steht alles, was die Brüder des betreffenden Ortes besitzen, ebenso offen, als wäre es ihr Eigentum, und die Ankömmlinge kehren ihrerseits bei Leuten ein, die sie früher nie gesehen haben, als wären sie schon lange mit ihnen bekannt.

Aus diesem Grunde tragen sie auch, wenn sie eine Reise machen, außer den Waffen zum Schutze gegen Räuber, nicht das geringste bei sich. In jeder Stadt wird ein besonderer Schaffner für reisende Bundesmitglieder ernannt, der ihnen Kleidung und alles andere, was sie benötigen, beizustellen hat.

In ihrem ruhigen Wesen, wie in ihrer ganzen äußeren Haltung erinnern sie an Kinder, die noch unter der Ruthe des Erziehers stehen. Sie legen nicht früher neue Kleider oder Sandalen an, bevor die alten nicht ganz zerfetzt oder durch langes Tragen total abgenützt sind.

Unter sich selbst kaufen und verkaufen sie nichts, sondern jeder teilt das, was er vorräthig hat, mit dem, der etwas benötigt, und bekommt dagegen von diesem wieder, was er gerade von ihm brauchen kann. Auch ohne Gegengabe hat jeder Essener von dem anderen, was er immer wünscht, sofort zu bekommen.


Was nun die Verehrung der Gottheit anlangt, so ist diese bei ihnen eine ganz absonderliche. Vor Sonnenaufgang hört man von ihnen auch nicht ein einziges alltägliches Wort, dafür aber senden sie gewisse altererbte Gebete zur Sonne empor, als wenn sie dieselbe um ihr Erscheinen bitten wollten.

Ist das geschehen, so werden sie von den Oberen entlassen, und geht jeder an seine Beschäftigung, die er gelernt hat. So arbeiten sie rastlos bis zur fünften Stunde, worauf sie sich abermal an einem bestimmten Orte versammeln und, ein Linnentuch um die Hüften gegürtet, sich den Leib mit kaltem Wasser abwaschen. Nach dieser Reinigungszeremonie kommen sie alle wieder in einem eigenen Gemache zusammen, in welches keinem, der außer der Sekte steht, der Eintritt gestattet ist, während die Mitglieder selbst diesen Speisesaal nur im Zustande der Reinheit wie einen Tempelraum betreten.

Nachdem sie in aller Ruhe ihre Plätze eingenommen, kommt der Bäcker und legt einem nach dem anderen das Brot vor, während der Koch einem jeden noch ein Geschirr mit einem einzigen Gerichte vorsetzt.

Vor dem Essen spricht der Priester ein Gebet, vor dem ja niemand etwas anrühren darf. Nach dem Mittagessen betet er wieder, um so am Anfang, wie am Schlusse der Mahlzeit Gott dem Herrn als dem Spender der Nahrung die Ehre zu geben. Nach dem Mahle vertauschen sie die heiligen Gewande, die sie dabei angehabt, mit den gewöhnlichen, und wendet sich wieder ein jeder der Arbeit zu, die bis zum späten Abend dauert.

Dann kehren sie zurück, um die Abendmahlzeit einzunehmen, was in ähnlicher Weise, wie zu Mittag, geschieht. Die eben anwesenden Gäste essen an denselben Tischen. Kein Geschrei, kein wüster Lärm stört jemals die weihevolle Ruhe des Hauses, da sie einander der Reihe nach das Wort lassen, so dass denen, die draußen vorübergehen, die Stille drinnen im Hause ganz unheimlich und wie die Feier eines Mysteriums vorkommt. Sie ist aber nur begründet in ihrer anhaltenden Nüchternheit und in dem Umstande, dass bei ihnen einem jeden nur soviel Speise und Trank zugemessen wird, als eben zur Sättigung hinreicht.


Im Allgemeinen nehmen sie nach dem Gesagten kein Werk vor, wozu sie nicht zuvor einen Auftrag von ihren Oberen erhalten haben. Doch können sie in zwei Fällen ganz selbständig vorgehen, nämlich wo es gilt, jemanden zu verteidigen oder ihm Barmherzigkeit zu erweisen. Denn es ist jedem Essener ohne weiteres gestattet, solchen, die Hilfe verdienen und brauchen, beizuspringen und Lebensmittel den Notleidenden zu verabreichen: nur eine Beteilung von Verwandten darf ohne Erlaubnis der Verwaltung nicht stattfinden.

Sie sparen ihren Zorn für Fälle, wo ihn die Gerechtigkeit fordert, und haben ihre innere Bewegung immer in der Gewalt. Sie sind ängstlich auf die Bewahrung der Treue bedacht und sorgen aus allen Kräften für die Aufrechthaltung des Friedens. Jedes Wort aus ihrem Munde ist verlässlicher, als ein Eidschwur. Vom Schwören wird bei ihnen gänzlich Umgang genommen, da der Schwur nach ihrer Auffassung etwas noch schlechteres ist, als selbst der Meineid. Denn, sagen sie, wer keinen Glauben mehr findet, außer er zieht Gott herbei, der ist ohnehin schon gerichtet.

Ganz außerordentlichen Eifer verwenden sie auf die Lektüre altertümlicher Schriften, unter denen sie wieder jene am meisten bevorzugen, die auf das Gedeihen von Seele und Leib abzielen. Aus diesen Büchern suchen sie die Namen von heilkräftigen Wurzeln zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten, wie auch die mannigfachen Kräfte der Steine herauszufinden.


Bewirbt sich jemand um die Aufnahme in die Sekte, so wird ihm der Eintritt nicht sofort gestattet, sondern er muss noch ein ganzes Jahr draußen bleiben, während dieser Zeit aber dieselbe Lebensweise, wie sie die Essener haben, nach deren Anweisung beobachten, zu welchem Zwecke man ihm ein kleines Grabwerkzeug, das oben erwähnte Lendentuch und ein weißes Kleid übergibt.

Hat er dann im Verlaufe dieser Zeit seine Enthaltsamkeit bewährt, so nähert er sich dem Essenerleben um eine weitere Stufe, indem er an dem heiligen Bade der Reinigungszeremonie teilnehmen darf. Zur vollen Lebensgemeinschaft wird er jedoch noch immer nicht zugelassen, sondern, nachdem er bisher bloß seine Herrschaft über die Sinnlichkeit bewiesen, noch zwei weitere Jahre auf seinen eigentlichen Charakter geprüft und, wenn er dann würdig scheint, endlich ihrer Gesellschaft eingereiht.

Bevor er jedoch vom gemeinsamen Tische essen darf, muss er sich zuerst durch schauerliche Eidschwüre vor ihnen verpflichten, vor allem der Gottheit die gebürende Verehrung zu erweisen, dann auch die Pflichten der Gerechtigkeit gegenüber den Mitmenschen genau zu beobachten und Niemandem weder aus eigenem Antriebe noch im Auftrage anderer zu schaden, die Ungerechten jederzeit zu hassen und den Gerechten beizuspringen, allen und jedem stets die Treue zu halten, ganz besonders aber den Regenten, da ohne den Willen Gottes Niemandem die Herrschaft zufallen könne. Sollte aber das neue Mitglied selbst einmal zur Herrschaft gelangen, so dürfe es nie durch ein übermütiges Betragen seine Gewalt beflecken oder auch nur durch größere Kleiderpracht und sonstiges Gepränge vor den Untergebenen sich auszeichnen wollen.

Jeder solle stets die Wahrheit lieben und entschlossen sein, den Lügnern den Mund zu stopfen; seine Hände, gelobt er, rein von gestohlenem Gute, rein auch die Seele von schmutzigem Gewinn zu bewahren, vor den Anhängern seiner Sekte kein Geheimnis zu haben und umgekehrt an andere keine internen Angelegenheiten zu verraten, auch wenn man ihn zu Tode foltern würde.

Außerdem muss er noch schwören, sämmtliche Lehren der Sekte ohne Entstellung genau so, wie er sie selbst überkommen, überliefern zu wollen, sich auch jeder Verstümmlung derselben zu enthalten, sowie die Bücher der Sekte und die Namen der Engel sorgfältig zu hüten. Mit solchen Eidschwüren fesseln sie nun die Eintretenden vollständig an die Sekte.


Wer bei einem bedeutenden Vergehen ertappt worden ist, wird aus der Genossenschaft gejagt, und muss gar oft der Ausgeschlossene auf die erbärmlichste Weise sterben und verderben. Denn einerseits darf er, durch seine Eide und Regeln gebunden, von Leuten, die außerhalb der Sekte stehen, nicht einmal Speise nehmen, will er sich aber andererseits selbst mit Pflanzenkost fortbringen, so muss auch da der Körper infolge ungenügender Nahrungsaufnahme allmählich entkräftet werden und endlich unterliegen.

Die Essener haben darum auch schon viele, die in ihrer äußersten Erschöpfung kaum noch Athem holen konnten, aus Erbarmen wieder aufgenommen, da sie nach ihrer Meinung für die begangenen Vergehen durch ihre fast zur Todesqual gesteigerten Peinen genugsam gebüßt hätten.


Bei ihren Gerichten gehen sie mit peinlichster Genauigkeit und ganz unparteiisch vor, und es darf das Richtercollegium nicht weniger als hundert Mitglieder haben. Dafür ist aber auch die einmal gefällte Entscheidung unabänderlich. Nächst Gott ist bei ihnen der Name des Gesetzgebers der Gegenstand der größten Verehrung, so dass jeder, der gegen diesen eine Lästerung ausstößt, mit dem Tode bestraft wird.

Den älteren Leuten, wie auch der Mehrheit sich zu fügen, halten sie für eine Forderung des Anstandes: sitzen z. B. zehn beisammen, so würde es wohl keiner wagen, das Wort zu ergreifen, wenn es den übrigen neun nicht recht wäre.

Sie nehmen sich inacht, dass sie nicht mitten unter anderen oder nach rechts hin ausspucken, und sie zeichnen sich auch vor allen Juden durch die Genauigkeit aus, mit welcher sie die sabbatliche Arbeitsruhe beobachten. Denn nicht bloß, dass sie sich die Speisen einen Tag zuvor schon herrichten, um ja kein Feuer an diesem Tage anmachen zu müssen, unterstehen sie sich nicht einmal ein Gefäß am Sabbat zu verrücken oder auch nur beiseite zu gehen.

An den Werktagen graben sie sich mit ihrem Spaten, d. h. jenem Grabewerkzeug, das man den Neueingetretenen einhändigt, und das eben die Form eines Spatens hat, eine fußtiefe Grube, die sie mit ihrem Oberkleide von allen Seiten am Rande bedecken, um nicht das himmliche Licht zu entweihen, benützen sie dann als Abtritt und schütten die aufgeworfene Erde wieder in die Grube hinein. Sie wählen dazu überdies die abgelegensten Orte, und obgleich die Ausscheidung des leiblichen Unrates doch wohl etwas ganz natürliches ist, pflegen sie sich nachher auch noch abzuwaschen, gerade so, als ob sie eine gesetzliche Verunreinigung erlitten hätten.


Je nachdem sie längere oder kürzere Zeit bei dieser Lebensweise zugebracht haben, scheiden sie sich wieder in vier Classen, von denen die später eingetretenen so tief unter den früher aufgenommenen stehen, dass, wenn sie die letzteren zufällig berühren, diese sich abwaschen müssen, wie wenn sie sich durch Berührung mit einem Heiden befleckt hätten. Sie leben in der Regel lange, die meisten gelangen zu einem Alter von mehr als hundert Jahren und zwar, wie ich glaube, gerade infolge ihrer einfachen Lebensweise und strengen Sitte. Indes setzen sie sich auch über die drohendsten Lebensgefahren hinaus und trotzen in ihrer Seelengröße allen Peinen, ja sie würden einen Tod, der in ruhmvoller Gestalt an sie herantritt, selbst einem unsterblichen Leben vorziehen.

Hat ja gerade der Krieg mit den Römern in jeder Beziehung ihren Seelenadel aufs glänzendste dargetan, da sie hier von den Folterschrauben gestreckt und gewunden, ihre Glieder gebrannt und gebrochen, und alle Marterwerkzeuge der Reihe nach an ihnen versucht worden sind, um sie entweder zu einer Schmähung des Gesetzgebers oder zum Genuss einer regelwidrigen Speise zu zwingen, ohne dass sie sich jedoch zu einem von beiden verstehen wollten, ja sogar, ohne dass sie den Peinigern vorjammerten oder eine Träne vergossen: im Gegenteil, sie lächelten noch bei ihren Qualen und spotteten nur über jene, die ihnen die Folterwerkzeuge ansetzten, und gaben so mit freudigem Mute ihre Leben hin, in der sicheren Hoffnung, es wieder zu erhalten.


Es besteht nämlich bei ihnen die unerschütterliche Überzeugung, dass zwar ihr Leib dem Zerfalle ausgesetzt, und der körperliche Stoff etwas vergängliches sei, dass aber die Seele, weil unsterblich, immer fortbestehe, da sie eigentlich aus dem feinsten Äther hervorgegangen und nur infolge eines elementaren Zaubers zum Körper herabgezogen und von ihm jetzt, wie von einem Kerker, umschlossen sei.

Würde sie nun einmal wieder aus den Fesseln des Fleisches losgelassen, so schwebe sie alsdann jubelnd, wie einer langen Knechtschaft entronnen, in die Höhe empor. Die Essener behaupten ganz ähnlich, wie man das sonst von Angehörigen der griechischen Nation hört, dass den guten Seelen drüber dem Ocean ihr Aufenthalt bereitet sei und zwar ein Ort, der weder von Regenschauern noch Schneegestöber noch auch vom Sonnenbrande zu leiden habe, sondern dem vom Ocean her ein milder Zephyr beständige Kühlung zufächle, während für die nichtswürdigen Seelen nach ihrem Glauben ein abgelegener, finsterer, sturmdurchbrauster Winkel bestimmt ist, ein Ort voll unausgesetzter Peinen.

Dieselbe Vorstellung scheinen mir auch die Hellenen auszudrücken, wenn sie ihren großen Männern, die sie Heroen und Halbgötter nennen, die Inseln der Seligen zum Wohnort geben, den Seelen der Bösen dagegen jenen Teil des Hades, der eigens für die Gottlosen bestimmt ist, und woselbst auch die griechische Sage gewisse Persönlichkeiten, wie den Sisyphus und Tantalus, einen Ixion und Tityus gepeinigt werden lässt: eine Vorstellung, welcher fürs erste der Glaube an die Unsterblichkeit der Seelen zugrunde liegt, wie auch zweitens das Bestreben, zur Tugend anzuspornen und vom Laster abzuhalten, da die Guten während ihres irdischen Lebens gewiss noch eifriger werden, wenn sie auch nach ihrem Tode noch eine Aussicht auf Verherrlichung haben, indes die wilden Triebe der Bösen notwendig eine Schranke in der Besorgnis finden müssen, dass, wenn sie auch in diesem Leben der Gerechtigkeit entgehen würden, sie doch nach ihrem Abscheiden eine Qual, die kein Tod mehr endet, zu erdulden haben werden.

Das also lehrt die Religionsweisheit der Essener von der Seele, eine Lehre, womit sie eine geradezu unwiderstehliche Anziehungskraft auf alle jene ausüben, die einmal von ihrer Weisheit gekostet haben.


Es gibt unter ihnen auch Männer, die sich anheischig machen, die künftigen Dinge vorauszuschauen, wozu sie sich durch Lesung heiliger Bücher, mannigfache Weihungen und die Erwägung prophetischer Aussprüche die Fähigkeit zu erwerben suchen, und es ist wirklich eine Seltenheit, wenn sie sich einmal in ihren Weissagungen irren.


Es besteht aber auch noch ein anderer Verband von Essenern, welcher in Lebensweise, Herkommen und Satzung den übrigen vollständig gleicht und nur im Punkte der Ehe eine abweichende Auffassung hat. Sie sind nämlich der Anschauung, dass jene, die nicht heiraten, die Hauptaufgabe des menschlichen Lebens, die Fortpflanzung des Geschlechtes, zunächst für ihre Person unmöglich machen; diese Handlungsweise sei aber noch dadurch bedenklicher, dass, wenn alle diesem Grundsatz huldigen wollten, das ganze Menschengeschlecht in kürzester Zeit aussterben müsste.

Doch prüfen diese Essener ihre Braut drei Jahre lang und führen sie erst dann heim, wenn sie sich nach dreimaliger Reinigung der ehelichen Pflicht gewachsen zeigt. Mit den Schwangeren pflegen sie keinen ehelichen Umgang und zeigen damit, dass sie nicht aus Sinnlichkeit, sondern nur, um Kinder zu bekommen, geheiratet haben. Wie die Männer nur mit einem Lendentuche umgürtet sich waschen dürfen, so müssen die Frauen beim Bade ein förmliches Gewand anhaben. Das also wären die Gebräuche der Essenersekte.


Um auf die zwei anderen Sekten zurückzukommen, so bringen die einen, die Pharisäer, welche als die genauesten Ausleger der gesetzlichen Vorschriften gelten und überhaupt die erste Sekte im Judenthum eingeführt haben, alles in Abhängigkeit von dem Verhängnis und von Gott, so dass nach ihrer Meinung das Verhängnis selbst auf das rechtschaffene Leben, wie auch auf sein Gegenteil einen Einfluss ausübe, wenn auch beides hauptsächlich in der Hand des Menschen liege. Von den Seelen lehren sie, dass sie zwar alle unsterblich seien, dass aber nur die Seelen der Guten in einen anderen Leib wandern dürfen, während die der Schlechten mit ewiger Qual gezüchtigt werden.

Die Sadducäer, welche die zweite Sekte ausmachen, nehmen im Gegensatz zu den Pharisäern gar kein Verhängnis an und geben weder ein wirksames Eingreifen Gottes in die Geschichte noch selbst irgend eine Aufsicht von seiner Seite zu.

Sowohl das Gute, wie das Schlechte, behaupten sie, stehe zur Auswahl des Menschen bereit, und jeder wendet sich nur nach seiner freien Willensentscheidung dem einen oder dem anderen davon zu. Die Unsterblichkeit der Seele, sowie die Strafen und Belohnungen in der Unterwelt stellen sie in Abrede.

Auch die Pharisäer halten, wie die Essener, auf Corpsgeist und pflegen die Eintracht mit der ganzen Nation, während die Sadducäer sich sogar untereinander ziemlich schroff begegnen und im Verkehre mit anderen Leuten ihres Volkes ebenso abstoßend sind, wie gegen Ausländer. Das ist der Hauptsache nach alles, was ich über die verschiedenen philosophischen Richtungen unter den Juden vorzubringen hatte.