Buch-Rezension: Kreuzestheologie im Neuen Testament - Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament

Kreuzestheologie im Neuen Testament

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tegorie der Kreuzestheologie und ihren Vorkommen im NT. Kreuzestheologie als theologischer Fachbegriff bezeichnet demnach

... eine bestimmte Art und Weise Theologie zu treiben. Es geht darum, Gott nicht von seinen göttlichen Attributen, von der menschlichen Vernunft, von einer natürlichen Offenbarung oder von der Metaphysik, sondern einzig vom Kreuz her zu denken. In dieser Optik ist jeder authentische theologische Diskurs auf das Kreuz hin ausgerichtet. Das Kreuz ist der Ort, wo sich Gott zugunsten des Heils des Menschen offenbart. ... Als Offenbarung Gottes in der Person des Gekreuzigten von Nazareth wird das Kreuz auch als Wort vom Gericht verstanden. Unter einem theologischen Gesichtspunkt stellt sich das Kreuz als Widerspruch gegenüber der Menschheit dar in ihrem Versuch, Gott zu erkennen. Sie stellt sich einer ´Theologie der Herrlichkeit´ gegenüber, die einen Diskurs über Gott unter Auslassung des Gekreuzigten zu entfalten behauptet. ... Aber die ‘Kreuzestheologie’ ist nicht nur Bestreitung der religiösen oder intellektuellen Ansprüche des Menschen. Konstitutiv für die ‘Kreuzestheologie’ ist vielmehr die Dualität von Gericht und Gnade (109).

Ohne Zweifel werden mit diesem Ansatz und Schwerpunkten auch wesentliche ntl. Anliegen berührt, doch ist der Band keine systematische, soteriologische Studie der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu im NT. Wenn man vom Titel her diese Erwartung nicht mit sich bringt, lässt sich manches aus den Aufsätzen lernen, die freilich durchweg die Methoden und Ergebnisse der historisch-kritischen Bibelwissen schaft voraussetzen. Die einzelnen Aufsätze sind vier Hauptteilen des Bandes zugeordnet.

Unter I. Paulus beginnt K. Haldimann mit „Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie: Zu einer Begriffsdifferenzierung in der Paulusinterpretation“ (1-25). Obwohl alle Schriften des Paulus vom Wort vom Kreuz geprägt sind, explizieren nicht alle dieses Wort in einer kreuzestheologischen Perspektive. „Die Angabe des Inhalts des Evangeliums lässt sich durchaus anders bestimmen denn als ‘Wort vom Kreuz’. Das mit dem Kreuz verbundene Skandalon lässt sich aber nur als ‘Wort vom Kreuz’ explizieren. Die Kreuzestheologie bestimmt das Kreuz als alleiniges Heilsereignis, gerade weil sie den Gekreuzigten als Auferstandenen wahrnimmt“ (23). Nach J. Zumstein „Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie“ (27-41) ist das Kreuz der exklusive Ort der Offenbarung der Gnade und des Gerichts Gottes. Diese Interpretation des Kreuzes stellt das Rückgrat der paulinischen Theologie dar. S. Vollenweider („Weisheit am Kreuzweg: Zum theologischen Programm von 1Kor 1 und 2“, 43-58) zeigt den erkenntnistheoretischen Status der paulinischen Kreuzestheologie im Gegenüber zur griech.- hell. Weltsicht auf. In „Ein Zentrum paulinischer Theologie? Eine pneumatische Erschliessung des Zusammenhangs von Soteriologie und Christologie anhand von Gal 5.25“ (59-79) spürt P. Rondez dem Zusammenhang zwischen dem gekreuzigten Christus und dem geistgewirkten Leben der Gläubigen nach. A. Dettwiler findet in „Das Verständnis des Kreuzes Jesu im Kolosserbrief“ (81-105) im Kol keine deutliche Kreuzestheologie.

Unter II. Markusevangelium bietet E. Cuvillier mit, „Die ‘Kreuzestheologie’ als Leseschlüssel zum MkEv“, (107-50) eine synchron orientierte exegetische Skizze aller relevanter Stellen und zeigt, dass das kreuzestheologische Paradigma (trotz der dargestellten Kritik) immer noch ein brauchbarer Schlüssel zu diesem Evangelium ist. Ferner untersucht M. Ebner die „Kreuzestheologie im MkEv“ (151-68). Nach Ebner bedeutet die Kreuzesnachfolge nicht, dass den Jüngern selbst das Kreuz droht. Vielmehr zeigt sie sich im Annehmen auch der niedrigsten Positionen in der Gemeinde (vgl. 8.27-10.52; 15.39). Sie steht im Kontrast zu den typischen sozialen und religiösen Erwartungen des römischen Reichs im ersten Jahrhundert.

Unter III. Johannesevangelium zeigt J. Frey („Die ‘theologia crucifixi’ im Johannesevangelium“, 169-238), dass das JhEv als eine spezifische Form der Theologie des Gekreuzigten verstanden werden kann, in der der Gekreuzigte der Ort eschatologischer göttlicher Offenbarung ist: „Es ist nicht das Kreuz (als Hinrichtungsinstrument und ‘Schandpfahl’), sondern der verherrlichte Gekreuzigte in Person, dem im johanneischen Denken die zentrale Bedeutung zukommt“ (235). Dagegen hat das Kreuz nach E. Straub („Der Irdische als der Auferstandene: Kritische Theologie bei Johannes ohne ein Wort vom Kreuz“, 239-64) keine exklusive hermeneutische Stellung. Insofern vertritt das JhEv keine Kreuzestheologie im obigen Sinn. Dennoch gibt es in der Soteriologie und Anthropologie Übereinstimmungen mit der paulinischen Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen. Zu fragen wäre nach diesen exegetischen Durchgängen, ob nicht Elemente der Kreuzestheologie – zumindest der Sache nach – auch in Lk oder Mt, in der Apg und in anderen ntl. Schriften zu finden sind (interessante Ansätze bei Vouga, 298- 315).

Unter „IV. Neutestamentliche und systematisch- theologische Perspektiven“ erscheint zunächst P. Bühlers „Kreuzestheologie und Soteriologie – zwischen NT und systematischer Theologie“ (265-81). Bühler präzisiert den systematischen Begriff der Kreuzestheologie, skizziert das lutherische Verständnis der theologia crucis und argumentiert, dass sich die Kreuzestheologie „für die ntl. Forschung als ein heuristisches Werkzeug erweisen kann, das es ihr erlaubt, entscheidende theologische Dimensionen des NT hervorzuheben und auszuwerten“ (281). F. Vouga zeigt in „Ist die Kreuzestheologie das hermeneutische Zentrum des NT?“ (283- 326) zunächst die unterschiedlichen Interpretationen des Kreuzestodes Jesu (soteriologische und nicht-soteriologische), definiert die pln Interpretation des Evangeliums als Kreuzestheologie und schließt: „Die Christologie der ntl. Schriften ist die Variable, die Theologie und Anthropologie die Konstante der ntl. Schriften. Kreuzestheologie ist dabei ein mögliches, aber nicht das allein gültige Kriterium für die Bestimmung der sachlichen Mitte des NT“ (VIIf).

Alle Aufsätze bieten neben interessanten theologiegeschichtl. Einsichten hilfreiche Beobachtungen zu den behandelten ntl. Texten. Sie zeigen einerseits den unbestreitbaren Reiz, der darin liegt, eine – trotz aller ntl. Bezüge – wohl doch systematische Kategorie (mit entsprechender dogmengeschichtlicher Bedeutung) an die ntl. Texte anzulegen und zugleich aber auch die Grenzen dieses Unterfangens. Trotz vieler interessanter und weiterführender Details haben mich die vorliegenden Aufsätze von der Brauchbarkeit der oben definierten Kreuzestheologie als heuristischem Instrumentarium für die exegetische Arbeit und als Ordnungsprinzip der ntl. Theologie nicht überzeugen können. Zu wünschen wäre neben der Behandlung des Werkes Jesu in den neueren umfangreichen NT Theologien eine deutschsprachige Studie, die ohne ein festgelegtes heuristisches Instrumentarium, umfassend der Soteriologie des NT oder spezieller dem Verständnis des Kreuzestodes Jesu gewidmet ist.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
 Kategorie: Biblische Lehre

  Verlag: Mohr Siebeck
  Jahr: 2002
  ISBN: 3-16-147775-8
  Seiten: 367
 €    Preis: 94,00 Euro