Sie sitzt am Fenster

1) Sie sitzt am Fenster an einem Samstagnachmittag.
Es ist Adventszeit, liegt noch kein Schnee.
Und auf der Straße probiert ein Kind sein Fahrrad aus,
da denkt sie traurig: und wen beschenke ich?
Kaum einer sieht, wie sehr sie Angst hat.
Mach dir nichts draus, sagt sich so leicht.
Lädt man sie ein, spürt sie das Mitleid.
Gut siehst du aus, hört sie dann oft.
Doch weil sie ihre Sehnsucht ernster nimmt
als jede Wirklichkeit, reicht nicht das Beste,
was real geschieht, an ihren Traum.
Wo ist ein Mensch, der ihr ganz praktisch zeigt,
wie er es möglich macht,
dass er die eignen Grenzen akzeptiert,
froh darin lebt?

2) Sie sitzt am Fenster. Ein Freitagabend im April.
Bei ihren Schülern ist sie beliebt.
Doch gegenüber gibt es ein kleines Restaurant.
An allen Tischen sitzt je ein Paar.
Bücher und Kunst, gutes Klavierspiel,
Sport im Verein hilft ihr schon viel.
Morgens zuhaus, nagen die Zweifel:
Hat so was Sinn? Lenk ich mich ab?
Und dabei fühlt sich bei ihr jeder wohl,
weil sie gut zuhörn kann.
Mit Stil und Wärme macht sie
manchen Tag wertvoll und schön.
Ganz leise ahnt sie,
dass es auch für sie eine Erfüllung gibt,
denn mehr als andre hat sie
Kraft und Zeit, Hilfe zu sein.

3) Sie sitzt am Fenster
in einer warmen Sommernacht.
Heut' gab es Ferien, sie fährt nicht weg.
Und in den Gärten
lärmt ihre Nachbarschaft beim Grill.
Sie hört das Lachen bis kurz vor drei.
Einmal erfährt sie,
dass ihr Mitgefühl eine Begabung ist,
sie viele Menschen dadurch glücklich macht,
dass sie so ist.
Sie war nie fromm und will es auch nicht sein,
bis sie von Jesus liest,
dass grade der sein Leben finden wird,
der es verschenkt.

4) Sie sitzt am Fenster,
schaut in den Regen Sonntag früh.
Auf dem Kalender steht Erntedank.
Da muss sie schmunzeln,
denn mittlerweile kann sie seh'n:
Gott hat ihr Leben schon reich beschenkt.