Buch-Rezension: Biblisches Ethos im Zeitalter der Moralrevolution

Biblisches Ethos im Zeitalter der Moralrevolution

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Mit diesem bereits im Frühjahr 1994 fertig gestellten und ein Jahr später veröffentlichten Werk legt Huntemann den Ertrag seines Nachdenkens zur Christlichen Ethik vor. Der Titel deutet an, was der Autor mit diesem Buch beabsichtigt. Angesichts der Moralrevolution der Gesellschaft und Kirche sucht er die Gemeinde Christi beharrlich an das biblische Ethos zu erinnern und dafür zu werben, für dieses in der Welt zu kämpfen. In seinem umfangreichen Kompendium wird er nicht müde zu betonen, dass christliches Ethos heteronomes Ethos ist, genauer: Offenbarungsethos. Dabei ist ihm wichtig: Auch das für die Heiden geltende Ethos ist kein natürliches Ethos, sondern stammt aus der Uroffenbarung sowie aus den noachitischen Geboten. Für gegenwärtige deutsche Theologie provokativ akzentuiert er die Einheit von alt- und neutestamentlichem Ethos: Auch das alttestamentliche Gesetz sei "frohe Botschaft" mit "heilbringender" Bedeutung.

Bei den zahlreichen ethischen Einzelthemen untersucht Huntemann stets, auf welche Weise biblisches Ethos auf moderne und postmoderne Herausforderungen antworten muss. Sehr lesenswert sind seine Ausführungen zum Thema "Autorität und Patriarchat". Im Blick auf die Sexualethik tritt Huntemann für eine "sinnerfüllte Sexualität" innerhalb der vom Schöpfer gesetzten Grenzen ein und nimmt von daher Stellung u.a. zu Pornographie, Bestialitas, Petting, Masturbation, Homosexualität, Ehescheidung und Geburtenkontrolle. Im Blick auf die gegenwärtige Euthanasiedebatte weist Huntemann zwar die Ansicht zurück, menschliches Leben könne jemals als "lebensunwert" angesehen werden, er fordert aber, diese Überzeugung dürfe nicht dazu führen, dass "Sterbenskranke die letzte Phase ihres Lebens als Hölle durchmachen müssen". Wenn ein "qualvoll Sterbender" den Arzt darum bittet, ihm einen gnädigen Tod zu gewähren, weil er selbst nicht mehr in der Lage sei, sich diesen Wunsch zu erfüllen, dann komme es zu einem Konflikt zwischen Barmherzigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben, und aktive Sterbehilfe zu leisten, sei "Schuldübernahme" aus Liebe. Diese Sichtweise stößt sicher nicht nur beim Rezensenten auf Ablehnung: Abgesehen davon, dass im Licht der Heiligen Schrift darauf bestanden werden muss, dass es moralisch ein qualitativer und damit unendlicher Unterschied ist, ob man eine Behandlung abbricht oder ob man Leben beendet, ist auf die inzwischen beeindruckenden Erfolge effizienter Schmerztherapie hinzuweisen, die es verbieten, selbst bei terminalen Patienten von einem "qualvollen Verrecken" oder von einem "die Hölle durchmachen" zu sprechen.

Insgesamt bietet Huntemann mit seinem Biblischen Ethos eine kompakte und gut nachvollziehbare Darstellung, in der er zu zahlreichen aktuellen ethischen Fragen griffig Stellung nimmt. Eine Stärke des Werkes ist unzweifelhaft die Diagnose des "Zeitalters der Moralrevolution". Dankbar ist man auch dafür, dass der Autor konsequent die Einheit von Altem und Neuem Testament betont. Sehr viele seiner ethischen Beurteilungen sind ausgezeichnet und finden beim Rezensenten ungeteilte Zustimmung. Über manche Fragen wird man diskutieren müssen: Ob Huntemanns Ansicht, Geburtenkontrolle sei heute geboten (sic!), weil das Gebot, die Erde zu füllen, erfüllt sei (S. 482), aus verantwortungsethischen Überlegungen in einem Buch geschrieben werden sollte, das vornehmlich in einem Land gelesen wird, in dem das Thema Geburtenüberschuss - vorsichtig formuliert - nicht gerade brennend ist, erscheint fragwürdig. Ob eine solche Aussage in einem anderen Kontext ethisch vertretbar ist, zum Beispiel in der Zweidrittel-Welt, müßte an anderer Stelle überprüft werden.

Lob gebührt Huntemann dafür, dass er sich in seiner Ethik darum bemüht, exegetisch zu arbeiten. Viele seiner Auslegungen sind sehr wertvoll. Manches will jedoch nicht so recht überzeugen. Wenn der Verfasser aus Lk 22,22-36 meint ableiten zu können, dass Jesus zunächst den bewaffneten Widerstand, die Selbstverteidigung geplant habe, sich dann aber angesichts der Übermacht seiner Gegner gezwungen gesehen habe, aufzugeben und den Weg des messianischen Leides angetreten habe (S. 611ff), ist festzuhalten, dass sämtliche Evangelien berichten, Jesus sei von Anfang an bewusst den Weg des Leidens gegangen (s. Mt 16,21ff; 1Petr 2,21ff), und er habe bis zuletzt die Macht gehabt, dem Leidensweg auszuweichen (siehe: Mt 26,23). Auch seine Behauptung, in Rö 13,1ff lehne sich Paulus "wie ein Widerstandskämpfer gegen die neroianische Wirklichkeit auf" (S. 535ff), wird bei nicht wenigen Lesern - berechtigten - Zweifel hervorrufen.

Dennoch: Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag, ja ein Gewinn für die Christliche Ethik. Es ist ein glutvoller, mutiger Ruf im Zeitalter der Moralrevolution, zu dem von Gott geoffenbarten Ethos zurückzukehren. Nicht zuletzt deswegen leistet es einen wertvollen, notwendigen Dienst für die christliche Gemeinde und für die Gesellschaft. Biblisches Ethos sei jedem zur Lektüre empfohlen, der sich um biblisches Ethos bemüht.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Jürgen-Burkhard Klautke
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: SCM Hänssler
  Jahr: 1995
  ISBN: 3-7751-2313-x
  Seiten: 716
 €    Preis: 34,95 Euro