Die Sonne ist am Horizont verschwunden    

1) Die Sonne ist am Horizont verschwunden
und Schatten schweben nieder in das Tal:
doch über mir erglüht in tausend Funken
das Sternenheer an deines Himmels Saal.
Allgütiger, anbetend sink ich nieder
und seh bewundrungsvoll hinauf zu dir,
ich ahne dich in jener dunklen Ferne,
und doch bist du so nahe dort als hier!

2) Nicht Tempel fassen dich, nicht Raum, noch Zeiten
dein Tempel ist des Weltalls weiter Raum,
die Ewigkeit die Grenze eines Lebens,
und jene Himmel deines Kleides Saum.
Ja, dort und hier bist du, o Herr, mir nahe,
der Seraph ist vor dir, vor dir der Wurm.
Durch alle Räume waltet deine Liebe,
dein Odem weht im Säuseln wie im Sturm.

3) Dein Blick durchschaut der Sonnen Flammenmeere,
den Schattenschleier dieser stillen Nacht!
In süßen Schlummer sinkt die ganze Schöpfung,
jedoch dein Vater-Auge sorgt und wacht.
Allgegenwärtiger, wie heiligt deine Nähe
mein ganzes Dasein, wie erfüllt mein Herz
der tröstliche Gedank' an dich mit Ruhe
reinigt es von Kleinmut, Furcht und Schmerz!

4) Ich ahne dich im allem, was ich sehe,
in jeder Freude, die mein Dasein schmückt,
in jedem Anblick, der mein Herz erhebet,
in allem, was den Sinn und Geist entzückt.
Dich ahn' ich auch in allen düstern Szenen,
die nah' und fern an mir vorüberziehn,
selbst in den Leidensstunden meines Lebens,
sie mögen langsam oder schnell entfliehn.

5) Denn dein ist ja das Reich, nur du regierest,
und was geschieht, das ist allein durch dich!
Ja, deine Liebe führt des Weltalls Zügel,
und segnet auch durch Schmerz und Leiden mich.
So lehrte Jesus Christus mich dich kennen
in jenem Wort, das einst sein Mund uns gab.
So zeigt dich die Erfahrung jedes Lebens
den Sterblichen auf ihrem Weg zum Grab.

6) So werd' ich einst dich heller noch erkennen,
wenn dort mein Geist im reinern Lichte lebt,
wenn mich der Tod, der sanfte Friedensengel,
dereinst zu jener bessern Welt erhebt.
Schau hin, mein Geist, in jene lichte Ferne,
entschwinge dich der Erde düsterm Tal.
Kurz ist der Schmerz, doch ewig ist die Freude
in deines Gottes hehrem Freudensaal.

7) Dort löst sich deines Lebens dunkles Rätsel,
was deinem Auge hier verborgen war,
das wird, sich deinem Blicke dort enthüllen:
nur dort erst wird dir alles hell und klar.
O Gott, wie freu ich mich der Sabbathruhe
dereinst in deiner hehren Ewigkeit!
Wie freu ich mich der höheren Erkenntnis
und der mir dort verheißnen Seligkeit.

8) Hilf mir, o Vater, ihrer würdig werden!
Lass jeden Tag dazu gesegnet sein,
nicht dazu bloß des Sabbats Andachtsstunden,
nein, jede Stunde meines Lebens weihn!
Dann werd' ich selbst die düstre Nacht des Todes,
mit frohem Mute sich mir nähern sehn.
Ich weiß, ich werd' an einem schönern Morgen
zu einem bessern Leben auferstehn.

Text:
Melodie: Unbekannt