Buch-Rezension: Willow Creek - die Kirche der Zukunft?

Willow Creek

Autor:

Willow Creek ist eine Gemeinde, die zwei biblische Anliegen verbinden will:
1) die Verpflichtung zu beständiger Evangelisation angesichts einer verlorenen Welt;
2) den Bau einer Gemeinde von Gläubigen als Kontrastgesellschaft zur Welt. Ihr Motto ist, entkirchlichte Zeitgenossen mittels des gelebten und gepredigten Evangeliums zu Christus hingegebenen Nachfolgern zu machen. Wie gelingt dieser Mega-Gemeinde aus einem Vorort von Chicago die Umsetzung ihrer Doppelstrategie?

G.A.Pritchard hat längere Zeit in der Willow Creek Gemeinde gelebt und im Rahmen einer umfangreichen sozialwissenschaftlichen Doktorarbeit ihr Konzept, ihre Geschichte und ihre Realität untersucht. In einem 1994 erschienenen Buch, dessen deutsche Übersetzung hier angezeigt wird, hat er seine Ergebnisse einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Vieles an Willow Creek wertet er sehr positiv; aber gerade wegen seiner Wertschätzung dieser Gemeinde macht er eindringlich auf eine Reihe von Schwachpunkten aufmerksam, die korrigiert werden sollten.

Zu den Stärken von Willow Creek gehören Punkte wie ihr voller Einsatz für Evangelisation, ein exzellentes Programm, eine starke Hingabe an Jesus, geistliche Glaubwürdigkeit der Mitarbeiter, Verteidigung des biblischen Glaubens einschließlich der Unfehlbarkeit der Bibel, echte Liebesmühe um den entkirchlichten Zeitgenossen sowie der Versuch, die zum Glauben Gekommenen zu verbindlicher Nachfolge anzuleiten.

Zugleich zeigen sich aber auch Schwächen: ein Marketing-Ansatz, der in der Gefahr steht, die Botschaft den Bedürfnissen der Hörer anzupassen, eine Überbewertung von Image und äußerlicher Wirkung, die Gefahr von Manipulation durch starke Betonung von Gefühlen, ein Übergewicht des Psychologischen, eine unkritische Anpassung an die umgebende Kultur sowie eine gewisse Einseitigkeit in der Betonung der Liebe Gottes auf Kosten seiner Heiligkeit und Ehre, weiter eine Unterbetonung biblischer Lehre (kaum einer der 270 angestellten Mitarbeiter von Willow Creek hat eine theologische Ausbildung) und das Vorherrschen von Themapredigten statt Auslegung biblischer Texte - und das auch in den Gottesdiensten für Gläubige. Die Umsetzung des an sich guten Konzepts von Willow Creek gelingt nicht immer: während die evangelistischen Wochenendgottesdienste voll sind (mit 85 - 90% gläubiger Besucher), werden die Wochengottesdienste für Christen deutlich weniger besucht - und noch weniger Besucher werden verbindliche Gemeindemitglieder.

Dem Verlag der Christliche(n) Literaturverbreitung ist zu danken, daß er dieses wichtige Buch auf deutsch herausgebracht hat. Die Übersetzung wirft einige Fragen auf. So werden manche amerikanischen Ausdrücke wie `unchurched Harry´, `Christianity 101´, `churched Larry´ u.ä. nicht ins Deutsche übersetzt, und zwar aus der Voreingenommenheit heraus, daß letztlich das Willow Creek Konzept doch nicht auf Deutschland übertragen werden könne.

Dem Autor des Buches, der Willow Creek zugleich mit Sympathie und gut begründeter Kritik gegenübersteht, sind Leser zu wünschen, die sich nicht nur negative Argumente daraus zusammensuchen, sondern sich um eine faire Beurteilung dieser evangelistischen Gemeinde anhand neutestamentlicher Gesichtspunkte bemühen. Und im übrigen gilt auch in diesem Fall: es ist leichter, eine Sache zu kritisieren, als es selbst (hinsichtlich der evangelistischen Wirkung sowie der Anleitung zur verbindlichen Nachfolge) besser zu machen. So bleibt Willow Creek eine Herausforderung, das Gute zu behalten und das Problematische durch biblischere Praktiken zu ersetzen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Helge Stadelmann
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: CLV Christliche Literatur-Verbreitung
  Jahr: 1997
  ISBN: 978-3893972623
  Seiten: 317
 €    Preis: 12,95 Euro