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Predigten zu Apostelgeschichte 23,2

"Der Hohepriester Ananias aber befahl denen, die bei ihm standen, ihn auf den Mund zu schlagen."

Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Ein Missbrauch der Amtsgewalt

Der Hohepriester Ananias missbrauchte nach obigem Text seine Amtsgewalt. Er gab auf den ersten Satz des Paulus hin gleich den Befehl, ihn ins Gesicht zu schlagen. Diese Handlungsweise lässt uns den rohen und gewalttätigen Charakter jenes Mannes erkennen. Dieser Anblick kann uns eine dreifache Lehre geben:

I.

Man kann ein geistliches Amt haben, ohne geistlich gesinnt zu sein.

Ananias war zum geistlichen Amt geweiht worden; ja, er hatte das höchste Amt in seiner jüdischen Kirche erlangt. Aber ein wahrer Geistlicher, der den heiligen Geist empfangen hatte, war er nicht. Sein Benehmen beweist eine durchaus ungeistliche Gesinnung.

Lasst uns doch flehen, dass Gott Männer gebe, welche die wahre Weihe empfangen haben, indem sie in Wort und Wandel die rechte Erleuchtung von oben her zeigen. Die Söhne Elis hatten auch wie alle Priester die vorgeschriebene Priesterweihe empfangen. Wahre Priester waren sie deshalb nicht, denn ihre Gesinnung war nicht priesterlich (1. Samuel 2, 12 - 17).

Der Oberpriester Amazja mochte zu seinem hohen Amt äußerlich richtig eingeführt sein. Ein geistlicher Führer des Volkes war er nicht, weil er das Wort Gottes durch Amos bekämpfte (Amos 7, 10). Ähnlich war es mit Hananja (Jeremia 28) und anderen.

Nicht selten haben fromme Eltern große Enttäuschungen erlebt, wenn sie ihren Sohn mit Gewalt in ein geistliches Amt hineindrängten in der Meinung, die Heiligkeit des Amtes werde schon seinen heilsamen Einfluss beweisen. Aber sie mussten erleben, dass dieser Sohn als Amtsträger das Reich Gottes ehr hinderte als förderte.

Lasst uns an Ananias hier die Tatsache feststellen: Auch das höchste geistliche Amt macht seine Träger nicht fromm und himmlisch gesinnt, wenn nicht der Herr das Herz des Amtsträgers erneuert und ihn so für Gottes Reich brauchbar macht.

II.

Eine zweite Lehre, die uns der Anblick dieses unwürdigen Hohenpriesters gibt, sei diese: Man kann mit dem gesegnetsten und treuesten Gottesknecht zusammenkommen und ihn kennenlernen, ohne irgendwelchen inneren Gewinn dadurch zu bekommen.

Hier steht Ananias vor dem Apostel Paulus, dem auserwählten Rüstzeug des Herrn. Er hört ihn reden. Er beobachtet sein Auftreten. Aber es geht ihm wie Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Worms, als er Luther kennenlernte. Er sagte nur: "Dieser Mann soll mich nicht zum Ketzer machen". Er verstand Luthers Kraft und Gabe durchaus nicht. Inneren Gewinn hat er durch das Zusammensein mit Luther nicht empfangen.

Diese Tatsache kann uns wieder vor einem Irrtum bewahren. Man denkt oft: Wenn dieser oder jener dem Christentum feindliche Mann nur einmal einen wahren, echten Knecht Gottes kennenlernte, dann würde seine Gesinnung sicherlich anders. Nein. Man kann den Elias kennenlernen und beten hören und trotzdem ein Baalsanhänger bleiben, das zeigt uns Ahab (1. Könige 18 - 22).

Man kann Stephanus reden hören und sterben sehen und dennoch die Christen für gefährliche Sektierer halten. Das zeigt uns Saulus.

Man kann wie die Königin Maria Stuart einen John Knox hören und doch ein Feind des evangelischen Glaubens bleiben.

Man kann wie Herodias einen Täufer in nächster Nähe haben und dennoch eine Sündendienerin bleiben. Man kann wie der Hohepriester Ananias den besten Zeugen Jesu hören und sehen und dennoch dem Christentum nicht das mindeste Verständnis abgewinnen.

Der Herr selbst muss ein Menschenherz erfassen, sonst helfen alle Propheten und Apostel nichts.


Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Das Verhalten von Paulus gegenüber dem Hohenpriester Ananias

Es kann vorkommen, dass ein Jünger Jesu einem unwürdigen Amtsträger gegenübersteht und es ihm nicht leicht ist, die rechte Stellung einzunehmen.

In einer solchen Lage befand sich Paulus in unserem Text. Wir wollen seine Auseinandersetzung mit dem Hohenpriester anschauen. Lasst uns sehen

1. wie Paulus durch das ungerechte Verhalten des Hohenpriesters gereizt wurde,

2. wie Paulus den Hohenpriester, ohne ihn zu kennen, der Wahrheit gemäss zurechtwies,

3. wie er, sobald er die amtliche Stellung erfuhr, sich entschuldigte.

I.

Wie roh und gewalttätig war doch das Benehmen dieses Hohenpriesters. Ohne irgendwie die Worte des Paulus näher zu untersuchen, ohne jede Berechtigung zu solcher Schärfe, befahl er denen, die um Paulus standen, ihm eine Maulschelle zu geben. Durch unsere Blätter ging vor nicht langer Zeit eine Nachricht von einem höheren Beamten der Kirche, welcher mit rohen Ausdrücken gegen alle vorzugehen drohte, die nicht seine Ansicht in einer gewissen Frage teilten. Mit Recht erhob sich eine Entrüstung über solches Gebaren.

Nicht anders, ja noch viel schlimmer war das Verhalten des Ananias gegenüber Paulus. Mit roher Gewalt wollte er das unterdrücken, was seiner Meinung entgegenstand.

Lasst uns nicht sprechen: "Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie jener Hohepriester". Wer sein eigenes Herz kennt, der weiss, wie sich in unserem Innern oft solche Ananiasgedanken regten, so dass wir am liebsten andere mit äußerer Gewalt niedergedrückt hätten, wenn sie uns entgegenstanden. Lasst uns festhalten: Wer mit Ananias-Gewalt seine Meinung durchsetzen und andere Religionsansichten unterdrücken will, ist auf dem Irrweg.

II.

Was tat nun Paulus? Wohl merkt man seinen Worten die innere Entrüstung an über solches Benehmen eines geistlichen Führers. Doch geht er in seiner Antwort in nichts über die Grenzen der Wahrheit.

Der Titel, den er Ananias gab, war ebenso richtig, wie das Strafmass, welches er ihm zudiktierte, und die Begründung dafür. Ananias war in der Tat "eine getünchte Wand", d. h. äußerlich glanzvoll und würdig außehend, aber innerlich voll Unwürdigkeit (Matthäus 23, 27). Die ihm gebührende Strafe lautete: "Gott wird dich schlagen". Dies Wort erfüllte sich auch wirklich einige Zeit später, als Ananias durch den Dolch eines Fanatikers niedergestossen wurde.

Die Begründung für des Paulus Urteil war auch zutreffend, denn ein Mann, der nach Gottes Gesetz richten soll und sich dabei selbst nicht um dieses Gesetz kümmert, verdient in der Tat Gottes Zornesrute.

III.

So wahr und zutreffend indessen dieses Urteil auch war, so kann man doch fragen: Durfte Paulus so reden? Wir antworten: Hätte er in dem Mann, der ihn zu schlagen befahl, gleich den Hohenpriester erkannt, so wäre seine Antwort nach seinem eigenen Urteil anders ausgefallen (Vers 5 b). Es hängt also alles davon ab, ob man die Berechtigung des Wortes: "Ich wusste es nicht, dass es der Hohepriester ist" anerkennt, oder ob man mit anderen Auslegern übersetzen will: "Ich bedachte es nicht, dass es der Hohepriester ist". Ein Fachmann und Kenner der damaligen Verhältnisse sagt darüber: "Die römische Oberbehörde jenes Landes suchte eifrig zu verhindern, dass das Ansehen des Hohenpriesters zu groß wurde. Deshalb wurde ihm das Anlegen der hohenpriesterlichen Amtstracht nur an bestimmten hohen Feiertagen erlaubt. Ferner ließ man einen Hohenpriester nie sehr lange auf seinem Posten, sondern wechselte häufiger, damit nicht ein Hoherpriester allzu großes Ansehen erlangen konnte". So ist es ganz erklärlich, dass Paulus den Amtsträger nicht kannte, der keine besondere Amtstracht trug und noch nicht sehr lange im Amt war. Niemand hat ein Recht, die Wahrheit des Pauluswortes: "Ich wusste es nicht, dass es der Hohepriester ist" anzuzweifeln.

Sobald Paulus vernahm, dass der von ihm zurechtgewiesene Mann der Hohepriester war, entschuldigte er sich und bedauerte mit Rücksicht auf das Schriftwort 2. Mose 22, 27, jenen Ausdruck gebraucht zu haben.

Hier sehen wir, dass Paulus, selbst wenn er in seiner Entrüstung die gottgewollte Grenze überschritten haben sollte (worüber uns das Urteil nicht zusteht), sich willig sofort dies sagen ließ und auch bei einem unwürdigen Amtsträger dennoch das Amt achten und gebührlich behandeln wollte. Dies gibt den Jüngern Jesu einen Hinweis für ihr Verhalten gegenüber einem unwürdigen Amtsträger. Es gilt in solchen Fällen trotz aller berechtigten Ausstellungen an der betreffenden Person dennoch das Amt zu achten und zu ehren. Dies wird in unserer Zeit leicht vergessen, die voll von Gottesverachtung ist.