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Predigten zu 1. Korinther 13,9

"Denn wir erkennen stückweise, und wir prophezeien stückweise;"

Autor: Samuel Keller (* 15.03.1856; † 14.11.1924) deutscher protestantischer Theologe und Schriftsteller

"... Unser Wissen ist Stückwerk ..."

Wenn in unsern Kreisen über die Grenzen menschlicher Wissenschaft geredet wird, ist man schnell fertig, allerlei Fragen der Natur, von denen man nichts versteht - manche Einwände der Bibelkritik, von denen man wenig weiss, von der Hand zu weisen: Unser Wissen ist Stückwerk! Es kommt nur auf den Glauben an! Merkwürdig, sobald es aber Punkte der eigenen Schriftauffassung oder der Heiligung oder des christlichen Lebens anlangt, finden dieselben Leute, dass der andere Spruch auf sie passe: "Ihr habt die Salbung und wisst alles." (Obschon dort nach den besten Lesarten "alle" und nicht "alles" steht!) Warum sollte man nicht auch jetzt bescheidener von seinem christlichen Wissen denken und zugeben, dass auch dieses Stückwerk ist? Wie viel Zertrennung und Sektierertum wäre nicht vorgekommen, wenn wir etwas geringer von uns selbst und unserem Wissen dächten! Es sind doch oft verschiedene Auffassungen möglich. Muss deine Rechthaberei allein angeben, was rechtgläubige Schriftlehre ist? Wenn die Liebe stärker wäre und die Demut grösser, und die Erkenntnis, dass unser Wissen Stückwerk bleibt, zum Allgemeingut erhoben würde, kämen wir besser miteinander aus.

Herr, du weißt alles! Und wir müssen oft genug die Hand auf unseren Mund legen, weil wir so vieles nicht wissen. Leite du deine Leute durch deinen Heiligen Geist zur Liebe und zur Demut, damit du geehrt wirst. Amen.


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Gibt es ein einziges Wort Jesu, das ich ganz richtig und vollständig verstanden habe? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Gibt es in meinen Gedanken über die Natur, über die Weltgeschichte, über die gegenwärtigen Zustände unseres Volks und unserer Kirche, über mich selbst und meinen eigenen Zustand, einen Gedanken, der ganz richtig und völlig wahr wäre? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt keine Erkenntnis, die bleibt. Was war doch Paulus für ein wunderbar begnadeter Lehrer gerade auch in diesem Wort, mit dem er die verwelkende Vergänglichkeit aller unserer Gedanken ausgesprochen hat! Warum gibt es keine vollständige Erkenntnis, nicht einmal dann, wenn sie zur Weissagung wird, also mit der inneren Ermächtigung verbunden ist, dieses Wort im Namen Gottes zu sagen? Weil ich, der Erkennende, nicht vollkommen bin. Warum denkt ein Kind nicht wie ein Mann? Weil es ein Kind ist und erst dann wie ein Mann denken kann, wenn es ein Mann geworden ist. So kann auch ich erst dann Vollkommenes denken, wenn ich vollendet worden bin. Ich bin aber noch unfertig, nicht am Ziel, sondern unterwegs, und darum ist mein geistiger Besitz provisorisch und mir für die jetzige Stunde gegeben. Zwar ist mir Großes geschenkt, was ich nicht vergeuden darf; es ist mir aber bis auf dei Zeit gegeben, in der mir noch Größeres geschenkt werden wird. Soll ich deshalb schweigen, weil ich nichts Vollkommenes sage? Damit würde ich Gottes Gabe mißachten. Ich bin nicht allein das Kind, während die anderen die Vollkommenen sind. Wir wandern Hand in Hand und handeln gegen Gottes guten Willen, wenn wir stumm nebeneinander wandern. Das Wort ist uns gegeben, damit es von einem zum andern ströme, weil jeder dem andern mit seinem Besitz dienen soll. Dies aber ist uns unmöglich geworden, wenn wir auf Paulus hören, da wir eigensinnig unsere Gedanken zanken und sie den anderen herrisch aufzwingen. Sind wir nicht am Ziel, sondern auf der Wanderung, so bedeutet dies: auch das, was wir denken und wissen, ist bewegt und muß beweglich bleiben, nach beiden Seiten hin, so, daß wir lernen, und so, daß wir verlernen.

Du bist nicht der Gott der Weisen, sondern der Gott der Glaubenden und machst nicht unsere Gedanken zu unserer Gerechtigkeit, sondern unseren Glauben. Ich danke dir für jede Erkenntnis, die du mir geschenkt hast, und danke dir, daß das, was ich erfaßt habe, nicht deine letzte und höchste Gabe ist, weil du uns zu jenem Tag bereitest, an dem wir erkennen von Angesicht zu Angesicht. Amen.