1) Allwissender, vollkommner Geist,
des Auge alles siehet,
was Nacht und Abgrund in sich schleußt
und dem sich nichts entziehet,
es kann vor deinem hellen Licht
sich kein Geschöpf verstecken.
Was in der Finsternis geschicht,
das weißt du aufzudecken
und an den Tag zu bringen.
2) Selbst die Gedanken sind dir kund,
die unsre Seele heget,
eh' sie noch der verschlossne Mund
durch Worte dargeleget.
Die Herzen sind dir offenbar,
du kannst ihr Dichten spüren.
Den Rat derselben siehst du klar,
du prüfest Herz und Nieren
und dir bleibt nichts verborgen.
3) Was deiner Freunde Herz begehrt,
das weißt du, eh' sie beten,
ihr Seufzen wird von dir erhört,
eh' sie noch vor dich treten.
Was deiner Feinde Herz beschließt,
das ist dir unverborgen,
dieweil du ihren Anschlag siehst,
als wie den lichten Morgen,
den keine Schatten decken.
4) Was nach Verfließung vieler Zeit
noch künftig wird geschehen,
das sieht dein Auge allbereit
als gegenwärtig stehen.
Du machst es deinen Knechten kund,
es weiter auszubreiten
und lässt durch ihren schwachen Mund
die größten Heimlichkeiten
der ganzen Welt entdecken.
5) Bleibt gleich vor Menschen manches noch
in dieser Zeit verschwiegen.
So wird dein Auge künftig doch
die Finsternis besiegen.
Dein unparteiisches Gericht
wird alles offenbaren:
was noch so heimlich jetzt geschicht,
wird man alsdann erfahren
und öffentlich erzählen.
6) Lass mich, o höchste Majestät,
dein helles Auge scheuen,
das nie ein Heuchler hintergeht
mit falschen Schmeicheleien.
Durchdringe kräftig Seel' und Geist
mit dessen heitern Bicken.
Lass, was geheime Schande heißt,
samt allen bösen Tücken
mich lebenslang vermeiden.