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Buch-Rezension: Schwärmer, Träumer und Propheten - Charismatische Gemeinschaften unter der Lupe. Eine soziologische Bestandsaufnahme

Schwärmer, Träumer und Propheten

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Der Religionssoziologe Thomas Kern hat eine der ersten soziologischen Untersuchungen zur charismatischen Bewegung veröffentlicht. Er schreibt in der Einführung zu seinem Buch: „Die charismatische Bewegung ist ein wichtiger Bestandteil meiner eigenen Biographie, auch wenn ich mich mittlerweile entschieden von ihr distanziere. Für etwa acht Jahre war ich selbst aktives Mitglied dieser Bewegung“ (S.15). Dennoch ist sein Buch von Unvoreingenommenheit und einer sachlichen Auseinandersetzung mit der charismatischen Bewegung gekennzeichnet.

Seine soziologische Untersuchung stützten sich auf drei Methoden:
(1) das Interview
(2) teilnehmende Beobachtung
(3) Analyse von Dokumenten.

Der Soziologe tritt deutlich zutage, wenn er über verbindliche Gemeinschaft schreibt: „Aus soziologischer Perspektive handelt es sich hier vermutlich um eine Gegenreaktion auf die voranschreitende Individualisierung der Gesellschaft“ (S.57). Theologisch würde man Verbindlichkeit in einer christlichen Gemeinschaft natürlich als Zeichen geistlicher Reife deuten. Seine Beobachtungen zu Bekehrung, Evangelisationsmethoden, Seelsorge und Geistestaufe geben dennoch einen umfassenden und wirklichkeitsnahen Einblick in die charismatische Frömmigkeit.

Ein Kapitel widmet er dem Glauben als Erlebnis. Er beschreibt, wie Suggestion wirken kann und stellt die Atmosphäre eines charismatischen Gottesdienstes vor. Er untersucht das ganze Spektrum charismatischer Frömmigkeit: Lobpreis, geistliche Kriegführung, enthusiastisches Gebet, Manifestationen des Heiligen Geistes. Er legt Denken und Praxis in charismatischen Gemeinschaften nüchtern dar und belegt seine Ergebnisse. Zu autoritären Bewusstseinstrukturen merkt er an: „... die Grenze zwischen verantwortlichen Umgang und eigennützigem Missbrauch ist fließend“ (S.184). Hier spricht er einen wunden Punkt vieler charismatischer Gemeinschaften an.

Im letzten Kapitel vertritt er die These, dass sich die Auseinandersetzung zwischen progressiven und fundamentalistischen Kräften zuspitzen wird. Den Kirchen rät er, „der fundamentalistischen Versuchung“ nicht nachzugeben (S.205). Damit wird seine theologische Positionierung deutlich.

Als ehemaliger Pfingstler kann ich das Buch Charismatikern wie Nichtcharismatikern nur empfehlen. Für die Nichtcharismatiker gibt dieses Buch einen recht guten Einblick in die geschichtliche Entwicklung, die charismatische Erfahrungsreligiosität und die Strukturen dieser Gruppierungen. Das Buch zeichnet ein lebendiges und durchweg objektives Bild. Aber auch Charismatiker sollten dieses Buch selbstkritisch lesen, da es aus meiner Sicht viele berechtigte Kritikpunkte enthält.

Wenn man auch nicht mit allen Schlussfolgerungen und Einschätzungen des Autors übereinstimmen muss, so ist dieses Buch eine gelungene und zutreffende Beschreibung charismatischer Spiritualität, das auch der interessierte Laie mit Gewinn lesen kann.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Georg Walter
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Knecht, Josef
  Jahr: 1998
  ISBN: 978-3782008037
  Seiten: 223
 €    Preis: 16,00 Euro