Buch-Rezension: Nützlich zur Belehrung (2 Tim 3,16) - Die Rolle der Schrift in den Pastoralbriefen im Rahmen der Paulusrezeption

Nützlich zur Belehrung (2 Tim 3,16)

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Zu den erfreulichen Entwicklungen in der Bibelwissenschaft gehört die stärkere Berücksichtigung des atl. Hintergrundes der ntl. Texte und Theologie. Während man zu manchen Zeiten stärker in der griech.-röm. Welt mögliche Ursprünge und Parallelen suchte, Fragen heute viele Forscher nach der Aufnahme der Sprache und Konzepte des hebräischen AT und seiner griechischen Übersetzung im NT. Diese legen die vielen Zitate aus dem AT im NT nahe und die noch häufigeren Anspielungen auf atl. Texte. Dies wundert nicht, da wahrscheinlich alle Autoren des NT Juden waren und Jesus selbst sein Wesen und seinen Weg als Erfüllung des AT verstanden und seinen Nachfolgern erläutert hat. Das Ernstnehmen dieser vielfachen Bezüge unterstreicht die Einheit der Schrift.

Nachdem mehrere Studien den Schriftgebrauch der einzelnen Evangelien, der Apostelgeschichte, der Paulusbriefe insgesamt und verschiedener einzelner Paulusbriefe untersucht haben (allein zu den 49 Zitaten aus dem AT im Römerbrief gibt es bereits mehrere Monographien!) wendet sich G. Häfner den Pastoralbriefen (P.) zu (1Tim, 2 Tim, Tit). Aus zwei Gründen waren sie bisher unter dieser Fragestellung nicht gründlich untersucht worden. Zum einen gelten vielen Forschern die P. als pseudepigraphe Schriften (aus verschiedenen Gründen fälschlich dem Paulus zugeschrieben, in Wirklichkeit aber von einem anderen Autor verfasst). Deshalb werden sie, zusammen mit anderen als unecht eingestuften Paulusbriefen, in derkri tischen Forschung weniger intensiv studiert. Diese Ein schätzung der P. teilt Häfner auch (S. 1-3; für eine überzeugende Verteidigung ihrer Echtheit vgl. E. Mauerhofer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments: bearbeitet von David Gysel, 3. Aufl.; Nürnberg: VTR, 2004, 165-76; für eine solide Kritik der Pseudepigraphie vgl. A. Baum, Pseudepigraphie und literarische Fälschung im frühen Christentum: Mit ausgewählten Quellentexten samt deutscher Übersetzung, WUNT II, 138; Tübingen: Mohr Siebeck, 2001). Diese Grundprämisse Häfners gilt es trotz vieler interessanter und wichtiger Detailbeobachtungen durchweg zu bedenken. Zum anderen ist die Rolle der Schrift in den P. kein naheliegendes Thema, da sie im Vergleich mit anderen ntl. Büchern kaum Zitate enthalten: lediglich zwei sicher bestimmbare Schriftzitate erscheinen (1Tim 5,18; 2Tim 2,19). Freilich ist die Häfners Buchtitel zugrunde gelegte Aussage aus 2Tim 3,16 eine der wichtigsten und grundsätzlichsten Stellen im NT über die Bedeutung des AT.

Nach einführenden Überlegungen zu den literarischen und geschichtlichen Besonderheiten der P. (1-41), beschreibt Häfner die Probleme bei deren Schriftgebrauch (42-90) und klärt hervorragend die Methodenfragen für seine Untersuchung, nämlich die verschiedenen Formen des Schriftbezugs (Zitat, Anspielung, Paraphrasen, Aussagen über die Schrift, urchristlich vermittelte Anklänge, “Echos”), die Textgrundlage und die Intertextualität, d. h. den Bezug von Texten zu anderen Texten (45-90).

Im Hauptteil der Arbeit, “Die Schrift in den P.” (91-254), untersucht Häfner traditionsgeschichtliche Einflüsse, den vermittelten Einfluss der Schrift (Verwendung biblischer Sprache), Paraphrasen in den P. (der Rückgriff auf Adam und Eva in 1Tim 2,13f, die Argumentation mit der guten Schöpfung in 1Tim 4,3f und das Beispiel von Jannes und Jambres in 2Tim 3,8f) und die Zitatenkombination in 1Tim 5,18 so wie das Doppelzitat in 2Tim 2,19. Der wichtigen Aussage über die Schrift in 2Tim 3.14-17 gelten gut dreißig Seiten (224-53). Häfner beobachtet richtig, dass der tatsächliche Schriftgebrauch in den P. mit den programmatischen Aussagen dieser Textstelle übereinstimmt. Der folgende Abschnitt präsentiert die Zusammenschau und Auswertung (255-273). Anschließend vergleicht Häfner im Abschnitt “Von Paulus zu den Pastoralbriefen - Die Rolle der Schrift im Rahmen der Paulusrezeption” (274-322), auf der Grundlage seiner Autorenbestimmung und Datierung der P. um ca. 100 n. Chr. den Schriftgebrauch der P. (1Tim 2,13f; 4,3f; 5,18; 2Tim 2,19; 3,8f) mit den Paulusbriefen (Beschreibung der zugrunde gelegten historischen Situation auf S. 267-73). Häfner sieht einige Anknüpfungspunkte, “stärker aber fällt die Eigenständigkeit der P. ins Gewicht” (279).

Die nahe liegende Möglichkeit, dass sich Paulus in Briefen mit konkreten Situationen und Fragestellungen anvertraute Mitarbeiter, bei denen seine apostolische Autorität nicht in Frage steht, weniger oder anders auf die Schriften Israels bezieht als in seinen Gemeindebriefen, wird nicht reflektiert. Ferner stellt er auf hilfreiche Weise die Aussagen des Paulus über die Schrift zusammen (in den von der kritischen Forschung als echt anerkannten Briefen: Röm 4,23f; 15,4; 1Kor 9,9f; 10,11; 2 Kor 3,12-18 (281-312) unter der Fragestellung, ob der Inhalt von 2Tim 3,14-17 erkennbar an Paulus anknüpft). Die Aussagen in 2Tim 3,14-17 sieht Häfner als eine Weiterführung der untersuchten Stellen aufgrund der gewandelten geschichtlichen Situation.

Abschließend versucht Häfner – getreu seiner Prämissen – zu erklären, wie die in den P. deutlich werdende Sicht des AT in den Prozess der Aufnahme paulinischer Theologie nach dem Tod des Apostels einzuordnen ist. Häfner gibt einen Überblick über die Anknüpfung an den echten paulinischen Gebrauch (die Schrift richtet sich unmittelbar an die Glaubenden, sie hat ermahnende Funktion) und Weiterführung darüber hinaus aufgrund einer neuen Situation (die Schrift gilt den Rechtgläubigen und vorallem den Gemeindeleitern, 317-22; letztere Beobachtung überrascht in einem Brief an einen Gemeindeleiter keineswegs!). Nach Häfner hat Paulus also mehr durch seine beiläufigen Bemerkungen über die Schrift fortgewirkt (weiterentwickelt in 2Tim 3.14-17) als durch seinen konkreten Schriftgebrauch (322): “Die Rolle der Schrift in den P. knüpft an den paulinischen Vorgaben an. Die Verbindung besteht allerdings nur im Ausnahmefall in einem konkreten Schriftbezug (1Kor 9.9f1Tim 5.18) oder in einem wenigstens teilweisen Anschluss anvergleichbare Argumentationen des Paulus aus der Schrift; entscheidend sind vielmehr die Aussagen des Paulus über die Schrift” (317).

Der letzte große Abschnitt des Buches gilt der Kontinuität und Entwicklung im Schriftgebrauch in einigen der der sog. “Apostolischen Väter” (324-66), die ersten nachntl. christlichen Autoren (1 Clemensbrief, Briefe des Ignatius, Polykarpbrief; Schriften, die zur Rezeptionsgeschichte der Paulusbriefe gehören). Bibliographie (367-87) und verschiedene Register runden den Band ab. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Monographie, die sich an Exegeten und Theologen wendet. Durchweg bestimmen die Prämissen in der Autorenfrage und Datierung das Vorgehen und die Ergebnisse dieser Arbeit. Besonders deutlich wird dies im Abschnitt zu 2Tim 3,14-17 (vgl. z. B. die evangelikale Auslegung von G. W. Knight, The Pastoral Epistles: A Commentary on the Greek Text, NIGTC; Carlisle: Paternoster, 1992, 442-50).

Zu prüfen wäre, zu welchen Ergebnissen man mit bibeltreuen Prämissen kommen würde. Trotz dieser grundsätzlichen Anfragen enthält Häfners Studie viele interessante Einzelbeobachtungen, gerade zum Verständnis der detaillierter untersuchten Stellen. Vgl. auch R. Fuchs, Unerwartete Unterschiede: Müssen wir unsere Ansichten über die “Pastoralbriefe” revidieren?, BWM 12, TVG (Wuppertal: R. Brock haus, 2003), der die von Häfner und vielen anderen angenommene Zusammengehörigkeit der P. (9-13) durch interessante Beobachtungen in Frage stellt.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Verlag Herder
  Jahr: 2000
  ISBN: 3-451-27252-0
  Seiten: 408
 €    Preis: 51,00 Euro