Buch-Rezension: Die Akte Exodus - Neue Entdeckungen über den Auszug aus Ägypten

Die Akte Exodus

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Der Untertitel dieses reich illustrierten Buches verspricht dem Leser jede Menge neue Informationen. Es geht im größten Teil des Buches (Teil II-IV, S. 104-436) um den Auszug und die Marschroute der Israeliten durch die Wüste. Außerdem stellt der Autor viele weiteren Fragen, worauf Bibelleser schon lange Antworten bekommen wollten. Der Autor will mehrere Personen der Bibel identifiziert haben, z. B. Josef in Ägypten (Teil I), Mose, seine Adoptivmutter und den Pharao des Exodus (Teil II). Auch die Lokalisierung von Abrahams Ur und den Untergang der Städte Sodom und Gomorra kommen zur Sprache (Teil I). Darüber hinaus wagt sich der Autor an schwierige innerbiblische und ägyptische chronologische Fragen. Viele Bilder, Karten und Diagramme laden den Leser dazu ein, sich mit dem Thema zu befassen.

Wirklich neu sind die Information des Buches allerdings insofern nicht, als die englische Fassung bereits 2000 veröffentlicht wurde. Kurz danach haben der Hänssler-Verlag und der Brockhaus-Verlag eine Veröffentlichung in deutscher Sprache abgelehnt. Warum diese Zurückhaltung? Der Grund dafür ist nicht, wie unlängst der Journalist Jörn Schumacher in "pro" 1/12, S. 40-41 vermutete, dass Facharchäologen dem Mediziner Dr. Lennart Möller nicht zutrauen würden, neue Erkenntnisse bringen zu können, sondern schlicht und ergreifend, dass das Buch so schwerwiegende inhaltliche und methodische Fehler macht, dass man es nicht guten Gewissens empfehlen kann.

Auch wenn der deutsche Verleger Martin Severin wiederholt betont hat, es ginge doch in erster Linie um die geographische Lage des Berges Sinai (den Möller nicht wie gewohnt in der Sinai-Wüste, sondern in Nord-Arabien vermutet), so nehmen doch viele andere Argumente einen beträchtlichen Teil des Buches ein. Und nicht einmal die von Möller vorgeschlagene Lage des Berges kann überzeugen, denn im Lichte ägyptischer Texte befinden sich die Orte des Exodus sehr viel näher an der Ostgrenze Ägyptens (s. unten Punkt 4).

Einige gravierende Fehler sollen im Folgenden beispielhaft benannt werden. Sie stellen jedoch nur die Spitze des Eisberges dar.

1. Josef = Wesir Imhotep (S. 67ff.). Zwar erwähnt eine ptolemäische Inschrift aus dem 3. Jh. v. Chr. eine siebenjährige Hungersnot zur Zeit Pharao Djozers (27. Jh. v. Chr.!), des Dienstherrn Imhoteps. Das ist jedoch bereits alles, was Josef und Imhotep verbindet. Letzterer lebte nämlich zur Zeit des Alten Reiches. Selbst wenn man größere Fehler in der ägyptischen Chronologie zulässt, würde ihn immer noch mehr als ein halbes Jahrtausend von Josef trennen. Imhotep war kein Israelit. Sein Vater war ein ägyptischer Adliger namens Kanefer, seine Mutter hieß Khereduankh und seine Frau Renpetnefret. Die Behauptung von Möller, Imhotep sei in Wirklichkeit der Sohn Jakobs aus Kanaan, hat daher keinerlei archäologische Stützen.

2. Moses = Pharao Thutmosis II. (S. 126ff.). Wenn Mose wirklich eine Zeitlang König von Ägypten gewesen wäre, wäre es sehr erstaunlich, dass der biblische Schreiber davon nichts berichtet. Aber davon abgesehen: Thutmosis II. war nachweislich nicht der Sohn des Israeliten Amram (2. Mose 6,20), sondern der Sohn seines Vorgängers Pharao Thutmosis I. und dessen Nebenfrau Mutnofret. Er wurde auch nicht wie Mose 120 Jahre alt, sondern starb bereits mit 30 Jahren. Seine Mumie wurde im königlichen Verlies in Deir el-Bahri in Ober-Ägypten gefunden. Der Fund erlaubte es zudem, die Blutsverwandtschaft mit Thutmosis I. einwandfrei nachzuweisen. Die Idee, Thutmosis II. mit Mose gleichzusetzen, ist absurd.

3. Tutanchamun = Pharao des Auszugs (S. 162ff.). Möller datiert den Exodus auf die Zeit Tutanchamuns (konv. 1332-1323 v. Chr.). Damit die zeitliche Einordnung passt, schiebt er das Datum dieses Königs (und seiner Zeitgenossen) um mehr als ein Jahrhundert nach oben - auf 1454-1446 v. Chr. Er macht ihn zudem zum Zeitgenossen des Pharao Amenhoteps III. und zum Vorgänger von Echnaton. Möller weiß offenbar nicht, dass anhand der Königsmumie festgestellt wurde, dass Tutanchamun der Sohn Echnatons war, weshalb er auch erst ca. 20 Jahre nach Amenhotep regierte. Auch die relative Datierung der Landnahme gegen Ende der 18. Dynastie ist abwegig: Selbst wenn man Möllers ungerechtfertigter Zeitverschiebung folgt, fiele sie in Kanaan in die Spätbronzezeit IIA, als eine Stadt Jericho einschließlich ihrer berühmten Mauern seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr existierte. Auch sonst finden sich in dieser Zeit keine wie immer auch gearteten Hinweise auf die Landnahme. Eine Inschrift im Ägyptischen Museum in Berlin lässt es zudem wahrscheinlich erscheinen, dass Israel lange vor Pharao Tutanchamun in Kanaan siedelte. Letzteres konnte Möller noch nicht wissen, aber die anderen lange bekannten Fakten lassen seine Unbekümmertheit im Neuordnen der Geschichte sehr fahrlässig erscheinen.

4. Die Exodus-Route (S. 176ff.). Selbst Möllers Vorschlag, dass die Israeliten das Rote Meer östlich der Sinai-Wüste überquerten, widerspricht den biblischen Angaben. Die dort erwähnten Orte des Exodus (Ramses, Sukkoth, Etham, Jam Suf, Pihachirot, Migdol usw.) lassen sich gut mit Orten aus ägyptischen Quellen (Pi-Ramesse, Tjeku, iw ´tm, p3 twfi, Hnt H3-r-ti, Migdol, usw.) identifizieren. Diese befinden sich jedoch nicht in der Nähe des Roten Meeres, sondern ganz klar an der Nordostgrenze Ägyptens zur westlichen Sinai-Wüste.

5. Horeb = Jebel al-Lawz in Arabien (S. 263ff.). Möller schlägt die Gleichsetzung des biblischen Berges mit dem Berg Jebel al-Lawz in Nord-Arabien vor. Dort wollen er und seine Kollegen Denkmäler der Israeliten (einen mutmaßlichen Opferaltar und Säulen) entdeckt haben. Die Identifizierung ist jedoch archäologisch völlig abwegig. Zudem ignoriert Möller Ausgrabungen saudischer Archäologen, die anhand der aufgefundenen Keramik zeigen konnten, dass es sich bei den Funden um nabatäische Bauten aus dem 2. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr. handelt. Auch die Inschriften in der Nähe stammen nicht von Israeliten um 1400 v. Chr., sondern von den altarabischen Völkern, die hier um 600-400 v. Chr. siedelten. Genauere Untersuchungen erwiesen diese Inschriften als thamudisch. Auch die sog. Säulen aus Nuweiba am "Roten-Meer-Übergang", mit denen Salomo den Ort des Durchzugs markiert haben soll, stammen mit Sicherheit nicht aus der Zeit Salomos, sondern können stilistisch zweifelsfrei der hellenistisch-römischen Zeit zugeordnet werden.

Fazit: Die hier erwähnten archäologischen Befunde stehen den Thesen Möllers aber so deutlich und vielfältig entgegen, dass ihre Verbreitung mehr als fragwürdig ist. Ich bin davon überzeugt, dass der Auszug der Israeliten aus Ägypten so vonstatten ging, und ich freue mich über jede archäologische Bestätigung, doch müssen sie den Tatsachen entsprechen. Das ist in Möllers Buch leider so häufig nicht der Fall, dass ich das Buch nicht empfehlen kann.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Dr. Peter van der Veen und Prof. Dr. Uwe Zerbst
 Kategorie: Evolution, Archäologie, Schöpfung

  Verlag: inner cube
  Jahr: 2010
  ISBN: 978-3-942540-00-1
  Seiten: 450
 €    Preis: 29,90 Euro