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Predigten zu Johannes 8,15

"Ihr richtet nach dem Fleische, ich richte niemand."

Autor: Samuel Keller (* 15.03.1856; † 14.11.1924) deutscher protestantischer Theologe und Schriftsteller

"Ihr richtet nach dem Fleische - ich richte niemand."

Die Menschen urteilen in doppeltem Sinn nach dem Fleisch: einerseits nach dem Fleisch, d. h. dem, was ihnen vom anderen vor Augen ist, und dabei kennen sie die geheimen Triebkräfte der andern nicht; andererseits nach ihrem eigenen Fleisch, d. h. nach der äußerlichen irdischen Art, nach menschlicher Meinung und Verständnis. Das kann man leider an dem Richtgeist vieler Gläubigen auch noch erkennen: vom Heiligen Geist und dem Maßstab der Ewigkeit ist nichts dabei. - Einer hätte damals sofort richtig und bündig jeden beurteilen können, jedem Gottes Meinung über ihn auf den Kopf sagen können, und dieser eine, Jesus - richtet niemand. Er ist ja gekommen, sie zu retten. Hätte er sie gerichtet, wäre es aus mit ihnen gewesen; dann hätten sie sich der einschneidenden Wucht solcher Enthüllung nicht mehr entziehen können und wären verzweifelt. Aber noch war Gnadenzeit, wo durch Jesus an ihnen etwas anders werden kann. Darum wollen wir uns erst recht hüten (schon um unserer Kurzsichtigkeit willen), einem andern die Gerichtsmarke aufzukleben; auch nicht so schnell bei der Hand zu sein: "Da sieht man Gottes Gericht über ihn." Statt dessen für den Unglücklichen hoffen und beten, bis wir vielleicht etwas zu seiner Rettung tun können.

Herr Jesu, halte das Gericht noch auf. Lass noch Gnadenstunden kommen, wo du in Liebe wirbst um die Seelen, ehe das Gericht den endgültigen Abschluss bringt. Hilf uns gegen den fleischlichen Richtgeist und gib uns Liebe zu den Seelen. Amen.